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Wilhelm Hertz


Aus »Bruder Rausch«,

ein Klostermärchen in zehn Abenteuern.

Erstes Abenteuer.

Es lag im Wald abseits vom Rhein
Ein armes Bettelklösterlein.
Dort dienten, der Versuchung fern,
Zwölf biedre Mönche Gott dem Herrn.
Sie wohnten in des Friedens Zelt,
Entrückt dem Schiffbruch dieser Welt.
Die Einen in der Jugend Prangen,
Mit sanftem Blick und zarten Wangen,
Von frommen Eltern kaum geboren
Zu Himmelsbürgern auserkoren,
Eh sie der Maienhauch der Sünde
Mit seiner süßen Brunst entzünde;
Die Andern alt, mit langem Bart,
Gebräunt von mancher heißen Fahrt;
Die schlaffen Augen gaben Kunde
Von mancher wildverschwelgten Stunde:
Nun büßten sie im härnen Kleid
Des Lebens schöne Eitelkeit.

Herr Irminold der Guardian,
Dem sie voll Demut unterthan,
Der hatte lange mit Scholaren
Die Welt durchschweift in jungen Jahren,
Bald eines Bischofs Tischgenoß,
Bald Schreiber in des Kaisers Troß,
Bald mit verwettertem Gesinde
Ein Gast des Waldes und der Winde.
Er war ihr Stolz; denn er allein
War schriftgelehrt und sprach Latein.
Sie zählten zu den Geistesarmen,
Die Christus segnet voll Erbarmen:
Denn ihnen schuf kein Räthsel Qual;
Sie dachten täglich siebenmal
In Reu und Leid des Sündenfalles;
Sie wußten Nichts und glaubten Alles.

In ebnem Bette floß ihr Leben,
Der strengen Regel fromm ergeben.
Sie gingen barhaupt, ohne Schuhe
Und schliefen sanft auf harter Truhe.
Nie dampfte Fleisch auf ihrem Tisch;
Am Fasttag fehlte selbst der Fisch.
Sie aßen Bohnen unverdrossen
Und Andres, was dem Halm entsprossen,
Der alten Väter heil'ge Kost.
Für sie vergohr kein edler Most.
Sie kannten keine andre Süße
Als Hymnen und Mariengrüße.
Von irdischer Arbeit Schweiß und Pein
Blieb ihnen Leib und Seele rein;
Ihr einzig Tagwerk war Gesang.
Sie sangen halbe Nächte lang
Mit so zerknirschten Jammerlauten,
Daß sich die Engel dran erbauten.
Wornach der Menschen Gier entbrannt,
Kein Geld entweihte ihre Hand.
Doch kam einmal die Noth ins Haus,
So schwärmten sie gleich Immlein aus
Und rührten rings durch Herzensgüte
Der Bauernweiber weich Gemüte.
Sie traten lächelnden Gesichts
Ins Hofthor ein und sagten nichts,
Empfingen aber sich zur Labe
Bescheiden auch die ärmste Gabe,
Und wenn erglomm der Abendstern,
So kehrten sie von nah und fern,
Beladen für des Leibes Noth
Mit Reisigwellen, Frucht und Brot,
Verzehrten froh die magre Beute
Und lobten Gott und gute Leute.

Hienieden war ihr Paradies
Ein Gütchen, das ans Kloster stieß,
Von hoher Mauer rings umschlossen,
Von einem klaren Bach durchflossen.
Dort lauschten sie am Sommertag
Auf Kukuksruf und Wachtelschlag
Und plauderten, versteckt in Rosen,
Von jenen weißen dornenlosen,
Die der Gerechten warten
Im lichten Himmelsgarten.

