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Sechzehntes Kapitel.

Ganz einsam lag die Favorite auch eine Woche später noch. Er regnete seit gestern unaufhörlich; eine erdrückende Langeweile lagerte sich, so meinte die Prinzessin Anna von Neuburg, über das Schloß und den Park seit jenem Abend, da Landin von ihr schied.

Am andern Morgen reiste die Markgräfin mit ihren Kindern und dem ganzen Gefolge ab. Unter dem Vorwande der Ansteckung war die Prinzessin völlig isoliert worden; weder Sibylla noch die jungen Herrschaften nahmen Abschied von ihr; Augusta schickte ihr Blumen und ein herzliches Briefchen, die Brüder zürnten ihr Sabines wegen und Markgräfin Sibylla sandte ihr den Pater Trochler, welchem sie ihre Wünsche für die Sinnesänderung der Prinzessin aufgetragen. Und nun wurde es still, lautlos in den Gemächern und Gängen des Schlosses. Eine alte Dame erschien, Frau von Ellersheim, und erklärte sich beauftragt, solange die Prinzessin krank sei, dieselbe zu verpflegen.

»Das war ein tückischer Streich der Tante«, grollte Anna Maria. »Es sind nicht die Masern, es sind nur die Röteln, Herr Hofmedikus; in drei Tagen bin ich wieder gesund«, erklärte die Prinzeß, deren Haut keine Spur von Röte zeigte.

»Wie Ew. Durchlaucht sagen, es sind in der Tat nur die Röteln!« bestätigte lächelnd der Doktor.

»Gut, so verschont mich mit Euren Besuchen und nehmt die Kindermuhme, die man mir da geschickt hat, mit Euch«, grollte Anna Maria.

»Halten zu Gnaden, Ew. Liebden, das geht gegen meine Instruktion.«

Prinzeß Anna schwieg zornig. Hätte sie nur schreiben dürfen! Aber sie war fest überzeugt, daß die Ellersheim strengsten Befehl hatte, keinen Brief, an wen er auch immer adressiert sein möchte, aus der Krankenstube zu lassen. So lag sie stundenlang, dachte an Yanko Landin und bereute, sich mit ihrer Tante so schroff gestellt zu haben. An Sabine dachte sie nur mit Haß als an die Spionin.

»Ich will ins Freie, Frau Aja«, sagte die Prinzeß zu der alten Dame. »Möchtet Ihr mich begleiten? Es ist so langweilig, allein umherzuwandeln.«

Die alte Dame war bereit. Nun saßen sie stundenlang die nächsten Tage im Garten, die Prinzeß plauderte, erzählte, lachte und war wie umgewandelt. Ihr Betragen der ersten Tage erklärte sie für Mißlaunigkeit.

»Wißt Ihr, ich bin ein verzogen und verhätschelt Kind, und hier kommen sechs andere, ehe ich komme, das wurmt mich.«

Wenn indes Anna Maria meinte, die Wachsamkeit ihrer Hüterin einzuschläfern, so irrte sie sich; aber so wie sie schlau ihre Absichten verhüllte, so vorsichtig verbarg die »Aja« ihren stets wachsamen Argwohn. Endlich war beim Schimmer des Nachtlichts ihr langer Brief an den Fürsten Landin fertig geworden. All diese Tage her hatte sie den nächsten Weg nach dem Häuschen der Scholastika ausgespäht. Die »Aja« schlief gern lange, in der frühen Morgenstunde mußte es ihr gelingen. Die ganze Nacht vermochte sie nicht zu schlafen, aus Angst, den rechten Zeitpunkt zu versäumen. Längst hatte sie ein unscheinbares Kleid angelegt, ein dunkles Tuch darüber gebunden, und so, ihre goldgefüllte Börse in der Hand, den Brief auf der Brust verborgen, huschte sie, während die Ellersheim in tiefem Schlaf schnarchte, aus dem Zimmer und über die noch lautlos still daliegenden Gänge und Treppen durch dieselbe Hintertür ins Freie, durch welche sie mit Yanko Landin an jenem Festabend ins Schloß getreten war. Wie ein Wiesel, so rasch und geschmeidig, warf sie sich in das Gebüsch, ohne Ahnung, daß Pater Trochlers Stubenfenster auf diesen Seiteneingang des Schlosses ging, und daß der Geistliche ihr nachblickte. Scholastika war schon auf. Die Prinzeß überraschte sie beim Geldzählen.

