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Des zweiten Buches vorletztes Kapitel:
»Der unverstandene Mann.«

»Der Fahnenträger.«

Entnommen dem gleichnamigen Roman von Georg Engel.

Die Situation des Gedichtes ist die, daß ein kleiner unscheinbarer Doktor der Historie und der Philosophie seine künftige Braut, eine Kapitänstochter, zu Weihnachten mit einem herrlichen Exemplar eines blauschillernden indischen Riesen-Schmetterlings, der in einem Karton ausgespannt ist, beschenkt.

»Sieh, liebes Mädchen,
Ungelenk bin ich und unscheinbar,
Und wundern würd' ich mich nicht,
Wenn Dir die äußere Hülle Anlaß böte zum Spott.
Und doch – meine Seele möchte fleckenlos schimmern vor Dir,
Gleich dem Strahlengewande des Düftedurchtaumlers,
Möchte Dir leuchten im seidigen Blau –
Ein Abbild des Morgenhimmels,
Damit er sich gleichartig fühle
Dem stillen, spendenden Licht Deiner Augen
Und dem reinen, unergründlichen Azurgezelt,
Das Du selbst in Dir trägst,
Wenn Du es spannst und wölbst über uns allen,
Nahen und Fernen zur Lust –
Aber besonders doch mir!«

Georg Engel.

 

Der Verführer.

Mir hatte lange nichts so imponiert
Als sein Bekenntnis, das ich gelesen:
Er hatte fünfhundert Frauen verführt,
So unwiderstehlich ist er gewesen;
Er war ein Dichter und war ein Held,
Er hatte sich trefflich bei Frauen erdreistet,
Und eines Tages gab er zum Druck,
In üppigen Versen, was er geleistet.
Herrgott, wie das rollte, schäumte und klang!
Das war des Mannestums Apotheose!
Kein lyrisch Getändel, kein Minnesang,
Kein zärtlich Geflüster, kein zartes Gekose,
Hier offenbart' sich das schonungslose,
Das elementare, brutale Gefühl,
Die Kraft des Siegers in strophischem Glanze;
Der Dichter hatte ein sicheres Ziel,
In jeder Zeile ging er aufs Ganze!
Ein jauchzendes Hohelied stimmte er an,
Ich las es und wurde immer gespannter,
Ich sah den Aufstieg vom Jüngling zum Mann,
Vom kleinen Raubtier zum riesigen Panther,
Der gierig Opfer um Opfer beschleicht
Mit brennenden Augen und lechzender Zunge,
Und während er eines im Sprunge erreicht,
Die Glieder schon anspannt zum folgenden Sprunge.
Und was mich am meisten fasziniert:
Der Stil, der so echt war und gar nicht papieren,
Der Mann hatte wirklich die Frauen verführt,
Der wollte bekennen und nicht renommieren;
Denn solche Töne findet man nicht,
Für Abenteuer, die man erstrebt hat,
Man findet sie nur im Heldengedicht,
Für große Geschehnisse, die man erlebt hat.
Da packte mich Neugier: den Mann muß't ich seh'n;
Er war auch so freundlich, mich zu empfangen.
Ein Mann an die vierzig, nicht eben sehr schön,
Mit spärlichem Bart an dem Kinn und den Wangen,
Salopp in der Haltung, ermüdeter Blick,
Nun denn, so was muß wohl den Frauen behagen,
Es waren ja doch an die fünfhundert Stück,
In die er vordem seine Krallen geschlagen.
Dem Dichter macht' ich mein Kompliment,
Bald taute er auf und begann zu erzählen,
Zuerst sehr diskret, doch sein Temperament
Brach langsam hindurch, das konnte nicht fehlen.
»Natürlich, die Namen nenne ich nie,
Doch werde ich Ihnen – Sie können doch schweigen?
Die ganze gewaltige Galerie,
Die ich mir erobert, im Bilde zeigen.«

Und legte die Albums mir vor in der Tat,
Die durfte ich mir aufs genauste beschauen,
Sie bargen in Kabinettsformat
Die Summe des Lebens: fünfhundert Frauen:
So wie der Sioux die Skalpe bewahrt,
So hatte der Dichter in eichenen Schränken
Von seiner großen Eroberungsfahrt
Die Häupter gesammelt, zu ew'gem Gedenken.