Hier ging dereinst der Bruder Benz,
Der würd'ge Nestor des Convents,
Und sucht' in erster Frühlingshitze
Ein kühles Ecklein sich zum Sitze.
Im Hintergrund am Rand des Quells
Ragt hoch ein eppichgrüner Fels;
Dort, überdacht vom dichten Flieder,
Ließ sich der fromme Bruder nieder,
Sah blinzend in den Sonnenschein
Und schlief beim Sang der Grillen ein.
Sanft glitt sein Haupt zum weichen Rasen:
Da weckte ihn ein grobes Blasen,
Das meuchlerisch im besten Schlaf
Ihn an der blanken Glatze traf.
Er schreckt empor, – doch geht kein Hauch;
Kein Blättlein bebt an Baum und Strauch;
Nur Fliegen schwärmen mit Gesumm.
Er schlägt ein Kreuz und dreht sich um
Und kehrt sein Haupt der Felswand zu.
Wie wohl thut ihm die sichre Ruh!
Doch nun – fürwahr, er träumt doch nicht –
Nun bläs't es scharf ihm ins Gesicht.
Da rief er mit entsetztem Ton
Zu seinem heil'gen Schutzpatron.
Doch wie er nach dem Boden starrte,
Gewahrt' er eine Felsenscharte;
Drin klafft ein langer feiner Spalt:
Von dorther weht es modrig kalt.
Hier, sprach der Mönch mit Beben,
Hier ist ein Schatz zu heben. –
Er lief auf schwanken Sohlen,
Die Brüder herzuholen:
Merkt auf, ich zeig' euch einen Ort,
Da liegt der Nibelungen Hort! –
Sie kamen alle, Mann für Mann,
Mit Hacken und mit Schaufeln an
Und gruben um die Wette
An der gefeiten Stätte.

Da tauchte bald ein rundes Thor
Aus Schutt und Felsgeröll hervor.
Nun leuchtet in den Berg hinein
Vom hellen Tag ein Dämmerschein,
Und drinnen wölbt sich hoch und weit
Ein Keller aus der Römerzeit.
Viel alte Krüge stehn umher,
Mit mächt'gem Bauch, doch leider leer.
Die armen Mönche sahn sich stumm
Enttäuschten Blicks und fröstelnd um.
In diesem heidnischen Gemäuer
Schien's ihnen doch nicht recht geheuer.
Da zischelt Einer angstverstört:
Was war das? Habt ihr's nicht gehört? –
Ein Jeder sucht vor Schrecken
Am Andern sich zu decken,
Horcht athemlos mit offnem Mund
Hinunter nach des Kellers Grund,
Und wirklich, hinten aus dem Düstern,
Da kam ein Pusten und ein Flüstern,
Darnach ein Laut, wie wenn mit Gähnen
Erwachende die Glieder dehnen.
Da sträubte sich ihr bischen Haar;
Um Hilfe! schrie die ganze Schaar.
Das war ein Rennen und ein Laufen;
Sie lagen bald auf einem Haufen.

Nun eilt der Guardian herbei;
Den Hirten lockt der Herde Schrei.
Er hört die Mär' geneigt zum Scherze
Und steigt hinab mit heil'ger Kerze.
Die Krüge schaut er mit Behagen;
Ihn rührt ein Wunsch aus jungen Tagen:
Das war der Durst nicht, der gemeine;
Die Sehnsucht war's nach goldnem Weine.
Er sprach: Wo ist, davor euch graus't?
Hier hat ein guter Geist gehaus't. –
Er trat hinein, erhob das Licht
Und sprach mit lächelndem Gesicht:
Ja, güt'ger Geist, wer du auch seist,
Wir sind an Freuden arg verwais't.
Laß dir's gefallen, laß dich laden,
Als Gast uns gastlich zu begnaden! –
Sein Licht erlosch; er ging von dannen,
Bestaunt von seinen treuen Mannen,
Und sprach: Die Schatten werden lang.
Macht euch bereit zum Abendsang! –

