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Des zweiten Buches fünftes Kapitel:
»Das unverstandene Mädchen.«

Que sacrificio!« Von Goya)

Ein Brief.

(Statt eines Beitrags.)

Herrn Gustav Hochstetter,
Berlin-Wilmersdorf.
Charlottenburg, 5. März 1914.

Verehrtester Herr und Kollege!

Ich habe mir wirklich alle erdenkliche Mühe gegeben, Ihrer liebenswürdigen Einladung zu folgen; aber ich habe beim besten Willen nichts gefunden, das ich Ihnen für Ihre Anthologie anbieten könnte. Ich habe in meinen Lust- und Schauspielen, Romanen und Novellen, deren Anzahl ich lieber nicht angeben will, nach oberflächlicher statistischer Schätzung unter Zuhilfenahme des »Kirschner« dreiundsechzig Ehen gestiftet; dazu kommen noch etwa ein Dutzend Fälle: außereheliche Angelegenheiten. Daß bei Erledigung dieser poetischen Anstrengungen vor, während und nach den entscheidenden Momenten ungezählte Küsse erforderlich sind, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Ebenso ist bei diesen Angelegenheiten auch die Zahl der Liebeserklärungen sehr beträchtlich. Aber was die Liebe eigentlich ist, wird, glaube ich, recht selten dabei erklärt. Ich finde in meinen Schriften nur eine Definition, die mir umfassend erscheint. Es ist der erste Satz aus der Ferienarbeit eines sechzehnjährigen Backfisches, der also lautet: »Die Liebe ist ein dehnbarer Begriff«. Und da Sie den Wunsch nach einer genauen Quellenangabe äußern, will ich Ihnen den Fundort verraten, den Sie sonst nicht ohne Mühe ermitteln würden. Der niedlichen, etwas vorlauten Grete Matthes verdanke ich diese bedeutsame Sentenz aus einer meiner »Ernsten Geschichten«: »Die kranke Köchin« (Verlag von Eduard Hallberger, Stuttgart 1877); und in den siebenunddreißig Jahren, die seitdem verflossen sind, habe ich wohl nichts Tiefsinnigeres über die Liebe gesagt.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr aufrichtig ergebenster

Paul Lindau.

 

Das Mädchen singt:

Meine Mutter sieht mich immer so an,
Hab' doch all' Tag nichts Böses getan,
Kann nicht wie andre schalten und walten,
Möcht' immer nur still meine Hände falten.
Meiner Jugend Tage, die gehn und gehn,
Meine Augen sind trübe vom vielen Spähn,
Meine Augen sind trübe und suchen dich,
Prinz meiner Träume – wann holst du mich?

Gestern um Mitternacht, traumbetört,
Deinen Wagen hab' ich rollen gehört;
Von seinen Rädern klirrte die Scheibe,
Habe gezittert am ganzen Leibe;
Hörte mein Herz in die Räder gehn,
Einmal, ach einmal durchs Fenster sehn –
Bloß meine Füße, und doch, wie sie sprangen!
– Ganz langsam bin ich zurückgegangen.

Prinz meiner Träume, wo such' ich dich?
Meine arme Seele, die sehnet sich.
Sag, wann werden die Glocken läuten?
Wann wirst du mich holen vor allen Leuten?
Zu meiner Mutter trau' ich mich nicht,
Bruder und Schwester hab' ich nicht,
Da wein' ich doch manchmal so bitterlich –
O du Prinz meiner Träume, erlöse mich!

Carl Busse.

 

An blauen Frühlingstagen.

Vom stolzen Glück des eignen Werts getragen,
Als brächt' ihr Blühn der Landschaft erst Gewinn,
Gehn schöne Fraun an blauen Frühlingstagen
Wie Königinnen durch die Menge hin;
Als hätt' der Knabe Frühling nur im Sinn,
Das Krönungsvließ um ihren Leib zu schlagen
Und, wie ein Page, seiner Königin
Mit stillem Dank die Schleppe nachzutragen ...

Hugo Salus.

 

Blasses Mädchenangesicht.

Du blasses, schmales Mädchengesicht,
Glaub meinen schmeichelnden Worten nicht,
Ich warne dich! Ich warne dich!
Kann so süßen Gesichtern nicht widerstehn,
Fühl' gleich die Seele übergehn,
Ich kenne mich, ich kenne mich!
Wenn meine Sehnsucht ein Antlitz hat,
Ist's solch' ein blaß-blasses Teerosenblatt,
Wie dein Gesicht, dein süßes Gesicht!
Und sag' ich dir: »Mädchen, ich liebe dich«,
So spricht meine Sehnsucht nur zu sich,
Du hast nur ihr Antlitz. Glaub mir nicht!

Hugo Salus.

 

Vagantenlied.

Dem ist nichts zu verderben,
Der nimmer was begehrt.
Das bißchen Hungern und Sterben
Ist nicht der Rede wert!

Bedeckt mit weichem Moose
Den rohen Spatenstich –
Zu Aachen Karl der Große
Schläft besser nicht, als ich.

Und keinen süßern Frieden
Bei Stier und Katzenvieh
Genießt in Pyramiden
Die vierte Dynastie.

Der Kaiser und die Nonne
Und Papst und Bettelweib,
Die strecken fern der Sonne
Nicht wohliger ihren Leib.

Und all die Himmelstürmer
Und was an Krücken schleicht,
Ein Festmahl für die Würmer,
Wenn erst das Ziel erreicht!

Und grab, was stolz und edel,
In fünfzig Jahren aus:
Es sieht ihr blanker Schädel
Gemein, wie meiner, aus!

Und greif der Königinnen
Vermodert Prunkgewand –
Wie dieses grobe Linnen
Zerbricht's dir in der Hand!

