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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Kein Mensch in Favorite dachte an Sabine von Wiedebar, außer vielleicht dann und wann Prinzeß Anna, oder Charlotte.

Der alte Geheime Rat saß ruhig in Rastatt in seinem Hause und sagte sich sehr gelassen, sie habe sicherlich die Einladung einer der befreundeten Damen angenommen.

Unterdes empfand Sabine zum ersten Male in vollem Maße das Vergnügen unbeengten häuslichen Waltens und die Wonne, zärtlich geliebt zu sein. Waren es auch nur zarte junge Kinder, welche dieselbe entgegentrugen und sie damit überschütteten, so tat diese liebevolle Zärtlichkeit dem an Liebe und Hoffnung, ja am Glauben verarmten Mädchen doch unaussprechlich wohl. Im Hause waltete sie Ordnung und Sauberkeit wiederherstellend von früh bis spät. Sie war von ihrer Mutter in allen wirtschaftlichen Dingen gut angewiesen – aber sie hatte selbst nicht gedacht, daß sie durch kluges Nachdenken imstande sein würde, so Ungewohntes wie die Führung eines so großen Haushaltes zu leisten. Die Zeit flog ihr dahin. »Gute Frau« nannten die Kleinen sie. Lisbeth genaß und folgte ihr auf Schritt und Tritt.

Auf die Herrlichkeit der markgräflichen Schlösser folgte die große Einfachheit eines auf geringem Vermögen errichteten ländlichen Hauswesens; auf den reizenden Park von Favorite der Aufenthalt in einem Krautgarten, zwischen dessen Küchengewächsen sich die Rosen und Lilien in ihrer üppigen Blüte gar freundlich abhoben. Und über sich die schattigen Nußbäume, rund um sich her der Anger mit der bleichenden Wäsche und den Streifen hellweißen Leinens, das man im Hause gewebt! Auf dem Hofe die gackernden Hennen, auf dem Dache die gurrenden Tauben und dazwischen das helle Lachen und vergnügte Plaudern der Kinder!

»Und morgen nachmittag muß ich fort!« dachte traurig Sabine.

Da kam Klaus mit einem Manne vom Hause her zu ihr. Es war ein Bote, den Rudolf von Wiedebar mit mündlicher Bestellung geschickt. Der arme Herr sei vor Angst gefoltert, meldete der Elsässer, ob es seinen Kindern, zumeist der kranken Tochter, auch nicht so schlimm ergehe. Sodann solle er berichten, daß des Herrn Muhme tot sei, und er habe ein gutes Stück Geld geerbt, könne aber erst nach Verlauf einer weiteren Woche zurückkehren.

»Das ist gute Nachricht!« rief Sabine froh. Sie dachte zunächst nur, daß sie nun noch bleiben dürfe. Lisbeth hatte wohl verstanden, daß die Muhme gestorben. »Nun bleibst du bei uns, gute Frau! Nicht so? Nun ruft dich unser Mütterlein nicht wieder in den Himmel? Sie hat ja nun die Muhme, da braucht sie dich nicht!« Freudig nickte Sabine. Endlich gab sie dem Manne zu wissen, der Herr Freiherr möge außer Sorge sein, klein Lisbeth sitze schon wieder draußen und den Kindern gehe es gut, wie auch im Hause alles zum besten stehe. Es habe keine Eile mit seiner Rückkehr, er möge in aller Ruhe seiner Geschäfte warten.«

»Und keinen Gruß – kein – nichts?« fragten die Augen des Elsässers, der offenbar schon von dem Gesinde gehört, wer sie sei.

»Geht nur und meldet, was ich sagte!« befahl sie dem Manne. Und ganz leichten Herzens schritt sie den Gartenweg hinunter, blickte so zufrieden wie noch nie auf die Weinberge, die sich dicht dahinter erhoben, sah in den blauen Himmel und wünschte von Herzen, daß der Vetter noch lange – am liebsten Wochen – Monate wegbliebe. Sie wollte schon für seine Kinder sorgen.

Und wieder gingen ihr sechs Tage im Fluge dahin. Sabine packte heimlich ihren Koffer. Morgens, wenn sie erwachte, standen schon die vier Kinder vor ihrem Bett und begehrten zu ihr kommen zu dürfen. Das war die schönste Viertelstunde des Tages gewesen – und nun mußte das alles vorbei sein!

Sie konnte auch jetzt eher fort. Das Haus glänzte von Sauberkeit, die reine Wäsche lag in den Spinden und Schränken – es war nichts versäumt – alles in Ordnung! Und das beste – die Mägde hatten sich an die Zucht wieder gewöhnt – waren gehorsam, fleißig, freundlich und ließen das gnädige Fräulein ungern ziehen. Und so mußte es also geschieden sein.

Klaus hatte sich bereit erklärt, sie nach Rastatt zu fahren und das Fräulein dennoch sehr gebeten, doch zu bleiben bis der Herr käme.