Doch als er kam vor seine Zelle,
Da saß ein Männlein auf der Schwelle,
Glattwangig, zart und wohlgestalt,
Von einem rothen Hemd umwallt,
Ein rothes Hütchen in den Locken.
Willkommen! rief er unerschrocken,
Woher, du Fremdling schön und licht?
Von bösem Stamme bist du nicht. –
Da klang ein Stimmchen fein wie golden:
Wir heißen auch die guten Holden. –
Was suchst du hier auf meinen Pfaden? –
Du hast ja selbst mich eingeladen
Im Keller, wo ich lag und schlief,
Bis mich dein Gruß ins Leben rief. –
Wie kamst du in die Felsengruft? –
Wohl lebt' ich einst in freier Luft,
Den Frauen lieb, den Helden werth,
Von allem Volke hochgeehrt,
Bis mit des fremden Gottes Namen
Die schwarzen Kuttenmänner kamen,
Gebete murmelnd auf Latein.
Ihr Beil erknirscht im heil'gen Hain;
Singhäuser bau'n sie allerorten,
Beschimpfen uns mit wilden Worten
Und machen uns die Ohren gellen
Mit ihren großen wälschen Schellen.
Da schaarten sich die Meinen
Mit Wehmuth und mit Weinen
Und fuhren aus, ein stilles Heer,
Bei Nacht stromabwärts übers Meer.
Ich dacht' erst, mit den Andern
Auch fern hinweg zu wandern.
Da fand ich jenes Mauerloch,
Wo ich im Unmuth mich verkroch.
Dort standen aus verschollner Zeit
Viel spitze Krüge schöngereiht,
Uralten Römerweines voll:
Die trank ich aus in meinem Groll.
Nun mußt du wissen: unser Wein,
Das ist der klare Mondenschein.
Wir scheuen als Beschwerde
Das rothe Blut der Erde.
Doch ich im Trutze trank und trank,
Bis ich umnebelt niedersank.
So stille war's im Grunde;
Mich störte keine Kunde.
Nur oft wie einer Drohne Summen
Hört' ich von fern die Glocken brummen.
Ich aber schlief – ich glaube gar,
Wohl über siebenhundert Jahr. –
Und nun? – Nun bin ich hier erschienen,
Als Gast euch gastlich zu bedienen. –
Uns, die zum selben Gotte beten,
Wie jene Schwarzen, die dich schmähten?
Denkst nicht, uns für dein Leid zu strafen? –
Das ist vertrunken und verschlafen!
Ihr habt so freundlich mich begrüßt
Und mir der Schwarzen Schimpf gebüßt.
Auch seid ihr braun, ein gutes Zeichen:
Ich habe Vettern, die euch gleichen. –

Der Guardian wiegt das Haupt und spricht:
Freund, hier ist deine Stätte nicht! –
Doch Jener fleht: Laß mich gewähren!
Als meinen Herrn will ich dich ehren. –
Er blickt empor, ein bittend Kind:
Wir sind so gern, wo Menschen sind. –
Wohlan, ich heiße Irminold,
Und du, wie heißt du? – Wie ihr wollt!
Da, wo es sprudelt, rauscht und braus't,
Hab' ich am liebsten einst gehaus't
Und ritt als Fant auf Wind und Wolke:
Drum hieß ich Rausch bei meinem Volke. –
Durch diesen Namen ehrt mit Recht
Dich auch der Sterblichen Geschlecht.
Wieviel die Sagen melden
Von Trünken deutscher Helden,
Es brauchte siebenhundert Jahr,
Bis deiner ausgeschlafen war:
Drum sollst du auch in unsern Reihn
Als Bruder Rausch gepriesen sein.
Doch welches Amt wird dir zu Lehn?
Wir sind mit Dienern wohlversehn.
Der Oberkämmrer sorgt getreu
Im Schlafgemach für trockne Streu.
Der Truchseß hält mit wenig Haus
Und würzt mit Fasten unsern Schmaus,
Und Wassermann der Schenke,
Dem mangelt nie Getränke. –
Herr, laßt sie dieser Dienste frei!
Gebt mir die Aemter alle drei! –
Der Guardian nickt ihm lachend zu:
Und welchen Liedlohn forderst du? –
Bleibt mir in Wort und Mienen hold,
So heisch' ich weder Dank noch Sold. –
Das sei gelobt in Treuen! –
Es soll euch nicht gereuen! –

*

Zweites Abenteuer.