»Nun, Mutter Scholastika, habt Ihr die kleinen Dinger da gern, so bring' ich Euch noch einige davon!« sagte Prinzeß Anna Maria freundlich.

»Die Heiligen können es immer brauchen! Wollte das Geld eben ins Kloster tragen. Die Eitelkeit der Großen ist das Futter für die Kleinen! Was wollt Ihr?« sagte sie dann abbrechend.

Anna Maria sah, ihr Plan gelang; sie wurde für eine der Dienerinnen im Schlosse genommen.

»Was ich will, ist leicht gesagt. Dieser Brief muß nach Konstanz, heimlich natürlich! Der, welcher ihn empfangen soll, weilt an des Bischofs Hofe. Was wollt Ihr haben, ihn hinzubringen? Meine Herrschaft gibt es, fordert nur!«

Die Frau trat unruhig von einem Fuß auf den andern. »Ich tu's nicht, meine Haut ist mir lieber als Euer Geld!« sagte sie aufgeregt, schielte aber dennoch mit lüsternen Blicken nach dem Brief.

»Eine so schlaue Person wie Ihr läßt sich eben nicht fangen!« erwiderte die vermeintliche Dienerin.

Ein Ausdruck unverstellter Furcht trat in das Gesicht der Scholastika. »Ja – vordem! – Aber jetzt! –« schienen ihre Mienen zu sagen. Laut rief sie nur: »Nein, nein, ich tu's nicht, ich kann's nicht – die Heiligen müssen Eures Geldes entraten.«

Es klang das wahr und energisch, die Frau fürchtete sich in der Tat. Trostlos, verzweifelnd mußte Anna Maria wieder gehen. Da sah sie, wie der Blick der Alten auf ihre Hand fiel.

Sie hielt die Prinzessin am Tuche zurück. »Ihr seid keine Zofe, Ihr seid die Herrin selbst, wohl gar eine vornehme, eine Fürstin, und wenn Ihr –? Es könnte doch sein, daß ich in Not käme! Wenn Ihr mir auf das Sakrament gelobt, nicht leiden zu wollen, daß man mich foltert oder – oder, daß man gar Ärgeres mit mir beginnt –«

»Nun gut, ich verspreche Euch, daß Ihr unter meinem Schutze stehen sollt«, sagte die Prinzessin.

»Ja, aber wer seid Ihr denn? Habt Ihr denn auch die Macht?« greinte die Alte.

»Ich bin die Neuburger Prinzeß.«

»O, dann gebt nur Euren Brief, dann gilt ein Wort von Euch mehr, als alle Falschheit meiner Neider!«

Anna von Neuburg wandte sich angewidert ab und ging heim nach dem Schlosse.

*

Am Abend dieses Tages sprengte einer der markgräflichen Reiter auf den Hof. Die durchlauchtige Herrschaft kam zurück, würde noch vor Beginn der Nacht eintreffen.

Und richtig, das Konzert der Nachtigallen und Frösche und die wonnevolle Stille der hellen Sommernacht wurde unterbrochen von dem Lärm der Heimkehrenden.

Ein einziger Blick genügte Anna Maria, um zu erkennen, daß ihre Tante in noch gereizterer Stimmung wiederkehrte, als sie gegangen war. Dennoch eilte sie, wie sie sich längst vorgenommen, der Markgräfin entgegen, erreichte dieselbe eben, als sie in ihr Zimmer treten wollte, und warf sich ihr um den Hals: »Vergebt mir, Tante Sibylla, vergebt mir, ich bin undankbar gewesen, laßt mich Frieden haben mit Euch«, bat sie.