Na, das muß ich sagen, das war mir ein Schreck,
Und ohne Adieu verlieh ich den Dichter;
Ich sah noch niemals auf einem Fleck
Eine solche Masse mieser Gesichter!
Er hatte mir als Poet imponiert,
Als Menschen muß ich ihn höchlichst bedauern,
Die ganze Gesellschaft, die er verführt,
Die kann er sich pökeln im Süßen und Sauern!

Alexander Moszkowski.

 

Der filius hospitalis.

(Aus Max Brinkmanns Buch: »Das Corps Schlamponia«.)

Am Stephansbrunnen bei der Eck'
Wohnt die studiosa Daubenspeck.
Für Kaffe, Brödchen und Logis
Nebst Schuheputzen morgens früh,
Bleibt sie – Frau Trampe ist geduldig –
Pro Monat zwanzig Mark nur schuldig.
Die Daubenspeck kann sich wohl freu'n,
Die »Bude«, die ist wirklich fein,
Und auch nicht eine der Schlamponen
Tat je so gut und billig wohnen.
Und dann das beste noch zum Schluß:
Ein wundernetter filius,
Frau Trampes Sohn, ein schlanker Bengel,
Ein wirklich allerliebster Engel.
Das ganze Corps stimmt überein,
Die Daubenspeck hat wirklich »Schwein«.
Wie hat's doch die Studiosa nett,
Des Morgens noch liegt sie im Bett,

Dann tritt so zwischen 8 und 9
Das holde Kind mit Kaffee ein,
Und läßt sich von der Daubenspecken,
Wenn auch verschämt zwar, gerne necken.
Jetzt schickt sie sich zu dem lever,
Georg eilt schleunigst aus der Näh.

Dann schlüpft sie, wie's Studiosen ziemt,
In einen Schlafrock, schön geblümt.

Die Zigarette in dem Munde,
Genießt sie dann die Morgenstunde.

Da filius manche Lücken hat,
So findet Nachhilfstunde statt.
Ovid wird dem George schwer,
Die ars amandi sogar sehr.

Auch viele hübsche alte Sagen
Pflegt dem Georg sie vorzutragen:
Von Zeus, der Leda und dem Ei
Und manches and're noch dabei.
In der Physik lehrt sie dem Knaben,
Daß Körper Eigenschaften haben.
Und prägt ihm dies vor allem ein:
Elektrisch kann die Reibung sein.

Als Lohn für dieses heiße Schwitzen,
Darf er sich Zucker dann stibitzen.
Doch Studiosa muß derweilen
Mit ihrer Toilette eilen.

Sie macht's nach Vorschrift des G. C.
Den Zopf, den steckt sie in die Höhe,
Den Scheitel vorne in der Mitte;
So ist's bei den Schlamponen Sitte.
Ist sie frisiert, legt sie alsdann
Die Mütze und das Corpsband an.
Wer's redlich meint mit seinem Wissen,
Der wird oft repetieren müssen.
D'rum stellt sie auch am Nachmittage
Dem filius manche schwere Frage.
Und kommt des Abends Dämmerschein,
Wie nett kann's auf der Bude sein.
Man rückt zusammen eng und dicht
Und spart so gern das teu're Licht.
Wohltuend wirkt die Einsamkeit
Gerade in der Abendzeit.
Und über allem, silberrein,
Strahlt dann der schöne Mondenschein.

Max Brinkmann.

 

Zwei Bücher.

Mir fällt ein dickes Buch in die Hand,
Das dickste in all meinen Schränken –
Ach, damals! ... Ich war nicht recht bei Verstand
Und mag an die Zeiten voll Torheit und Tand
Nicht ohne Lächeln denken.

Ihr las ich's einst vor. Fünf Stunden gar
Bei grün verhangenem Lichtchen.
Sie hatte so herrlich rostrot Haar
Und war Baronin im zweiten Jahr
Mit einem Madonnengesichtchen.

Wir lasen und sprachen von Leben und Tod,
Von Schuld und Menschenverlangen.
Sie wurde blaß und sie wurde rot,
Und Fragen, die tief ihr im Herzen geloht,
Die brachen aus Augen und Wangen.

Wir lasen, derweil der Hausherr schlief
Und draußen der Herbststurm fegte,
Bis sie ihr Köpfchen dicht und tief
Just beim »kategorischen Imperativ«
An meinen Smoking legte.

