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Zehntes Kapitel.

Es kam eine ganze Reihe von Regentagen und Sibylla hatte den Sohn mit bekümmerter Miene gefragt, ob ihrer geliebten Schwester Tochter das Unglück habe, ihm zu mißfallen.

»Nein! o nein! Gewiß nicht!« versicherte er errötend, denn allzuwohl hörte er aus der sanften, unruherfüllten Frage die Kritik seines nachlässigen Benehmens.

»Was ich etwa versäumt haben sollte, will ich nachholen; – Ew. Liebden sollen keinen Grund zur Klage wieder finden«, versprach er gerührt, und sie küßte ihn mütterlich auf die Stirn.

Es lag Sibyllas Charakter jene niedrige Heuchelei fern. Ihr bangte um den Sohn; sie hätte ihn so gern vor jedem Herzenskampfe bewahrt, und doch verriet ihr jeder Tag von neuem, es war eine Veränderung mit ihm vorgegangen, er liebte! Und sie hatte sein Vertrauen nicht!

Leise wollte sie ihn von dem Wesen fernzuhalten suchen, welches Eindruck auf ihn gemacht. Und dann?

Dann würde geschehen, was die Politik forderte; er mußte verzichten und sie – sie wollte liebevoll die bitteren Schmerzen heilen, die sie ihm nicht ersparen konnte.

Er mußte mit ihr das Fest beraten, welches sie im Park geben wollte. Ein großes, herrliches Fest sollte es sein, welches die Völker der Erde zu versammeln schien. Aller Nationen eigenartige Trachten würden die Gäste vorführen; für dieselben waren Häuser und Hütten, Zelte und Paläste aus leichten Stoffen zu erbauen.

Der Plan fand den freudigsten Beifall! Unendlich waren die Beratungen, unaufhörlich das Kommen und Gehen der Boten, das Fahren und Anfragen befreundeter Familien, unerschöpflich das Vergnügen, welches die jungen Damen und Herren an dem Ersinnen ihrer Partien fanden.

Sibylla hatte in ihrer Jugend nichts mehr geliebt, als den veränderlichen Luxus der Toiletten und alle Ergötzlichkeiten dieser Art; jetzt wachten Erinnerungen an tausend überaus glänzende Erlebnisse wieder in ihr auf. Man lebte in einem Taumel der Vorfreuden und war den ganzen Tag beieinander.

Daß in dieser rasch dahineilenden Zeit die Herzen der wenigsten ganz und ungeteilt bei der Sache waren, blieb Sibyllas Augen nicht verborgen.

Was sie erstrebten, entbehrten, litten, das wußte sie nicht immer, aber selten blieb ihr verborgen, wenn eine Seele stumm klagte, still weinte, unstet nach einer Heimat suchte.

Darum liebten diese Leidenden sie auch alle. Sie konnte nicht Trost sprechen, durfte nicht zu sehen scheinen, und doch sagten ihre Augen: Ich weiß, du leidest, kämpfe dich durch, du mußt siegen!

Indessen waren für sie neben dem Vergnügen auch viel ernste Regentenpflichten zu erledigen. Und sie, die sonst so unbeirrt Waltende, bat jetzt den Sohn: »Folge mir; deine Zeit naht, du wirst im Anhören lernen!«

»Sprich du mit dem alten Wiedebar, – lasse dir seinen Willen klarlegen,« bat sie ein anderes Mal, »du gewinnst dadurch einen Einblick in die leider große Gedrücktheit des ritterschaftlichen Besitzstandes, kannst vielleicht ein gutes Wort sprechen für die Sabine.«

Markgraf Ludwig war mit stillem Seufzer den Wünschen der Mutter gefolgt, er beteiligte sich bei den Festplänen, er hörte geduldig den Rat Wiedebar erzählen und sprach eindringlich für Sabine. Von einer milderen Beurteilung der Tochter wollte der Alte aber durchaus nichts hören.