Sibylla war angenehm überrascht. »Ich danke dir, meine Anna, mir kann nichts lieber sein!«

»Ich will versuchen, mich Euch zu unterwerfen«, fuhr die Prinzeß fort. Jetzt log sie, wenn auch ihr Verlangen nach Versöhnung ehrlich gewesen war.

»Anna Maria, wenn du das ernstlich wolltest –?« zweifelte Sibylla.

»Ich will es versuchen, meine Tante, fordert jetzt nicht mehr.«

»Wohl – wir werden abwarten; ich höre, du versprichst nichts Großes! Du willst nur Frieden mit mir –!«

»Und ein wenig Liebe und Güte! Niemals vermochte man mich mit Zwang zu leiten!« bat die Prinzessin.

Sibylla nickte gedankenvoll. Noch während sie mit der Prinzessin sprach, ließ sie Mustapha, der draußen zu tun hatte, rufen; dann verabschiedete sie diese. »Begrüße deine Cousine, Anna Maria, sie hat sich sehr nach dir gesehnt!«

Die Prinzessin ging. In der Tür noch hörte sie, wie die Markgräfin, schon ehe noch Mustapha eintrat, diesem entgegenrief: »Ein Reiter an den Geheimen Rat von Wiedebar!« Dann schloß sich die Tür. Die Markgräfin aber fuhr gegen Mustapha fort: »Der Rat soll morgen früh hier sein Entlassungsgesuch motivieren. Den Baron Plittersdorff bitte ich ebenfalls zu erscheinen. Eile dich, der Mann muß sogleich fort.« Dann rief sie Mustapha wieder zurück. »Mustapha, hat der Markgraf hier verlauten lassen, daß er eine Reise tun wollte?«

»Nein, Ew. Durchlaucht!«

»Und weißt du nicht zu sagen, Mustapha, wohin der Herr Graf Bilky gewesen, als er einen Tag später nach Ettlingen kam? War er im Dienst des Herrn Markgrafen fort?«

»Fort war er, ich weiß; sein Brauner steht noch hier, war übermäßig angestrengt, und der Herr Graf ist sonst nicht der Art, daß er die Pferde schlecht behandelt. Er kam damals sehr ermüdet zurück, andern Morgens folgte er, wie der Herr Markgraf befohlen, Sr. Durchlaucht nach Ettlingen –«

»Und dann sind er und mein Sohn fort. – Wohin? Niemand weiß es!« sagte die Markgräfin unruhig.

Mustapha zuckte die Achseln mit demütigem Bückling. Die Markgräfin trat aber näher zu ihm hin und sagte leise: »Ich will es wissen, Mustapha, hörst du?«

»Herrin, junge Männer –!« flüsterte Mustapha abwehrend. »Was weiß ich von der gnädigen Herren Wege?«

»Wie, an eine Liebschaft denkst du also auch?«

»Nichts denke ich, Herrin, nichts! Aber die Diener reden davon, Graf Bilky sei in Baden allnächtlich zu Pferde oder zu Fuße fortgewesen. Ei, man muß junge Leute gehen lassen.«

»Nein, nein, das ist nicht wahr! Das ist nicht wahr!« rief die Markgräfin.

»Ich werde nachforschen, Herrin, und alles versuchen, Ew. Durchlaucht genaueste Auskunft zu überbringen«, sagte Mustapha.

Sibylla schwieg. Dann fragte sie: »Hat sich die Fatme wieder eingefunden bei der Scholastika?«

»Nein, Herrin, das Weib, die Scholastika, belügt und betrügt Euch! Ich weiß jetzt, daß der Merkner, der Gartenknecht, der von Oos morgens kommt, sie und noch ein Weibsbild in der Frühe hat gehen sehen auf dem Wege nach dem Fremersberg.«

»Das wäre? Du meinst, sie hätte uns die Fatme beiseite gebracht?« rief die Markgräfin.

Indessen war es sehr spät geworden; gedankenvoll und unruhig legte die Markgräfin sich nieder.