O, schöne Zeit der Philosophie
Und all der gelehrten Sachen!
Ich denk' an all das Warum und Wie
Und, Frau Baronin, auch an Sie –
Und ich muß lachen, lachen! ...

* * *

Ein zweites Bändchen greif' ich geschwind,
Sporfleckig und vergriffen –
Das war des Pfarrherrn blondes Kind;
Die Zöpfe flogen im Maienwind,
Derweil die Drosseln pfiffen.

Der Vater steht am Bienenhaus
Und prüft dort Flug und Waben.
Die Bienchen summen ein und aus;
Und auch am Tisch der Wiesenstrauß
Muß kleine Räuber laben.

Wir aber, tief aufs Buch gebückt,
Wir lesen und lesen wieder.
Wir sitzen still und nahgerückt,
Und aus dem kleinen Band entzückt
Steigen viel lachende Lieder.

Sie lachen und singen das Herz uns warm
Und jubeln, was lang' wir verschwiegen.
Ich bieg' um den jungen Leib meinen Arm;
Sie duldet's ohne Groll und Harm –
Die Bienen summen und fliegen.

»Der Vater sieht uns, Liebster, hab acht!«
Er kam mit bedächtigem Schreiten.
Wir aber haben so toll gelacht,
Als hätt' er den herrlichsten Witz gemacht –
Wie war uns so froh, uns beiden!

Und nehm' ich das Büchlein aus prunkenden Reihn,
– Wir lasen's nie zu Ende –
Dann zieht ein stiller Frühling ein
Mit Bienensummen und Sonnenschein
Im Duft deiner jungen Hände ...

* * *

Das dicke Buch wird von den Erben geehrt,
Weil's alle kennen und nennen.
Ins Büchlein, das einst mir den Frühling beschert,
Schrieb heut ich lächelnd: »Ohne Wert
Und nach meinem Tod zu verbrennen.«

Rudolf Presber.

 

Paradiesisch.

Das erste Paar war zu beneiden,
Es konnten straflos diese Zwei
Ihr Herz an ird'schen Dingen weiden,
Von kleinlichen Bedenken frei.

Sie brauchten keine Lust zu zähmen,
Zu der sie einlud die Natur,
Ganz wörtlich war der Satz zu nehmen:
Dem Glücklichen schlägt keine Uhr.

Unmöglich hätten sie es fassen
Gekonnt, was Joseph später tat –
Wie kann dem Weib den Mantel lassen
Ein Mann, der keinen Mantel hat?

Der Liebe nur allein zu leben,
War Pflicht und auch Notwendigkeit:
Kein Buch hat's, kein Klavier gegeben,
Zu kürzen anders sich die Zeit.

Sie taten heimlich nichts und leise,
Vor Klatsch ganz sicher waren sie,
Es gab noch keine Freundeskreise
Und noch kein Bißchen vis-a-vis.

Und taten sie, was nicht manierlich,
So riefen lachend sie sofort:
»Nach uns die Sündflut!« – Wie natürlich
Und wahr klang damals dieses Wort.

Julius Stettenheim.

 

Vom Ewig-Weiblichen.

Das Bekenntnis der Liebe ist eine Urkunde, die mit den Augen verkündet und mit den Lippen besiegelt wird.

* * *

Die Moral von heute ist eine duldsame und liebenswürdige Dame, die zwar auch manchmal ihr Haupt verhüllt – aber nicht aus Scham, sondern aus Diskretion.

* * *

Aus dem Tagebuch einer Frau: »Die Ehe ist bisweilen der Anfang der Liebe – zu einem anderen.«

* * *

Allzu viele Ehen beginnen im Miteinander, kühlen sich allmählich zum Nebeneinander und enden im Gegeneinander.

* * *

Ich fragte einst einen gelehrten Arzt: »Was ist die Liebe?«

»Die mächtigste Autosuggestion.«

»Und die Treue?«

»Das Gedächtnis des Herzens.«

* * *

Der Tagesanbruch unserer ersten Liebe hat eine Leuchtkraft, die unser ganzes Leben überflammt.

* * *

Die Psychologen mögen es uns erklären, warum in ein leeres Herz die Liebe nicht so schnell einzieht, wie in ein eben verlassenes.

* * *

Die Grabsteine der Tugend werden oft bei den Juwelieren gekauft.

* * *

Das ist das Gefährliche bei den Abenteuern der Liebe: daß man das Recht einbüßt, allein vernünftig zu werden, wenn man zu zweien toll gewesen ist.

