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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Seit Wochen warteten Anna von Neuburg und Siegfried Bilky mit Schmerzen auf Nachricht von dem Fürsten Landin. Er mußte längst in Wien angekommen sein, man hätte schon Nachricht von ihm haben sollen.

Markgraf Ludwig aber schrieb heimlich nach dem Wildbad Brief auf Brief und empfing regelmäßige Antworten von dort, teils von der Hand der Fürstin Witwe von Schwarzenberg, teils von einer noch viel lieberen, und diese Briefchen machten aus ihm all diese Zeit her einen glücklichen Menschen. Er wollte sich ja gern und gewissenhaft gedulden bis zum Spätherbst.

Sibylla sah ihren Sohn zufrieden, heimliche Ausflüge fanden nicht mehr statt, von den Schwarzenbergs war nur sehr selten noch die Rede und in all der Unruhe ihres jetzigen Lebens vergaß sie gänzlich, daß diese hatten nach Baden-Baden übersiedeln wollen.

So verging der Sommer. Zum Ende des Septembers sollte die Hochzeit der Prinzessin Augusta sein, bald danach beide jungen Markgrafen die große Tour antreten. Vom Erbprinzen von Durlach hörte man, daß seine Krankheit sich endlich zum Guten gewendet.

Zu dieser Zeit schlich sich ein Gerücht durch das ganze Land, welches in größter Heimlichkeit viel besprochen wurde. Es hieß, der hochselige Markgraf sei, ehe er die schöne Sibylla von Sachsen-Lauenburg heimführte, schon heimlich mit einer zum Christentum bekehrten vornehmen Türkin vermählt gewesen. Es existiere ein Sohn jener Ehe, und zwar sei dies der Graf Siegfried Bilky, der jetzt darauf ausgehe, die Rechte seiner Geburt geltend zu machen, da er Schriften in Händen habe, welche ihm diese Rechte sicherten. Von wo das Gerücht seinen Ausgang genommen, wußte niemand. Zu gleicher Zeit aber wachten Erinnerungen auf an die Türkin Leila und an deren plötzliches Ende. Schon damals hatte man von Gift gemunkelt; auch allerlei Heimliches geredet von der Eifersucht der Markgräfin.

Markgräfin Sibylla saß allein in ihrem Schlafgemach im Schlosse Ettlingen. Sie fühlte sich äußerst erschöpft.

Anna Maria machte ihrer Tante Kummer, großen Kummer. Das Mädchen lachte und schmückte sich, kokettierte mit diesem und jenem, hastete unruhvoll von einer Zerstreuung zur andern und wurde dabei täglich blasser, magerer. Ihren Augen sah man die Schlummerlosigkeit ordentlich an, und in unbewachten Augenblicken verriet sich in ihnen eine Angst und Qual, welche sich Sibylla mitteilte.

Aus diesen Gedanken schreckte sie das sachte Öffnen der Tür auf und sieh – Anna Maria war es selbst, im leichten Schlafrock, Pantöffelchen von goldgesticktem Atlas an den Füßen, blaß, mit rotgeweinten, heißen Augen.

»Ach, meine Tante wacht noch! Welches Glück!« murmelte die Prinzessin und die Hände der ihr entgegentretenden Markgräfin an ihre Lippen ziehend, sank sie plötzlich in leidenschaftliches Schluchzen ausbrechend vor ihr nieder. »Gnade, Tante Sibylla, habt Erbarmen, ich kann nicht weiter! Gebt mir die Briefe von Landin heraus!«

»Anna Maria? Briefe? Was tust du? Ich habe keine! Knie nicht vor mir, Kind! Weine nicht so! Ach wolltest du doch glauben, daß ich mich sehne dich lieben zu dürfen und von dir Liebe zu empfangen«, rief die Markgräfin und suchte ihre Nichte emporzuziehen.

»Du hast keine Briefe, Tante, Ihr habt keine? Schwört es mir! O, mein Gott, und er hat mir doch geschrieben! Wo sind sie? Oder ist er tot? Hat man ihn gemordet, weil wir uns liebten? Mir träumte davon, und ich werde das Bild nicht wieder los! Seht, hier knie ich, hier demütige ich mich vor Euch! Barmherzigkeit, Tante Sibylla, – sagt mir, was wißt Ihr von Yanko Landin?«

Immer mehr erschrak die Markgräfin. War das ihre kaltherzige, stolze Nichte?

»Ich weiß weder von Briefen des Fürsten an dich, noch hörte ich von ihm selber!« sagte die Markgräfin mit Bestimmtheit, und sah fest in der Nichte Augen.

