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Des ersten Buches vorletztes Kapitel:
Abenteuer.

Tal para qual.« Von Goya)

Hochzeitsreise.

Der Schaum flog auf im Vierwaldstättersee.
Der Sonne Riesensilberlanzen schossen
In blaue Fluten, die krystallhell flossen,
Gigantenhäupter schimmerten im Schnee.
An beiden Ufern lockten weit und breit
Frischgrüne Hänge blütenüberschneit.

Hinunterträumend schlürft' ich goldenen Wein
Und sah die Matten in der Tiefe winken,
Scharf abgezeichnet schwankt' ihr Widerschein ...
Da lacht es glockenhell zu meiner Linken:
»Guck, Schatz, das wunderbarste Rigiwetter!
Mit unserer Hochzeitsreise sind die Götter.«

»Du kleine Heidin!« Und schon saß der Kuß.
Er hielt sie fest und kraut' in ihren Locken.
Sie tat ein wenig seitwärts noch erschrocken,
Ich schaute tiefer in den Wellenfluß.
Die Schaufeln klatschten: wie das schlug und spritzte!
Der Gischt schoß kielwärts, und das Wasser blitzte.

Und Blüten hat die junge Frau gestreut
Mit zarter Hand in die beglückten Wogen;
Vor Wonne schäumend sind sie hingeflogen –
Wie hab' ich solchen Glückes mich gefreut! – –
Der hohe Äther drückte plötzlich schwer,
Und vom Pilatus kroch ein Wölkchen her.

Karl Henckell.

 

Abendgang.

Im Haus ist's stumm –
Den Mantel um,
Durchs Fensterlein hinaus –
Die Gasse leer –
Durchs Städtchen quer
Und grad zu Liebchens Haus!

Was brummt denn nur,
Was summt denn nur
Aus jedem dunklen Tor?
Da regt es sich,
Bewegt es sich,
Da flüstert es hervor.

Der Brunnenmann,
Der Florian,
Ich glaube wohl, der lacht –
Gleich neigt er sich,
Gleich beugt er sich
Und wünscht mir »gute Nacht!«

Bruno Frank.

 

Galathea.

O, wie brenn' ich vor Verlangen,
Galathea, schönes Kind,
Dir zu küssen deine Wangen,
Weil sie so verlockend sind.

Daß ich auch die Gnade fände,
Galathea, schönes Kind,
Dir zu küssen deine Hände,
Weil sie so verlockend sind.

Und was tät ich nicht, du süße
Galathea, schönes Kind,
Dir zu küssen deine Füße,
Weil sie so verlockend sind.

Und mich treibt der Pulse Stocken,
Galathea, schönes Kind,
Dir zu küssen deine Locken,
Weil sie so verlockend sind.

Aber deinen Wund enthülle,
Mädchen, meinen Küssen nie,
Denn in seiner Reize Fülle
Küßt ihn nur die Phantasie.

Frank Wedekind.

 

Das Spinnen.

Ach Mutter, scheltet nimmer,
Mein Rocken ist noch voll.

Es kam ein Bursch, ein schlimmer,
Den ich nicht nennen soll.

Der blies, um mich zu stören,
Die Lampe blies er aus.

Ich gab's ihm anzuhören,
Ich wies ihn aus dem Haus!

Und hab's doch dulden müssen –
Ich war ja ohne Licht:

Man kann im dunkeln küssen,
Doch spinnen kann man nicht
!

Kory Towska.

 

Jettchen und Kößling.

Aus Georg Hermanns Roman »Kettchen Gebert«.

Jettchen und Kößling gingen hin und her, untergefaßt auf schmalen Wegen und getrennt und jeder für sich auf breiten Lindenalleen. Sie sahen eine kurze Weile auf der Bank am Teiche und sahen, wie die Schwalben sich jagend dicht über dem Wasserspiegel hinschossen und weiß und silbern aufblitzten, wenn sie im Fluge umwandten. Sie waren sehr still beide, sprachen nur ganz wenig und fühlten sich sehr glücklich. Über Kößling war eine Traumstimmung gekommen, die alles versinken machte, was je in seinem Leben gewesen war und sich begeben hatte. Und Jettchen fühlte nur das Eine, daß sie geliebt wurde, verehrt mit einer keuschen Anhänglichkeit, und das tat ihr wohl, und daß sie Kößling gern hatte und mehr als eigentlich nur gern hatte. Und sie dachte auch nicht im geringsten daran, daß dieses Gernhaben nun irgend etwas nach sich ziehen könnte oder für jenen bindend sei. Sie war nur frei und froh darüber, daß es zwischen ihnen so zu einer stummen Aussprache gekommen war.

