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Elegien.
Zwischen die Dächer geklemmt der spitz aufsteigenden Giebel,
Hoch am vierten Gestock zog sich die Rinne dahin,
Drin bei strömendem Guß die gesammelten Wasser entrauschten;
Aber an heiterem Tag war sie ein traulicher Ort,
Luftig und sonnenerwärmt und umkreis't vom Fluge der Tauben,
Mit weit offenem Blick über die untere Stadt,
Ueber die Gärten am Fluß und die lindenbeschatteten Wälle
Bis zu des doppelten Thors mächtigen Thürmen hinaus.
Gern drum rastet' ich dort, zumal in der Stunde des Mittags,
(Denn volltöniger scholl droben das Glockengeläut)
Lauschte dem Schwärmen der Vögel umher und dem Zuge der Wolken,
Oder zu kindlichem Spiel trug ich Gewächse heran,
Pflanzt' am Gemäuer sie ein und schuf mir schwebende Gärten,
Wie's von Semiramis' Burg jüngst uns der Lehrer erzählt.
Aber zum Garten der Lust erst nachmals ward mir die Stätte,
Als mit entwendetem Buch täglich hinauf ich mich stahl
Und mich in Grimm's Volksmärchen vertieft' und heimlich in Fouqué's
Dichtungen schwelgt' und entzückt Schiller's Tragödien las.
Dort auch ward ich zuerst von der Muse berührt, und die Fülle
Nimmer vergeß' ich des Glücks, die wie ein Rausch mich befing,
Als im erregten Gemüth freiwillig die Reime sich fügten
Und der Gedanke von selbst rhythmisch zu fließen begann.
Nichts war Mühe dabei. Nein, wie wohl Abends der erste
Stern im dunkelnden Blau plötzlich entzündet erglänzt,
Dann sich zu diesem ein zweiter gesellt und ein dritter hervorblitzt,
So in dämmernder Brust tauchten die Verse mir auf.
Zwar einfachsten Gehalts nur waren die Strophen des Knaben,
Der ins ertastete Wort kindlich Empfundenes goß;
Aber dem ahnenden Sinn schon hatte die Form sich erschlossen,
Und ihm glückte das Maß, eh' er die Regel gelernt.
Dreimal selige Stunden des unbewußten Gestaltens,
Die ich im heimlichen Nest droben am Dache verträumt,
Wohin seid ihr entflohn? Die Gesetze beherrsch' ich der Kunst jetzt,
Aber ein Sehnen befällt stets mich, gedenk' ich an euch,
Und noch immer, sobald der Begeisterung Hauch mich umwittert,
Mein' ich, ich höre den Flug schwärmender Tauben, wie dort.
Sechster November, du stehst bei den Vätern in argem Gedächtniß,
Weil du auf Lübeck einst schwerste Bedrängniß gehäuft,
Als der Franzose die Stadt mit Sturme genommen und Blücher
Aus dem verzweifelten Kampf endlich, der Schwächere, wich.
Furchtbar war in den Gassen die Schlacht, furchtbarer die Plündrung,
Die sich von Haus zu Haus wälzte bei Fackelgeleucht.
Schüsse durchhallten die Nacht, rings klirrten zertrümmerte Fenster,
Krachten die Thüren vom Schlag wuchtiger Aexte gesprengt;
Nichts galt heilig der trunkenen Wuth, nach verborgenen Schätzen
Wühlte, vom Keller zum Dach stöbernd, die Beutebegier.
In die Gemächer der Frau'n brach frech die entzügelte Rotte,
Wüst mit rauchendem Blut wurden die Kirchen befleckt.
Und dann folgte die Noth langjähriger bitterer Knechtschaft,
Da sich des Siegers Gelüst jede Bedrückung erlaubt,
Bis der Koloß aus Erz, im russischen Eise geborsten,
Endlich auf Leipzigs Gefild dröhnend in Stücke zersprang.
Aber die Zeiten vergehn, es vernarben die Wunden, und arglos
Ueber den Stätten des Mords wandelt ein junges Geschlecht.
Und so wurdest du mir, der, später geboren, den Graus nicht
Deiner Zerstörung gesehn, sechster November, ein Fest.
Denn
dein heiterstes Licht umglänzte mich, als ich zum ersten
Male die süße Gewalt dämmernder Neigung erfuhr.
Ach, noch seh' ich den sonnigen Raum und die Nische des Fensters,
Wo, von Blumen umblüht, sinnend die Liebliche stand.
Jüngst erst war ihr die Schwester verlobt, und die Schaar der Gespielen
Saß um die rosige Braut, aber ich schaute nur Sie,
Wie sich die schlanke Gestalt aus den rankenden Stauden hervorhob;
Ueber das braune Gelock floß ein vergoldender Strahl.
