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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Im Rastatter Schlosse wurden die letzten Vorbereitungen für die Hochzeit getroffen, welche Sibylla mit größtem Glanz zu feiern dachte. Der Bischof hatte die Einsegnung der Ehe übernommen, – morgen schon wurden der Verlobte und sein Gefolge erwartet, – ebenso auch die meisten andern fürstlichen Gäste.

Die Markgräfin fühlte sich sehr ermüdet und war für diese letzten Tage nach dem Schlosse Favorite gegangen, um in Einsamkeit zu ruhen. Ihre Gesundheit war nicht so gut wie sonst und vor ihr lag so viel Anstrengung und Unruhe. Erst die Hochzeit – die schon längst geplante Abreise ihrer Söhne, und darauf wieder Abschluß ihrer Regentschaft, – ach, – und dann –? Dann trat sie ab von der Bühne des Lebens – sie, die Gefeierte – die Herrschgewohnte!

Sibylla seufzte leise. – Der letztere Gedanke legte sich wie ein grauer Schleier über die Freude der Gegenwart.

Die Markgräfin hatte sich, statt zu ruhen, wie sie gewollt, ganz müde gearbeitet; Plittersdorff und Wiedebar nahmen soeben von ihr Abschied, als Laudrum sich noch melden ließ. »Sie bitte ihn, sie heute zu verschonen! Es werde ihr zuviel!« mußte der Page zurückberichten. Aber derselbe kam sofort noch einmal. »In dringender Sache lasse der Herr Landvogt gehorsamst ersuchen.« – »Nun, so sei es!« unterwarf sie sich.

»Was ist, Laudrum? Ihr bringt Wichtiges?« fragte sie, dem Eintretenden ins Gesicht blickend. »Wegen der Prinzessin –?«

»Nein, – Frau Markgräfin, – oder ja! Wir werden bald sehen. Ihr habt mir die Überwachung Eurer Prinzessin Nichte anvertraut, das heißt vielmehr des Herrn Grafen Bilky, Euren Pflegesohn. Hier sind drei Brieflein des Herrn Fürsten Landin an die Adresse des Herrn Grafen Bilky. In jedem liegt ein anderes an die Prinzessin – und in den beiden ersten nur ein Zettelchen mit kurzen Worten für Euren Pflegesohn. Ich ließ sie mir von dem Postreiter ausliefern. Seht hier Nr. 1.

›Alles wird gehen, habe mit dem Grafen Kolowrat geredet. Nimmt großen Anteil an Euch – wird nachforschen, kannte Euren Herrn Vater.‹

Dann Nr. 2.

›Muß zum Fürsten Apaffy, nach Siebenbürgen, – kann selbst auf der Reise genaue Nachfragen halten, – Graf Kolowrat wird sich an kaiserliche Geheimkanzlei für Euch wenden.‹«

»Was will denn der Bilky?« stieß erbleichend die Markgräfin hervor.

»Hier ist Nr. 3, durchlauchtige Frau! Ich verstände diesen Brief nicht, wenn ich nicht inzwischen leider so viel mehr erfahren. Lest nur, seht vorerst, dieser Brief ist aus Pest und ebenfalls vom Fürsten Landin.

›Teurer Graf!

Ich bin auf der Heimreise, hoffe in Wien Briefe von Euch und Eurer Schutzbefohlenen zu finden. Habe für Euch die besten Nachrichten, doch muß alles wegen des Euch zustehenden Erbes mit größter Vorsicht betrieben werden. Schicke Euch von Wien ab einen Expreßboten nach Baden-Baden in das Wirtshaus zum Weinfaß. Er bringt allerwichtigste Nachrichten. Sorgt, daß Ihr ihn treffet und entlaßt ihn ohne Gefährde.‹«

»Nun ja – und –. Es handelt sich um eine Anstellung. Der Siegfried hat mit meinem Sohne geredet, und ich denke, das war's, was ihn mit Landin so vertraut gemacht«, sagte Sibylla sich erhebend und unruhig auf- und abgehend. »Er suchte leider bei Österreich, was ihn hier nur eine Bitte kostete; dieser verführerische Fürst Landin hat ihn betört, um an ihm einen Vermittler bei der Prinzeß Anna zu gewinnen, – und schlimm genug – der Friedel hat sich fangen lassen. Anscheinend mag auch seine Herkunft damit zu tun haben – ich deute die Nachfragen in Ungarn darauf.«

Immer unruhiger klang der Ton der Markgräfin, ihr ging so manches durch den Sinn! Sie hatte in dieser Brautzeit ihrer Augusta viel zu wenig darüber nachgedacht. »Habt Ihr den Boten aus Wien etwa festgehalten?« fragte sie.