Als Bruder Rausch sein Amt begann,
Da hub ein neues Leben an.
Die guten Mönche staunten,
Sie sahn ihm nach und raunten,
Wenn er mit leisem Kindertritt
Geschäftig durch die Gänge glitt.
Was seine kleinen Hände brachten,
Mißtrauisch nahmen sie's und lachten.
Es war ihr alter Bohnenbrei;
Doch fremde Süße war dabei.
Im Wasser selbst welch milde Güte!
Wie angehaucht von Rebenblüte.
Und es geschah nach kurzen Tagen,
Daß Hühnchen auf den Bohnen lagen,
Gefüllt mit zarten Leckerein,
Und aus dem Krug floß edler Wein.
Sie zagten erst, sie nippten dann
Und blickten schnalzend himmelan.
Und immer reicher ward ihr Mahl
Und immer würz'ger der Pokal,
Den er, vor Eifer heiß und roth,
Mit freundlich schlauem Lächeln bot.
Die Tafel deckt ein feines Linnen,
Wie es nur Edelfräulein spinnen,
Und kein Gelüst blieb ungestillt.
Nun gab es Braten zahm und wild
Und eine Fülle von Gerichten,
Wie Kaiserköche sie erdichten:
Im Honig schwimmt der weiße Schwan,
Vom Zimmetbaum falzt der Fasan,
Und fürstlich prunkend stellt der Pfau
Des Schweifes bunte Pracht zur Schau.
Die armen Mönche saßen
Verzaubert still und aßen.
Sie lös'ten sich den Kuttenstrick
Und sprachen mit gerührtem Blick:
Der Kleine wird uns recht zum Frommen;
Der muß von guten Eltern kommen. –

Doch stieg er höher noch in Gunst,
Wies er am Fasttag seine Kunst:
Weinsuppen in der Frühe
Und Aal in Safranbrühe,
Und Mittags in der Krebse Kranz,
Da lag der fette Biberschwanz,
Forellenkrapfen, Blamenschier
Und Feigenmus in Malvasier
Und Abends Thurmpasteten
Von Salmen und Lampreten.
Ach, riefen sie, du sel'ges Kind,
Du machst das Fasten sanft und lind! –

Für Alles sorgt' er treu und klug
Und that sich nimmermehr genug.
Das Tellerbrett, der Gläserschrank
Glitzt jeden Morgen spiegelblank.
Stets war der Estrich glatt gefegt
Und Saal und Zelle wohl gepflegt.
Bald sah man über Flur und Treppen
Ihn rastlos Pfühl und Polster schleppen,
Des harten Lagers Druck zu mildern,
Und weiche Decken bunt von Bildern;
Die glänzten allerorten
Von Pelz und seidnen Borten.
So schön, wie nun ihr Bette war,
War in der Kirche kein Altar.

Und in der Klosterwiese Grün
Fing Alles wuchernd an zu blühn.
Dichtschattig sproßten Baum und Strauch,
Umweht von süßem Blumenhauch;
Darin erscholl mit sanfter Macht
Das Lied der Vöglein Tag und Nacht.
Durch Myrten schlich der Quell dahin,
Und goldne Fischlein spielten drin.
An Bäumen bei des Baches Rand,
Da waren Tücher ausgespannt,
Worin an schwülen Nachmittagen
Die ältern Brüder schlummernd lagen,
Wenn sich die jüngern frisch und kühn
Auf Schaukeln schwangen durch das Grün.
Sie schwebten hoch im Bogen,
Daß ihre Kutten flogen.

Und oben auf des Felsens Spitze
Erbaute Rausch zu lust'gem Sitze
Ein rothbewimpelt Sommerhaus;
Dort ruhten sie von Spiel und Schmaus.
Sie schauten Abends von dem Gipfel
Weit übers Meer der Tannenwipfel,
Umkränzt nach allen Enden
Von lachenden Geländen.
Dort floß der Rhein im Purpurschein
Mit seinen Burgen groß und klein
Und zog den Blick von Ort zu Ort
Und zog die Herzen mit sich fort,
Bis er am goldnen Himmelsrand
Im lichten Duft der Ferne schwand.
Sie sehn die Kaufmannsschiffe gleiten,
Sehn Herrn und Frau'n mit Falken reiten;
Im Dorfe jauchzt der Tänzer Schwarm,
Und Pärchen wandeln Arm in Arm,
Und Kinder ziehn in Reihen,
Geputzt mit grünen Maien:
Die Mönche schauten sehnsuchtbang
In diese Welt voll Licht und Klang.