Und nun hub sie das Aug' und erröthete, da sie mich glühn sah;
Sagt' ihr das ahnende Herz, was mir die Seele befing?
Doch ich konnte mich kaum dem bestrickenden Zauber entreißen,
Jedes gesellige Wort schien dem Entzückten versagt.
Endlich naht' ich mich ihr mit bescheidenem Gruß, und Erwidrung
Gab sie mir freundlich, Musik däuchte mir jegliches Wort;
Denn im befangenen Laut der seelengewinnenden Stimme
Klang mir des eignen Gefühls sanfteres Echo zurück.
Ach, schnell rann uns die Zeit; schon drängte die Sitte zum Aufbruch,
Stumm nur bot sie mir noch leisesten Druckes die Hand,
Aber ein zärtlicher Blick sprach: Komm bald wieder! und wortlos
Jauchzend, trunken von Glück stürmt' ich ins Freie hinaus.
Dich auch hab' ich, Venedig, gesehn, und keiner vergleichbar
An fremdartigem Reiz preis' ich dich, einzige Stadt.
Denn wie ein Purpur umfließt dich das Meer; zu dem Zauber des Ostens,
Der phantastisch dich schmückt, gab dir der Westen die Kunst,
Die zu stolzester Pracht sich entfaltend im Hauch der Lagune,
Schön wie die Tochter des Schaums, Seelen und Sinne berauscht.
Aber dazwischen verwebt sich der Nachhall deiner Geschichten,
Bald majestätisch und klar, schauerlich bald und gedämpft.
Jeglichem deiner Paläste verlieh die Erinnrung ein Echo,
Leis' aus jedem Canal flüstert die Sage herauf.
Wie viel Siegesgepräng umschwoll San Marco's Altäre!
Wie viel Seufzer vernahm drüben der Brücke Gewölb!
Hier die bewimpelten Masten am Platz, sie zeugen noch immer,
Daß dem geflügelten Leu'n Cypern und Zante gehorcht;
Diese Giganten erzählen vom blutigen Falle Marino's,
Jener moreske Balkon mahnt an Othello's Geschick.
Leben und Dichtung zerfließen in eins, und bunt wie ein Märchen
Lauscht das Vergangene rings unter dem Heutigen vor.
*
Rosen fehlen dir zwar und Lilien, aber die Blüte
Schmückt dich noch immer der Frau'n, wie Tizian sie gemalt,
Wie sie mit ahnendem Geist der unsterbliche Britte geschaut hat,
Als er Bassanio's Braut schuf und Brabantio's Kind.
Unter der Schwärze des Schleiers hervor dringt krauses Geringel,
Das als Mantel von Gold prächtig den Nacken umwallt.
Wie durch Nebel ein Stern feucht schimmert das Auge, die schlanke
Fülle der edlen Gestalt trägt der bezaubernde Fuß.
Täglich sah ich die Herrlichen so durchs rosige Spätroth
Unter dem Vespergeläut wandeln am Dogenpalast,
Bis sie um Mondaufgang vom taubenumflatterten Platze
Leise die Gondel entführt' über die schimmernde Flut.
*
Fern vom großen Canal einsiedlerisch wohnt' ich nach hinten,
Doch ein erlesenes Bild bot mir das Fenster dafür,
Schwermutsvoll und reizend zugleich; ein verwais'ter Palasthof
War's, deß bröckelnden Schmuck Regen und Sonne gebräunt.
Zwischen den marmornen Fliesen des Estrichs sproßte das Gras auf,
An den Gesimsen umher bauten die Schwalben der See.
Drüben erhub sich der rostige Bau; die zerbrochnen Geländer
Seiner Arcaden umwob schattiges Epheugerank.
Aber inmitten des Raums am vertrockneten Becken des Springborns
Stand ein Neptun, und mit Harm dacht' ich, Venetia, dein;
Denn dem verstümmelten Arm war längst der gebietende Dreizack
Traurig entsunken, wie dir, Fürstin, das Scepter des Meers.
Immer erquickt ihr mich noch, ihr Erinnerungsbilder der Seefahrt,
Die gen Hellas mich einst über die Adria trug,
Als ich der Stunde genoß und zugleich voll freudiger Ahnung
Mir der Gedanke voraus flog zu den Wundern Athens.
Schon war drüben im Duft Ancona's Veste versunken,
Und südöstlich im Flug strebte das rauchende Schiff.
Blauer glänzte der Himmel herab, und leuchtender sprühte
Ihren demantenen Schaum über die Räder die Flut.
Um den beflügelten Kiel auftauchten die ersten Delphine,
Und fremdländischen Duft bracht' und verwehte der Wind.
