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Des ersten Buches drittes Kapitel:
Frauenlippen.

Zeichnung von Ernst Heilemann.

Heiße Sehnsucht.

Es gibt manch roten Mädchenmund
Im Deutschen Reich und weiterhin,
Hier einen schmalen, herben,
Dort einen, der voll Süße ist –
Mir aber geht die Jugend hin
Und sterben werd' ich, sterben,
– Hab' beide nicht geküßt!

Es gibt manch weißen Nacken,
Auf dem mein Arm niemals geruht!
Ach so viel Schönheit schreitet
Fern meinem Weg in aller Welt –
Mir aber braust das wilde Blut,
Und Jahr um Jahr entgleitet:
Sie wird mir nicht gesellt!

Auf manche Sehnsucht scheint das Licht,
Auf keine doch, die stärker glüht,
Ich schau' des Nachts die Sterne,
Ich träum' die liebe lange Nacht –
Und wird mein Herz vor Sehnsucht müd,
Es läßt nicht von der Ferne,
Es zittert weh und wacht!

Ich glaub', wenn mich der Rasen deckt,
Mein wilder Schrei bezwingt den Tod:
Ich hör' Gewänder rauschen
Und Mädchenfüße tanzen drein –
Erbarmt sich keiner dieser Not?
Ich soll den Süßen lauschen
Und nicht im Reigen sein!

O sing' ich all der Schönheit Glanz,
Die vor mir war, die nach mir blüht!
Nur eine goldne Stunde
Der Fülle Herr und Meister sein! –
Ob jäh die Sonne dann verglüht:
Mit sattgeküßtem Munde,
Ein Sieger, schlief' ich ein!

Carl Busse.

 

Das Hexchen.

Endlich – endlich ... Sel'ge Stunde!
Goldne Sterne lachten draus –
Und du flohst von meinem Munde,
Und du zogst dich lachend aus.
Und als Leibchen, Rock und Bluse
Lag gefaltet, blütenweiß,
Sah ich auf dem nackten Fuße
Einen kleinen, braunen Kreis.

Auf das niedlichste Versteckchen
Vor galanter Späher Blick
Zog ein braunes Leberfleckchen
Sich in holder Scham zurück;
Gleich als hätt' es nicht vergessen,
Wie man Hexen einst verflucht
Und in peinlichen Prozessen
Ihrer Bosheit Mal gesucht.

Wer solch Mal an solcher Stelle
Deckte mit dem Strumpfe zu,
Stand mit Teufel, Hex' und Hölle
Zweifellos auf du und du;
Seine Seele loszukaufen
Aus des Satan's krall'ger Hand,
Ward er auf dem Scheiterhaufen
Unter frommem Sang verbrannt ...

Statt daß strenge Hexenrichter
Dich verdammt zur Folterqual,
Weiß ein einz'ger deutscher Dichter,
Liebchen, um Dein Hexenmal.
Und das runde braune Klexchen,
Das Dir einst den Tod gebracht,
Küßt er glühend, blondes Hexchen,
In verschwieg'ner Liebesnacht.

Auf des Fußes weiches Fellchen
Preßt er selig sein Gesicht;
Solch ein süßes, braunes Stellchen
Haben and're Frauen nicht!
Dunkler Vorzeit blut'ge Sagen
Reizen seinen krausen Sinn –
Und er wird es mit Dir wagen,
Blonde, kleine Teufelin!

Rudolf Presber.

 

Attischer Park.

Dunkle Büsche, alte Bäume,
Götterstatuen aus Stein,
Und das Herz voll banger Träume
Tritt ein junger Grieche ein.
Tief in die bekiesten Wege
Drückt die Sohle sich im Gehn.
Bei dem Rosenbuschgehege,
Vor dem Eros, bleibt er stehn.

»Ach!« so hebt er seine Klage,
»Warum quälst Du mich so sehr?
All die Unrast meiner Tage
Kommt von Dir, o Eros, her!
Seit ich Chloë hier getroffen,
Meiner Augen einzige Lust,
Streiten Bangen sich und Hoffen,
Tag und Nacht in meiner Brust!

Manchmal scheint sie mich zu fliehen!
Manchmal scheint's daß sie mir naht!
Oft wollt' ich sie an mich ziehen.
Doch wer wagt so kühne Tat?
Dir nur ist es unverborgen,
Was sie fühlt. O Eros, sag's!
Trägst Du rote Rosen morgen,
Ach! dann küß ich sie und wag's!« –

* * *

Kaum, daß sein Schritt noch verklungen,
Stört ein andrer Schritt die Ruh',
Und dem Lieblingsgott der Jungen
Eilt ein schlankes Mädchen zu.
»Eros, süßer Eros, bitte!« –
Fleht sie aus bedrängter Brust –
»Warum streitet Mädchensitte
Immer doch mit Mädchenlust!?