* * *

Frauenfreundschaft ist eine magere Fastenspeise, die aus den beaux restes der Liebe bereitet wird.

* * *

Das Feigenblatt war die erste Mode. Sie ist vielleicht nur verschwunden, weil sie nicht kostspielig genug war.

* * *

Weisheit in der Liebe? ... Eine Alterserscheinung. Man beginnt Illusionen zu zerstören, wenn man keine mehr erwecken kann.

* * *

Ein hübsches Profil ist oft nur die reizende Titelvignette eines leeren Buches.

* * *

Wenn man im Reagenzglas die sittliche Entrüstung einer Frau über die Fehltritte einer anderen analysieren könnte, so würde sich bisweilen ein Bodensatz von Neid finden ...

* * *

Trotz alledem! Und was auch die Pflichtmenschen sagen mögen: wir haben auf der Welt nichts Wichtigeres zu tun, als zu lieben.

* * *

Ich glaube keinem Mann, daß er die Weiber haßt, und noch weniger einer Frau, daß sie die Männer haßt. Durch eine wohlerwogene Umarmung werden alle ihre Argumente widerlegt. Und für uns Männer hat schon Aristophanes das entscheidende Wort in den Schlußworten der »Lysistrata« gesprochen, die ich in freier Nachdichtung wiedergebe:

Quält euch der Weiber Tücke noch so sehr,
Ich rate euch: Seid duldsam und verträglich!
Denn mit den Frau'n zu leben ist wohl schwer –
Doch ohne sie zu leben ist unmöglich!

Oscar Blumenthal.

 

Freie Sexualwahl.

Elvira war eine Operndivette
Von ganz bezaubernder Silhouette
Und hohen künstlerischen Talenten,
Wie ihre Kritiken bezeugen könnten,
Die oft sie als unvergleichlich priesen
Und meistens aus vollen Backen bliesen.
An Anbetern hat es ihr nicht gefehlt;
Wie viele? ich hab' sie nicht gezählt,
Die sie mit offenkund'gem Verlangen
Und brennend heißen Blicken verschlangen.
Noch hatte sie keinem, der sie verehrt',
Mehr als die Hand zum Kusse gewährt,
Doch jetzt, inmitten des Karnevaljubels,
Umgeben von Wogen erotischen Trubels,
Jetzt lud sie die Freunde ein zum Souper
Und sie enthüllte schon beim Entree
Ein Liebesprogramm, von Versprechungen heiß;
Sie setzte sich selber aus als Preis
Für eine Bewerbung, fein ausgedacht:
Dem wollt sie gehören noch diese Nacht,
Der sie am meisten, publik und privat,
Verherrlicht hatte in Wort und Tat.
Ein jeder sollte beichtend bekennen
Und seine Huldigungen benennen,
Dann würde sie einem als Preis sich spenden
Und ihn umhalsen mit liebenden Händen,
Worauf dann die anderen Konkurrenten
So still als möglich verduften könnten.

Der erste begann, Komponist von Beruf;
Er sagte dem Fräulein Elvira: ich schuf
Mit all meinem Können und meinem Genie
Eine große Oper expreß für Sie;
Sie haben, vergötterte Sängerin,
Die mächtige Titelrolle darin,
Gestaltet nach transzendenter Idee,
So schwer wie Elektra plus Salome;
Die Oper ist zwar noch nicht angenommen,
Doch bin ich sicher, das wird noch kommen,
Herr Hülsen hat mir bereits versprochen,
Er würde sie prüfen, in einigen Wochen,
Wenn Wagner und Humperdinck abgespielt,
Und Strauß bloß noch halbe Häuser erzielt. –
Dies ist meine Huldigung, teure Elvire,
Und nunmehr erwarte ich auch die Ihre.

Die Diva lehnte sich etwas zurück
Und sandte ihm einen dankbaren Blick.

Der zweite gehört' zum Geschlecht der Poeten:
Ich habe Apollo um Beistand gebeten
Und hundert Sonette, zum Bändchen geschichtet,
Expreß auf Sie, teure Dame, gedichtet.
Die Verse sind gut und die Reime integer,
Ich suche jetzt bloß noch einen Verleger,
Ich bin ganz sicher, den werde ich finden,
Dann kommt mein Opus zum Drucken und Binden,
Dann wird es gekauft, gelesen, gepriesen,
So habe ich meine Verehrung bewiesen.