Der erste, der sich um die gewohnte Stunde anderen Tags melden ließ, war Graf Eberstein. Für heute handelte es sich um die erfolgte Verleihung einer Domherrstelle an den Prinzen August. Als noch allerlei Weiteres besprochen und Sibylla schon alles erledigt glaubte, sagte Eberstein indes: »Durchlaucht wolle verzeihen, daß ich mir erlaube, ein Fürwort für das Fräulein von Wiedebar einzulegen.«

»Ihr, Eberstein?« rief Sibylla äußerst überrascht.

»Sie hat mich bitten lassen, sie vor ungerechter Behandlung zu schützen. Ew. Durchlaucht ist allezeit die Gerechtigkeit selbst und wird nicht gewollt haben – –«

»Wohl weiß ich, daß sie schuldlos ist, Eberstein. Anna Maria faßte den Argwohn, ich habe die Sabine als Spionin bei ihr angestellt.«

»Aber sonach irrte also die Prinzessin, und es kostete Ew. Durchlaucht nur ein Wort –«

»So ganz irrte sie nicht. Ich hatte Sabine beauftragt, sie nicht aus den Augen zu lassen –«

»Und die Prinzessin hat das bemerkt?«

»Vielleicht war Sabine unvorsichtig eifrig meinem Befehle nachzukommen.«

»Vergebung, Ew. Liebden, es sieht Euch nicht ähnlich, daß ihr das arme Fräulein tätlich mißhandeln ließet um Eures Befehls willen!«

»Seit wann steht Ihr so vertraut mit der Wiedebar?«

»Ich habe die Bitten der Beleidigten an mich mit dem Entschluß aufgenommen, ihr Recht zu verschaffen, Ew. Durchlaucht.«

Sie sah ihn mit großen, erstaunten Augen an. »Recht zu verschaffen? Gegen wen? Gegen mich?«

»Ew. Durchlaucht wolle meine Worte nur so auffassen, wie sie gemeint sind. Prinzeß Anna hat in dem Fräulein Euren ganzen Adel beleidigt, grundlos beleidigt; Ihr, die Herrin, solltet, wenn Ihr die Prinzessin nicht bewegen könnt, Genugtuung zu geben, Euch auf die Seite der Gekränkten stellen.«

»Ich habe nicht geglaubt, von Euch Verhaltungsratschläge empfangen zu müssen!«

»Frau Markgräfin! Ihr seid ungerecht gegen mich!«

»Ungerecht! Jeder klagt! Ich soll allen zu Willen sein! Wenn Ihr so sehr geneigt seid, Euch zu meinen Gegnern zu stellen, Graf, so geht doch hin, die Sabine zu heiraten, erklärt mir den Krieg und laßt mich erleben, daß ihr alle der Regentin den Rücken kehrt, ehe sie noch die Gewalt völlig aus der Hand legt. Wendet Euch zeitig genug der neuen Sonne zu.«

»Frau Markgräfin! Durchlaucht!« suchte Eberstein ihren Zorn zu unterbrechen.

Sie ließ sich aber nicht beirren, oder vielmehr, die lange aufgespeicherte Gereiztheit, deren Ursache Anna Maria war, suchte einen Ausweg.

»O leugnet es nur nicht, Graf, Ihr seid alle des Weiberregiments müde. Warum wißt Ihr nicht, daß ich meine Nichte schonen muß, weil das schönste Ziel meines Lebens an ihrem Willen hängt? Warum stehe ich wie eine Törin vor einer Intrige Annas und des Erbprinzen, zweier feindlichen Mächte, verbündet gegen mich? Warum wißt Ihr nicht, wohin die geheimen Wege meines Sohnes gehen? Was dieser Siegfried mit ihr und allein für sich Heimliches vorhat? Das wäre es, was Ihr für mich tun solltet, statt dessen macht Ihr Euch zum Ritter für die Wiedebar, hetzet mir durch Euer Beispiel die andern auf und –«