Doch wenn in blauer Dämmrung dann
Der Mond die Silberfäden spann
Und Thal und Höhe lag in Schweigen,
Da hub der Kleine an zu geigen.
Er fiedelte krystallenrein
Gar wundersame Melodei'n
Und sang dazu vom Reich der Zwerge,
Von Helden schlafend tief im Berge,
Vom Todeskuß der Wasserfrau'n,
Vom Elbentanz auf Waldesau'n,
Der einst den schönen Jungen
Mit holdem Bann umschlungen,
Als er durchritt den Rosenhag
Die Nacht vor seinem Hochzeittag:
Da rührt ihn mit der weißen Hand
Die Königin vom Elbenland
Und tanzt mit ihm am Wiesenhang
Bei leisem Sang und Flötenklang.
Er kehrte heim nach kurzen Stunden:
Da waren hundert Jahr entschwunden
Und längst sein armes Lieb indessen
Im Gram gestorben und vergessen.
Die Weise klang so schaurig,
So süß und doch so traurig,
Wie uralt ew'ge Liebesklage
Um diese flücht'gen Erdentage.
Doch plötzlich taucht aus Leid und Nacht
Sein Lied in helle Tagespracht
Und kehrt ins Leben lachend jung
Mit einem kecken Freudensprung.
Er sang von Lust und Kosen,
Von Bechern und von Rosen;
Er sagte Märlein wunderhold,
Durchwirkt mit weiser Sprüche Gold;
Er wußte kluger Räthsel viel
Und manch ein neckisch Fragespiel;
Von Riesen wußt' er manchen Schwank,
Von derbem Schimpf und Heldenzank,
Von wilden Schelmenstreichen
Und Lügen ohne Gleichen.
Das klang so lustig, schmuck und toll,
Daß Alle des Entzückens voll
Die hellen Thränen lachten
Und kaum des Mahls gedachten.

So ging mit reichlichem Gewinn,
Mit Scherz und Ernst der Tag dahin,
Und ward es endlich Schlafenszeit,
Stand Naschwerk schon am Bett bereit
Und Becher voll von edlem Naß,
Von Maulbeerwein und Hippocras.
Sie knusperten und tranken,
Bis sie im Bett versanken
Und sanft in seinen weichen Tiefen
Wie Engelein in Wolken schliefen.

Bald spürten alle neugemuth
Im Herzen frisches Lebensblut.
Die Labekost, der Zeitvertreib
That ihnen wohl an Seel' und Leib.
Sie gingen auf bei all dem Segen,
Wie knospend Laub im Frühlingsregen.
Sie wurden merklich feißter,
In Wort und Mienen dreister.
Nicht mehr gebückt, wie Mönche gehn
Und schweigend vor sich nieder sehn,
Sie schritten mit erhobnem Haupt,
Den Hut mit jungem Grün umlaubt,
In munterem Gebaren,
Neugierig wie die Staaren.
Drall in die Kutten eingespannt,
Als wär's ein ritterlich Gewand,
Mit weiten Aermeln, feingekreppten,
Die sie wie Schwalbenschwänze schleppten,
In Stiefelchen von Corduan
Stolzierten sie wie ein Galan,
Das Lockenkrönlein wohlgekraus't,
Mit kleinen Sperbern auf der Faust,
Am Gurt ein sammtnes Täschchen
Mit goldnem Bisamfläschchen.
So sah man brüderlich umschlungen
Die Alten scherzend mit den Jungen
Am Festtag durch die Blüthenau'n
Lustwandeln in der Lüfte Blau'n.
Manch Bäuerlein, an dessen Herd
Sie früher bettelnd eingekehrt,
Wich aus dem Weg und grüßte sie
Verwundert mit gebeugtem Knie.
Sie nickten vornehm abgewandt
Und winkten gnädig mit der Hand.
Auch ihr Gesang im Kirchenchor
Klang nicht so fromm mehr wie zuvor.
Sie schrieen an der heil'gen Stätte
Mit Fink und Amsel um die Wette;
Sie sangen kühner stets und schriller
Im Jubelton und schlugen Triller.