Sie redeten von diesem und jenem. Kößling sprach wieder von Braunschweig, wo die Straßen so merkwürdige Namen hätten und wo es eine Bolkerstraße gäbe wie in Düsseldorf. Er sprach von seiner harten und stolzen Jugend, denn er war arm gewesen, der Allerärmste. Und er war stolz gewesen, weil er immer über all den Söhnen reicher Leute gesessen hatte mit seinem zerrissenen Rock und weil er sie an die Tafel hätte schreiben können, wenn sie gelärmt. Aber das war nur in den ersten Jahren seiner Schulzeit so gewesen. Später hatte er den Schulzwang sehr hart empfunden, denn ihm hatte die Schule nicht genügt; und wer weiß, wie es gekommen wäre, wenn er nicht eben das Pensum so leicht und mühelos bewältigt hätte. Wenn er erst die aus den letzten Bänken verachtet hätte, so hätte er später nur mit ihnen verkehrt. Und seine besten Erinnerungen hätte er an seine Jugendfreunde aus der letzten Zeit, von denen manche, die von den Lehrern verkannt und gequält und von den Mitschülern gehänselt wurden, ein reiches und schönes Innenleben geführt hätten. Und von da an wäre es immer so mit ihm gewesen, daß er sich nie wo hätte einstigen können und daß er immer die Ausnahme zur Regel gemacht hätte.

Damit hatten sie sich langsam in Gegenden verloren, wo der Park in sumpfige Wiesen und in Bruchland ausging, und wo sich in weiten Windungen hinten träge der Fluß hinschleppte und fern, ihn begleitend, ein feines, dunstiges Band, – denn die Sonne stand schon niedrig darüber – sich der Wald zog. Und sie kehrten um, gingen neben einem schmalen fließenden Wasser einen hohen Steg entlang, der ganz von Weiden überhangen war, gingen ein Stückchen heimlichen Saumpfads, so daß einer hinter dem andern schreiten mußte und jeder fast noch mehr als vordem, da sie Arm in Arm waren, den andern fühlte. Und dann standen sie an dem kleinen, runden Bau, um den unter dem Dach riesiger Pappeln dunkle, alte Eiben Wache hielten. Oben, an ewig verschlossenen Jalousieen, blinzelten Karyatiden schläfrig in die tiefe rote Sonne, die durch das Laub sah, und die steinernen, Putten mit dem Fruchtkorb schwangen ihren Reigen auf dem gelben Häuschen.

»Nun wollen wir sehen, ob man es uns vermieten wird,« sagte Köhling. »Für den Sommer oder für das ganze Jahr?«

»Für das ganze Jahr,« meinte Jettchen.

Aber es war niemand zu sehen, niemand zu finden, keine Seele; trotzdem irgendwo hinten in einem Winkel bei einem Schuppen Wäsche hing. Nur die Blumen standen in kleinen Reihen dicht und schweigsam um das Häuschen, Narzissen und Stiefmütterchen, Maiglöckchen und bunte Zeneralien. Und sie leuchteten schon grell und unirdisch in der beginnenden Dämmerung, die hier unter den Bäumen oben ihre ersten Schatten breitete.

»Wir haben kein Glück,« sagte Kößling ernst.

Und jetzt beschlich auch Jettchen so etwas wie Traurigkeit. Ein Ton klang von unten aus den dumpfen Saiten. Und er schwang weiter, als sie heraus an das Wasser traten, das so träge und breit dahin floß, nur hier und da ganz leicht gerauht von einem abendlichen Wind, ... der wie mit weicher Hand auch drüben über die Wipfel der hohen Bäume strich, daß alle Blätter ihre silbernen Unterseiten zum Licht kehrten. Und selbst dieser leichte Wind machte Jettchen frösteln.

Kößling fühlte das.

»Ich habe auch neulich ein Gedicht in einem Almanach gefunden, du Süße,« sagte er und legte seine Hand wärmend aus Jettchens Schulter:

»Heut' stehe ich ein Bettler noch
Am Wege deines Lebens
Und halte meine Mütze doch
Vergebens nur, vergebens.

