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Erstes Buch
Vom Küssen

Jean Michel Moreau le Jeune: » Les adieux.«

Buchseite 9 »Kuß und Lachen« lt. Inhaltsverzeichnis fehlt; wurde von mir analog den Folgekapiteln ergänzt. Joe_ebc

Des ersten Buches Anfangskapitel:
»Kuß und Lachen.«

Nach dem ersten Kuß.

Hab' ich's nun endlich, nun endlich gewagt!
Trug's doch schon Wochen umher!
Was ich gesprochen und wie ich's gesagt,
Weiß ich ja selber nicht mehr.
Laufe nur närrisch die Straßen entlang –
Wenn deine Mutter das wüßt'!
Summe und brumme den dümmsten Gesang:
Hast mich geküßt, mich geküßt! ...
Käm nun ein vornehmer Königssohn,
Hei, wie lacht' ich den aus!
Sagt' ihm: »Behalte dir Zepter und Thron,
Bester, ich mach' mir nichts draus!«
Huschte, mein Blondkopf, zu dir im Nu,
Bist mir von Herzen ja gut,
Du mit dem köstlichen Lachen du,
Du mit den Schleifen am Hut ...

Carl Busse.

 

Erdgeist.

(Eine Szene aus Frank Wedekinds gleichnamigem Drama.)

Schwarz (erhebt sich, geht nach rechts hinten, betrachtet Lulu von allen Seiten, setzt sich wieder an die Staffelei): Die Wahl würde einem schwer. – – Wenn ich Frau Obermedizinalrat ersuchen darf, die rechte Hand etwas höher.

Lulu (nimmt den Schäferstab so hoch sie reichen kann, für sich): Wer hätte das für möglich gehalten!

Schwarz: Ich bin wohl recht lächerlich?

Lulu: Er kommt gleich zurück.

Schwarz: Ich kann nicht mehr tun als malen.

Lulu: Da ist er.

Schwarz (sich erhebend): Nun?

Lulu: Hören Sie nicht?

Schwarz: Es kommt jemand ...

Lulu: Ich wußte es ja.

Schwarz: Es ist der Hausmeister. Er fegt die Treppe.

Lulu: Gott sei Dank.

Schwarz: Sie begleiten Herrn Obermedizinalrat wohl auf seine Praxis?

Lulu: Das fehlte mir noch!

Schwarz: Weil Sie es nicht gewohnt sind, allein zu sein.

Lulu: Wir haben zu Hause eine Haushälterin.

Schwarz: Die Ihnen Gesellschaft leistet?

Lulu: Sie hat viel Geschmack.

Schwarz: Wofür?

Lulu: Sie zieht mich an.

Schwarz: Sie gehen wohl viel auf Bälle?

Lulu: Nie.

Schwarz: Wozu brauchen Sie denn dann die Toiletten?

Lulu: Zum Tanzen.

Schwarz: Sie tanzen wirklich?

Lulu: Csardas – Samaqueca – Skirtdance ...

Schwarz: Widert Sie denn das nicht an?

Lulu: Sie finden mich häßlich?

Schwarz: Sie verstehen mich nicht. – Wer gibt Ihnen denn den Unterricht?

Lulu: Er.

Schwarz: Wer?

Lulu: Er.

Schwarz: Er?

Lulu: Er spielt Violine. – – –

Schwarz: Man lernt jeden Tag ein neues Stück Welt kennen.

Lulu: Ich habe in Paris gelernt. Ich nahm Stunden bei Eugenie Fougère. Sie hat mich auch ihre Kostüme kopieren lassen.

Schwarz: Wie sind denn die?

Lulu: Grünes Spitzenröckchen bis zum Knie, ganz in Volants, dekolletiert natürlich, sehr dekolletiert und fürchterlich geschnürt. Hellgrüner Unterrock, dann immer heller. Schneeweiße Dessous mit handbreiten Spitzen ...

Schwarz: Ich kann nicht mehr ...

Lulu: Malen Sie doch!

Schwarz (mit dem Spachtel schabend): Ist Ihnen denn nicht kalt?

Lulu: Gott bewahre! Nein. Wie kommen Sie auf die Frage? Ist Ihnen denn so kalt?

Schwarz: Heute nicht. Nein.

Lulu: Gottlob kann man atmen!

Schwarz: Wieso ...

