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Zweiunddreißigstes Kapitel.

Eine Reihe von Jahren war vergangen, da erscholl die frohe Kunde durch das Land, dem Herrn Markgrafen Ludwig Georg und seiner Gemahlin Maria sei der heißersehnte Erbe geboren. Fünf Wochen später hielt ein großer Reisewagen vor dem Hause des Geheimen Rat von Wiedebar und brachte ihm, wie alljährlich im Frühling, den Besuch seiner Tochter und ihres Gatten mit einem Gefolge von kleinen Wiedebars und deren Bedienung.

Sabine hatte den Oberstock des väterlichen Hauses für sich und ihre Familie eingerichtet.

Sabine von Wiedebar ist eine glückliche Frau und Mutter, welche, mit dem trefflichen Rudolf fleißig und sparsam auf Schloß Wiedebar wirtschaftend, sich allgemeiner Liebe und Achtung erfreut und sich in der reizenden Stieftochter wieder jung fühlt.

Als sie am ersten Abend ihrer Ankunft in der großen Stube saßen, welche nach dem Schloßplatz hinausging, sahen sie hinter demselben einen dichten schwarzen Rauch aufsteigen. »Feuer! Feuer!« schrien die Leute.

»Da ist der Waidling, der soll uns Auskunft geben!« rief Rudolf.

»Es ist keine Gefahr, Ew. Gnaden«, gab er mit ernster Miene zur Antwort. »Ihr wißt, wie unsere arme Durchlaucht Mutter einmal ist! je devoter sie sich beweist, um so strenger ist der Pater Isidorus, sagt er doch, ihr Herz hinge am heidnischen Wesen und liebte es, die Götzenbilder der Griechen und Römer zur Augenlust zu machen! Da verbrennt er einen Haufen schöner Bilder und allerlei sonstige Kostbarkeiten und seltene Kunstwerke, welche unserer armen Durchlaucht einzige Freude in der Einsamkeit waren. – Der Herr Markgraf hat protestiert, aber Ihro Gnaden Mutter folgen dem Pater in allem. Sie selbst aber ist schon seit Wochen wieder in der Kapelle der Favorite eingeschlossen, da büßt sie mehr als je, damit, wie sie sagt, die Sünde der Eltern nicht auf die Kinder komme.«

Der Freiherr schüttelte ohne erstaunt zu sein den Kopf. Im ganzen Lande erzählte man sich die Einzelheiten dieser alljährlich wiederkehrenden Einschließungen in jene Kapelle.

Dort hing das Bild der sterbenden Anna Maria gegenüber der Binsenmatte, auf welcher der zartgewöhnte Leib der Markgräfin nachts den Schlaf suchte.

Dort lag die Geißel, der drahtgeflochtene Stachelgürtel, womit sie sich kasteiete, dort lebte sie von der einfachsten Nahrung in unausgesetztem Beten und Büßen, und die in Wachs lebensgroß nachgebildeten Gestalten des Heilands und vieler Heiligen bildeten ihre schauerlich gespenstische Gesellschaft; selbst die treue Mettler fand nur zeitweise Zutritt.

Seit Augusta von Orleans nach der Geburt eines Sohnes in den Armen der Mutter gestorben war und als letztes Wort ihr zuflüsterte: »Grüßet Friedrich von Durlach, Mutter, ich habe ihn mehr geliebt, wie ich selbst damals wußte –«, seitdem war in Sibylla der letzte Halt ihres sonst so festen Charakters gebrochen.

Die Taufe des jungen Thronerben fand eine Woche nach Sabines Ankunft in Rastatt statt.

Ihr Vater, sie und ihr Gatte und zu Elsbeths größter Freude auch diese waren eingeladen, derselben beizuwohnen.

Die strahlende Freude des markgräflichen Ehepaares äußerte sich in der Huld und Güte gegen ihre Gäste, unter welchen der Erbprinz von Durlach mit seiner Gemahlin und seinem Söhnchen unerwartet, aber große Freude bringend, erschien. Er war ein stiller, verschlossener Mann geworden, der mit außergewöhnlicher Liebe an dem markgräflichen Vetter hing.

Die kronengeschmückte Wiege des Täuflings umstanden alle jene Treuen, die dem jungen Herrscher seit Jahren ergeben waren. Am Arme des Grafen Eberstein, des ersten Ministers Markgraf Ludwigs, der mehr als achtzigjährige Baron von Plittersdorff, Schilling und Grunthal, sie alle konnten nicht genug versichern, wie froh sie waren, Frau Sabine wiederzusehen.

Auch Markgräfin Sibylla erschien zu dem Feste – eine hagere Frau mit bleichem Antlitz und schwärmerischen, leuchtenden Augen. Der tiefe Zug des Leidens und angestrengten Denkens war an die Stelle jener immer gleichen Heiterkeit früherer Zeiten getreten.

»Segen und Heil unserer verehrten Frau Markgräfin Sibylla!« riefen ihr die Gäste ihres Sohnes entgegen.

Sie neigte mit einem hellen Aufleuchten des Blickes würdevoll dankend das Haupt.

Später, als überall die größte Heiterkeit herrschte und man in dem großen Saale musizierte, stand Sibylla allein an der reichgeschmückten Wiege des Täuflings, da nahte ihr ein wohlbekannter Schritt. Sie blickte auf.

»Eberstein! Ihr! So kommt Ihr also doch noch einmal wieder zu mir?« rief sie in wehmütiger Freude.

»Meine teure, geliebte Herrin! Es trieb mich, Euch an der Wiege dieses Kindes anzuflehen: Laßt diesen unseligen Kummer fahren! Seht, der Himmel gibt Euch ein sichtbares Zeichen seiner Gnade, hoffet wieder!«

»Der Knabe wird nicht leben, Eberstein! Mein Stamm erlischt, und die lutherischen Markgrafen von Durlach werden Herren dieses Landes sein!« sagte sie düster.

Es durchschauerte ihn. Sie glich einer Prophetin.

»Gottes Wille geschehe!« sagte er und küßte ihre Hand.

Eine volle, herrliche Männerstimme intonierte eben im Saale den Psalm: »Herr, deine Güte währet ewiglich!«

Es ist Siegfried Bilky, nicht mehr schön und jugendlich, aber genesen und ein glücklicher Mann, die rechte Hand seines fürstlichen Freundes; neben ihm steht Charlotte, an seine Knie lehnt sich ihr kleiner vierjähriger Sohn, der die blonden Locken des Vaters mit den braunen Augen der Mutter vereint und der plötzlich unaufgefordert seine Kinderstimme erhebt: »Währet ewiglich!«


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