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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Monate waren wiederum vergangen, der Winter lag schwer auf den Schwarzwaldbergen.

Sabine von Wiedebar lebte noch immer beim Vetter Rudolf. Das stille, regelmäßige Leben in dem ruhigen Geleise der täglichen Arbeit, ohne Aufregungen wie ohne Kränkungen, tat ihr ganz wunderbar wohl.

Was Scholastikas Schönheitspillen nur auf Stunden vermocht hatten, das brachte jetzt dies friedvolle und gesundheitsgemäße Leben ganz von selbst, rote Wangen, glänzende Augen, eine lebhafte Färbung des sonst so blassen Teints. Lachen, Heiterkeit und offenkundiges Genügen waren die sicheren Zeichen der Befriedigung.

»Ihr seid ja so vergnügt, wie ich Euch noch nicht gekannt habe?« sagte eines Tages der Vetter.

Da hatte Sabine ihm mit freudigem Erröten einen Brief der Prinzessin von Neuburg in die Hände gelegt, worin diese ihr in liebevollen und aufrichtigen Worten das Unrecht abbat, das sie ihr zugefügt und, ganz wie sie es damals mit Bilky verabredet, sie bat, wieder zu ihr an den Hof zu kommen. »Ich will Euch mit offenen Armen willkommen heißen, Sabine, auch soll Euch Euer Gehalt nachgezahlt werden. Aber zuvor habe ich noch eine dringende Bitte, bleibet so lange bei Eurem Vetter, bis Euch ein Kurier von Wien einen Brief für mich bringt. Selbiges Schreiben tragt mir dann in Eure Kleider verborgen zu; Ihr ratet wohl, von wem es ist! Meine Liebden Tante läßt alle Briefe auffangen, die ich schreibe oder erhalten sollte. Seid edelmütig, Sabine, und lohnt mir mit einer Guttat, auf Euch hat man keinen Verdacht!«

Vetter Rudolfs Gesicht war beim Lesen sehr lang geworden. Er hatte schon gar nicht mehr daran gedacht, daß Sabine sein Haus wieder verlassen könne und sah jetzt peinlich erschreckt diese Wahrscheinlichkeit vor Augen.

»Nun, da werdet Ihr sehr vergnügt Euer Bündel schnüren wollen, jetzt kann ich mir's schon denken!« sagte er verstimmt, den Brief niederlegend.

»Froh bin ich,« versetzte sie mit einem erheuchelten Gleichmut, »aber seht, Ihr habt noch immer keine Wirtschafterin, und zudem – kurz – ich denke, Ihr seht Euch auch wohl bald lieber gleich nach einer Frau um.«

Sabine wurde immer röter, und er sah immer finsterer und verletzter aus. Sie fuhr, ohne dies zu bemerken, denn sie bückte sich über ihr Spinnrad, an welchem der Faden gerissen war, hastiger fort: »So lange will ich bei Euch bleiben, Rudolf, die Leute sagen ja, Ihr geht nach der Karoline von Gergesweil. – Zudem muß ich ja doch auch auf den Brief von Wien warten!«

»Und den wollt Ihr heimlich Eurer Prinzeß zutragen?« fragte der Vetter gereizt.

Jetzt erst blickte Sabine auf und in sein Gesicht. »Meine Markgräfin hat all die Schmach über mich kommen lassen, sich selber zu salvieren, wo sie mit einem Wort mir gerecht werden konnte!« erwiderte sie bitter.

»Nun, ich armer Tropf muß schon froh sein der Brosamen, die für mich abfallen und danke es Euch also, daß Ihr mir nicht sogleich lustig davongeht!« erwiderte er ebenso bitter.