Lulu (atmet tief ein).

Schwarz: Lassen Sie das, bitte! – (Springt auf, wirft Pinsel und Palette weg, geht auf und nieder.) Der Stiefelputzer hat es wenigstens nur mit Ihren Füßen zu tun. Seine Farbe frißt ihm auch nicht ins Geld. Wenn mir morgen das Abendbrot fehlt, fragt mich kein Weltdämchen darnach, ob ich mich aufs Austernschlecken verstehe.

Lulu: Ist das ein Unhold!

Schwarz: (nimmt die Arbeit wieder auf): Was jagt den Kerl auch in diese Probe!

Lulu: Mir wäre es auch lieber, er wäre dageblieben.

Schwarz: Wir sind wirklich die Märtyrer unseres Berufes!

Lulu: Ich wollte Ihnen nicht weh tun.

Schwarz: (zögernd, zu Lulu): Wenn Sie links – das Beinkleid – ein wenig höher ...

Lulu: Hier?

Schwarz: (tritt zum Podium): Erlauben Sie ...

Lulu: Was wollen Sie?

Schwarz: Ich zeige es Ihnen.

Lulu: Es geht nicht.

Schwarz: Sie sind nervös ... (Will ihre Hand fassen.)

Lulu (wirft ihm den Schäferstab ins Gesicht): Lassen Sie mich in Ruhe! (Eilt zur Entreetür.) Sie bekommen mich noch lange nicht.

Schwarz: Sie verstehen keinen Scherz.

Lulu: Doch, ich verstehe alles. Lassen Sie mich nur frei. Mit Gewalt erreichen Sie gar nichts bei mir. Gehen Sie an Ihre Arbeit. Sie haben kein Recht, mich zu belästigen. (Flüchtet hinter die Ottomane.) Setzen Sie sich hinter Ihre Staffelei.

Schwarz: (will um die Ottomane): Sobald ich Sie für Ihre Launenhaftigkeit bestraft habe.

Lulu (ausweichend): Dazu müssen Sie mich aber erst haben. Gehen Sie, Sie erwischen mich doch nicht. – In langen Kleidern wäre ich Ihnen längst in die Hände gefallen. – Aber in dem Pierrot!

Schwarz: (sich der Länge nach über die Ottomane werfend): Habe ich dich!

Lulu (schlägt ihm das Tigerfell über den Kopf): Gute Nacht! (Springt über das Podium, klettert auf die Trittleiter.) Ich sehe über alle Städte der Erde weg ...

Schwarz: (sich aus der Decke wickelnd): Dieser Balg!

Lulu: Ich greife in den Himmel und stecke mir die Sterne ins Haar.

Schwarz: (ihr nachkletternd): Ich schüttle, bis Sie herunterfallen.

Lulu (höher steigend): Wenn Sie nicht aufhören, werfe ich die Leiter um. Werden Sie meine Beine loslassen. – Gott schütze Polen! (Bringt die Leiter zu Fall, springt auf das Podium und wirft Schwarz, wie er sich vom Boden aufrafft, die spanische Wand an den Kopf. Nach vorn eilend, an den Staffeleien.) Ich habe Ihnen ja gesagt, daß Sie mich nicht bekommen.

Schwarz (nach vorn kommend): Lassen Sie uns Frieden schließen. (Will sie umfassen.)

Lulu: Bleiben Sie mir vom Leib, oder ... (Sie wirft ihm die Staffelei mit dem Brustbild entgegen, daß beides krachend zu Boden stürzt.)

Schwarz (schreit auf): Barmherziger Gott!

Lulu (links hinten): Das Loch haben Sie selber hineingeschlagen.

Schwarz: Ich bin ruiniert! Zehn Wochen Arbeit, meine Reise, meine Ausstellung. – Jetzt ist nichts mehr zu verlieren. (Stürzt ihr nach.)

Lulu (springt über die Ottomane, über die umgestürzte Trittleiter, kommt über das Podium nach vorn): Ein Graben! – Fallen Sie nicht hinein! (Stapft durch das Brustbild.) Sie hat einen neuen Menschen aus ihm gemacht! (Fällt vornüber.)

Schwarz (über die spanische Wand stolpernd)) Ich kenne kein Erbarmen mehr.