Der stille, heilig dumpfe Sinn,
Die Kindeseinfalt war dahin.
Sie unterfingen sich zu denken,
Erfüllt von übermüth'gen Ränken,
Und freuten sich, mit scharfen Reden
Einander listig zu befehden.
Nicht Alle stimmten freudig ein:
Da gab's geheime Seelenpein.
Insonderheit der Bruder Benz,
Der würdige Nestor des Convents,
Der litt oft Nachts in seinen Kissen
An Alpdruck und Gewissensbissen
Und spürte schon mit Ach und Wehe
Die Strafe Gottes in der Zehe.
Im rechten Feuereifer schalt
Der fromme Bruder Hunibald;
Der hatte sich zu lange Zeit
Geplagt, gegeißelt und kasteit,
Um seinen Lohn im ew'gen Leben
So leichten Kaufes hinzugeben.
Doch gegen ihn sprach Winimar,
Der Schönste aus der jungen Schaar:
Wie hat der Kleinmuth dich verstört!
Hast nie von großen Herrn gehört,
Von Erzbischof und Kardinal,
Die schwelgten an der Freuden Mahl?
Sie sangen manch verbuhltes Carmen,
Umstrickt von weichen Weiberarmen;
Sie jagten Wild auf schlankem Renner
Und starben doch als heil'ge Männer. –
Die lebten nach der Freien Recht;
Der Mönch ist seiner Regel Knecht. –
Zu ängstlich nach der Regel schau'n,
Heißt das nicht Gottes Huld mißtrau'n,
Hoffärtig scheu'n den Born der Gnaden,
Zu dem wir Alle sind geladen?
Nein, folge nur dem Guardian!
Erkennst du da nicht weisen Plan?
Wie man die Unschuld zaghaft lobt,
Die kein Versucher noch erprobt,
Hat auch die Buße wenig Werth,
Die niemals ahnt, was sie entbehrt.
Leicht trägt ein härenes Gewand,
Wer Sammt und Seide nie empfand,
Nicht minder, wer vergessen,
Was Holdes er besessen.
Wer sich dem Reiz der Welt entzieht,
Der meint zu siegen, wenn er flieht.
Nur der wird ehrlich sie bezwingen,
Der sie umfaßt in keckem Ringen.
Was ist der Engel höchste Freud'?
Ein einz'ger Sünder, der bereut,
Gilt mehr in ihren sel'gen Reichen,
Als hundert Fromme deinesgleichen.
Bei unsrem ew'gen Fastensang
Ward ihnen leicht die Weile lang:
Doch denk, wie werden sie uns ehren,
Wenn wir uns glorreich einst bekehren! –

So sprach der schöne Winimar,
Und Beifall rief der Brüder Schaar.
Der Guardian schwieg und dachte lächelnd,
Mit einem Palmenbusch sich fächelnd:
Wie thöricht war's, mit leerem Magen
Den freien Künsten nachzujagen!
Der Teufelsjunge disputiert,
Als hätt' er in Paris studiert. –
Der fromme Hunibald hinwieder
Sah schwerbetroffen vor sich nieder:
Wird das von Allen eingeräumt,
So hab' ich viele Zeit versäumt. –
Er ging und suchte unverwandt,
Bis er den kleinen Kämmrer fand,
Zog ihn bei Seite und begann:
Du nimmst dich unsrer trefflich an,
Willst uns den Tand der Erde lehren,
Um unsern ew'gen Schatz zu mehren.
Doch, im Vertrauen sei's gesagt,
Du bist im Angriff noch verzagt,
Lockst uns wie Kindervolk mit Kuchen:
Du mußt uns kräftiger versuchen.
Den Weltling macht Gemeines toll;
Doch ein Asket ist anspruchsvoll.
Drum, willst du Heilige verführen,
So gilt's, das Feinste auszuspüren.
Der Guardian geht noch heut auf Reisen:
Dann magst du deine Künste weisen. –
Der Kleine lacht: Ich will's besorgen.
Die heil'ge Sonnwend kommt uns morgen.
Gesellschaft bring' ich jung und fein:
Ihr sollt mit mir zufrieden sein. –

*

Drittes Abenteuer.