»Vergebung, durchlauchtige Frau, daß ich Euch nicht ausreden lasse. Es sind der Vorwürfe genug!« trat Graf Eberstein ihr mit flammenden Augen einen Schritt näher. »Ich ahnte nicht, so viel Grund zur Unzufriedenheit gegeben zu haben und kann nur bitten, Ihr wollet mich gnädigst von meinem Posten entlassen, da ich zum Aufpasser und Späher für kleine und große Hofintrigen nicht passe, wie Ew. Durchlaucht wohl weiß. Die Wiedebar heiraten werde ich nun freilich nicht, aber da Ihr Euch weigert, meine Bitte um Genugtuung für sie zu hören, so muß der Fehler wohl an mir liegen – und Ew. Durchlaucht tut ganz recht, mir meine Untauglichkeit zu weiterem Dienst fühlbar zu machen.«

Blaß bis auf die Lippen standen die Markgräfin und ihr erster Diener sich gegenüber.

Aber sie durfte nicht nachgeben; sie war ja die Markgräfin, seine Herrin! Doch – wenn er ging? Und er war dazu entschlossen!

»Ich möchte Euch nicht in Unfrieden scheiden sehen«, lenkte sie ein, nach einem Mittel suchend, ihn zu versöhnen.

»Meine Wünsche werden immer auf das Glück Ew. Durchlaucht gehen, wenn ich auch noch so bitter beklage, Euch nicht mehr dienen zu können!« erwiderte er. Der Ton klang nicht nachgiebig.

»Eberstein, laßt dies nicht Euer letztes Wort sein! Ich war ungerecht – gegen Sabina – gegen Euch; – ich war im heftigen Zorn um etwas, was ich Euch nicht enthüllen kann!«

Er schwieg. In seinem Antlitz zuckte es.

»Soll ich Euch also bitten, bei Eurer Herrin zu bleiben, Eberstein, und ihr zu verzeihen, daß sie nur die Kräfte eines Weibes hat? Soll ich Euch Tränen zeigen – Tränen meiner Ohnmacht? Das könnt Ihr nicht wollen?«

Er lag vor ihr auf den Knien und küßte ihre Hand. Sie stand vor ihm, fürstlicher als je, die schönste Frau ihrer Zeit, und die vornehmste, was den Adel ihrer Gesinnung betraf.

»Geht jetzt, Graf, und laßt mir die Überzeugung, daß wir Freunde bleiben«, bat sie.

»Wie bisher!« ergänzte er, und es lag eine bittere Selbstironie in seinen Worten.

Die Tür hatte sich längst hinter ihm geschlossen und die Markgräfin stand noch immer unbeweglich. Sie blickte in ihr eigenes Herz.

Jetzt erst, nach so vielen Jahren wurde ihr klar bewußt, wie sehr sie sich gewöhnt hatte an seinen klugen Rat, seine Hilfe in tausend Angelegenheiten. Und dann! Alle ihre Räte, ihre Minister waren alte Leute, Ebersteins männliche Energie war ihr stets unentbehrlich gewesen, und wenn die alten Herren ihr nicht folgen wollten, so ließen sie sich von Eberstein doch öfter überzeugen.

Und so mit einem Schlage sollte das anders geworden sein? Woher dies zitternde, erschrockene Herz? Woher plötzlich dies Gefühl demutsvoller Unterordnung? O, wenn er es gewußt, wenn er es erkannt hätte, wie schwach sie, die Herrin, gegenüber seinem Zorn sich fühlte. Was war mit ihr selber denn geschehen? Was kam über sie wie ein Sturm, vor dem sich alles in ihr beugte?

Nein, nein! Sie war ja nur matt von aller ihrer heimlichen Sorge, sie war soviel schlaflos gewesen in Ettlingen. Überall schienen ihr neue Bedrohungen aufzutauchen. Anna Marias leidenschaftlicher Eigenwille flößte ihr Furcht ein; ihr Sohn, der Markgraf, hatte ihr bescheiden und männlich erklärt, daß er und Bilky nicht nur die Prinzessin Anna bitter tadelten, sondern daß er seine gnädige Mutter in seinem und Siegfrieds Namen bitte, dem Fräulein von Wiedebar öffentliche Genugtuung zu geben. Darüber hatte sie, die Markgräfin, ihrem Sohne Anna Marias Widerspenstigkeit geklagt, ohne auch ihm eine Silbe über Landin zu verraten. Aber Ludwig Georg rief der Mutter mit leuchtenden Augen und großer Entschiedenheit zu: »Lasset Eure Kinder und Schützlinge die Herzensfreiheit behalten.«