Aber nein, nein! Sie wurde flammendrot, denn sie hatte nur zu gut gemerkt, daß das Gesinde in ihr die zukünftige Herrin sah.

Also heute nachmittag wollte sie fort. Sie war tief traurig. Ihr graute vor dem Vaterhause. O welcher Frieden, welche Ruhe war hier bei der nützlichen Arbeit für das Tägliche! Und wie verächtlich hatte sie vor wenig Wochen noch auf dies schöne, engbegrenzte Leben herabgesehen!

Die Kinder sollten jetzt spielen gehen. Dann konnte sie ungesehen abreisen. Klaus aber hatte in weiser Vorsicht Sabines Koffer während der Mahlzeit herabgetragen, und Lisbeth war es, die ihn damit eiligst aus dem Hause schlüpfen sah. Im Nu begriff das Kind die Sachlage und schrie in Tränen zerfließend: »Die Muhme will fort, die gute Frau geht von uns! Der Klaus fährt sie weg!«

Ein Jammergeschrei erfüllte das Haus; Sabine in Mantel und Hut stand zwischen den Kindern, welche sich an sie hängten, tröstete und beruhigte, selbst überwältigt, in Tränen ausbrechend, die Kleinen. Sie sah es nicht, daß der Vetter Rudolf in der Haustür stand und daß ein bitterer Ausdruck über dessen Gesicht flog. Aber seine Stimme erkannte sie emporschnellend sofort.

»Nun, das hat mir ein guter Geist eingegeben, daß ich so heimeilte? Ihr wollt also gerade das Haus räumen, um mir nicht begegnen zu müssen! Aber danken darf ich Euch von Herzen, daß Ihr meinen armen Waislein so liebevoll beigestanden habt! Ihr seid ›die gute Frau‹, Sabine, – ich weiß schon!« Das sagte er ruhig und sicher und bot ihr die Hand. In dem Druck derselben lag Festigkeit und Wärme, aber in seinem Gesicht stritt die Dankbarkeit des Vaters mit dem verletzten Selbstgefühl, und eine tiefe Röte lag auf seiner Stirn.

Die Kinder sprangen an ihm hinauf, begrüßten ihn freudevoll und riefen sich überstürzend ihm zu, wie gut die Frau gewesen, die das Mütterlein aus dem Himmel geschickt habe.

»Sabine, einen Tag könnt Ihr nun schon zugeben! Ich selber fahre Euch dann heim.«

Er führte sie ins Haus zurück und lief wie neugierig durch alle Stuben.

»Man sieht es gleich, daß hier eine Frau gewaltet hat; Ihr habt alles so blank und sauber! Ja, Ihr versteht's! Ach, wenn Ihr mir nur eine gute Wirtschafterin wüßtet! Nun die Muhme in Mülhausen tot ist, bin ich wieder soweit wie vorher!«

»Aber Ihr habt eine Erbschaft getan, Rudolf!«

»Ja, und da Euer Vater Euch um meinetwillen beraubt hat, so habe ich, ehe ich heute heimkam, den Baron von Plittersdorff aufgesucht und vor ihm und dem Landvogt von Laudrum Verzicht geleistet auf das vererbte Geld und es Euch zuschreiben lassen. Daran kann nun kein Mensch mehr rütteln, weder Ihr, noch Euer Vater, denn wenn Ihr's etwa anzunehmen verweigert, haben wir es auf Eure etwaigen Erben geschrieben.«

»Rudolf! Das – das tatet Ihr?«

»Da ist nichts zu wundern, oder zu loben, Cousine. Euer Vater hatte mich glauben lassen, Ihr seiet bereit, mein Weib zu werden; so konnt' ich mit gutem Gewissen seinen Vorschlag annehmen. Als Ihr mich aber abgewiesen, brannte mich Eures Vaters Schenkung wie ein Brandmal. Ich sprach mit den edlen Herren und Freunden. Sie wollten alle, ich mußte annehmen, aber für Euch sorgen, und das ist nun getan.«

»Rudolf, Ihr habt vier Kinder! Euch ist gerade jetzt ein Stück Geld not«, sagte sie bedrückt, ja beschämt.

»Nicht so not, wie das freie Bewußtsein, Euch nichts mehr schuldig zu sein!« sagte er entschieden, ja fast scharf. Dann aber setzte er gleich hinzu: »Nun habt Ihr mich aber dennoch zu Eurem Schuldner gemacht!«

Rudolf verließ sie, um die Reisekleider abzulegen; er sah darin gut aus, aber besser noch in seinem grünen Wams und den ledernen Beinkleidern.

Und zwischen den geputzten Hofherren hatte er Sabine so sehr mißfallen. Sie war heute ganz erstaunt.

Freundlich forderte er sie auf, ihn mit Lisbeth zu begleiten; er wollte ihr zeigen, daß er in Feld und Weinberg gute Ordnung habe.

So fand sie es auch – es war ein stattlicher Besitz. Sie lobte alles freudig.