Der Landvogt nickte. »Ich habe ihn. Viel klüger bin ich freilich nicht geworden. Seht her, diesen Brief hatte der Mann an den Grafen. Es ist der vierte des Fürsten:

›Ich bin in Wien und finde nicht einen Brief! Man unterschlägt also unsere Korrespondenz! Von allem was ich für Euch habe – die bündigsten Beweise – die Zeugnisse von Waffenbrüdern Eures Herrn Vaters, schicke ich nichts. Eure Mutter ist kein hergelaufenes Türkenmädel, sondern eine Ungarin von edlem Hause. Eure rechtmäßige Geburt sollt Ihr beweisen können. Ihr müßt unverzüglich Urlaub fordern und nach Wien kommen. Kaiserliche Geheimkanzlei wird Euch bei Erlangung Eures Erbes behilflich sein; auch steht Euch mein Einfluß und der wichtigere meiner Freunde zu Diensten. Bringt mir Nachricht von der Prinzessin; man will mich an die Gräfin Truchseß verheiraten, aber ich weigere mich. Glaubt keinem Gerücht der Art – ich bleibe der Geliebten treu. Bestätigt ihr mündlich, was meine Zeilen ihr darüber sagen. Befreit mich bald aus meiner Angst und Sehnsucht

Euer
Landin.‹«

Die Markgräfin interessierte sich mehr als für Bilkys Wünsche für das, was Landin und die Prinzessin betraf.

»Ein Glück, Laudrum, daß Ihr so eifrig Eures Amtes waltetet; es ist ein Großes, treue Diener zu haben, welche auch ohne Befehl das Richtige klug zu rechter Stunde zu tun wissen. Die Prinzeß ängstigt mich – wie ein Vogel im Käfig zerschlägt sich das arme Ding die Flügel, und ich kann ihr nicht Linderung bringen, denn sie muß – sie muß resignieren.«

»Frau Markgräfin, Ihr seht nur die unliebsame Heirat Eurer Nichte – und nicht den Hochverrat des Grafen Bilky?« sagte Laudrum fast zornig.

»Hochverrat? Was fällt Euch ein, Herr Landvogt?«

»Im Volke klagt man den Grafen Bilky der Absicht des Hochverrats an, Durchlaucht, und diese Briefe liefern nahezu die Beweise.«

»Laudrum!« Fast drohend klang der Ruf – Sibyllas Augen blitzten, und doch war ihr, als griffe eine Geierkralle nach ihrem Herzen. »Redet, Laudrum! Ihr seht aus wie ein Unheilsbote!« sagte sie mühsam.

»Frau Markgräfin – es geht ein Gerede durch das Land, Graf Bilky plane Hochverrat. Er wolle sich – verzeiht mir, daß ich wiederholen muß, was man spricht, er wolle sich, als der älteste, rechtmäßige Sohn Eures in Gott ruhenden Gemahls ausweisen. Alte lügenhafte Geschichten werden wieder hervorgeholt und wie immer noch mehr dazu erfunden.«

»Laudrum!« rief Sibylla tadelnd: »Ihr solltet vernünftiger sein, als diesen Wahnsinn vor meine Ohren zu bringen!«

»Meine durchlauchtige Frau, es ist Wahnsinn, aber das ganze Land, arm und reich, flüstert davon! Die Fatme hat von nichts anderem geredet, da sie auf Ebersteinschloß saß.«

Eine leidenschaftliche Erregung bemächtigte sich Sibyllas.

»Haltet Ihr für möglich, daß der Siegfried mir das antun könnte? Alles Torheit und schändliche Lüge! Das ist es, Laudrum, meiner jungen Jahre Verkehrtheit wendet sich in meinem Alter gegen mich, mein seliger Herr und Gemahl war brav und ehrenwert, allem unsittlichen Leben feind«, rief die Markgräfin schmerzvoll.

