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Zeichnung von F. de Bayros.
Kleine, wenn wir alt geworden,
      
 Hat das Leben uns getrennt –
      
 Du im Süden, ich im Norden,
      
 Wo den andern keiner kennt.
      
 Deine Taille nicht mehr zierlich,
      
 Deine Rosenwangen bläh,
      
 Und behäbig-reputierlich
      
 Handelst du mit irgendwas.
      
 Ich – von mancher Lebensschlappe
      
 Schon gekerbt und wenig froh –
      
 Trage meine Aktenmappe
      
 Auf ein dämliches Bureau.
Kleine, wenn wir alt geworden,
      
 Gibt sich unser leichter Sinn;
      
 Und ich kriege einen Orden,
      
 Weil ich so manierlich bin.
      
 Und was dir das Herz entflammte
      
 Ist verweht nach froher Frist,
      
 Und es führt zum Standesamte
      
 Dich ein Steuerakzessist.
      
 Und du liest in deinem Blättchen, –
      
 Abends liegt es vor der Tür –,
      
 Daß ich Lieder und Sonettchen
      
 Manchmal dichte noch, wie früh'r.
Kleine, wenn sich Blüt' aus Blüte
      
 In die Haare steckt der Mai,
      
 Klingt ein Echo durchs Gemüte
      
 Und die Brust wird jung und frei.
      
 Wenn die Kinder längst entschliefen,
      
 Und der Alte sitzt beim Skat,
      
 Blätterst du in gelben Briefen –
      
 Aber nicht vom Steuerrat;
      
 Holst du dir die Liederbände,
      
 Die ich zärtlich damals schrieb;
      
 Und ich halte deine Hände,
      
 Und du hast mich wieder lieb. 
      
Kleine, höre was ich künde,
      
 Sieh mich lächelnd an dabei:
      
 Eine ew'ge große Sünde
      
 Ist der holde Monat Mai.
      
 Trotzend Muckern und Zeloten
      
 Raubt sich keck der Liebe List,
      
 Was auf Erden so verboten
      
 Und was, ach, so himmlisch ist.
      
 Denn wie wär' in dürren Tagen,
      
 Schneebedrückt und sorgenschwer,
      
 Wohl der Winter zu ertragen,
      
 Wenn kein Mai gewesen wär'?
      
 Stunden, ach, zum Teufelholen
      
 Schleppt das Leben noch heran,
      
 Aber aus verrauschten Bowlen
      
 Mild erinnernd düftet's dann.
      
 Und auf gelben Blättern lesen
      
 Wir, wie einst der Puls uns schlug,
      
 Da wir keck und jung gewesen
      
 Und die Stirne Kränze trug.
      
 Ob den Frohsinn zu ermorden
      
 Uns ins Herz die Sorge kroch,
      
 Kleine, wenn wir grau geworden,
      
 Atmet 
      unser Frühling Noch!
Rudolf Presber.
Neues, ungekanntes Wiegen
      
 Spült die Welle uns meerüber,
      
 Unser nordisch starr und trüber
      
 Geist beginnt sich ihm zu schmiegen.
Starker Duft aus großen Wäldern,
      
 Süßer Duft aus Tropengärten
      
 Weht gelind in unsre kältern
      
 Säle, daß sie heiter werden ...
Unsre Mädchen, unsre Frauen
      
 Biegt ein Anhauch voll von Blüten.
      
 Jede Frackbrust spürt den Süden,
      
 Und die strengsten Herzen tauen.
Artig seinen Namen flötend,
      
 Beugt sich tief der junge Mann,
      
 Erst erbleichend, dann errötend
      
 Hört sie seine Bitte an.
      
 Blaues Kleid mit weißem Schale,
      
 Und das wilde Strudelhaar
      
 Onduliert zum ersten Male,
      
 Und noch nicht ganz achtzehn Jahr.
Ei, wie dieser Herzensknicker
      
 Ihre Taille nun umfängt!
      
 Wie sein Auge durch den Zwicker
      
 Sich in ihre Augen hängt!
      
 Dieser Jüngling ist so glutvoll!
      
 Seiner Mannheit so bewußt!
      