»Sie ist nicht mehr mein Kind! Nicht eine Ader hat sie von mir und leider Gottes von ihrer Mutter selig die hohen Tugenden auch nicht geerbt! Mag sie es haben, wie sie es sich bereitet, die Lieblose, das zigeunerische Geschöpf, das nicht fühlen kann, was es heißt, um Erbgut – Namen – und Namensehre!«

Dabei blieb es. Bei Hofe wurde die Sache Sabines viel besprochen. Am erzürntesten über den herzlosen Alten zeigte sich Prinzeß Anna.

»Gebt mir das Mädchen als Ehrendame, Liebden Tante, so ist es doch bewahrt, vor Not und der Bitterkeit, Gnadenbrot zu essen!« bat sie erregt.

»Das Glück wird ihrer Seele ein Balsam sein, du tust ein gutes Werk an ihr«, stimmte Sibylla zu.

Wie atmete Sabine auf, als ihr nach all dem Bangen, währenddes die Prinzessin sie kaum zu beachten schien, plötzlich diese Veränderung ihrer Lage bekannt wurde.

»Schöne Kleider, Putz, Geschmeide!« – Sabine hatte danach gedarbt mit der ganzen Sehnsucht eines gefallsüchtigen Weibes. Anna von Neuburg hatte schnell die Schwächen Sabines erkannt und sagte demgemäß:

»Ich wünsche, daß Ihr so schön und geschmackvoll einhergeht wie möglich, Sabine, man wird Eure Ausstattung auf meine Kosten machen; beredet Euch mit den Schneidern und Modisten, wie Ihr es haben wollt, und da Ihr, wie ich sah, des standesgemäßen Geschmeides entbehrt, so nehmt diesen Schmuck und erinnert Euch immer, daß ich die blinde Ergebenheit nicht bezahle, aber fordere, und daß meine Hand für meine wahren und diensteifrigen Getreuen immer offen sein wird.«

Ob Sabine sich dankbar zeigte, glühend dankbar! In der Tiefe ihrer Truhe fand sie die Schönheitspillen der Scholastika. Heute nahm sie das Mittel mit sehnsüchtiger Hoffnung, daß es sich bewähre, und als sie in ihren neuen Kleidern sich in dem Spiegelsaal der Markgräfin sah, da wollte sie ihren eigenen Blicken nicht trauen – »Lilien und Rosen«, hatte Scholastika gesagt! Und die Alte hatte nicht gelogen.

Wer vermöchte aber den geheimen Triumph Sabines nachzuempfinden, als nicht der Spiegel allein ihr sagte, sie sei plötzlich wieder jung und schön, sondern als sie in den Mienen aller das Staunen, die Bewunderung sich malen sah.

Selbst Graf Eberstein vergaß sich in seiner Überraschung, so daß sie ihn neckend daran ermahnen mußte.

»Was ist mit Euch vorgegangen?« fragte er.

»Mich hat ein Strahl der Glückssonne getroffen, ein erster Strahl!« sagte sie herb.

Er trat schnell zurück, wieder kühl und ernst aussehend, wie immer.

Aber sollte Prinzeß Anna nicht recht haben? Sie war eben immer zu froh gewesen, wenn Eberstein sich ihr näherte. Vielleicht machte es ihm Eindruck, wenn sie ihn übersah oder ihn ärgerte.

»Man muß nur ernstlich wollen!« hatte der Bischof ihr gesagt.

Ihr Dienst war leicht, sehr leicht und ihren Neigungen entsprechend. Sie hatte nur abends stundenlang vor dem Bette ihrer Herrin zu sitzen und derselben alles zu berichten, was sie im Laufe des Tages gesehen, beobachtet, gehört. Die Prinzeß lag dann und hörte interessiert, – fragte viel und äußerte ab und zu selbst eine Meinung, die auf scharfe Beobachtung schließen ließ. Aber wie Sabine es auch ersehnte, nie gestattete dieselbe ihr, einen Blick in ihr eigenes Innere zu tun.