»Durchlaucht, was man im Volke spricht, ist unsinniges Geschwätz, aber seht Ihr nicht, daß dieser Fürst Landin von Bilkys Mutter, als einer vornehmen Adligen, schreibt? Wie weiß Landin von dem Gerede über die Leila? Wie weiß Graf Bilky davon? Ist hier nicht die Spur der Fatme?«

»Laudrum! Herr Landvogt, Ihr kennt den Friedel! Er ist wie ein eignes Kind gehalten!«

»Das spricht leider Gottes bei dem eitlen Burschen genugsam für die Annahme, daß es mit seiner Herkunft Absonderliches auf sich habe!«

»Ihr hattet ihn immer gern, Laudrum!«

»Darum eben! Ich könnte mich selber darum zerreißen!«

»Aber traut Ihr ihm denn die Schlechtigkeit zu? Ist denn dergleichen möglich?«

»Ach, Frau Markgräfin! Ist nicht Undank der Welt Lohn von Anbeginn? Seht Euch doch nur um, blickt doch nur zurück auf Euer eigen Erlebtes, so werdet Ihr nicht mehr fragen, ob es möglich sei!« sagte der Landvogt finster.

Die Markgräfin fuhr mit ihrem Tuche über die Stirn.

»Die Fatme? Wohin ist sie gekommen?« fragte sie dann nach qualvollem Schweigen.

»Sie war, wie Ihr wißt, Durchlaucht, wie vom Erdboden verschwunden. Jetzt hat man in Erfahrung gebracht, daß sie bettelnd gesehen worden sei, meine Reiter sind aufgeboten, wenn sie im Lande ist, wird man sie finden.«

»Und die Scholastika! In aller Unruhe hab' ich sie völlig vergessen. Habt Ihr sie inquiriert?«

»Das Weib ist tückisch und starrköpfig wie wenige, und wird man zur Torquierung schreiten müssen!«

»Und dies alles jetzt! Wo ich nicht aus noch ein weiß, wo ich die Hochzeit halten soll und lächeln und fröhlich sein!« rief die Markgräfin aus.

»Wenn Ew. Durchlaucht mir auftragen will das Erforderliche zu tun, so mögt Ihr ruhig Hochzeit halten, ich werde für Euch wachen!« sagte der Landvogt.

Sibylla zögerte. »Werdet Ihr auch immer denken, er könnte weniger schuldig, wohl gar ein Betrogener sein, Laudrum?«

»Ich habe keinerlei Haß, sondern Freundschaft für den Toren gehabt; sein fröhliches Wesen hat mich auf der Jagd letzten Frühling noch wünschen lassen, daß er mein Sohn wäre! Jetzt sehe ich in ihm nur einen Elenden, der Euer Feind ist, der seinen Wohltäter –«

»Ihr habt recht, Laudrum! Inquiriert die Scholastika, ergreift mir diese Fatme! Verhaftet Siegfried, – vor allem Mustapha, aber ohne Aufsehen!«

»Seid ohne Sorge, Herrin! – Und was soll ich mit dem Boten des Fürsten Landin tun?« fragte Laudrum noch.

»Haltet denselben fest, wenn Landin auf ihn wartet, sind wir sicher vor ihm.«

Sie war allein! Hochverrat! Siegfried Bilky! Er, Markgraf Ludwig Wilhelms ältester rechtmäßiger Sohn? Sibylla fühlte sich wie im Fieber. Es war ja lächerlich, aber auch so unglaublich elend und niederträchtig! Doch diese Briefe Landins! – »Ihr seid nicht eines hergelaufenen Türkenmädels Sohn.« – Dieser Satz, dieser eine Satz sprach für Laudrums Auffassung mehr, als alles andere.

Anna Marias Herzweh, ihre Angst und Sehnsucht waren vergessen vor der neuen Sorge, die, wie Sibylla jetzt klar wußte, gleich einer dunklen Wolke schon lange über ihr geschwebt!

*

Der Tag der Hochzeit war gekommen. In ihrem Betzimmer im Schloß zu Rastatt, wo die Feier stattfinden sollte, lag die Braut auf den Knien, schon angetan mit dem rauschenden Gewande von Silberbrokat, umwallt von den kostbarsten Spitzen, das schöne blonde Haar unter dem Puder versteckt und die vom Myrtenkranz umschlungene Herzogskrone auf dem jugendlichen Haupte. Sie wollte beten, denn ihr war todestraurig zumute.