Doch kehre ich zu dir zurück,
Heb ich dich aus mein weißes Roß,
Und führe dich, mein Weib, mein Glück
In mein verschwiegnes weißes Schloß.«

Jettchen stand ganz still an ihn gelehnt, zitternd und glutübergossen. Und dann umschlangen sie sich plötzlich; es war, als ob sie zueinander gezogen wurden, als ob eines zum andern hin müsse, ganz nah und ganz eng. Und ihre Lippen trafen zusammen und lösten sich wieder und trafen wieder aufeinander und ruhten aufeinander, als ob sie diesen Platz nie mehr verlassen wollten. Und Kößling sah, wie aus Jettchens samtig schwarzen Augen ein paar Tränen kamen, ganz langsam sich sammelnd und lösend, sah, wie sie ganz langsam über die Wangen liefen; – und er suchte mit den Lippen ihr Gesicht, die Wangen, die Augen, die Stirn, das Haar an den Schläfen, nichts ließ er unbenetzt von seinen Küssen, die ein Echo hatten, ein nahes, rotes Echo.

Plötzlich riß sich Jettchen zusammen und sagte:

»Komm, mein lieber, guter Junge, wir wollen vernünftig sein, ich muß gehen.« Und dann neigte sie sich wieder vor und küßte ihn so lange, so lange, daß Kößling fast die Sinne schwanden.

»Das ist der letzte«, sagte sie und wandte sich.

Und jetzt jagten sie sich nicht, jetzt gingen sie ganz still und zögernd nebeneinander aus den dämmrigen Wegen, an den kleinen Teichläufen, an der blanken Wasserfläche, in deren Tiefe sich der helle und rosige Abendhimmel spiegelte.

Sie sprachen von dritten Dingen, aber sie vermieden es, geradezu einander anzureden, denn im Sie stockten sie und das Du wollte ihnen nicht von den Lippen.

In den Baumgruppen häuften sich die Schatten, und der Himmel stand flammend darüber. Die Drosseln hatten hohe Plätze gesucht und sangen wild in den Abend hinaus, während sonst schon alles stumm war und nur ganz fern, wo unten am Wasser eine Nachtigall ein paar erste schwermütige Gluckser und Triller wagte.

In Kößling wechselten die Stimmungen wie Sonnenschein, Regen, Hagel und Schnee an einem Apriltag. Eben noch triefend und weißüberschüttet, blitzte im nächsten Augenblick alles an tausend Ecken und Enden aus.

Er hatte das Gefühl, als ob er jetzt etwas errungen hätte, das ihn vor allem feite; und daß er, möge kommen, was da wolle, nie mehr in das alte Elend zurücksinken könnte. Alles, was ihn bisher beschäftigt und erfüllt, kam ihm so klein, nichtig und gleichgültig vor gegenüber dem, was ihm jetzt als ein unverdientes Glück zugefallen war.

Georg Hermann.

 

Im Grase.

Drunten im Grase, da lieg' ich versteckt –
Ob mich mein lustiges Liebchen entdeckt?

Über Kopf mir schaukeln die Farren,
Meine Augen ins Blaue starren.

Rosa Wölkchen fragen still,
Ob die Seele wandern will.

Wandern weit und sich entfernen
Zu den Sphären, zu den Sternen?

In des Weltalls Nebelraum?
Flatt're, flatt're, feiner Flaum!

Liebchen knistert schon im Busch,
Springt und duckt sich, husch, husch, husch!

Warmer Kuß und süße Beeren –
Was mich da die Welten scheeren!

Karl Henckell.

 

Altes Lied.

Es ist manch' heimliche Quelle,
Die klagend im Dunkeln singt:
Ist denn kein Becher zur Stelle,
Kein Becher, der von mir trinkt?
Es ist an heimlicher Stelle
Manch Becher arm und leer,
Der von der klagenden Quelle
Gar gern gefüllet wär'!
Wenn der von jener Quelle
Und die vom Becher wüßt:
Manch Mädchen und manch Geselle,
Die hätten sich längst geküßt! –

Georg Busse-Palma.

 

Schäferstunde.

In der frühen Morgenstunde
Sind wir in den Wald gegangen,
Glocken klangen in der Runde,
Strahlen spielten, Drosseln sangen.
In der frühen Morgenstunde
Kniet' auf blütentriefendem Plätzchen
Lagert' ich zum grünen Grunde
Mich mit meinem süßen Schätzchen.
In der frühen Morgenstunde
Zwischen blauen Heidelbeeren
Flackerte von Mund zu Munde
Unser seliges Begehren ...