Ach – er hatte nur das Richtige gesagt, und wie schön und männlich stand er vor ihr, da er so redete. Und doch fürchtete sie sich vor dem Sohne, der ein Mann geworden, ehe sie gedacht! Was sollte ohne Eberstein, der so viel über seinen Zögling vermochte, aus dem Einfluß werden, den sie in dieser unendlich wichtigen Frage auf Ludwig Georg auszuüben hoffte?

Dann meldete Mustapha die beiden Minister. Und da trat schon Wiedebar ein; was für ein hartes, finsteres Gesicht er hatte! Auch Plittersdorff blickte ernst. Sibyllas Adel war nicht gewohnt, Beleidigungen zu empfangen, oder gar stillschweigend hinzunehmen.

Sibylla wußte längst und sah es jetzt sofort, sie habe einen schlimmen Stand gegen die Herren. So war es auch. Außerstande, die leidenschaftliche Heftigkeit Anna Marias zu entschuldigen, ja nur genügend zu erklären, mußte die Markgräfin bald erkennen, daß ihr ganzes Verhalten und dieser unbegreifliche Mangel an Autorität auf beide Herren den Eindruck machte, als fehle es ihr an gutem Willen, Sabine Gerechtigkeit zu gewähren.

Das fatale Geheimnis, welches den Namen Landin umhüllen mußte, wie Sibylla bei sich selbst beschlossen hatte, brachte sie in die unangenehmste Lage gegenüber dem als Beamten unschätzbaren Herrn von Wiedebar.

Er klagte in großer Bitterkeit. Ihm dies anzutun! Diese Schmach! Das sollte er dulden? Nun und nimmer!

Er, der Geheimrat von Wiedebar, verlangte sein gutes Recht für sein Kind – oder – die Frau Markgräfin hätte nur zu befehlen, er ginge aus dem Dienst und führte gegen die Prinzessin Klage dort, wo er sein Recht erhalten würde, wäre es selbst bis zum Kaiser.

Und der alte Plittersdorff sagte dazu mit ernster Miene kein begütigendes, sondern nur zustimmende Worte.

Sibylla, in die Enge getrieben, in höchster Verlegenheit, denn was sollte, was konnte sie tun? hatte sich noch nie in einer so ärgerlichen Lage gesehen.

Endlich gelangte man zu einem leidlichen Ausgleich. Da die Markgräfin Sabine nicht wieder aufnehmen konnte um Anna Marias willen, so sollte sie wenigstens in großer Auffahrt nach Rastatt kommen, Sabine zu besuchen und sie einzuladen zur Teilnahme an der Reise ins Gebirge, die jetzt bevorstand. Sabine würde diese Reise sodann in ihres Vaters Begleitung mitmachen und hernach, in ihrer Stellung als Hofdame, im Rastatter Schlosse ihre Wohnung angewiesen erhalten, als »auf Urlaub«. –

Im Grunde demütigten diese Bedingungen Sibyllas Stolz tief. Und doch war sie wieder zu hochmütig, sich verletzt zu zeigen.

Sie war froh, als die alten Herren sie verließen; aber dennoch voll Zorn. »Die Männer wissen wohl, ich stehe allein!« dachte sie bitter. Dabei fiel ihr aber wieder die Unruhe auf das Herz, wo Markgraf Ludwig sein möchte. Doch da ritt er eben mit Bilky auf den Schloßhof, und wieder sah er so strahlend glücklich aus.

»Gute Mutter, du wirst dich gewöhnen müssen, deine junge Brut allein ausfliegen zu lassen«, lachte er, als sie fragte, wo er gewesen, und sah dabei überaus vergnügt aus.