»Hilf mir, mein Gott, daß ich deinen Willen tue!« seufzte sie zuletzt. »Und hilf auch –« Da tat sich die Tür sachte auf und die Mettler, welche die Mutter heute der Tochter überlassen, flüsterte herein: »Der Herr Markgraf Karl und Erbprinz Friedrich sind angekommen, und die Frau Mutter Liebden läßt bitten –«

»Der arme Friedrich! Sei stark, mein Herz!« flog es Prinzeß Augusta durch den Sinn. Sie erhob sich. Ungeduldig kam schon ihr Bruder, sie zu holen. Er sah schön und strahlend aus. »Wünsche mir Glück, Augusta, ich folge dir bald nach!« sagte er leise.

»Maria von Schwarzenberg?« flüsterte sie, plötzlich alles klar sehend. Er nickte.

»Die arme Mutter!« dachte die Braut. Aber sie sagte das nicht, sondern etwas ganz anderes, was sie kaum bedacht: »Gott segne dich! Sei mutig und laß dir dein Glück nicht rauben!«

Markgraf Ludwig sah einen Moment äußerst betroffen aus. Aber schon raffte seine Schwester sich auf. »Komm, es muß sein!« sagte sie mit zuckenden Lippen. Sie war sehr blaß geworden und hatte ein sonderbar erschreckendes Aussehen. Da sie aber sich der Tür zuwendete und eilig schien fortzukommen, führte er sie in das Zimmer seiner Mutter, wo die Verwandten der Braut harrten.

»Nun, holdes Bräutchen, was habe ich im Sommer prophezeit von dem Nachbarsohn?« rief Markgraf Karl der Prinzessin entgegen und umarmte sie mit der Lebhaftigkeit und Wärme eines hocherfreuten Onkels. Zugleich meldete man, der Herzog Louis sei soeben vorgefahren. Prinzeß Augusta hörte nichts davon. Sie sah nur ihren Vetter, den Erbprinzen, der hochaufgerichtet, blaß und zurückhaltender als je, neben seinem Vater stand. Stumm gaben sie sich die Hände. Kein Wort zwischen beiden. Nur ein Blick – ein Blick, in dem eine Welt voll Leid und Abbitte lag. Und da stand der Bräutigam! Wahrlich, ein echter Fürst! Vornehm und selbstgewiß und dabei doch ein wirkliches Herzensglück, die höchste Freude in jeder Miene, eine Freude, die ihn, den Stolzen, sogar demütig machte. Sein Blick flog zu der schönen Braut, die jäh in dunkelster Glut errötend und wieder zur Lilie erblassend dastand.

Die Flügeltüren wurden aufgerissen. Der Hofstaat, im Thronsaale versammelt, rief jubelnd dem Brautpaar entgegen, die Musik ertönte und unter ihren frohen Klängen reihte sich der festliche Zug, um in die Schloßkirche zu gehen. Augusta von Baden schritt an der Hand Markgraf Karls durch die Scharen des jubelnden Volkes. Von dem Augenblick an, da sie den Weg zum Altar antrat, war ihre ganze Seele losgelöst von jedem irdischen Gedanken außer dem einen: »Sei mit mir, mein Gott und Herr!« Dazwischen hinein sang der Chor wie mit Engelstimmen das: »Gegrüßet seiest du im Namen des Herrn – sein Segen soll ruhen auf dir von nun an bis in Ewigkeit!« Und der Bischof sprach von der Liebe und Treue »und sollt euch nicht scheiden, es sei denn, daß der Tod euch scheide!« Und dann wieder Chorgesang und Orgelklang und dröhnende Freudenschüsse.

Das junge Paar ging aus der Kirche zum Festmahl, und Herzogin Augusta faßte ihres Gemahls Hand fester als nötig; an ihm – an seiner Hand sollte sie sich nun halten – »bis der Tod uns scheidet«. Der Herzog lächelte glückstrahlend über diesen »Zärtlichkeitsbeweis« und küßte voll aufrichtiger Rührung die kleine Hand.