Also glitten wir sacht an den Südfruchthainen Salona's,
An des Phäakengestads lachenden Gärten dahin;
Aber ich saß auf dem hohen Verdeck und schlürfte den kühlen
Saft der Orangen und warf spielend die Schalen ins Meer,
Und dem geschaukelten Gold nachblickend sann ich auf Lieder,
Wie sie dem leichten Gemüth flüchtig die Muse verleiht.
Ringsum summten im Schiff die melodischen Weisen Lucia's,
Und dem italischen Klang fügt' ich das heimische Wort.
Freilich ein Spiel nur war's, doch niemals hab' ich so gänzlich
Sorglos heiter und froh wieder gesungen wie dort;
Ging mir das Herz doch auf in sonnigster Hoffnung, und schöner
Selbst als der vollste Besitz ist die Erwartung des Glücks.
Kommt mir Athen in den Sinn, so gedenk' ich des köstlichen Tags auch,
Da ich zuerst am Iliß Blumen des Lenzes gepflückt.
Früh noch im Hornung war's; noch hatte die kräftige Sonne
Nicht den smaragdenen Schmelz von den Gefilden gestreift.
Um des olympischen Zeus goldrostige Marmorgebälke
Zwitscherten Schwalben, und klar blaute der Morgen herein.
Fernher braus'ten im Flusse die Frühlingswasser, die Veilchen
Dufteten, rosig und weiß blühten die Mandeln am Hang,
Und vom Hymettosgebirg mit süß eintönigem Surren
Ueber das blumige Thal schwärmten die Bienen heran.
Quellendes Jugendgefühl durchströmte mich wonnig, und dankbar
Pries ich den günstigen Stern, der mich bis heute geführt.
War mein sehnlichster Wunsch doch früh mir erfüllt; noch ein Jüngling
Auf hellenischem Grund schaut' ich die Sonne Homer's,
Durfte Begeisterung mir im Nachglanz trinken der Vorwelt,
Und mit lächelndem Haupt nickte mir gnädig Apoll.
Aber es drängte mich auch mein Herz, des erlesenen Glückes
Würdig zu sein, und bewegt that ich ein ernstes Gelübd':
Muthig im Dienste der Kunst nach dem einfach Schönen zu ringen,
Wahr zu bleiben und klar, wie's mich die Griechen gelehrt,
Und was immer verwirrend die Brust und die Sinne bestürme,
Stets das geheiligte Maß fromm zu bewahren im Lied.
Also schwur ich mir selbst; und es rollt' in den Lüften der erste
Donner des Jahrs, und der Hain regnete Blüthen herab.
Auf langjähriger Fahrt gen Mittag schweifend und Morgen,
Unter Beschwer und Genuß war ich zum Manne gereift,
Hatte das junge Verlangen gestillt an den Wundern der Fremde
Und mir den dauernden Schatz reicher Erinnrung erkämpft.
Doch jetzt kehrt' ich zurück zu den friedlichen Stätten der Jugend,
Die mich im Frühlingsschmuck grüßten des sonnigsten Mai's.
Lieblicher däuchte die Luft mir zu athmen; die blühenden Büsche
Nickten, die Wipfel am Pfad traulich dem Wanderer zu,
Ach, und drüben im Thal tiefblau schon winkte die Trave,
Die durch Wiesen und Wald reizend geschlängelt sich wand.
Und jetzt stiegen die Thürme der Stadt, die gewaltigen Sieben,
Lübecks stolzeste Zier, prächtig am Himmel herauf.
Bald auch sah ich den Kranz der beschatteten Wälle sich dehnen,
Und ein gedämpftes Gesumm hört' ich, doch hört' es nur halb;
Denn rasch jagte der Wagen dahin auf dröhnendem Steindamm,
Und im Gerassel erstarb kaum noch vernommen der Laut.
Doch da stockten im Sand einsinkend die Räder, und plötzlich
Klar wie ein mächtiger Strom über das schweigende Feld
Wogte das ferne Geläut, denn Samstag war es vor Pfingsten,
Und auf morgen zum Fest luden die Kirchen das Volk.
Aber ich lauschte bewegt und erkannte die einzelnen Glocken,
Wie sie vom Jakobsthurm riefen und drüben vom Dom,
Bis du zuletzt einfielst, majestätische Stimme Mariens,
Und den metallenen Chor schwelltest mit tiefem Gesang.
O, da ging mir das Herz weit auf, und dem Strome der Thränen,
Der vom Auge mir heiß fluthete, wehrt' ich umsonst.
Denn was immer die Welt mir Köstliches draußen geboten,
Süßer empfand ich das Glück, wieder zu Hause zu sein;
Doch mit erneuerter Hast jetzt flogen die Räder, und jubelnd,
Eh das Geläut noch verhallt, lag ich der Mutter im Arm.