Karl Henckell.

 

Abenteuer.

Es war die schönste Märznacht der Natur,
im blauen Meere schwamm der weiße Schnee;
ich wandelte allein durch Stadt und Flur
die hellen Pfade einsam in die Höh'.

Die Hügelketten schimmerten so klar,
durch leichte Gazeschleier floß das Licht
des vollen Mondes weit und wunderbar –
bald wie verliebt träumt' ich ihm in's Gesicht.

Als ich den Steg des Baches überschritt,
sah ich der Wellen Silberwirbeltanz,
gab ich ein Briefchen flugs den Wassern mit,
ein loses Kärtchen, Faschingsfirlefanz.

Das hüpfte flink wie seine Schreiberin
und schoß in Sprüngen übermütig fort,
mir ward so feucht und liederlich zu Sinn,
ich sprang in's Wasser – auf mein Ehrenwort!

Es war die schönste Märznacht der Natur,
und nackten Nixchen küßt' ich Mund und Kinn,
doch was mir sonst noch Süßes widerfuhr,
erzähl' ich nur, wenn ich benebelt bin.

Karl Henckell.

 

Bekenntnis.

Ich hab' noch nie meine Festivitäten
In puncto puncti zu Versen gewalzt.
Und habe noch nie wie gewisse Poeten,
Vor meinen Lesern gegirrt und gebalzt.

Ich habe noch nie geheime Genüsse
In Schriften dem Publikum vorrenommiert
Und habe über empfangene Küsse
Noch niemals auf Druckpapier Buch geführt.

Die Seufzer, welche im Winde verwehten,
Ich hielt sie nicht fest mit skandierender Hand,
Ich habe sie nie, wie gewisse Poeten,
Zum Zwecke des Honorares verwandt.

Ich habe noch nie die Kollegen beneidet,
Die nur dieses einzige Thema erwählt,
Ich habe nicht mich, noch die andern entkleidet,
Von denen ich jemals gereimt und erzählt.

Ich tat es noch nie, denn es wäre mir peinlich,
Zu künden, was Gunst des Momentes verlieh,
Und hätt' ich's getan, – ich hätt' es wahrscheinlich
In besseren Versen gebeichtet als sie!

Alexander Moszkowski.

 

Sentenzen.

»Ein echter Kuß ist nur am Platz
Als Punkt zu einem stummen Satz:«
Ob nicht das Gleichnis etwas hinkte?
Wer richtig küßt, macht hundert Pünkte.

»Der erste Kuß ist aller Küsse Krone,
Beim zweiten wird das Weib schon halb Matrone,« –
Nach einem Dichter Der zitierte Dichter ist Richard Zoozmann; sein Gedicht steht auf der nächsten Seite »Don Juan meditiert über den Kuß«. soll das gelten, –
Wer selber küßt, bemerkt das selten.

Der schönste Kuß macht mißvergnügt,
Wenn ihn – ein gänzlich andrer kriegt.

Alexander Moszkowski.

 

Don Juan meditiert über den Kuß.

(Maskenball in Venedig; er steht an eine Säule gelehnt und betrachtet das bunte Treiben.)

Der erste Kuß ist aller Küsse Krone ...
Beim zweiten wird das Weib schon halb Matrone!
Statt langsam das Erkalten mitzuspüren,
Aus grauer Asche Funken aufzuschüren,
Die kein Erwärmen mehr entfachen,
Noch die erstorbne Lust lebendig machen –
Statt dessen zieh ichs vor, den letzten Kuß zu küssen
Und zu entfliehn den eklen Überdrüssen! –
Die Frau indes will nie ans Ende glauben;
Und in der Wonne seligstem Genießen
Wähnt sie für ewige Zeit sich aufzuschließen
Den Himmel, um ihn dauernd zu berauben!
Sie überschwebt von Unvergänglichkeit
Ein Duft, der ihre Lust vertieft und weiht.
Doch mir schleicht immerdar und unverschüchtert
Durch jeden Wonnerausch dies dunkle Bangen:
Daß vorm Verlust mein Herz schon bessres wittert,
Eh noch der letzte Pulsschlag ausgezittert –
So stürz ich mich, begeistert und ernüchtert,
Ruhlos hinein, um neues Glück zu fangen! ...
Nur zu! Das Leben ist nun mal ein Maskenball,
Gesichter wenig – Larven überall.

Richard Zoozmann.

 

Amenharsun und Hatusa.