Der Erbprinz Friedrich von Durlach aber bestieg gleich nach der Trauungszeremonie einen schon bereitstehenden Wagen und fuhr darin seiner Heimat wieder zu. Markgraf Karl raunte dann mit befriedigter Miene der Markgräfin Sibylla zu: »Ihr werdet meinen Sohn entschuldigen, Ew. Liebden, er hat nun seiner Cousine durch Beiwohnung der Trauungszeremonie die gehörige Ehrerbietung bewiesen, und ist daher soeben abgereist. Wir haben Euch bewiesen, daß wir hohen Wert auf die Anknüpfung dieses neuen Familienbandes legen – wenn aber das Gerücht – Ihr wißt schon – die Prinzeß zeigte sich gleich damals in Baden-Baden sehr scharmiert von dem österreichischen Herrn – so würden wir dieser etwas absonderlichen Geschmacksrichtung allerdings nicht hinderlich sein mögen.«

Markgräfin Sibylla wurde blaß vor Ärger und Schrecken. »Anna Maria ist eine Törin, welche aus kindischem Trotz und Übermut einer Laune nachgibt, Herr Vetter von Durlach. Wie Ihr seht, ist auch der Herzog von Bayern auf seinen ausdrücklichen Wunsch zu unserem Feste geladen – er wirbt um Anna Maria –, o, warum ließet Ihr den Erbprinzen reisen?«

»Laßt uns die Hoffnung, sie auf den rechten Weg zu führen, nicht aufgeben, es ist ja an Euch, Eure Nichte zu beeinflussen!« sagte er, ihr die Hand küssend.

Und wieder rauschte die Musik, die Becher klangen. Die französischen Kavaliere des jungen Herzogs Louis überboten sich an Versicherungen, daß der Hof der Markgräfin von Baden würdig sei, die Götter selber zu empfangen und daß »Sibylla« so viel heiße wie die Venus, die Juno und Minerva in einer Person dargestellt.

Die Markgräfin fühlte sich zufrieden. Erleichterten Herzens wandte sie sich ihren Gästen zu, bald mit dem Herzoge von Guise, mit dem ihr verwandten von Lothringen und dann wieder mit dem Kurfürsten von der Pfalz sprechend.

Aber was gab es dort am Tische denn? Welche Unruhe, warum sprang man auf? »Es ist Prinzeß Anna Maria, sie ist in Ohnmacht gesunken!« berichtete ein hinter der Markgräfin stehender Page. In Wahrheit! Da lag sie in den Armen Markgraf Ludwigs, blaß wie Marmor! Markgräfin Sibylla war bereits neben der Nichte. Auf einen Wink von ihr trug man die völlig Bewußtlose sofort durch die nächste Tür hinaus, der Leibarzt und Markgraf Ludwig folgten.

»Wie kam es nur?« fragten alle.

»Unbegreiflich!« erklärte der Herzog von Bayern.

»Wir plauderten ganz vergnügt just eben von dem Fürsten Landin, der die Gräfin Truchseß heiratet. Prinzeß Anna kannte beide.«

Und als Sibylla sich mit einigen bedauernden Worten an den Herzog von Bayern entfernte, welche dieser ebenso beantwortete, blickten die Hofleute einander bedeutsam an, und der Herzog starrte mit etwas verlegenen Mienen vor sich nieder.

Es gibt an den Höfen kleine Geheimnisse! Und dem Herzog von Bayern hatte irgendwer irgendwas ins Ohr geflüstert. Jetzt hatte er die Probe gemacht und wußte, woran er war. Angenehm empfand er seine Entdeckung nicht, das sah man wohl. Markgräfin Sibylla aber wußte jetzt auch, woran sie war. Also das Gerücht drang schon bis zu dem Herzog? Ob man auch in ihrem Adel davon wußte? – Da war der Verräter, dieser schöne, blonde, lächelnde Siegfried! Jetzt kam er direkt auf sie zu.

»Beunruhigen sich Ew. Durchlaucht nicht, Prinzeß Anna ist wieder zum Bewußtsein gekommen, nur leider nicht imstande, sogleich an die Tafel zurückzukehren!«

Ah! er war sofort gegangen, seine heimliche Verbündete zu sehen?

»So führe Charlotte von Windeck auf den Platz der Prinzessin, damit es dem Herzog nicht an einer Dame fehle!« nickte dankend die Markgräfin, außerstande, die Kälte und den Argwohn zu beherrschen, welche sie gegen Bilky empfand. Sie wußte auch wohl, daß sie ihm damit seine Dame nahm, daß die beiden sich liebten, trotz alles Haders und Streites in letzter Zeit. Aber was kümmerte sie das. Sie freute sich, ihn im voraus schon zu strafen. Die Mienen ihres Pflegesohnes verdunkelten sich auch sofort noch mehr.