Anna von Neuburg knickte in sich zusammen. Dies war ihre letzte Hoffnung gewesen. An eine Täuschung, an eine Umgehung der Wahrheit dachte sie nicht.

Sibylla indes war sich ihrer Falschheit mit unaussprechlicher Pein vollkommen bewußt. Sie bediente sich der reservatio mentalis – das in ihren Armen liegende krampfhaft schluchzende Mädchen traute ihrem Wort! Aber es galt die heilige Sache des Glaubens – der Kirche!

»Lege dich nieder, mein armes, liebes Kind«, bat sie. »Wie deine Stirn glüht, und wie eiskalt deine Hände sind! Ach, und das Herz – die Pulse gehen wie Hämmer! Komm, ich decke dich mit diesem Tuche zu!« Mütterlicher hätte selbst Magdalene nicht mit ihrem Kinde sein können! Anna von Neuburg fühlte das auch, sprach es dankbar aus. »Ach, Anna, teures Kind, wolltest du nur Ergebung lernen!« sagte Sibylla, indem sie die glühenden Schläfe der Prinzessin mit ihren vor Aufregung auch ganz kalten Händen kühlte.

»Ergebung, Tante Sibylla? Nein, nein! Ich kann, ich will sie nicht lernen! Du weißt nicht, was es heißt, Yanko Landin lieben und sich – ergeben ihn zu verlieren!« flammte Anna Maria wieder auf. Dann weinte sie aber von neuem, küßte die Hände der jetzt auch still weinenden Markgräfin und rief: »Ach, so fühlst du Mitleid mit mir, Tante Sibylla?«

»Mitleid? Daran könntest du zweifeln?« fragte Sibylla dagegen und zog die am ganzen Körper Bebende in ihre Arme.

»Ich wußte gar nicht, Tante, daß Ihr so gut, so mild seid! Ach, wenn Ihr ahnen könntet, wie ich all diese Wochen her gelitten habe, wie ich schlaflos die Nächte am Fenster stand und auf den Boten hoffte, der kommen sollte! Eure Augen zürnen? Ach, Tante Sibylla, in meinem Harren und Warten, in meiner qualvollen Sehnsucht ist mir klar geworden, daß Ihr ja nicht so fühlen könnt wie ich, die ich ihn liebe mit meiner ganzen Seele! Für Euch ist er ein Nichts, ein länderloser Kavalier, seines Kaisers Diener! Aber seht, vom ersten Tage an, da ich ihn erblickte und mit ihm sprach, da war mir, als erwache ich aus kaltem, dumpfem Schlafe; ich wollte ihn ja nicht lieben, ich wußte nicht wie mir geschah! Seht Tante, Ihr könnt nun nicht mehr zweifeln, daß Gott uns füreinander bestimmt hat!« schloß die Prinzessin, in die Kissen des Diwans gekauert, die glühenden Augen auf der Markgräfin Antlitz gerichtet und sichtbar völlig erschöpft.

Diese schwieg; dann nach einer Weile sagte sie sanft und ohne Vorwurf: »Ich weiß, Anna Maria, daß jedes Wort, welches ich von meinem Denken sprechen wollte, bei dir Widerspruch finden würde, denn du bist jetzt krank, vor Herzensnot, Anna Maria!«

»Ach Tante! teure Tante! so krank! so zermartert! O, du kannst also mit mir fühlen? Du weißt, wie elend ich bin? Ach Tante, nie habe ich mehr verlangt nach der Mutter, als jetzt!« Die Tränen, die ganze Haltlosigkeit des sonst so starren Charakters erschütterten die Markgräfin mehr und mehr. Und doch durfte sie nach ihrer innersten Überzeugung der Ärmsten nicht ein Fünkchen Hoffnung geben.

»Gott hat dir eine schwere Prüfung auferlegt, Anna Maria! Und wahrlich, man müßte ein Herz von Stein haben, dich nicht zu bemitleiden«, sagte sie leise und vorsichtig nach den schonendsten Worten suchend.

»Er ist ein tüchtiger, ein angesehener Mann, mit meinem Vermögen würde er seinen Weg zu hohen Ehren unfehlbar machen«, flüsterte Anna Maria bittend.

»Es kann nicht sein, Nichte! Höre mich geduldig an, mein armes, liebes Kind, es ist meine Schwester, welche durch mich zu dir spricht, deine Mutter. Sieh, Anna Maria, du bist jung und eigenwillig. Aber würdest du nicht den Mut haben, dein Herz in Gottes Hände zu legen?«

»Gott? Er würde barmherzig sein! Er verlangt das Unmögliche nimmer!« schrie die Prinzessin auf.