Lulu (im Hintergrund): Lassen Sie mich jetzt in Ruhe. – Mir wird schwindlig. – – O Gott, o Gott ... (Kommt nach vorn und sinkt auf die Ottomane.)

Schwarz (verriegelt die Tür. Darauf setzt er sich neben sie, ergreift ihre Hand und bedeckt sie mit Küssen, hält inne; man sieht ihm an, daß er einen inneren Kampf kämpft.)

Lulu (schlägt die Augen auf): Er kann zurückkommen.

Schwarz: Wie ist dir?

Lulu: Als wäre ich ins Wasser gefallen ...

Schwarz: Ich liebe dich.

Lulu: Ich liebte einmal einen Studenten.

Schwarz: Nelli ...

Lulu: Mit vierundzwanzig Schmissen ...

Schwarz: Ich liebe dich, Nelli.

Lulu: Ich heiße nicht Nelli.

Schwarz (küßt sie).

Lulu: Ich heiße Lulu.

Schwarz: Ich werde dich Eva nennen.

Lulu: Wissen Sie, wieviel Uhr es ist?

Schwarz (nach der Uhr sehend): Halb elf.

Lulu (nimmt die Uhr und öffnet das Gehäuse).

Schwarz: Du liebst mich nicht.

Lulu: Doch ... Es ist fünf Minuten nach halb elf.

Schwarz: Gib mir einen Kuß, Eva!

Lulu (nimmt ihn am Kinn und küßt ihn, wirft die Uhr in die Luft und fängt sie auf): Sie riechen nach Tabak.

Schwarz: Warum sagst du nicht »du«?

Lulu: Es würde unbehaglich.

Schwarz: Du verstellst dich!

Lulu: Sie verstellen sich selber, wie mir scheint. – Ich mich verstellen? Wie kommen Sie nur darauf? – Das hatte ich niemals nötig.

Schwarz (erhebt sich, fassungslos, sich mit der Hand über die Stirn fahrend): Allmächtiger! Ich kenne die Welt nicht ...

Lulu (schreit): Bringen Sie mich nur nicht um!

Schwarz (sich rasch umwendend): Du hast noch nie geliebt ...

Lulu (sich halb aufrichtend): Sie haben noch nie geliebt ...!

Erdgeist.

(Eine Szene aus Frank Wedekinds gleichnamigem Drama.)

Schwarz (erhebt sich, geht nach rechts hinten, betrachtet Lulu von allen Seiten, setzt sich wieder an die Staffelei): Die Wahl würde einem schwer. – – Wenn ich Frau Obermedizinalrat ersuchen darf, die rechte Hand etwas höher.

Lulu (nimmt den Schäferstab so hoch sie reichen kann, für sich): Wer hätte das für möglich gehalten!

Schwarz: Ich bin wohl recht lächerlich?

Lulu: Er kommt gleich zurück.

Schwarz: Ich kann nicht mehr tun als malen.

Lulu: Da ist er.

Schwarz (sich erhebend): Nun?

Lulu: Hören Sie nicht?

Schwarz: Es kommt jemand ...

Lulu: Ich wußte es ja.

Schwarz: Es ist der Hausmeister. Er fegt die Treppe.

Lulu: Gott sei Dank.

Schwarz: Sie begleiten Herrn Obermedizinalrat wohl auf seine Praxis?

Lulu: Das fehlte mir noch!

Schwarz: Weil Sie es nicht gewohnt sind, allein zu sein.

Lulu: Wir haben zu Hause eine Haushälterin.

Schwarz: Die Ihnen Gesellschaft leistet?

Lulu: Sie hat viel Geschmack.

Schwarz: Wofür?

Lulu: Sie zieht mich an.

Schwarz: Sie gehen wohl viel auf Bälle?

Lulu: Nie.

Schwarz: Wozu brauchen Sie denn dann die Toiletten?

Lulu: Zum Tanzen.

Schwarz: Sie tanzen wirklich?

Lulu: Csardas – Samaqueca – Skirtdance ...

Schwarz: Widert Sie denn das nicht an?

Lulu: Sie finden mich häßlich?

Schwarz: Sie verstehen mich nicht. – Wer gibt Ihnen denn den Unterricht?

Lulu: Er.

Schwarz: Wer?

Lulu: Er.

Schwarz: Er?

Lulu: Er spielt Violine. – – –

Schwarz: Man lernt jeden Tag ein neues Stück Welt kennen.

