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Des ersten Buches Schlußkapitel:
»Vorbeigeküsst«

Das Liesel.

Gestern hat sie Holz gelesen,
Trug dann heim die schwanke Last.
Aber Scheuertuch und Besen
Nahm ihr noch die Abendrast.

Doch wie köstlich ist der Augen
Scheues, schweres Hexenlicht,
Ach, und für die Füßchen taugen
Holzpantoffel wirklich nicht.

Diese Lippen blühn und lachen.
Ja, wer die probieren könnt!
Diese Wangengrübchen machen,
Daß ein Lümmelherze brennt.

Bauernlümmelherzen! Diese
Sind wie Lederhosennaht,
Aber bei der Lumpenliese
Wissen sie sich nicht mehr Rat. –

Heut ist Sonntag! Mit den Geigen
Rückten Musikanten ein. –
»Bürschlein, heut will ich's euch zeigen:
Liese muß mein Mädel sein!« –

Liese ist die, die gescheuert,
Und der lange Schulzensohn
Ist der andre. – Oft beteuert
Hat er ihr die Liebe schon. –

Montag ward's. Mit Lieses Röcklein
Lustig rascher Waldwind spielt.
Doch beim Schulzen sitzt ein Böcklein,
Das sich seine Backe kühlt!

Gustav Schüler.

 

Abigail.

Abigails Gesicht war ein lockendes Oval von zartem, hellem Bernstein, um das wilde Fluten glänzend-schwarzen Haares einen bacchantischen Rahmen warfen.

Er trank die Schönheit dieser Linien ...

Zum erstenmal tat es ihm leid, daß er als » Landschaftsmaler« abgestempelt war und nicht als » Porträtist«

Und nicht nur abgestempelt ...

Auch innerlich fühlte er sich so vollkommen als »Nicht-Porträtist«, daß er nie den Versuch unternehmen konnte, die Schönheit dieser berückenden Frau mit Pinsel und Palette auf die Leinwand zu tragen.

Wäre er als Porträtmaler so berühmt gewesen, wie er es nun leider einmal nur als Landschafter war – dann hätte er der schönen Frau bloß ganz leise anzudeuten brauchen, daß er sie verewigen wolle ...

... sie wäre in sein Atelier gekommen ...

... bei der ersten Sitzung vielleicht mit ihrem Gatten ...

... bei der zweiten Sitzung vielleicht ohne ihren Gatten ...

... und es hätten viele, viele Sitzungen dieser zweiten folgen können ...

Tja, ... er war aber kein Porträtfabrikant!

Er war Feld-, Wald- und Wiesenkünstler.

Zum Donner noch mal, ist das garnichts?

Man ist berühmt.

Man kann was.

Man ist sogar mit achtunddreißig Jahren schon Professor.

Man hat ein imposantes Atelier.

Wird die schöne Frau nicht genug Kunstverstand besitzen, um eine Einladung zur Besichtigung dieses Ateliers zu würdigen? ...

Natürlich soll sie – beim ersten Besuch – den Herrn Gemahl mitbringen ...

Aber man kommt einander doch näher ...

Laden wir sie ein!

... Sie nimmt lächelnd an ...

... Man plaudert weiter ...

... Man plaudert sogar sehr angeregt ...

Man spricht von der Liebe und vom Küssen ...

Natürlich rein theoretisch.

»Ich glaube,« lächelt die schöne Frau, »in allen Liebesdingen liegt die Schwierigkeit bei dem ersten Kuß. Ist der erst geglückt – dann hat der Mann die Frau besiegt, überwunden, erobert ...«

* * *

Die schöne Frau Abigail kam ins Atelier.

Mit dem Gatten.

Die schönsten Bilder wurden serviert.

Und ein nettes Frühstück.

Austern, Kaviar, Sherry, Madeira, Vermout di Torino.

Man saß um einen kleinen Tisch herum und tat dem Dejeuner viel Ehre an.

Die Gäste wählten den Cherry ...

Als die beiden gegangen waren, trat der junge Professor an den Frühstückstisch heran.

Die Gläser der Männer waren leer.

Vor dem Platz der schönen Frau stand ein halbvolles Glas.

Der junge Professor hielt das Glas gegens Sonnenlicht.

Er suchte die Spur ihrer Lippen.

Er fand die Spur: sie dünkte ihm lieblich, reizend und lockend wie der entzückende, kleine Mund, der sie hinterlassen hatte.

Der Professor führte mit mathematischer Gründlichkeit zu seinem eigenen Munde die Stelle des Glases, an der die kleine Spur zu sehen war.

Die ganze Wonne seiner jungen Liebe durchschauerte ihn, als er den kräftigen Geschmack des würzigen Weines feurig über die Lippen, über die Zunge rieseln fühlte ...