 Und sie schmiegt sich treu und mutvoll
      
 An die Heldenhemdenbrust.
Ist dies noch ein ird'sches Wiegen?
      
 Ist sie nicht Frau Königin?
      
 Und sie schweben und sie fliegen
      
 Wie auf Rosenwölkchen hin.
      
 Kreisend sehn sie bunte Kreise,
      
 Und nun ist's ein Karussel –
      
 O du zwecklos süße Reise,
      
 Warum endest du so schnell?
Leis drückt ihr die Hand der Sieger,
      
 Da er sie zum Sofa führt,
      
 Wo Mama, vielleicht bald Schwieger,
      
 Scharf auf beide lorgnettiert.
      
 Zu der Tochter spricht die Alte:
      
 »Du zerdrückst dein Kleid, Sophie!«
      
 Dann wie aus dem Hinterhalte
      
 Fragt sie: »Was studieren Sie?«
»Fatme, schlank gleich den Gazellen,
      
 Folg' mir braunem Wüstensohn!«
* * *
»Fatme? Herr, ich heiße Ellen!
      
 Ellen Maud Mechtildis Lohn!«
* * *
»Fatme mit den Ringellocken,
      
 Komm, ich sag' dir was ins Ohr!«
* * *
»Herr, sie sind ein fader Nocken!
      
 Stellen Sie sich erst mal vor!«
»Fatme, weiß sind deine Glieder,
      
 Wie der Mond im Palmenhain!«
* * *
»Herr, jetzt kenn' ich Sie ja wieder:
      
 Sie sind Doktor Löwenstein!«
»Fatme, komm mit mir zur Nische,
      
 Daß ich mit dir kosen kann!«
* * *
»Herr, ich muß zu Mutters Tische,
      
 Schließen Sie sich bitte an!« – –
Und sie wandeln und sie schreiten
      
 Durch der Menge dichte Reih'n,
      
 Und die Mutter prüft vom Weiten
      
 Schon den jungen Löwenstein.
Daß er hat recht gute Praxis,
      
 Weiß nach zehn Minuten sie,
      
 Da verwandt er mit den Sachs is,
      
 Ist er eine Glanzpartie.
Eh' der erste Morgenschatten
      
 In den Saal fällt, sagt Frau Cohn:
      
 »Liebe Meyern, Sie gestatten,
      
 Hier mein Schwiegerwüstensohn ...«
Es war die Selma Tugendreich,
      
 Die ält'ste Schwester unter sieben,
      
 Doch war bei ihr, ich sag es gleich,
      
 Die Schönheit gänzlich ausgeblieben.
Um andre Mädchen scharenweis
      
 Bemühten sich die jungen Ritter,
      
 Doch ging die Selma mal aufs Eis,
      
 Verschwanden alle, – das war bitter.
Die Kränzchen, die sie mitgemacht,
      
 Verfehlten völlig ihre Zwecke,
      
 Da saß die Selma ganz verkracht
      
 Als Mauerblümchen in der Ecke.
Kein Hochzeitswerber kam zu ihr,
      
 Sie harrte lang, die Freier fehlten,
      
 Oft stand sie an der Kirchentür
      
 Und sah, wie andre sich vermählten.
Es wurde zu derselben Zeit
      
 Ein Polizeigebot erlassen:
      
 Der Schutzmann soll stets hilfsbereit
      
 Die Frau geleiten auf den Gassen.
Die Selma wollte übern Damm,
      
 Gar ängstlich war ihr da zumute;
      
 Schon springt der Schutzmann: »Hier, Madam!«
      
 Und nimmt sie untern Arm, der Gute.
Ein 
      Männerarm! ach, tut das wohl!
      
Zum ersten Mal seit vierzig Jahren!
      
 Fast hätt' ein Auto mit Petrol
      
 Sie alle beide überfahren.
Doch schon im Sicherheitsbereich
      
 Sind beide auf der andern Leite;
      
 Der Schutzmann wendet sich sogleich,
      
 Daß andre Damen er geleite.
Bei Wertheim löste sich der Harm
      
 Der Selma auf in Tränenmassen:
      
 »Ein Einz'ger gab mir mal den Arm,
      
Und der hat wieder losgelassen!«
(»Before«. Von W. Hogarth)