Die Diva begann sich ein wenig zu fächeln
Und dankte mit vielverheißendem Lächeln.

Der dritte war ein Finanzmagnat,
Herr Salomon Stein, Kommerzienrat.
Er sprach: Ich habe aus Sympathie
Die ganze Claque bezahlt für Sie,
Das war allein im letzten Quartal
Ein stattlicher Draht, Donnerschocknocheinmal!
Von Ihren Erfolgen, die jedermann kennt,
Entfallen, so rechne ich, fünfzig Prozent
Auf die von mir besoldete Schar,
Die immer handgreiflich am Werke war.
Von mir aus, bitt' um Entschuldigung,
War's eine aufrichtige Huldigung.

Mißfallensgemurmel wurde gehört,
Und auch die Diva schien etwas empört.

Der vierte, Agrarier von reinstem Blut,
Monarch auf geräumigem Rittergut,
Erzählte, er hätte in Blumen gedichtet,
Das heißt: eine neue Rose gezüchtet,
Und ihr, dieweil sie so reizend erschien,
Den Namen » Elvira-Rose« verliehn.
Der fünfte, ein junger Astronom,
Wie keiner bewandert am Himmelsdom
Und eine der ersten Zelebritäten,
Der hatte entdeckt einen neuen Planeten
Und ihm nach dem Recht des Entdeckers soeben
Den sinnvollen Namen »Elvira« gegeben.
»Unsterblich habe ich Sie gemacht,
Sie glänzen da droben als Stern in der Nacht,
Und wenn auch alle Theater vergehn
Ihr Nimbus am Himmel wird ewig bestehn!«

Der sechste stand auf, Musikrezensent:
»Meine Lage ist schwierig, ganz evident;
Mit solchen Taten, wie eben erschienen,
Vermag ich in keinem Falle zu dienen,
Denn was ich für Sie als Leistung entfaltet,
Hat sich durchaus negativ nur gestaltet.
Und doch! Ich war es, der Sie geadelt
Im Reiche der Künste, – Ich hab' Sie getadelt!
Wann jemals ein Solo Ihnen verhagelt,
Ich hab's in der Presse stets festgenagelt,
Ich habe verwiesen, ich habe moniert
Und niemals beschönigt und nie karessiert,
Vielmehr mit tadelnden Analysen
Den Weg zur Vollendung Ihnen gewiesen.
Euch hielt ich das schärfste Spiegelbild vor,
Sie blickten es an und wuchsen empor;
Nun scheiden Sie zwischen Verdienst und Reklame,
Ich harre getrost Ihres Spruchs, meine Dame.

Elvira bis ans gewellte Haar
Errötete, lispelte: das ist ja wahr!
Sie blickte hinüber zum Kritikus,
Sie konnte kaum meistern der Tränen Erguß,
Stand auf und wankte mit taumelnden Füßen
Den preiserringenden Gast zu begrüßen,
Und warf sich – das glaubt man mir jedenfalls –

* * *

Dem Herrn, der die Claque bezahlt', an den Hals.
Worauf nach verschiedenen Horizonten
Die übrigen sämtlich verduften konnten.

Alexander Moszkowski.

 

Der zerstreute Liebhaber.

Ein Mädchen lernt' ich gestern kennen,
Wie's noch entdeckt hat kein Poet.
Ich kann mich von dem Bild nicht trennen,
Was deutlich mir vor Augen steht.

In Ehrfurcht nahte ich, in scheuer,
Dem Mädchen – oder war sie Frau?
Ihr braunes Auge sprühte Feuer, –
Wie! oder war ihr Auge blau?

Es hing ihr Haar so weich wie Flocken
In feste Zöpfe eingedämmt.
Im Winde flatterten die Locken, –
Ja, oder ging sie glatt gekämmt?

Ein Duft entströmte ihren Flechten
Wie Nelken, die der Tag durchsonnt.
An Schwärze glich ihr Haar den Nächten, –
Nein, rot war's – oder weizenblond.

Ihr Mündchen kirschrund, polsterlippig, –
Nein, fein und blaß, als wär' sie krank.
Ihr Körperchen klein, breit und üppig, –
War die Figur nicht hoch und schlank?