»Und doch zeigt er dir seit Monaten schon deutlich den Weg, den du gehen sollst!« Und nun sprach Sibylla mit glühendem Eifer von ihren Plänen betreffs der Durlachschen Lande, von der Rückgewinnung so vieler Tausende von Seelen für die Kirche.

Anna von Neuburg fehlte jetzt selbst die Kraft zum Widerspruch. Das schien Sibylla schon ein Gewinn, und in ihren Worten lag eine so zwingende Gewalt, daß die Augen der Prinzessin ihr Antlitz nicht verließen. Sibylla fuhr fort:

»Du bist die Feuerseele, welche solche Aufgabe zu erfüllen vermag! Gib auf deinen Willen! Strafe dein törichtes Herz! Gehe hin, wohin der Finger Gottes dich weist. Und sage nicht: ich kann nicht!«

Anna Maria lehnte in den Kissen und seufzte. »Ich kann nicht leben ohne diese Liebe, Tante Sibylla, nimm mir alles, aber laß nicht die ganze Welt dunkel werden, er ist mein Licht!«

»Bete, Anna Maria, daß Gott dein sündig Reden nicht höre! Schlafe, meine geliebte Anna Maria! Dich hab' ich nicht trösten, nicht glücklich machen können, du aber hast mir wohlgetan durch diese Stunde, Kind, und ich bitte dich von ganzem Herzen, vertraue meiner Liebe und vergiß nicht, daß das Gute auch erzwungen gut bleibt.« Und zärtlich wie eine Mutter führte sie die Nichte hinüber nach den Zimmern, schickte die Kammerfrau fort und brachte sie selbst zur Ruhe. Da war nichts mehr von der stolzen Markgräfin, da war eine in Mitleid und Erbarmen aufgehende Mutter, die aber dennoch dem geliebten Kinde vorenthält, was sie ihm nicht gewähren darf.

Anna von Neuburg lachte und plauderte wie zuvor; aber in ihren brennenden Augen malte sich die immer wachsende Qual, und wenn Sibylla zuweilen mitleidig die Hand auf ihre Stirn legte oder Annas Hände in die ihrigen nahm, so glühten sie wie Feuer. »Sie magert ab! Ich sorge mich um sie!« mahnte Sibylla ihren Leibmedikus. Dieser aber nahm die Sache nicht ernst. Markgraf Ludwig befragte Bilky um sie, ihren Günstling. »Sprich zu mir, Friedel, die Charlotte und du, ihr seid auseinander, das ist ja, leider Gottes, wohl zu sehen. Aber ich kann mir dennoch gar nicht vorstellen, daß du das arme Ding um der Anna willen verlässest, denn ich sehe wohl, ihr zwei seid gute Freunde, jedoch nicht mehr! Und da ich dir mein schönes Glück vertraut habe und nicht ein Fältchen in meinem Herzen ist, in welches ich dich nicht sehen ließ, so gib nun auch du mir Vertrauen und Wahrheit.«

»Ich kann's nicht, Lutz, noch nicht! Glaub' mir auf mein Wort. Schau, ich weiß, die Lotte grämt sich; ich tu's auch, aber was sollen denn wir zwei arme Kinder anfangen? Solang man nicht daran denkt, sein Nest zu bauen, da singt und lacht sich's gut genug, auch mit leeren Taschen! Aber wenn's Ernst wird mit dem Sehnen! Ich habe deine Mutter gebeten, mich ziehen zu lassen – mir selber find' ich schon mein Brot – sie hat gesagt: ›Später!‹ und nimmer wieder davon geredet.«

»Das versteh' ich! Leid tut mir's nur, daß ich's nicht eher bedachte! Und du hast recht, Friedel! Ein Amt mußt du haben, ein gutes Brot! Das war auch allzeit der Mutter Wille. Ich rede heut' noch mit ihr davon, aber eh' nicht die Hochzeit vorüber ist, wird wohl nichts daraus werden.«

»Ist auch früh genug!« sagte Bilky aufleuchtend.

Der Markgraf sprach noch selbigen Tages mit seiner Mutter.

»Ach,« sagte Sibylla mit einer gewissen Erleichterung, »jetzt begreif' ich des Friedels Freundschaft mit Landin, der Tor bat mich damals, ihn fortzulassen! Sicherlich hat er mit dem Österreicher nach Wien gewollt, sich nicht getraut, mit der Sprache herauszugehen! Nun, das fehlt mir noch, den Friedel fortzulassen und gar nach Österreich! Hab' ich ihn darum aufgezogen? Treue Herzen muß man festhalten, das ist allezeit mein Wahlspruch gewesen. Ich will an seine Wünsche denken.«


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