»Ich habe Befehl, auf das Glück zu verzichten, Fräulein Charlotte, Eurer Nähe heute ferner froh zu werden! Ich muß Euch zum Herzog von Bayern geleiten, Ihr sollt ihm die Prinzessin ersetzen!« trat Bilky wieder an seinen Platz.

»Heuchelt nur, Graf Bilky, aber denkt nicht mich damit zu täuschen!« sagte Charlotte von Windeck, die reizend in ihrem ärgerlichen Erröten aussah, mit lächelnden Lippen und zornblitzenden Augen.

»Ach, Charlotte, so glaubt doch meinen Worten! Ich liebe Euch so von Herzen, aber was soll der arme Bilky Euch bieten? Tut mir doch nicht täglich so grausam weh mit Euren Stichelreden!«

»Bilky? Graf Siegfried?« stammelte das liebliche Mädchen und blickte ihn mit den braunen Augen glückselig – und doch bang an. War es ihm denn auch ernst?

»Habt Ihr das nicht längst gewußt, Charlotte? Gebt mir heute abend Gelegenheit, Euch zu sprechen! Sei heute abend beim Muschelpavillon, Charlotte, um acht Uhr, es wird ein warmer Abend werden, und, hörst du, acht Uhr! Darf ich hoffen?«

»Friedel, mein Gott, ist's denn wahr?« stammelte Charlotte. Er beugte sich auf ihre Hand zum zärtlichen Kusse, und seine Blicke sagten ihr die schönste, feurigste Antwort.

Die beiden Liebenden mußten sich trennen. Es war grausam hart! Und zum erstenmal in seinem Leben zürnte Siegfried Bilky der Markgräfin und nannte sie bei sich eine herzlose, rücksichtslose Despotin.

Allein an der Tafel hatte er Zeit, an das zu denken, was er soeben erlebt. »Ich hab' es nicht gewollt, der Himmel hat es so gefügt!« sagte er sich. »Und nun muß ich wissen, wer ich bin! Jetzt soll mich keine Macht der Welt davon abhalten, mein Schicksal zu erfahren! Wie komme ich fort? Wie stelle ich es an, daß ich selbst Nachforschung wegen meiner Eltern halte?« Das waren die Fragen, welche ihn vollständig in Anspruch nahmen.

Heiß stieg ihm bei dem Anblick aller sich ihm entgegenstellenden Schwierigkeiten das Blut zu Kopfe. Da flüsterte einer der Pagen ihm zu, Prinzeß Anna schicke eben nach ihm, sie wünsche ihn sofort zu sprechen. Ein flüchtiger, forschender Blick nach dem Tische der Markgräfin. Sie redete eben mit Eberstein, welcher hinter ihr stand, und bemerkte ihn nicht. Charlotte saß neben dem Herzog und sah jetzt zu ihm hinüber. Er legte zwei Finger an die Lippen; sie erwiderte lächelnd den Gruß. Dann aber sprach sie sofort wieder zu ihrem Tischnachbar. So konnte er seinen Platz unbemerkt verlassen.

Anna von Neuburg schickte bei seinem Eintritt sofort ihre Kammerfrau hinaus.

»Graf Bilky! Ihr müßt mir helfen, oder ich werde wahnsinnig. Ist diese Verlobung mit der Truchseß Wahrheit oder nur ein leeres Gerücht?« rief sie händeringend ihm entgegen. Er sah sie betroffen an, und als er ausrief: »Ihr werdet doch nicht so leichthin an die Untreue eines Mannes glauben, den Ihr liebt?« flog eine dankbare Rührung über ihr Antlitz.

Dann aber brach ihre Aufregung sich doch Bahn. »Meine Tante hat keine Briefe auffangen lassen, sie hat es mir selbst gesagt, und Ihr wart mit mir der Meinung, man könne ihrem Wort unbedenklich vertrauen!« rief sie händeringend.

»Nun, das bin ich noch jetzt, wenn sie so sagte!«

Das Ende aller Erwägung blieb: Siegfried mußte selbst nach Wien.

Aber wie sollte er dann Briefe an sie gelangen lassen?

Anna Maria rückte mit einem Plane heraus, den sie, wie sie sagte, schon lange im Sinne getragen, auch an Landin geschrieben haben würde, wenn sie nicht befürchtet, Sabine werde ihr den Dienst verweigern.