Lulu: Ich habe in Paris gelernt. Ich nahm Stunden bei Eugenie Fougère. Sie hat mich auch ihre Kostüme kopieren lassen.

Schwarz: Wie sind denn die?

Lulu: Grünes Spitzenröckchen bis zum Knie, ganz in Volants, dekolletiert natürlich, sehr dekolletiert und fürchterlich geschnürt. Hellgrüner Unterrock, dann immer heller. Schneeweiße Dessous mit handbreiten Spitzen ...

Schwarz: Ich kann nicht mehr ...

Lulu: Malen Sie doch!

Schwarz (mit dem Spachtel schabend): Ist Ihnen denn nicht kalt?

Lulu: Gott bewahre! Nein. Wie kommen Sie auf die Frage? Ist Ihnen denn so kalt?

Schwarz: Heute nicht. Nein.

Lulu: Gottlob kann man atmen!

Schwarz: Wieso ...

Lulu (atmet tief ein).

Schwarz: Lassen Sie das, bitte! – (Springt auf, wirft Pinsel und Palette weg, geht auf und nieder.) Der Stiefelputzer hat es wenigstens nur mit Ihren Füßen zu tun. Seine Farbe frißt ihm auch nicht ins Geld. Wenn mir morgen das Abendbrot fehlt, fragt mich kein Weltdämchen darnach, ob ich mich aufs Austernschlecken verstehe.

Lulu: Ist das ein Unhold!

Schwarz: (nimmt die Arbeit wieder auf): Was jagt den Kerl auch in diese Probe!

Lulu: Mir wäre es auch lieber, er wäre dageblieben.

Schwarz: Wir sind wirklich die Märtyrer unseres Berufes!

Lulu: Ich wollte Ihnen nicht weh tun.

Schwarz: (zögernd, zu Lulu): Wenn Sie links – das Beinkleid – ein wenig höher ...

Lulu: Hier?

Schwarz: (tritt zum Podium): Erlauben Sie ...

Lulu: Was wollen Sie?

Schwarz: Ich zeige es Ihnen.

Lulu: Es geht nicht.

Schwarz: Sie sind nervös ... (Will ihre Hand fassen.)

Lulu (wirft ihm den Schäferstab ins Gesicht): Lassen Sie mich in Ruhe! (Eilt zur Entreetür.) Sie bekommen mich noch lange nicht.

Schwarz: Sie verstehen keinen Scherz.

Lulu: Doch, ich verstehe alles. Lassen Sie mich nur frei. Mit Gewalt erreichen Sie gar nichts bei mir. Gehen Sie an Ihre Arbeit. Sie haben kein Recht, mich zu belästigen. (Flüchtet hinter die Ottomane.) Setzen Sie sich hinter Ihre Staffelei.

Schwarz: (will um die Ottomane): Sobald ich Sie für Ihre Launenhaftigkeit bestraft habe.

Lulu (ausweichend): Dazu müssen Sie mich aber erst haben. Gehen Sie, Sie erwischen mich doch nicht. – In langen Kleidern wäre ich Ihnen längst in die Hände gefallen. – Aber in dem Pierrot!

Schwarz: (sich der Länge nach über die Ottomane werfend): Habe ich dich!

Lulu (schlägt ihm das Tigerfell über den Kopf): Gute Nacht! (Springt über das Podium, klettert auf die Trittleiter.) Ich sehe über alle Städte der Erde weg ...

Schwarz: (sich aus der Decke wickelnd): Dieser Balg!

Lulu: Ich greife in den Himmel und stecke mir die Sterne ins Haar.

Schwarz: (ihr nachkletternd): Ich schüttle, bis Sie herunterfallen.

Lulu (höher steigend): Wenn Sie nicht aufhören, werfe ich die Leiter um. Werden Sie meine Beine loslassen. – Gott schütze Polen! (Bringt die Leiter zu Fall, springt auf das Podium und wirft Schwarz, wie er sich vom Boden aufrafft, die spanische Wand an den Kopf. Nach vorn eilend, an den Staffeleien.) Ich habe Ihnen ja gesagt, daß Sie mich nicht bekommen.

Schwarz (nach vorn kommend): Lassen Sie uns Frieden schließen. (Will sie umfassen.)