Und bist du ein Gebuchter
Beim Heroldsamt – wie schad!
Der Tod ist ein verfluchter,
Blitzdummer Demokrat.

Er schaufelt mir ein Gräbchen
Bei einer Gräfin gar,
Die trägt im Arm ein Knäbchen,
Ein goldenes Krönchen im Haar.

Die dacht mit mir zu schlafen
Gewiß nicht Tür an Tür ...
Das Krönchen war vom Grafen,
Das Knäbchen war von mir!

Rudolf Presber.

 

Der Backfisch.

Tanzen! Tanzen!
Hab Herz und Kopf von vielem voll,
Ach, das Leben ist sonnig!
Aber wenn ich tanzen soll,
Tanzen soll,
Wonnig ist's, wonnig!

Der Herr Lehrer am Klavier,
Reizend ist er mitunter.
Vierhändig spielten heute wir,
Ging alles drüber und drunter.
Sah er mich von oben an,
Komisch an, der kluge Mann:
Sie wollen wohl wieder tanzen?

Malen, ach, es ist himmlisch süß!
Besonders im Freien skizzieren.
Holt man sich manchmal auch nasse Füß,
Was wird's die Kunst genieren?
Öl, Aquarell,
Kohle, Pastell,
Ach, es geht nichts darüber,
Nur tanzen ist mir lieber,
So ein Walzer von Strauß
Sticht alles aus.

Radeln? All Heil!
Auf dem Zweirad leist ich mein Teil.
Frisch wie der Wind
In die Wett mit dem Wind.
Aber alle Räder der Erde sind
Nichts gegen meine Sohlen,
Kommt einer zum Tanz mich holen;
Wer es auch sei, ich sag nicht nein,
Muß nur grad kein Ekel sein.

Tanzen, ach tanzen! La la la la la la ...
Wäre nur erst das Ballfest da!

Gustav Falke.

 

Traumballade.

Kleiner König aus Elfenland,
reich mir deine Elfenhand,
führ' mich auf dein Marmorschloß,
zeige mir dein goldenes Roß.

Ließest Knappen und Ritter stehen,
müssen wir nun allein
einsam beide im Dunkelschein
Über die Felder gehn.

Aber der Mond wird den Weg uns zeigen,
wird an den leeren Himmel steigen.
Sieh nur, wie es im Osten graut,
und die Vögel singen laut.

Da lacht Kleinkönig aus Elfenland,
streckt nach Osten die Elfenhand.
»Der Mond? Gleich kommt ja die Sonne dort.«
Und lacht und macht sich eilig fort.

Aus der Ferne noch ruft er mir zu:
»Hast es versäumt,
dein Glück verträumt,
Kleinkönig ist ja ein Mädel, du!« –

Wilhelm von Scholz.

 

Albertine, die nicht zur Bühne gehen sollte.

Sie sollte nicht zur Bühne gehn,
Da wird ein Mädchen nur verdorben.
Die Eltern wollten es nicht sehn,
Sie wären lieber gleich gestorben.
Deswegen und aus diesem Grund
Weint unsere holde Albertine
Sich beide schwarzen Augen wund –
Und lernte schleunigst Schreibmaschine.

Sie hatte rosenrote Lippen,
War überhaupt so wunderschön,
Sie konnte ganz vorzüglich tippen
Und sollte nicht zur Bühne gehn.

Nun saß sie täglich im Bureau.
Bald war sie traurig und bald heiter.
Es scherzten die Kollegen froh,
Sie aber tippte ruhig weiter.
Da küßte ihr einst aus Versehen –
Der Chef die süßen Augenlider;
Erst konnte sie ihn nicht versteh'n
Und schließlich küßte sie ihn wieder.

Sie hatte rosenrote Lippen,
War überhaupt so wunderschön,
Sie konnte ganz vorzüglich tippen
Und sollte nicht zur Bühne gehn.

Der Chef war ein charmanter Mann,
Drum hat sie ihn sich auserkoren.
Wer Schreibmaschine schreiben kann,
Der ist noch lange nicht verloren.
Und nach Bureauschluß fährt hinaus
Der schöne Chef mit Albertinen. –
Man sagt, er hat ein Gartenhaus,
Da draußen irgendwo im Grünen.

Sie aber hatte rote Lippen,
War überhaupt so wunderschön,
Sie konnte ganz vorzüglich tippen
Und sollte nicht zur Bühne gehn.

Zu Hause war man hochentzückt
Und freute sich von Tag zu Tage.
Welch' Elternherz wär nicht beglückt
Ob ähnlicher Gehaltszulage?
Wenn sie auch spät nach Hause lief,
Die Eltern waren dennoch heiter:
»Einmal war sie bei Mieze Pief,
Und dann bei Frieda und so weiter –

Sie hat doch rosenrote Lippen,
Ist überhaupt so wunderschön,
Sie kann doch ganz vorzüglich tippen,
Wozu soll sie zur Bühne gehn?«

Rudolf Bernauer.

 

Frauenspiegel.

Wohl ist der Liebe Sehnsucht wandelbar,
Doch ist ein treuer Haß nicht minder rar.
Denn was wir auch an Grimm und Groll gefühlt,
Vom Strom der Stunden wird es unterspült.

* * *

Da schreiben wir Verse voll Bitterkeit,
Um die holden Frauen zu lästern.
Wir spotten über das Weib von heut'
Und über das Weib von gestern.

Die Lieblichen hörten es unbewegt,
Sie lassen uns hadern und hecheln ...
Und schließlich werden wir widerlegt
Mit einem einzigen Lächeln.

Oscar Blumenthal.

 

(»Tantalo.« Von Goya)


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