Und munter, stets zum Schwatzen neigend,
Trieb sie auch mich zum Plaudern an.
Nein, sie verhielt sich ernst und schweigend,
So weit ich mich besinnen kann.

»Darf ich Sie morgen wiedersehen?«
So hab' ich sie verliebt gefragt.
Sie war bereit, drauf einzugehen, –
Ja – oder hat sie Nein! gesagt?

Ich schrieb mir ihre Wohnung nieder, –
Daß ich das Blatt nicht finden kann!
Doch treff' ich sie, ich kenn' sie wieder ...
Das heißt: wenn ich nur wüßt', woran?!

Sigmar Mehring.

 

Börsenromantik.

Mein Liebster ist ein Börsenmann
Und nennt sich Isidor;
Wenn er es irgend machen kann,
So kommt er bei mir vor.

Er liebt mich sehr, doch das Geschäft
Versäumt er nie dabei.
Ganz sicher auf der Börse trefft
Ihr ihn von eins bis zwei.

Dort mit Effekten handelt er
Und handelt schlau und kühn.
Nie hat gefallen mir so sehr
Ein Jüngling in Berlin.

Sein Name ist, soviel ich weiß,
Ein Name guten Klangs.
Mein Liebster gilt im Freundeskreis
Als Jobber ersten Rangs.

Nein, ob das Agio steigt, ob fällt,
Mich liebt er immer doch.
Noch hat er nicht das ganze Geld,
Allein er kriegt es noch.

Für den mein Herz beständig schlägt,
Wie hab' ich ihn so gern!
Hochfein ist alles, was er trägt,
Sein Hut stets hochmodern.

Und was er denkt, das ist so hehr,
Und was er spricht, so süß.
Zwar ein klein wenig lispelt er,
Doch mir gefällt auch dies.

Noch hat er's nicht soweit gebracht,
Daß er mich könnte frein;
Doch wenn er glücklich Pleite macht,
Dann soll die Hochzeit sein.

Johannes Trojan.

 

Luise.

»Mein Kind, durch Frühlingswiesen
Möcht' wandeln mit dir ich allein!«
So sprach ich zu Luisen – –
Sie sagte nicht ja, noch nein.

»Ich möchte durch einsame Schründe
Hinschweben an deinem Arm,
Durch Klippen und felsige Gründe –«
Sie war nicht kalt noch warm.

»Ich möchte in winzigem Häuschen
Dich hätscheln fort und fort – –«
Das liebe blonde Mäuschen
Sprach nicht ein einziges Wort.

»Ich möcht' dir ein Ständchen bringen,
Eh' noch die Sonne stieg,
Viel Lieder möcht' ich dir singen –«
Doch schön Luischen schwieg.

»Ich möchte im Autowagen
Mit dir nach Italien gehn – –«
Da endlich hör' ich sie sagen:
»Erst muß ich den Wagen sehn.«

Fritz Engel.

 

Der aufrichtige Dichter.

Oeder Wissenschaft noch nie
Hab' ich mich beflissen,
Auch die Kunst und Poesie
Könnt' ich ruhig missen,

Wenn nur meines Leibgerichts
Hochgenuß mir bliebe!
Über Bratwurst geht mir nichts,
Nicht einmal die Liebe.

Johannes Trojan.

 

Rund um die sogenannte Liebe.

Der Wahn ist kurz.

Es war am Tage nach der Hochzeit. Mißmutig saß der Ehemann mit seiner jungen Frau beim Frühstück. Sie hatte ihm alles gestanden; daß ein künstliches Gebiß viel hygienischer sei als ein natürliches, daß nur Frauen ohne Kultur ihr eigenes Haar tragen, und daß ihr Papa vor der Pleite stehe. Es klingelte. Der Maler war da. Am Eßtische hatte sich etwas Politur gelöst; die Stelle wollte er ausbessern. Einmal fuhr er mit dem Pinsel über die Hosen des Ehemanns. »Bemühen Sie sich nicht«, sagte der Unglückliche, » ich bin schon lackiert!«

Ein Geriebener.

Auf der Reede von Funchal. In der smaragdenen Flut ein Dutzend Kanoes, bemannt von portugiesischer Jugend. Schreiend und lachend tauchen die braunen Lümmels nach den Geldstücken, die vom hohen Bord des gewaltigen Passagierdampfers fallen, Über die Reeling lehnen einen entzückende Blondine und ein etwas behäbiger Herr.