»So sprich du, Friedel!« bat sie.

»Ich darf nicht, Frau Markgräfin,« suchte er zu lächeln, »der Lutz hat mein Wort; doch sorgt Euch nicht, wir gehen keine Wege, um derentwillen wir vor Euch erröten müßten!«

Sie hatte unterdes die stolze Antwort gegeben, daß sie anderes nicht erwarte, und Siegfried Bilky sah ein wenig betroffen, wie ungewohnt reizbar die Markgräfin war. Zum ersten Male kam ihm, indem er sie heimlich beobachtete, der Gedanke, sie altere.

In einer Laube des Parkes traf er die beiden Prinzessinnen. Augusta rief ihn sofort heran, um ihn mit Fragen zu bestürmen, die er lächelnd abwehrte. Wo sie gewesen wären? Nun natürlich wohl wieder bei den Feen? –

»Mit keiner Zehenspitze, Liebden, wir haben diesmal die Nixen im Mummelsee belauscht«, versicherte er.

Prinzeß Anna sah gleichgültig an ihm vorüber ins Grüne. Ihre Gedanken waren weitab geflogen nach dem, der sie Tag und Nacht beschäftigte und ihr Herz in Sehnsucht hoch aufschwellen ließ.

»Ich komme unverhofft zu dem Glück, Ew. Durchlaucht zu sehen,« redete er sie dann an, »und mich einer Kavalierspflicht zu entledigen, welche ich übernommen habe! Ich wage Ew. Durchlaucht um Gerechtigkeit zu bitten für Sabine, die Ihr übel behandelt habt« – erklärte er.

Wie Anna Marias Augen blitzten!

»Spart Eure Ritterlichkeit, Herr Graf, was ich tat, war mein Recht gegen die elende Spionin, die mir Freundschaft heuchelte«, sagte sie in auflodernder Heftigkeit.

»Nicht doch, Prinzessin, Ihr seid Sühne schuldig, denn die Wiedebar weiß nicht einmal, warum Ihr sie in Schimpf und Schande vom Hofe vertrieben! Sie schwört, Euch nie verraten zu haben, niemals untreu gewesen zu sein.«

»Ihr Schwur – und das, was meine Augen sahen, steht in offenbarem Widerspruch. Ihr geschah recht. Ich weiß eine Devise, die mir gut gefällt: Ich steche den, der mich reizt! Und so habe ich allezeit getan. Ich weiß Euch bessern Rat,« fuhr sie vertraulich fort, »eher sollten wir jungen Leute fest zusammenhalten und einander in allen Fällen beistehen. Wir haben ein jedes ein Herz und, sagt nur nicht: nein – auch eine Liebe! Gut. An Höfen fragt man nicht nach dergleichen ›Tand‹, wenn Heiraten gestiftet werden sollen; wir aber wollen unser Herz und die Liebe darin verteidigen!«

Prinzeß Augusta wurde abgerufen.

»Ich habe noch ein anderes an Euch auszurichten, Prinzessin,« begann Siegfried von neuem, »ein zweites Versprechen gab ich, diesmal nicht einer Dame, sondern dem Fürsten Yanko Landin, in der Nacht, da er das Schloß verließ.«

Sie wurde bleich und rot in einem Atem. Er erzählte ihr, und lachend und weinend, hörte sie, daß der Heißgeliebte sorgend an sie gedacht. Sie war eine ganz andere plötzlich.

»O, Graf Bilky, wie soll ich Euch danken, daß Ihr mir soviel Gutes erweist?« rief sie in beinah ungestümer Heftigkeit. »Kein bettelnd Waisenkind ist ärmer, ja es ist besser daran, denn es ist frei, niemand kümmert sich um dasselbe, und es geht auf eigenen Füßen, das Glück zu suchen! Das schönste Glück aber ist ein liebend Herz, und seht, so heiß ich Yanko Landin liebe, so – gerade so heiß muß ich die Sabine hassen, welche den ganzen Handel an die Markgräfin verraten hat, daß sie uns überraschte und nichts mehr zu leugnen blieb!«


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