Der Sonnwendabend kühlt die Luft
Mit Rosenthau und Lindenduft.
Schon funkeln wie entflammte Sterne
Lustfeuer auf den Höhn der Ferne.
Im Klostergarten grün umheckt
Prangt eine Tafel reich gedeckt
Mit zieren Bechern und Pokalen,
Mit Eisgeschirr und Erdbeerschalen.
Rings in den Lauben liegen Pfühle;
Verdoppelt ist die Zahl der Stühle.
Es harren auf des Mahls Beginn
Die Brüder mit erregtem Sinn,
Ein fragendes Gedränge.
Da nahen muntre Klänge:
Der Kleine tanzt durchs offne Thor;
Er bläs't auf grünem Haberrohr,
Und hinter ihm, ein holder Schwarm,
Da schreiten paarweis Arm in Arm
Zwölf zarte Bürschlein jung an Jahren
Im Kleid der fahrenden Scholaren.
Er jubelt: Heil zum Sonnwendfeste!
Nun theilet euch in meine Gäste! –

Bald schmaus'ten Alle bunt gesellt.
Durch Lampen war der Tisch erhellt;
Die hingen von den Linden
Aus blumigen Gewinden.
Erst sahn die Schüler schamhaft drein
Und hauchten schüchtern Ja und Nein.
Doch Bruder Rausch mit Scherz und Schwank
Schenkt ihnen süßen Lautertrank,
Daß alle Wangen festlich glühten,
Aus sanften Augen Funken sprühten.
Sie schauten seitwärts ihren Mann
Mit raschen Schelmenblicken an
Und stimmten in die Neckerein
Mit silberhellem Kichern ein.
So ging es fort in Saus und Braus;
Doch als zu Ende war der Schmaus,
Da rückten sie die Stühle
Und schwärmten durch die Kühle.

Ein Sonnwendfeuer wird entfacht;
Das lodert in die Vollmondnacht.
Sie lagern in der Runde
Auf weichem Wiesengrunde.
Die Schüler streu'n im Uebermuth
Sich Rosen in der Locken Fluth
Und flechten sie, mit Wein durchlaubt,
Den Mönchen um das kahle Haupt,
Daß lüstern aus den Kränzen
Die weißen Platten glänzen.
Da schallt ein Lachen von der Linde;
Dort wiegt sich Rausch im Abendwinde.
Er saß rothangeglüht vom Brand,
Die Zauberfiedel in der Hand.

Sie riefen: Spiel uns einen Reigen! –
Und wieder fing er an zu geigen,
Doch heut mit niegehörtem Klang,
Der fein durch alle Sinne drang.
Anhebt sie leis und leise,
Die heil'ge Elbenweise;
Sie bebt hinaus durch Berg und Flur:
Der Hochzeitreigen der Natur.

Ein süßer Schreck durchzuckt die Nacht.
Was schläft und athmet, das erwacht.
Die Vöglein in des Nestes Ruh,
Sie schütteln sich und hören zu;
Die Hindin auf der Heide
Blickt auf von ihrer Weide;
Der Wolf, von Beutegier entbrannt,
Vergißt sein Wild und steht gebannt;
Der Eichwald stillt sein Rauschen,
Und alle Wesen lauschen.

Und wie die Weise mählich schwillt,
Haucht weiche Sehnsucht durchs Gefild.
Die jungen Mönche schau'n empor,
Als öffne sich des Himmels Thor,
Von Schauern überronnen,
Von Wehmuth und von Wonnen
Das Herz im Tiefsten aufgewühlt,
Das sich noch nie so kühn gefühlt.
Verheißend lockt in alle Weiten
Die Welt mit tausend Herrlichkeiten;
Nach Wunderfernen stürmt ihr Sinn.
Die Alten träumen vor sich hin,
Als sähen sie Gestalten schweben
Aus einem frühern Erdenleben.
So fremd und doch so wohlbekannt
Entschleiert sich ihr Jugendland.
Da liegt es rings im Maienschein:
Wie ging sich's da so hold zu Zwei'n!
Sie faßt ein schmerzliches Gelüst
Nach Lippen, die sie einst geküßt,
Nach blüthenhellen Wangen,
Die längst in Staub vergangen.