Lulu: Bleiben Sie mir vom Leib, oder ... (Sie wirft ihm die Staffelei mit dem Brustbild entgegen, daß beides krachend zu Boden stürzt.)

Schwarz (schreit auf): Barmherziger Gott!

Lulu (links hinten): Das Loch haben Sie selber hineingeschlagen.

Schwarz: Ich bin ruiniert! Zehn Wochen Arbeit, meine Reise, meine Ausstellung. – Jetzt ist nichts mehr zu verlieren. (Stürzt ihr nach.)

Lulu (springt über die Ottomane, über die umgestürzte Trittleiter, kommt über das Podium nach vorn): Ein Graben! – Fallen Sie nicht hinein! (Stapft durch das Brustbild.) Sie hat einen neuen Menschen aus ihm gemacht! (Fällt vornüber.)

Schwarz (über die spanische Wand stolpernd)) Ich kenne kein Erbarmen mehr.

Lulu (im Hintergrund): Lassen Sie mich jetzt in Ruhe. – Mir wird schwindlig. – – O Gott, o Gott ... (Kommt nach vorn und sinkt auf die Ottomane.)

Schwarz (verriegelt die Tür. Darauf setzt er sich neben sie, ergreift ihre Hand und bedeckt sie mit Küssen, hält inne; man sieht ihm an, daß er einen inneren Kampf kämpft.)

Lulu (schlägt die Augen auf): Er kann zurückkommen.

Schwarz: Wie ist dir?

Lulu: Als wäre ich ins Wasser gefallen ...

Schwarz: Ich liebe dich.

Lulu: Ich liebte einmal einen Studenten.

Schwarz: Nelli ...

Lulu: Mit vierundzwanzig Schmissen ...

Schwarz: Ich liebe dich, Nelli.

Lulu: Ich heiße nicht Nelli.

Schwarz (küßt sie).

Lulu: Ich heiße Lulu.

Schwarz: Ich werde dich Eva nennen.

Lulu: Wissen Sie, wieviel Uhr es ist?

Schwarz (nach der Uhr sehend): Halb elf.

Lulu (nimmt die Uhr und öffnet das Gehäuse).

Schwarz: Du liebst mich nicht.

Lulu: Doch ... Es ist fünf Minuten nach halb elf.

Schwarz: Gib mir einen Kuß, Eva!

Lulu (nimmt ihn am Kinn und küßt ihn, wirft die Uhr in die Luft und fängt sie auf): Sie riechen nach Tabak.

Schwarz: Warum sagst du nicht »du«?

Lulu: Es würde unbehaglich.

Schwarz: Du verstellst dich!

Lulu: Sie verstellen sich selber, wie mir scheint. – Ich mich verstellen? Wie kommen Sie nur darauf? – Das hatte ich niemals nötig.

Schwarz (erhebt sich, fassungslos, sich mit der Hand über die Stirn fahrend): Allmächtiger! Ich kenne die Welt nicht ...

Lulu (schreit): Bringen Sie mich nur nicht um!

Schwarz (sich rasch umwendend): Du hast noch nie geliebt ...

Lulu (sich halb aufrichtend): Sie haben noch nie geliebt ...!

Frank Wedekind.

 

Frauenspiegel.

Wer nie in der Jugend Gewitterdrang
Über jedes trennende Gitter sprang,
Wer nie verbotene Küsse getauscht hat,
Sich nie in sündiger Liebe berauscht hat,
Dem schmückt sein Wams mit Orden und Tressen,
Doch sagt ihm: er hat zu leben vergessen.

* * *

Daß ihr mir gütigst nur vom Halse bleibt
Bei Wein und Weib mit Temperenzlerpossen!
Wer den Genuß nicht sorglos übertreibt,
Hat überhaupt noch nicht genossen.

Oscar Blumenthal.

 

Tändelei.

Bitte bitte soll ich sagen,
Um ein Küßchen zu erlangen?
Meinen Stolz willst du versuchen,
Allerlistigste der Schlangen.

Schnippisch trotzt das rote Mündchen,
Das so oft zum Kuß bereit war,
Und vermeint: es abzuküssen,
Dies mein Recht sei höchst bestreitbar.

Nur durch stumme Unterwerfung
Würd' ich wert so hohen Lohnes –
So versichert sie mich ernsten,
Schalkhaft-würdevollen Tones.