»Mein Freund«, sagte die Dame, »Sie sprechen mir immer von Ihrer Liebe, die jeder Tat fähig wäre. Wohlan, jene Jungen da tauchen nach elenden Nickelmünzen. Springen Sie hinab! Ihrer wartet ein höherer Preis: Hier meine Hand!«

Der Herr, gleichmütig sein Jackett ablegend: »Schön, –> schmeißen Sie se runter!«

Verfehlte Hilfe.

Der Schmückebrot war ein Säufer. Nachdem seine Frau vergeblich versucht hatte, ihn durch moralische Einflüsse zu bessern, ging sie zu einer Hellseherin und erzählte ihr den Fall haarklein. Die Hellseherin fiel darauf in Trance. »Ha, ich sehe ihn, den Schmückebrot«, sagte sie, »ich sehe ihn vom Kopf bis zum Fuß. Nicht wahr, er säuft?« – »Ja«, stammelte Frau Schmückebrot zitternd. – »Ich sehe seine verwundbare Stelle. Ha, so ist es! Du sollst eine Nadel nehmen und sie um Neumond in Alkohol tauchen. Die Nacht darauf sollst du an sein Bett treten und die Nadel tief in die große Zehe des rechten Fußes bohren ...«

Hier erwachte das Medium, denn Frau Schmückebrot stieß sie an und sagte elegisch: »Det Mittel is jut, aber ick kann nischt mit anfangen; Schmückebrot hat 'n Holzbeen

Nie rechtzumachen.

Ich traf den Schimmelbier in miserabler Laune. »Wenn einer Pech hat!« knurrte er. »Erinnern Sie sich, im vorigen Jahr, wie meine Frau in dem kleinen Fesselballon saß, und wie die Haltetaue rissen? Ein Fachmann sagte mir damals, wenn sie nur fünf Pfund leichter gewesen wäre, hätte ich sie nie wieder gesehen. Ich bin dann im Sommer mit ihr nach Marienbad gefahren, und sie hat da fünf Pfund abgenommen ...«

»Na, und nun?«

»Und nun?« schrie Schimmelbier wütend, »nun geht sie beim Schlittschuhlaufen auf eine unsichere Stelle, und der Pächter sagt mir, wenn sie fünf Pfund mehr gewogen hätte, wär' sie eingebrochen!«

Anknüpfung.

Auf der Redoute erscheint eine Maske, deren Kostüm über und über mit Zeitungsausschnitten beklebt ist. Ein junger Mann im Frack tritt an sie heran:

»Schöne Maske, was stellst du vor?«

»Ich bin die Annonce!«

»Das trifft ja ausgezeichnet, – ich bin nämlich Annoncen-Akquisiteur.«

Georg Mühlen-Schulte.

 

Frauentreue.

Ich neide nicht dem reichsten Fürsten
Die Sonnenhöhe seiner Macht,
Wenn mir im Arm mein treues Liebchen
In ungeteilter Liebe lacht.

Da ist der Fürst, mit mir verglichen,
Doch nur ein bettelarmer Mann,
Weil er mit allen seinen Schätzen
Sich nicht mein Liebchen kaufen kann.

Mein Fürst – mir scheint, du lächelst spöttisch?
Gut, gut, mein Fürst, versuch' es nur,
Versuch', ob sie um goldne Berge
Mir bricht der Liebe Treueschwur!

Versprich ihr doch ein Schloß im Walde,
Versuch's mit köstlichem Geschmeid,
Versprich ihr Diener, Wagen, Pferde,
Ein golddurchwirktes Fürstenkleid.

Versuch's mit allen Erdengütern
Und sieh ihr prüfend ins Gesicht,
Sie wird – oh doch – bestimmt – ich hoffe –
Ach, lieber Fürst, versuch' es nicht!

Felix Josky.

 

Unentrinnbar.

Des Frauenlachens Melodie,
Du fliehst vor ihr und findest sie.

Sie trifft dich, rätselhaft vertauscht,
So oft der Garten nächtlich rauscht,

In einer Geige fernem Klang,
In eines Kindes Spielgesang,

Wenn Regen weich herniederrinnt,
Im Becherklirrn, im warmen Wind

Und füllt dein Herz und macht es weit
Und kühn und schwach und glückbereit.

Bruno Frank.

 

Zeichnung von F. de Bayros.

Zeichnung von M. Claus.


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