Wenn ich ihn von fern nur sehe,
Ach, wie stürmt dann mein Gefühl!
Aber ist er in der Nähe
Muß ich schüchtern tun und kühl!
Statt ihn zärtlich fortzuwinken
Tiefer in den Laubengang,
Laß ich scheu die Augen sinken
Und verberg' den Überschwang!

Süßer Eros, hab' Erbarmen!
Meld' ihm, was ich leiden muß!
Sag: mich sehnt's nach seinen Armen,
Und ich dürst' nach seinem Kuß!
Sag: ich ließ mich gerne zwingen!
Solch ein lieber Zwang erfreut. –
Rosen, rote Rosen bringen
Will ich Dir zum Dank schon heut!«

Und mit feinen, schlanken Händen
Pflückt sie Rosen ungezählt.
Jeder Strauch muß seines spenden
Und das Schönste wird gewählt.
Bis von Kränzen und von losen
Blüten rings der Stein bedeckt
Und der Gott aus all den Rosen
Kaum die edle Stirn noch streckt!

* * *

»Töricht war's dem Stein zu klagen,«
Schalt der Jüngling hinterher.
»Wunder gibt's nur in den Sagen
Und auch Eros hört nicht mehr.« –
Aber plötzlich: ist es Wahrheit
Oder Trugbild, was er sieht? –
Durch des Morgens blaue Klarheit
Grüßt das Steinbild rotumblüht!! –

Götter, alles überschauend,
Wissen stets den rechten Rat.
»Eros!« jauchzt er, »Dir vertrauend
Küß ich sie, so bald sie naht.
Chloë, Stern der Erdensterne« – –
Da! er stockt, er bebt und schweigt
Voller Anmut naht von ferne
Sie, vor der sein Herz sich neigt.

* * *

Gurrend blieben Taubenschwärme
In der Luft im Fluge stehn.
Bei der kleinen Götterherme
War zu Liebliches zu sehn.
Zweie küßten sich und glühten
Scheu und doch in Seligkeit
Und der Gott hat seine Blüten
Lächelnd über sie gestreut. – –

Georg Busse-Palma.

 

Der Kuckuck.

Die nachfolgende Szene ist Bertha v. Suttners Roman »Der Menschheit Hochgedanken« entnommen.

Personen: Chlodwig Helmer, ein junger Dichter. Franka, reich, vornehm, von Helmer hoffnungslos geliebt.

Schauplatz: Im Walde. Junimorgen.

Helmer (läßt sich am Rande eines mit hohen Gräsern und Blumen dichtbewachsenen Waldwiesenfleckchens, wo ein großer Eichenbaum steht, nieder. Eine zeitlang sitzt er stillversonnen da und atmet die Süße des Waldfriedens ein. Dann zieht er sein Notizbuch aus der Tasche. Nachdem er eine Weile gekritzelt, blickt er auf. Eine weißgekleidete Gestalt nähert sich. Er springt auf und eilt ihr entgegen): Ist es möglich? ... Franka! ...

Franka (sie streckt ihm die Hand entgegen): Wie schön, daß wir uns treffen ... Da können wir gleich hier die verabredete Besprechung absolvieren – es ist ja viel schöner da als zu Haus.

Helmer (seine innere Bewegung meisternd): Wollen wir vielleicht weiter lustwandeln (er reicht ihr den Arm). Ich führe Sie zu einem wunderschönen Aussichtspunkt.

Franka: Nein, nein, bleiben wir hier.– Sie haben sich eine ganz herrliche Stelle ausgesucht. Setzen Sie sich wieder unter jenen Baum – und ich daneben ... Ich sitze für mein Leben gern im Gras.

Helmer: Das ist ja köstlich (er führt sie zu seiner Eiche und installiert sie dort wo er früher gesessen, so daß sie den Rücken an den Stamm lehnen kann. Er setzt sich seitwärts zu ihren Füßen auf dem Boden. Den Ellenbogen aufgestützt, lehnt er sein Kinn auf die Handflächen und blickt zu ihr auf. Kurzes Schweigen). Also was nun? Soll das unsere Abschiedsstunde werden? Gehen jetzt unsere Wege entschieden auseinander? ...