Und du glaubst, ich würde bitten?
Meine heil'ge Manneswürde,
Denkst du, würde ruhig tragen
Solcher feigen Knechtschaft Bürde?

Mann bin ich und dein Gebieter,
Und der Macht geziemt kein Bitten,
Doch ein Recht zu rauben hat sie,
Ihr gehört, was sie erstritten.

Und – geraubt schon ist ein Küßchen – –
Nun, dein Sträuben, sag', wo blieb's denn?
Und sie haucht: »Ach, die geraubten
Küsse geb' ich dir am liebsten!«

Otto Ernst.

 

Ich tät' es wieder!

Mit hellem Lachen fing es an.
Und wißt ihr, wie's geendet dann?
Wie's immer geht. Doch so voll Glück! –
Und könnt' ich heut ein Jahr zurück,
Ich täte wieder, wie ich's getan.

Gustav Schüler.

 

Kaisertag.

Letzten Sonntag war die Stadt
Ein Kind, das frohen Geburtstag hat.

Bunte Kränze an jedem Haus,
Das sah euch recht wie ein Bilderbuch aus.

Und Wimpel und Flaggen waren gehißt:
Weil unser Herr Kaiser gekommen ist.

Wir zwei nur stunden unterm Tor
Schlicht und ohne Blumenflor,

Doch waren wir süß aneinandgepreßt
Und schlossen die Augen und fühlten das Fest.

Hatte ein jedes Fenster sein Licht,
Und ein Leuchten war auch unser Angesicht.

Und wir schwiegen und brauchten nicht weit zu gehn
Und konnten doch allen Jubel verstehn.

Und haben uns hundertmal geküßt:
Weil der Kaiser vorübergefahren ist.

Hans Müller.

 

Wie eine kleine Maus.

Dich lieb' ich! Ja, natürlich!
Ich sag' es frei heraus.
Du bist so zart und zierlich,
So putzig und possierlich,
Wie eine kleine Maus.

Schon fühl' ich gut und sehe,
Daß dich geheimer Graus
Erfaßt in meiner Nähe,
Als ob dir was geschähe,
Wie einer kleinen Maus.

Die braunen Äuglein fragen:
Wo geht es nur hinaus?
Das Herz beginnt zu schlagen
Und hin und her zu jagen
Wie eine kleine Maus.

Es ist ein lustig Hetzchen.
Du kommst mir ja nicht aus.
Ich warte deiner, Schätzchen,
Ganz ruhig wie ein Kätzchen
Auf eine kleine Maus.

Und plötzlich werd' ich springen
Mit schrecklichen Miau's
Dir an den Hals – und schlingen
Um dich den Arm und singen:
O meine kleine Maus!

A. De Nora.

 

Kußrausch.

Was reizender wäre, wüßt' ich nicht,
Als wenn du lächelnd streifst die Hülle
Von deiner Füße rosiger Fülle:
Jedwede Zehe ein Gedicht,
Jedweder Nagel eine Idylle!

Ich beuge hernieder mein Gesicht
Und küsse dir die Füße beide,
Sie sind so weich wie Rosaseide:
Am liebsten macht' ich ein Gedicht
Auf diese süße Augenweide.

Doch lange bleib' ich drunten nicht,
Nach oben geht des Menschen Streben;
Wie deine vollen Lippen beben:
Es können im herrlichsten Gedicht
Nicht schöner klingende Reime leben.

Ich küsse dir Stirn und Haar und Gesicht,
Brust, Hals und Ohr und Augenlider,
Ich küsse dir Finger und Zehen wieder:
Doch was am liebsten, das weiß ich nicht –
Drum küß ich das holde Gottesgedicht
Im ganzen Weibe herauf und hernieder!

Richard Zoozmann.

 

Der beste Platz.

Nirgend auf der weiten Erde
Gibt es einen bessern Platz,
Als den Platz am warmen Herde,
Den man teilt mit seinem Schatz.

Ach, des Herzens lautes Pochen,
Von dem Glück der Liebe spricht's;
Mag dann alles überkochen
Auf dem Herd, das schadet nichts.

Und der beste aller Sprüche
Unsrer Dichter wird dann wahr:
Raum ist in der kleinsten Küche
Für ein glücklich liebend Paar.

Johannes Trojan.

 

»Der schlimme Gast.« Zeichnung von F. de Bayros.


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