»Sabine? Die Wiedebar?« fragte Bilky erstaunt.

»Ja,« sagte tief errötend Anna Maria, »zu der Sabine allein habe ich das Vertrauen, daß sie mir helfen würde!«

»Da setzet Ihr jedenfalls noch größeres in den Edelmut des Mädchens«, rief er ganz betroffen. Sie nahm seine Hand und sagte demutvoller wie er von ihr für möglich gehalten: »In meinen schlaflosen Nächten habe ich an dem eigenen hilflosen Elend die Schmerzen anderer erst achten gelernt, Bilky. Längst hätte ich sie zurückgerufen, aber – seht – sie würde sich mit der Markgräfin nicht verfeinden wollen. Aber, ich will ihr schreiben, will von Herzen abbitten und – Ihr sollt sehen, Bilky, sie hat Mitleid mit mir, sie bringt mir Eure Briefe! Sie soll volle Genugtuung haben! Ihr Vetter will eine Hohenkirchberg heiraten – dann kann sie mit vollen Ehren wieder zu uns kommen.«

Sie sah krank und fieberisch aus, lief aber ruhelos in ihrer Stube hin und her.

Die größte Sorge war: wie sollte Bilky fortkommen?

»Ja, wie fortkommen?« lachte Anna Maria bitter, und ihre raschen Atemzüge, die hochroten Wangen, die funkelnden Augen verrieten ihre krankhafte Erregung. »Meint Ihr, Freund Bilky, ich bliebe hier, wenn ich einen Ort wüßte, wohin ich gehen könnte? Zum Kaiser nach Wien vielleicht? Als wär' ich Landin nachgelaufen?«

Dann schloß sie ihren Geldkasten auf und gab dem widerstrebenden Bilky ungezählte Rollen Geldes. Als er diese Art ablehnen wollte, flehte sie zornig: »Um Gottes willen, kommt mir auch noch mit solchen Kleinigkeiten! Begreift Ihr nicht, daß ich nicht eher ruhig werden kann, als bis ich Euch fort weiß?« – Siegfried Bilky sah die Prinzeß in einer stets wachsenden Aufregung. Das beste war, er ging. Zudem durfte er sich nicht vermissen lassen. Anna Maria stand, nachdem sie ihn eben zur Eile und von sich forttrieb, wie gebrochen. »Mein letzter – mein einziger Freund! Er geht, und ich bin ganz allein!« schluchzte sie. Dann hielt sie seine Hand: »Bilky, schwört mir, daß Gott Euch so beistehen soll in Eurer letzten Not, wie Ihr mir helfen wollt! Ach, Siegfried Bilky – ich flehe Euch an, betrügt mich unglückliches Mädchen nicht!« –

»Bei allem was mir heilig ist, Prinzessin, ich will für Euch tun, was ich kann, und eine Stunde, nachdem ich den Fürsten Landin gesehen und gesprochen, ist ein Kurier an Sabine von Wiedebar mit Briefen an Euch unterwegs. Schreibt ihr, Graf Eberstein ist ihr Beschützer! – Er wird gern Euren Brief besorgen, wenn Ihr nicht einen andern Boten findet.«

Endlich hatte Anna Maria Bilky entlassen, und als er durch die Gänge des Schlosses dem Festsaale zuschritt, dachte er: »Graf Eberstein! Er ist mir und Charlotte wohlgesinnt, er würde vielleicht mein Fürsprecher bei der Markgräfin!«

Vom Saale her tönte schmetternde Musik und ein lautes Durcheinander. Eben wollte Bilky eintreten, um den Grafen Eberstein zu suchen und Charlotte möglicherweise ein flüchtig Wort zu sagen; da trat ihm der erstere entgegen. »Wo waret Ihr, Bilky, die Markgräfin hat nach Euch geschickt?« fragte er.

»Wißt Ihr, was man von mir wollte? Eilt es, daß ich mich Ihrer Durchlaucht stelle?«

»Ich glaube nicht! – Vielleicht solltet Ihr für Laudrum etwas besorgen. Heute brachte er der Frau Markgräfin eine eilige Meldung, es war die Rede von Sabine von Wiedebar und einem Briefe, den diese geschrieben; wird wohl die alte Geschichte sein, das Mädchen verwindet die Ungerechtigkeit nicht.«

»Aber was sollte ich –?«

»Weiß nicht, Bilky, Durchlaucht sah nur nach Eurem Platze und fragte nach Euch.«

»Herr Graf – ich habe eine große, sehr große Bitte an Euch«, sagte Siegfried Bilky dann plötzlich.