Franka: Auseinander? ... Auf immer auseinander? ... Sicher nicht! Beantworten Sie mir eine Frage, Helmer ... Überhaupt, Sie haben nur immer von mir gesprochen – nie von ihrem eigenen Leben, Ihrem Streben und Wünschen ... Wenn ich Sie nicht aus Ihren Werken kennen würde, ich hätte keinen Einblick in Ihre Seele genommen.

Helmer: Was wollen Sie fragen, Fräulein?

Franka: Es ist keine diskrete Frage, aber ich wollte gern wissen ... Sind Sie ... haben Sie eine ... haben Sie irgendwelche Bande, die Sie fesseln?

Helmer: Sie meinen eine Braut, eine Geliebte? Nein, ich bin bandenfrei.

Franka: Also herzensfrei?

Helmer: Habe ich das gesagt? Reden wir um Gotteswillen von anderen Dingen – nicht von mir. Es handelt sich ja jetzt um Ihr Schicksal, um Ihre Zukunft – darüber wollten Sie sich doch mit mir, dem Freunde, beraten ...

Franka (wirkt nachdenklich): Ja um meine Zukunft handelt es sich ...

Helmer: Also sprechen wir davon. Bleiben Sie hier? Werden Sie die Rückkunft des Prinzen abwarten oder wollen Sie auf Ihr Gut zurückkehren – und soll er Sie dort holen? Das schiene mir richtiger.

Franka (leise und abwesend. Es ist als ob sie an etwas anderes denke und nur so mechanisch das Gesagte nachspreche, um etwas zu sagen): Schiene Ihnen richtiger ...

Helmer: Ihr mährisches Schlösschen gäbe einen hübschen Rahmen.

Franka: Hübschen Rahmen ... Für welches Bild? ... Wollten Sie auch hinkommen, Helmer, nach meinem mährischen Schlößchen?

Helmer (schüttelt heftig den Kopf).

Franka (fortfahrend): Sie würden in dem Wald, der knapp an den Garten stößt, ähnliche Plätzchen finden, wie dieses hier ... auch dort fließt ein Bach, auch dort springen Quellen aus moosigem Gestein hervor ... (Sie streift den Handschuh ab und legt ihre Hand auf seine Schulter): Wollen Sie mich begleiten, auf das mährische Schlößchen?

Helmer (er zuckt unter ihrer Berührung zusammen): Ich? ... Das dürfte ich nicht, das könnte ich nicht ...

Franka (verstärkt den Druck ihrer Hand): Warum?

Helmer (kann nicht widerstehen – er erfaßt die teure Hand, küßt sie leidenschaftlich auf die Innenfläche, preßt diese an sein Gesicht. Dann springt er auf und lehnt sich an den Baum). Sie fragen, warum ich nicht zu Ihnen kommen darf und kann – gut, gut, ich will es Ihnen sagen. Ich wollte es ewig vor Ihnen verbergen – aber jetzt sollen Sie es wissen ... ich liebe Sie, Franka! Ich habe Sie immer geliebt, seit der ersten Stunde – aber immer waren Sie mir und sind Sie mir die Unerreichbare, die Unnahbare! Auch als noch keinem andern das hohe Los zugefallen war, Sie zu gewinnen, erhob ich meine Wünsche nie bis in Ihre Sternenferne ... Ich wußte, Sie würden einst einem Anderen gehören – und da Ihnen ein so würdiger und glänzender Anderer ... Prinz Viktor Adolf – genaht, da half ich beinahe mit – redete Ihnen zu ... Jetzt aber, da sich das Schicksal erfüllt hat, bin ich von wilder Eifersucht geplagt. Wenn Sie wüßten, was ich in den letzten Tagen litt ... Ich werde es ja niederkämpfen, werde es überwinden, aber ich muß Ihre Nähe meiden und darf nicht Zeuge – seines Liebesglückes sein, das würde mich wahnsinnig machen. Seit meine jahrelange, sozusagen fromme Anbetung von der Eifersucht aufgestachelt wurde, hat sich ihr eine solche Glut, ein so wildes, schmerzliches Begehren zugesellt ... oh, ich gestehe Ihnen da zu viel ... Warum lassen Sie mich so reden, Franka – warum sehen Sie mich mit diesem sonderbaren Lächeln an? ... Bin ich Ihnen komisch? Das darf nicht sein, Franka! Lächerlich ist meine Liebe nicht ... dazu fühle ich sie als etwas zu Großes, Heiliges! Sie wird ja auch – wenn wir erst getrennt sind und einige Jahre vergehen – sich hoffentlich wieder in heitere Freundschaft zurückverwandeln. Ich werde aufrecht bleiben – ich bin ja kein schwärmerischer Knabe, der an Liebesgram zugrunde geht, oder Selbstmord verübt. Ich habe meine Kunst, – dieser winken stolze Aufgaben und ich habe damit noch eine Mission zu erfüllen ... Aber jetzt, jetzt, Franka, bin ich tief unglücklich ... Wie muß ich an mich halten, um Dich nicht an mich zu reißen, damit nur einmal, einmal meine Arme Dich umschlingen, nur einmal mein Mund – (Franka steht auf. Er erhebt beschwörend die Hände): Nein, nein, fliehen Sie nicht, seien Sie ruhig – ich weiß, was ich der Ehre schuldig bin ... niemals sollen Sie mit Zorn oder Reue an Bruder Chlodwig zurückdenken. – (Franka flieht nicht. Immer noch ein Lächeln auf den Lippen, tritt sie ganz nahe an ihn heran, schlingt beide Arme um seinen Hals und birgt mit einem leisen Schrei ihr Gesicht an seine Brust. Es durchschauert ihn wie ein elektrischer Schlag und er drückt sie ans Herz.) O Einzige, Große, Großmütige! – ich verstehe, das ist ein Geschenk – mir zum Abschied mitgegeben – die unauslöschliche Erinnerung an eine selige Minute ... (während er sie umschlungen hält, erschallt von weitem Kuckucksruf. Franka hebt den Kopf, wie um zu lauschen. Da finden seine Lippen die ihren. (Zwölfmal ruft der Kuckuck. Als er schweigt, ringt sich Franka los. Sie läßt sich wieder auf ihren vorigen Platz ins Gras gleiten und ladet Helmer mit einer Gebärde ein sich neben sie zu setzen.)