Sehr merkwürdig, sehr aufregend, was da in den Zeitungen stand. Professor Brand, so las man, ein alter, gelehrter, deutscher Sonderling in Hoboken, war gestorben; ganz plötzlich. Ein Schlagfluß hatte seinem Leben ein Ende gemacht. Er hatte in einem alten Hause in Hoboken gelebt, mutterseelenallein mit seiner alten, deutschen Wirtschafterin. Alles, was er besaß, hatte er der Wirtschafterin vermacht, darunter zwei ägyptische Mumien. Aber da sie nicht wusste, was sie mit den Mumien anfangen sollte, war sie nur zu froh, als Charles Vandermark, der reiche Warenhausbesitzer vom Broadway in New York, ihr die Mumien für 500 Dollar abkaufte, nebst allen Dokumenten und Schriftstücken der ägyptischen Regierung. An die Mumien knüpfte sich eine eigenartige Liebesgeschichte aus dem alten Ägypten. Was hatte es mit den Mumien auf sich? Warum hatte Vandermark sie gekauft? Man zerbrach sich die Köpfe. Man war sehr neugierig. Und vier Tage später erschien abermals etwas Sensationelles über Vandermarks Mumienkauf in den Zeitungen. Es war die Geschichte von Amenharsun und Hatusa, der Holden. Sie stammte von dem verstorbenen Professor Brand und lautete wie folgt:

»Dies ist die Geschichte von Amenharsun und Hatusa, wie ich sie auf dem Papyrus fand, der in Amenharsuns innerem Sarge lag. Amenharsun war ein Befehlshaber im Heere des großen Königs Tirhaka. Er war so tapfer und zugleich so schön wie der Kriegsgott Menth. So geschickt war er mit dem Bogen, daß er von einem Dattelbaum auf große Entfernungen eine Dattel nach der anderen herabschoß. Als der König Tirhaka den Assyrerkönig Sanherib besiegte, der gegen Ägypten herangezogen war, da dankte er es zumeist der Tapferkeit Amenharsuns. Der König pries ihn bei der Rückkehr über die Maßen und beschenkte ihn mit Kostbarkeiten ohne Zahl. Aber Amenharsun achtete es wenig. Er dachte nur an Hatusa, die Holde, die sein Weib werden wollte, wenn er heimkehrte. Sie war so zart und duftig wie eine Granatenblüte. Doch er fand sie nicht. Prinz Tahir hatte sie gesehen und war so von ihrer Schönheit bezaubert, daß er sie mit List entführte und sie in sein Haus brachte, in dem Garten am Nil, wo die drei Sykomoren über die Mauer ragten. Als dies Amenharsun hörte, war er sehr ergrimmt. Er fuhr in seinem Boot in der Nacht über den Nil, in den die göttliche Träne gefallen war, so daß das Wasser höher und höher stieg. Dann kletterte er über die Mauer des Gartens, wo die drei Sykomoren sind, und ging zum Hause des Prinzen Tahir. Hier fand er Hatusa, die Holde, die den Prinzen weinend beschwor, von ihr zu lassen, da sie Amenharsun gehöre. Doch er lachte und sagte, Amenharsun sei tot. Da nahm Amenharsun sein Schwert und tötete den Prinzen und noch drei seiner Diener, die herbeieilten. Darauf nahm er Hatusa und floh mit ihr zu den Priestern des Ramses-Tempels, wo er sich versteckte. Aber die Priester verrieten ihn den Verfolgern. Viele tötete er, doch da ihrer zu viele waren, bat ihn Hatusa, die Holde, sie zu töten und sich, damit sie nicht lebendig gefangen würden. Das tat Amenharsun. Der König aber befahl, daß Amenharsun und Hatusa mit großer Pracht beigesetzt würden in einer gemeinsamen Gruft, auf daß sie nie wieder getrennt werden konnten. Und so geschah es in der Totenstadt zu Abtu, die dem Osiris heilig ist.« –