»Ich dachte, ehrlich gesagt, ein wenig zu ruhen; aber Ihr seht erregt und sorgenvoller aus, als Euer hübsches Gesicht gut kleidet, kommt mit!« erwiderte Graf Eberstein.

Auf dessen Stube legte nun Siegfried Bilky das Bekenntnis ab, daß er sich heute, eh' er's gewollt, habe hinreißen lassen, zu Charlotte von Liebe zu reden.

»Nun – das ist ja, was ich mit Sehnsucht erwartete! Das Mädchen liebte Euch längst«, rief erfreut der Graf.

Und nun erzählte Bilky mit glühendem Eifer, aber immer jedes Wort wägend, um Anna Maria nicht zu verraten, er habe sichere Hoffnung, über seine Herkunft in Ungarn Wichtiges zu erfahren. Er bitte Eberstein, ihm bei der Markgräfin noch heute abend die Erlaubnis zu erwirken, daß er reise. In zwei Monaten hoffe er zurück zu sein – spätestens in drei. Graf Eberstein war bereit, die Markgräfin für Bilky um Urlaub anzugehen.

»Und das Geld, mein Lieber?« fragte er seinen Zögling vertraulich, bereit, ihm zu helfen.

»Ich bin versehen!« sagte dieser errötend. Graf Eberstein blickte ihn scharf an.

»Hört, mein Freund Siegfried, Ihr kennt unsere Durchlaucht, laßt sie nicht argwöhnen, daß Euch der Sinn drängt, Euch in die Liebesangelegenheiten fürstlicher Damen zu mischen! Nehmt auch kein Geld von solchen; laßt mich Euch helfen, es wird Euch das selbst besser gefallen!« sagte er väterlich.

»Ob es mir gefällt? Ihr seid der gütigste, der beste der Menschen! – Aber, wie soll ich es wieder bezahlen, wenn mir mein Vorhaben nicht gelingt?«

»Ich bin ein kinderloser Mann, ein Junggesell, wenn Ihr erst eine Stellung habt, ist's Zeit genug dazu.«

»Und Ihr gebt dies Geld der Prinzessin zurück?« rief Bilky.

»Ja, aber nicht gleich; schickt erst, wenn Ihr könnt, eine entscheidende Nachricht! Wollte Gott, Landin hätte die Truchseß geheiratet; der Schlag würde den Stolz der Prinzessin wecken; diese Ungewißheit macht mich ernstlich um sie besorgt, und die Markgräfin ist, wie Ihr wisset, unbeugsam in dem, was sie will!« schloß er seufzend.

Mit dankbarem Herzen verließ Bilky Eberstein, und dieser versprach ihm, die Wechsel und Goldstücke in zwei bis drei Stunden bereit zu machen. Für diese nächste Stunde war alles vergessen, was Sorge und Zweifel, Angst und Unruhe hieß. Das geliebte Mädchen lag an seiner Brust, und unter Lachen und Weinen, Vorwürfen und Zärtlichkeiten baten sie sich gegenseitig all die Schmerzen und Herbheiten dieser letzten Zeit ab.

»Schließe dich der Prinzessin Anna an, du bist nach deiner jungen Herzogin Fortgehen auch allein genug!« riet er ihr.

Und so nahmen sie dann Abschied. »Wie soll ich's tragen, nicht mehr in deine Augen zu blicken?« schluchzte Charlotte nun doch. Auch Siegfried Bilky fühlte sich plötzlich seltsam erschüttert. Es zog ihm wie ein angstvolles Ahnen durch das Herz.

Und dann küßte er ihre Augen, ihre Stirn, die Wangen, die Lippen. »Du süßes, liebes Kind, wie wollen wir glückselig sein, wenn ich dich zur Gräfin Bilky machen kann!« sagte er wie sich selber tröstend.

Sie hing an seinem Halse und sah tief in seine von Zärtlichkeit erfüllten Augen. »Mir bangt nicht, Friedel, deine Liebe macht mich so überglücklich und so reich, daß du auch als namenloser Bettler wiederkommen darfst und bist mir nicht minder wert als heute.«


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