Franka: Jetzt sprechen wir, Chlodwig (sie schmiegt sich an seine Schulter), jetzt machen wir Zukunftspläne. Jetzt sind alle Zweifel gelöst, jetzt gehört die Welt uns. Diese schöne herrliche Welt!

Helmer: Franka, mir schwindelt! Wie darf ich das verstehen?

Franka: Wie? (Sie legt ihre Hand in die seine.) Daß ich Dein bin, Dein für's Leben.

Helmer: Du, Du? ... Ist das möglich? Die Unerreichbare, die Unnahbare will mein Weib werden?

Franka: Ja, das will sie.

Helmer: Und der Prinz?

Franka: Dem hatte ich noch kein Jawort gegeben. Noch heute schreibe ich ihm eine Zeile: »Mein Herz ist nicht frei.«

Helmer: Weil es mir gehört?

Franka: Ja, Dir. (Er will sie wieder küssen. Sie wehrt ab. Lachend.) Nur wenn der Kuckuck ruft.

Helmer: Wirst Du nicht bereuen? Wird Viktor Adolf nicht verzweifeln?

Franka: Ich glaube nicht. Es wird ihm vielleicht eher eine Erleichterung sein ... denn die Opfer, die Hindernisse ... das alles hat ihn gedrückt und auch meinen Stolz verletzt. Ich will, daß die Gabe meines Selbst –

Helmer (ergänzend): Volles Glück, überirdische Seligkeit gewähre, – daß der Beschenkte sich gefürstet fühle und zum Krösus gemacht ...

Franka: Und das alles fühlst Du, Chlodwig?

Helmer: Das, und unaussprechlich mehr ... Wisse, daß es für unsere höchsten Affektzustände niemals genügenden Ausdruck in der Sprache gibt. Die Dichter suchen wohl danach herum und darum trachten sie, den Worten durch Reime und Rhythmus Schwung zu geben – aber es ist alles vergebens.

Franka: Ich will doch versuchen zu schildern, was ich empfinde. Ohne Rhythmus und ohne Reim – vielleicht nicht einmal so recht zusammenhängend – aber Du wirst mich schon verstehen ... Es gehört mit zu meinem Glücksreichtum, dieses Bewußtsein, daß Du so alles verstehen, – ganz und bis zum letzten Grunde verstehen kannst und wirst, was mich erfüllt ... Auch ich verstehe Dich, mein Dichter, mein Schatz, mein Geliebter! Aber höre, Du Bildersprecher, mit zwei Bildchen kann ich den ganzen Rebus meines Glückes aufgeben: Ein Hafen und eine Truhe. Der Hafen, das ist – (Das Wort wird ihr abgeschnitten, denn wieder, und diesmal viel näher und lauter, fängt der Kuckuck zu rufen an. Im selben Augenblick brennt auch schon Helmers Kuß auf ihrem Munde. Nach dem dritten Ruf schweigt der Kuckuck. Franka befreit sich, aber der angenehme Vogel fängt wieder an und erst als er das zweite mal Schluß macht, läßt Helmer sein bebendes, aber williges Opfer los.)