»Aber Not und Arbeit hat's gekostet, es war in den Kriegsjahren alles verkommen und Geld hatte ich nicht, als ich anfing«, sagte er.

Wie anders erschien er Sabine hier. So ruhig und verständig und sicher.

Er behandelte sie wie eine gute Freundin. Was zwischen ihnen geschehen war, nahm er als abgemacht an. Er erzählte ihr, daß Prinzeß Augusta mit dem jungen Herzog von Orleans verlobt sei. Sie war sehr überrascht; aber zugleich wachte auch ihre ganze Bitterkeit wieder auf, und wenn sie auch nur wenig davon sagte, so erfuhr er doch genug, um zu begreifen, daß sie ohne bewußtes Verschulden in Ungnade gefallen war.

»Ich kann Euch nicht sagen wie mir grauste, wieder nach Rastatt zurück und zum Vater zu sollen; da muß mein Kutscher sich verirren und ich hierher kommen! Es ist wohl so, wenn die Not am größten, ist Gott am nächsten, denn mir war's eine Errettung, daß ich diese Kinder fand, die meiner Liebe bedurften, daß ich arbeiten konnte, Nutzen schaffen und diesen Frieden finden, der über mich kam. Das tatlose Lungerleben am Hofe hat mich unglücklich gemacht, jetzt habe ich es einsehen gelernt!«

»Was Ihr zu wenig zu tun hattet, habe ich zu viel! Euer Vater läßt Schloß Wiedebar wieder aufbauen, dort soll ich nach dem Rechten sehen und hier auch, kaum weiß ich, wie ich es möglich mache!« sagte er. Daß man eiligst eine treue Wirtschafterin suchen mußte, stand bei beiden fest.

Am andern Tage wunderte sie sich sehr, schon am frühen Morgen die Kinder zu hören und noch mehr wuchs ihr Erstaunen, als Lisbeth im neuen Kleide zu ihr hereinschlüpfte und, vor Freude ganz rot, berichtete, der Vater ließe den großen Wagen anspannen und wolle sie alle mitnehmen zum Ohm Wiedebar. So war es in der Tat. Eine Stunde später waren sie schon auf dem Wege. Um elf Uhr hielt der Wagen vor dem Hause des Geheimen Rats, und während Sabine, eine ganz andere, als die sie je zuvor gewesen, in die Küche eilte, um dort für das Mittagessen Sorge zu tragen, erzählte Vetter Rudolf dem aufhorchenden alten Herrn was sich alles ereignet.

»So nimmt sie also endlich Vernunft an?« sagte dieser.

»Redet nicht so, Ohm, ich bitte Euch als gehorsamer Neffe darum. Was geschah, seh' ich als abgemacht an, ich selbst«, erwiderte Rudolf von Wiedebar sehr fest.

Der Alte schwieg; aber man sah ihm den grimmigen Ärger nur zu deutlich an. Sabine sorgte selbst in der Küche für die Bewirtung ihrer lieben Gäste, als aber nach dem Essen Rudolf von Anspannen redete, wurde sie blaß und Rudolf bemerkte es.

Der Alte ging eben in seine Stube, neuen Tabak zu holen. Da sagte der Vetter mit ruhiger Stimme: »Ich weiß nicht, Sabine, was Ihr hier tun wollt, wo Euch niemand braucht? Meine armen Kleinen dagegen bedürften Eurer so dringend, um so mehr, als ich den Sommer über, wie Euer Vater meint, in Wiedebar bleiben soll. Eben habt Ihr mir das Haus wieder in Ordnung gebracht, aber wie lange wird's dauern? Und die Lisbeth! – Ich mag nicht daran denken, wie das Kind nach Euch jammern wird!«

Ihr stiegen die Tränen in die Augen. Ach, schon jetzt sehnte sie sich zurück in das schlichte Haus, wo sie sicher war, niemand von all' diesen Leuten zu sehen, welche ihre Demütigung mit erlebt.

»Nun, Cousine, schlagt ein, kommt wieder mit; ich bin ja zudem nicht einmal daheim! Gutes tun mir und den Meinen könnt Ihr aber, und ich will nicht zu stolz sein, Euch aufrichtig darum zu bitten. Kommt wieder mit uns!«

Sie gab ihm weinend die Hand und nickte ihre Zustimmung. Aber was sie dachte! »O, welch ein guter Mensch ist der Vetter!« das sagte sie nicht.

So fuhren sie denn am selbigen Tage wieder heimwärts. »Heimwärts!« dachte selbst Sabine, ohne sich darüber klar zu werden. »Nun hab' ich doch für meine Kinder eine gute Seele! Nun kann ich ruhig sein, daß alles richtig und gerecht zugehen wird!« sagte Rudolf öfter. Die Kinder sangen und jubelten bis sie müde wurden und einschliefen. »Zu Haus! zu Haus!« sagten die schlaftrunkenen Kinder, als sie bei Sternenschein endlich anlangten.

»Zu Haus!« dachte auch Sabine und dankte Gott inbrünstig, daß sie hier vorerst bleiben durfte.


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