Da wächst der Klang mit Zaubermacht,
Wie Sturmgesang der Frühlingsnacht.
O schaut nicht vorwärts, nicht zurück!
So nahe grüßt euch Lieb' und Glück.
Die Welt ist euer, schaut euch um!
Ein festlich prangend Heiligthum.
Des Mondes Silber tränkt die Matten
Und rieselt durch der Zweige Schatten,
Und alle Blumen öffnen sacht
Des Blätterschooßes zarte Pracht,
Und süße Wohlgerüche schwellen
Der Lüfte sanft erregte Wellen.
Gleich Wölkchen steigt der Bienen Zug;
Sie schwärmen auf im Hochzeitflug.
Von Faltern wimmelt Busch und Au;
Die Adler kreisen hoch im Blau.
Waldvöglein heben goldnen Schall,
Die Lerche mit der Nachtigall;
Der Spielhahn schleift, der Täuber girrt;
Das glucks't und schmettert, zirpt und schwirrt,
Und fernher aus den Föhren
Erdröhnt des Hirsches Röhren.

Mit allberauschender Gewalt
Ergreift die Weise Jung und Alt
Und reißt sie fort im Siegerschritt:
Sie springen auf und singen mit.
Die Schüler zwängt ihr Brustgewand;
Sie werfen's ab mit wilder Hand, –
Und schwanweiß taucht aus schwarzer Hülle
Magdlicher Glieder schlanke Fülle,
Und wen noch Traumesweh umwunden,
Fühlt im Entzücken sich gesunden.
Der Erde liebstes Lenzgebild,
Das Lieb und Lust entgegenschwillt,
Lichtäugig Leben jugendwarm
Schmiegt sehnend sich in ihren Arm.

Wie glüht ihr Blick im Flammenglanz!
Und horch, die Weise ruft zum Tanz.
Verzaubert muß sich Alles drehn;
Kein Halten giebt's, kein Widerstehn.
Sie fassen sich im Ringelreihn
Und rasen um den Feuerschein,
Bis im Gewog die Kette reißt
Und Paar um Paar im Wirbel kreis't.
Das scherzt wie Bräutigam und Braut,
Neckt, flieht und hascht mit Jubellaut.
Sie schließen fester sich zusammen
Und springen jauchzend durch die Flammen,
Um sich in lauschigen Revieren,
In dunkeln Lauben zu verlieren.

Nur noch ein einz'ger Ton erscholl,
Der süß und immer süßer schwoll,
Bis alle Sinnen und Gedanken
In ihm ertranken und versanken.

Und sieh, da wallt die Königin,
Frau Minne, durch die Mondnacht hin.
Sie blickt umher: des Himmels Dach
Umwölbt ein großes Brautgemach.
Sie segnet mild die ärmste Stätte,
Weiht jedes Blatt zum Hochzeitbette. – –

Und rückwärts spielt nach Elbenpflicht
Sein Zauberlied der kleine Wicht,
Bis daß es leise, wie's begann,
In einen Seufzerhauch verrann.

Still ist es. Nur die Flamme saust,
Die tobend in den Aether braust.
Nun sinkt sie jäh, mit Rauch vermischt,
Zuckt, sprüht und flackert und erlischt.
Sacht glitt der Mond dem Walde zu,
Und Thal und Hügel kehrt zur Ruh.
Die Rose, üppig aufgeblüht,
Die Lilie neigt sich schlummermüd.
Da taumeln aus den Kelchen
Verschlungene Libellchen.
Es regnen Käfer liebesmatt
Wie Tropfen Gold von Blatt zu Blatt.
Die Vögel stecken wieder
Die Köpflein ins Gefieder,
Glühwürmchen tippt sein Lichtlein aus,
Still sucht das Wild sein grünes Haus.
Nun huscht der Träume Schattenschwarm,
Und Lieb' entschläft in Liebesarm.
Nichts wacht mehr als der Sternenreigen;
Der wandelt fort in sel'gem Schweigen.


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