Eine allgemeine Aufregung erregte es im Schlosse, als eines Tages ein reitender Bote einen Brief an Markgräfin Sibylla brachte, worin der Markgraf Karl Wilhelm ein mehrtägiges Rendezvous der verwandten Familien vorschlug.

Das strahlende Lächeln, womit sie ihrem kleinen Hofe die Neuigkeit verkündete, war ein erkennbares Zeichen ihrer Zufriedenheit.

Die Antwort fiel demzufolge zustimmend aus und unverzüglich sandte Sibylla Mustapha nach Baden-Baden, um in dem zum Teil schrecklich zerstörten Schlosse und zweien in der Stadt ihr gehörenden Häusern die Instandsetzung der Quartiere für die fürstlichen Familien und die beiderseitigen Hofhaltungen zu befehlen.

Welch neuer Impuls! Eine treffliche Gelegenheit, den Durlachschen Verwandten das Fest in der Favorite zu bieten. Alle Mienen belebten sich noch mehr, alle Augen glänzten, und jetzt hatte jeder und jede nur zu denken, wie man sich rüsten sollte bei dieser Gelegenheit, sich, am liebsten die andern verdunkelnd, darzustellen.

»Nun, ich bin außer Sorgen, meine neuen Pariser Kleider sind noch nicht einmal alle aus den Koffern genommen, und vergeßt nur nicht, Bilky, daß man keine Degen mehr trägt, sondern statt ihrer, in einer seidenen Quastenschnur am Handgelenk hängend, einen Stock. Kommt zu mir, ich werde Euch den meinigen zeigen, den Griff bildet eine Art kleiner Keule und ist sehr schön mit Gold und Edelsteinen in Schildkrot ausgeführt«, sagte wichtig Grunthal.

Die Unruhe, welche den jungen Markgrafen seit letzter Zeit mehr und mehr beherrschte, wurde übermächtig.

»Friedel, Friedel! Es nützt dir nichts, daß du mir Possen vormachst, ich halt's nicht aus, ich muß das holde Mädchen wiedersehen!« rief er. »Du bist doch sonst so voller Anschläge, so tu' doch jetzt nicht so stupid und ersinne uns eine List, daß wir fort können. Es ist ja nur zu ersichtlich, daß man auf alle erdenkliche Weise sich bemüht, mich hier festzuhalten.«

»Das ist's ja eben, Lutz! Die Heiligen machen mich dumm, daß mir gar nichts einfällt, deiner durchlauchtigen Frau Mutter ein Schnippchen zu schlagen. Pater Trochler würde sagen: ›Dein Schutzpatron bewahret dich, mein lieber Sohn, vor dem greulichsten aller Laster, dem Undank!‹«

Und dabei faltete Graf Siegfried die Hände vor dem imaginären Bauche, blies die Backen auf und ahmte Haltung und Sprache des alten Herrn so glücklich und unbeschreiblich komisch nach, daß der Markgraf in schallendes Lachen ausbrach.

Indes waren Prinzeß Augusta und Charlotte von Windeck im Nebenhause, wo der Schneider und seine Gehilfen mit den Kammerfrauen um die Wette arbeiteten.

»O, Charlotte, sieh nur! Dies wundervolle Kleid bekomme ich, weiße Seide mit eingestreuten Blumen! Und diese Farben! Kann es entzückendere Blumen geben – sind sie nicht, als hätte man sie frisch gepflückt?«

»Und ich! Ich bekomme ein blaues Kleid mit weißen Lilien! Ach, unsere Liebden Mutter ist ein Engel an Güte!« So schwelgten die beiden jungen Mädchen in harmlosen Eitelkeitsfreuden, ohne den leisesten Gedanken an Zwecke und Intrigen. – –


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