* * *

Noch am gleichen Abend trafen sie sich in einer großen Gesellschaft, wo sie nach dem Dessert in einer Ecke plaudernd zusammenstanden.

Der junge Professor, und die schöne Frau Abigail mit der betörenden Flut des schwarzen Haares ...

»Wissen Sie noch, was sie damals sagten?« raunte er ihr zu, »Sie sagten: in allen Liebesdingen liegt die Schwierigkeit bei dem ersten Kuß. Ist der erst geglückt – dann hat der Mann die Frau besiegt, überwunden, erobert ... Das, gnädige Frau, waren Ihre eigenen Worte!«

»Ja«, lächelte sie, »und ...?«

»Dann habe ich Sie erobert! Denn den ersten Kuß ... gab ich ihnen heute!«

»Ohne daß ich es weiß?«

»Ja ...! Als Sie und Ihr Gatte ... heute mittag mein Atelier verlassen hatten, da gab ich ihnen den ersten Kuß!«

»Wie? Ich war nicht mehr da ... und Sie haben mich trotzdem geküßt?«

»So ist es. Ich trat vor den Frühstückstisch, an ihren Platz; dort stand Ihr Glas, das noch halb voll war: die graziöse Spur ihrer reizenden Lippen war noch zu finden; ich trank Ihr Glas aus, und alle Schauer des ersten Kusses durchrieselten mich; ich habe Sie geküßt, gnädige Frau ... fühlen Sie es nun, daß ich Sie erobert habe?«

Sein Siegerblick zerschellte an ihrem Lachen.

»Nein, Herr Professor,« triumphierte sie, »Sie haben mich nicht erobert; Sie haben mich nicht geküßt; höchstens haben Sie meinen Mann erobert!«

»Was? ... Wie?«

»Er trinkt vormittags nicht gern. In einem unbewachten Augenblick hat er sein halb volles mit meinem leeren Glas vertauscht.«

»Dann habe ich ... Ihren Gatten geküßt?!« –

»Das haben Sie, Herr Professor! Aber da ist nichts Schlimmes dabei. Das tue ich ja selbst so oft

Sie ließ ihn allein in seiner Ecke stehen.

Er gab sich die größte Mühe, den falschplazierten »ersten Kuß« von heute mittag aus seinem Gedächtnis zu löschen.

Und er fühlte, daß ihm ein »richtig-plazierter« niemals vergönnt sein werde.

Gustav Hochstetter.

 

Sonnenfahrt.

Liebchen, wir fahren im Sonnenschein,
Jubel im Herzen und Blick, –
Hotte de Hüh ... in die Welt hinein,
Hurre de Purre ... ins Glück.

Rößlein, das muntere, heißt Phantasie,
Märchen sind Zügel und Zaum,
Klingend in lustiger Melodie
Tönt manche Schelle, manch Traum

Liebchen, mein Liebchen, nun halte dich fest.
Auf geht's in schwindelnde Höh'n,
Nur wer die Erde unter sich läßt,
Kriegt was von Schönheit zu sehn

Hurtig, mein Rößlein und trabe nur schnell,
Klingelingling ... geht der Lauf,
Über den Bergen wird es schon hell,
Liebling, die Sonne geht auf ...

Klingende Schönheit ist unsere Welt,
Lachen heißt unser Palast,
Freude der Garten ... Und wo's uns gefällt,
Machen wir selige Rast.

Heissa ... im Traumland sind wir zu zwein,
Kehren noch lang nicht zurück ...
Liebchen, wir fahren im Sonnenschein,
Hurre de Purre ... ins Glück.

Heinz Stein.

 

Die Verschmähte.

Komm ich längs der grünen Weide,
Wo die kleinen Lämmer grasen,
Immer hör' ich mir zu Leide
Eine helle Flöte blasen.

Und da hockt er morgenmunter
Auf umbuschtem Erlensitze,
Bläst sein leichtes Lied herunter,
Sich, den Schafen und dem Spitze.

Geh' ich zehnmal hin und wieder,
Wird er zehnmal mich nicht sehen;
Und doch leuchtet rot mein Mieder,
Und die hellen Röcke wehen.

Unerhörte Liebesnöte
Jeden Tag und jede Stunde.
Läg doch statt der dummen Flöte
Ich einmal an seinem Munde!

Doch er kann den Mund nur spitzen,
Wenn es gilt, die Flöte blasen;
Nichts kann ihm das Blut erhitzen,
Als wenn Lämmer abseits grasen.

Und in diesen Tölpel muß ich,
Dumme Liese, mich vergucken.
Ach, wie fühl' nach seinem Kuß ich
Meine Lippen jucken!

Gustav Falke.

 

C. Bargue: Die kleine Eva.


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