New York war entzückt. Welch ein reizender Roman aus dem alten Ägypten! Welch eine leckere Sensation für die verwöhnten Gaumen! Und weiter? Wird Vandermark das sensationelle Liebespaar aus Ägypten für sich behalten? Wird man sie zu sehen bekommen? Jawohl – man wird sie zu sehen bekommen, ganz New York! Da war sie ja, die große Anzeige – wieder einige Tage später: Herr Charles Vandermark hat in diesen Tagen Tausende von Zuschriften erhalten, worin er bestürmt wurde, das eigenartige Liebespaar aus dem alten Ägypten, Amenharsun und Hatusa, dem Publikum zu zeigen. Herr Vandermark hat sich nur widerstrebend entschlossen, dem Wunsche Folge zu leisten, weil er sich sagte, daß eine Ausstellung von Mumien in einem Warenhause nicht recht am Platze sei. Seine Absicht war es, die Mumien dem Museum zu übergeben, wohin sie gehören. Um aber seinen Freunden gefällig zu sein, wird er Amenharsun und Hatusa eine ganze Woche lang, beginnend am nächsten Montag, im 6. Stockwerk neben der japanischen Abteilung und der Abteilung für Teppiche, in würdiger Weise ausstellen.

Dann folgten die üblichen Preisverzeichnisse der Waren in den einzelnen Verkaufsräumen.

Und am Montag, während die Konkurrenten zähneknirschend durch die öden Räume schritten und nach allen Himmelsrichtungen wegen ägyptischen Mumien telegraphierten, ergoß sich eine unabsehbare Menge in das Warenhaus von Charles Vandermark. Dort im 6. Stockwerk, zwischen den japanischen Waren und den orientalischen Teppichen, hatte Vandermark den Vorhof eines Tempels des Pthah errichten lassen, frei nach »Aida«, mit den bunten Lotossäulen und einer Kolossalfigur des Gottes im Hintergrunde. Vorn aber standen geöffnet die beiden inneren Sarkophage mit Amenharsun und Hatusa, daneben die reichverzierten farbigen Deckel in der Gestalt ruhender Ägypter, von denen nur die Hände sichtbar sind und die rotbraunen Gesichter mit den offenen, seltsam starren Mandelaugen. Verkäufer, als ehrwürdige altägyptische Priester gekleidet, sorgten dafür, daß die Menge in Bewegung blieb. Aus dem Hintergrunde klang gedämpft ein Harmonium-Potpourri aus »Aida«. Ein Plakat besagte, daß um 11 Uhr vormittags und um 4 Uhr nachmittags ein italienischer Sänger und eine italienische Sängerin einzelne Nummern aus »Aida« vortragen würden, darunter die berühmte große Schlußszene aus dem Pthah-Tempel » Morir si pura e bella«. Ach, es war ganz eigen feierlich, packend, rührend. Ja, da waren sie nun: Amenharsun und Hatusa, die Holde, die im Jahre 371 vor Christus im alten Ägypten so tragisch enden mußten, die im Tode vereint waren, noch immer. Diese zusammengeschrumpften beiden Körper, frei von allen Umhüllungen, die aussahen, als wären sie aus Ebenholz geschnitzt – das waren sie. Manches kühlen Yankeemägdleins Herz schlug heftiger, wie sie mit leisem Schauern auf die Gebeine blickte. Die Liebe! Im Jahre 371 vor Christus drunten im sonnigen Ägypten war sie die gleiche gewesen wie heute im lärmenden New York. Blumenstrauß von zarter Hand fiel in Amenharsuns Sarg, eine Rose in Hatusas. Waren sie nicht allesamt Brüder und Schwestern in der Liebe? Und würde es nach aber zweitausend Jahren nicht immer noch die gleiche Geschichte sein von Amenharsun und Hatusa, von John und Maud, oder wie sie sonst heißen?

W. Hogarth: »The Bathos.«

Und draußen, hinter dem Tempel des Pthah, standen reizende, junge Ägypterinnen mit eleganten Karten, die sie den Damen einhändigten. Darauf las man die Geschichte von Amenharsun und Hatusa nebst der Ankündigung, daß für diese Woche Weißzeug für Damen um die Hälfte billiger sei als sonst. Zwei Anzeigen an den beiden vordersten Lotossäulen verkündeten, daß in Porzellansachen und Damenhüten ein Ausverkauf zu Schleuderpreisen stattfinde.

Noch die ganze Woche knirschten die Konkurrenten mit den Zähnen. Dann rechnete Vandermark schmunzelnd den ungeheuren Überschuß an Verkäufen über jede andere Woche zusammen und meldete in einer neuen Zeitungsanzeige, daß er Amenharsun und Hatusa pietätvoll dem Museum überwiesen habe – auf daß sie nie wieder getrennt werden konnten, nach dem Willen des großen Königs Tirhaka, der den Assyrerkönig Sanherib schlug.

Henri F. Urban.

 

Zeichnung von Raphael Kirchner.


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