Helmer: Siehst Du, daß die Liebe weit deutlichere Ausdrucksweisen hat als Worte ... Aber jetzt fahre fort. Was wolltest Du sagen? Der Hafen, das ist – –

Franka (atmet tief auf und streicht sich mit der Hand über die Stirn): Ja – ich weiß noch: Der Hafen das ist die süße Sicherheit des Geborgenseins; das »Komme–was–da–wolle« – ich bin geschützt!

Helmer: Und die Truhe?

Franka: Ja, die Truhe – die ist noch verschlossen – aber den Schlüssel habe ich. Schätze sind darin, das weiß ich, Anweisungen, Kreditbriefe an die große Bank: Zukunft. Wir beide vereint! ... Denke nur, was wir da alles erleben können, an großen und kleinen Lebensfreuden bis ins fernste Alter. Wir, die wir so übereinstimmen – zusammen reisen, zusammen arbeiten, zusammen ein Heim schmücken.

Helmer: Ein Heim, das vielleicht mehr als Zwei umschließen wird ...

Franka: ... Zusammen erleben, Frohes und Schmerzliches, das wir – zu Erinnerungen verklärt – auch in die Truhe legen können. Aber bis jetzt habe ich ihren Deckel noch nicht gehoben: Weitere Schätze sind drinnen, die ich noch nicht kenne: glutrote Rubinen, mit deren Gefunkel ich mich noch nie geschmückt habe. Doch hat einer – vor kurzem – mir davon eine Ahnung erschlossen ...

Helmer (mit neu erwachter Eifersucht): Einer? Wer?

Franka (lächelt, dann ganz leise und langsam): Wer? Der Kuckuck.

Helmer: O Du – daß Du ihn genannt hast, berechtigt mich. – (Er küßt sie.) Jetzt last auch mich ein wenig in Bildern reden. Du kennst ja meine Schwäche – und wenn zu dieser Stunde die Bilder sich mir nicht aufdrängten –

Franka: Dann wärst Du kein Dichter. Aber wozu dichten im Augenblick, wo die Wirklichkeit so überirdisch ist?

Helmer: Überirdisch, ja – aber nicht überkosmisch. Wer sich so glücklich, so erdentrückt glücklich fühlt und glücklich macht, der arbeitet in Sold und Lohn einer kosmischen Werkstatt. Da wird von Stern zu Stern, von Ewigkeit zu Ewigkeit, aus feinen glänzenden Fäden ein herrlicher Stoff gewebt. Diese Fäden heißen: Extasen, Wonnen, Freuden, große und auch allerkleinste Freuden. Jedes Lebewesen, das diese Dinge empfindet, dient an jenem Webstuhl als Schiffchen.

Franka: Und was geschieht mit dem Stoff, Du bilderreicher Poet?

Helmer: Gott macht sich seinen Königsmantel daraus.

Franka: Hübsch ... Doch Du benützest da zu Deiner Bilderschnitzereien zu altes Material: Gott – als König – daran erkenne ich meinen kühnen Neudenker nicht.

Helmer: Zum Schnitzen braucht man eben festes Material. Neugedanken sind meist noch konsistenzlos, sozusagen gasförmig; daraus kann man doch keine Bilder machen. Aber, Geliebte, reden wir doch keine Allgemeinheiten – jetzt, wo wir mitten in der konkretesten Schönheit des Augenblicks atmen, wo alles in nichts versinkt, jenseits von »ich und Du«. – Seien wir um Gotteswillen nicht geistreich und nicht tief – wir haben das Recht, uns bis in die Regionen des lachenden Blödsinns zu verlieren, wir haben das noch höhere Recht zu – schweigen.

Franka: Ich will nicht schweigen, ich muß es hinausschreien, daß ich glücklich, glücklich bin. (Sie wirft die Arme in die Höhe.) Glücklich!! Ach wie oft habe ich dieses Wort gehört, gelesen, ausgesprochen – und erst heute weiß ich, was es bedeutet. Heute weiß ich, daß Glück ein heiliges Recht ist. –

Helmer : Mehr noch als Recht, es ist – – (Der Kuckuck, jetzt ganz nahe, unterbricht ihn.) Hörst Du? Man ruft uns zur Pflicht. (Sie küssen sich.)

Bertha v. Suttner.

 


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