Seit jenem Tage hatte Sabine sich freier und glücklicher gefühlt. Jetzt war ihr des Vetters Haus erst ein behaglicher Aufenthalt, den sie sich unmerklich nach ihrem Geschmacke einrichtete, wie es die Verhältnisse erlaubten. – Darüber war es Winter geworden, ohne daß der Brief von Wien gekommen wäre. Zweimal schon ließ Prinzeß Anna durch die Bärbel Eydelmann anfragen. Bärbel, welche sich sehr an die Prinzeß angeschlossen, erzählte Sabine, am Hofe wisse es jetzt ja doch alle Welt, daß die Prinzessin den österreichischen Herrn gar so lieb habe. Man wage nur nicht, davon zu reden, denn die Frau Markgräfin sei unerbittlich, heiße es, und dazu selbst seit der Abreise der jungen Frau Herzogin von Orleans ganz wie zusammengebrochen vor Kummer. Seit die Prinzessin fortgegangen, merke man erst, daß sie die Sonne gewesen, welche alles froh machte. Die Durchlaucht sehe blaß aus, wie der Tod. Stundenlang bete sie mit dem neuen Beichtvater.

Wie dies alles Sabines höchste Teilnahme erregte, wie sie fragte und fragte und Bärbel nicht müde werden konnte zu berichten. Die beiden jungen Markgrafen seien mit Graf Eberstein abgereist und zunächst in Dresden, der Herr von Plittersdorff sage viel Bitteres über die französische Heirat – alle Welt im Schlosse sei mürrisch, unzufrieden oder in Tränen. Letzteres besonders Fräulein Charlotte über Graf Bilkys Abreise, und die arme Prinzeß – ach die – keine Nacht schlief sie. Und der Mustapha, die Scholastika, die Fatme säßen gefangen – eine Betrügerbande heiße man sie.

Der Vetter Rudolf war jedesmal, wenn die Bärbel zu Besuch erschien, recht bärbeißig und kurz angebunden, so daß diese ganz zornig sagte: »Na, der sollte mir so kommen, daß ich doch bei dem Murrkopf keine Stunde bliebe.«

Sabine lachte nur; wußte sie doch ganz genau, daß er nur ihr Fortgehen fürchtete, wenn er sich grimmig zeigte. Der Tor! Sie wäre am liebsten immer hiergeblieben! – Und dann seufzte sie, denn daran war nimmer zu denken. Ihr kam der Rudolf nicht zum zweitenmal! – Da ging eben der Rudolf zur Jagd. Sie blickte ihm nach; welch ein stattlicher Mann er war! Und wie hatte sie den damals einen Bauern schimpfen und verachten können, nur weil er nicht so zierlich zu tun wußte wie die Hofkavaliere?

So verliefen der Januar und der Februar und immer war noch der Bote nicht gekommen. Bärbel Eydelmann zerschmolz in Tränen, als sie das letztemal bei Sabine war und versicherte dieselbe, es gehe der ärmsten Prinzessin und Fräulein Charlotte ebenso. Die Frau Markgräfin wandere umher wie ein Schatten, habe Tag und Nacht keine Ruhe und scheine fast menschenscheu, der Beichtvater indes stehe schon jetzt in großem Ansehen bei ihr.

Aber nicht nur Bärbel Eydelmann, die Kammerjungfer, trug Sabine von Wiedebar solche Nachrichten zu, sondern ihr Vetter brachte auch noch weitere Neuigkeiten. Er war in Baden gewesen und hatte dort gehört, daß in dem unterirdischen Kerker des Schlosses ein wichtiger Staatsgefangener sitzen solle. Seit langen Jahren sprach man zuerst wieder über die Furchtbarkeit dieser in den Fels gewölbten Gefängnisse, von denen es hieß, daß in sie weder Licht noch Luft von außen hereindringen könnte.

Was Rudolf von Wiedebar sonst der Hüterin seines Hauses an Neuigkeiten und Hofgeschwätz zutragen konnte, das sammelte er bei derartigen gelegentlichen Ritten nach Rastatt gewissenhaft, war es ihm doch allemal eine große Freude, sie dann ausrufen zu hören: »Gott sei Dank, daß ich hier bin!« – Ja, er verheimlichte sorgfältig das wachsende Wohlgefallen an Sabine; er brummte, wo er am liebsten in heller Freude gelacht und zeigte sich barsch, wo er ihr so von Herzen gern die Hand gedrückt hätte. – »Ich werde mich hüten! Sie mag mich einmal nicht und läuft mir aus dem Hause, wenn sie nur von ferne ahnt, daß ich sie lieb habe«, sagte er sich fast jeden Tag.


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