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(»Todos Caeràn.« Von Goya)
Vor meinem Fenster stehen
        
 Die Bäume in einer Reih',
        
 Wohl zwanzig schlanke Tannen
        
 Und eine Kastanie dabei.
Es tragen die schlanken Tannen
        
 Ihr altes grünes Kleid,
        
 Daran wird nur im Frühling
        
 Ein neues »Volant« gereiht.
Ein neues, hellgrünes Säumchen,
        
 Das noch im gleichen Jahr
        
 So dunkel wird, wie früher
        
 Das ganze Kleid schon war.
Wie anders die Kastanie!
        
 Die ist aus feinerem Holz.
        
 Stets prangt sie in frischen Kleidern
        
 Und tut gar vornehm und stolz.
Im Frühling ein hellgrünes Tuchkleid,
        
 Im Sommer wird das ihr zu heiß,
        
 Da kommt eine Spitzenrobe
        
 In blütenschimmerndem Weiß.
Um Ende September wird meistens
        
 Ein rostrotes Herbstkleid gewählt ...
        
 Dabei sind die »
        Übergangs«-
        Kleider
        
 Noch gar nicht mitgezählt!
* * *
Ach ja! ... Ich kannte wohl früher
        
 Vor manchem langen Jahr
        
 Manch Mägdlein, das auch so bescheiden
        
 Wie eine Tanne war.
Da flog an manch kurzes Röckchen
        
 Ein schlichtes »Volant« in grün,
        
 Und niemals hört' ich die Klage:
        
 »Ich habe nichts anzuziehn.«
Das alles ist anders geworden.
        
 Ich führte ein Weib zum Altar ...
        
 Ich machte zu spät die Entdeckung,
        
 Daß es eine 
        Kastanie war.
Dein Sommerhut, Liebchen, gefällt mir gut,
        
 Es ist ein richtiger Mädchenhut,
        
 Der mit dem gelben, breiten Rand
        
 Dein Haupt, wie ein Heiligenschein, umspannt.
Aber ich hab' im Vorübergehn
        
 Heut in der Stadt einen Hut gesehn,
        
 Der müßte dir ausgezeichnet passen,
        
 Den sollt'st du dir nicht entgehen lassen.
Der Name »Hut« paßt eigentlich nicht,
        
 Es ist mehr – ein lyrisches Gedicht,
        
 Oder ein heller Sommertraum,
        
 Oder ein Flöckchen Wellenschaum!
Dies Wunder aus Blumen und weißem Band
        
 Ist kaum so groß wie meine Hand
        
 Und müßte mit deinen schwarzen Haaren
        
 Zur schönsten Harmonie sich paaren.
So weit wär' nun freilich alles gut.
        
 Nur ist's ein »Junger Frauen-hut«,
        
 Und um dies Wunderstück zu erlangen,
        
 Müßtest du stillen erst mein Verlangen.
Müßtest du endlich dein 
        Herz erweichen
        
 Und mir dein trotziges Händchen reichen.
        
 Nun, mein Liebchen, bedenk' es gut!
        
 Es ist ein entzückender Sommerhut!
Der Frauen Art hat keiner noch entwirrt.
        
 Da lernt man nichts, wie auch die Jahre rennen.
        
 Mit neunzehn Jahren glaubt man sie zu kennen –
        
 Und sieht mit sechzig, daß man sich geirrt.
* * *
Wir schelten auf der Frauen Mängel,
        
 Und dennoch herrscht das schöne Weib.
        
 Was ist die Frau? Sie ist ein Engel –
        
 Der nur den Teufel hat im Leib.
* * *
Frag, schöne Frau, die Strengen nicht und Groben,
        
 Wenn dich der Drang nach Selbsterkenntnis quält.
        
 Doch wenn dich zärtlich deine Schmeichler loben,
        
 Erfährst du jeden Vorzug, der dir – fehlt.
* * *
Mannesleid und Frauenschmerzen,
        
 Beides löst der Tränen Tau;
        
 Doch der Mann weint mit dem Herzen;
        
 Mit den Nerven weint die Frau.
Oscar Blumenthal.
Die Hochzeitsgäste waren kaum zu Haus,
        
 Verschwand das Bräutchen von dem Hochzeitsschmaus.
        
 Wo hüpft sie hin? Ins Mädchenkämmerlein.
        
 Der junge Ehemann schleicht hinterdrein.
Was nur dies tolle Kinderköpfchen will?
        
 Vor ihrem hohen Spiegel hält sie still,
        
 Die Schleppe nimmt sie auf. O, welche Pracht!
        
 Und macht sich einen tiefen Knix und lacht.
Sie winkt sich zu und lacht mit Mund und Blick:
        
 »Frau Doktorin, ich wünsche herzlich Glück.«
        
 Da geht die Tür. Ihr Mann! O, welch ein Schreck!
        
 Ein leiser Schrei. Sie will errötend weg.
Er aber schlingt den Arm um ihren Leib:
        
 »Frau Doktorin! Du Kind! Mein liebes Weib!«
(» Le Lever.« Von Sigismond Freudeberg.)