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Neunzehntes Kapitel.

Zwei Tage später zog die Markgräfin ebenfalls durch Forbach und von da links an der Murg hinab, bis nach dem alten Schlosse Eberstein, auf steiler Felswand gelegen, dem einstigen Stammsitz des berühmten Grafengeschlechts, dessen fränkischem Zweige Sibyllas Kavalier angehörte. Hier sollte eine große Jagd abgehalten werden. Es waren Einladungen dazu nach allen Seiten ergangen, und als Sibylla den Schloßhof betrat, empfing sie schon der freudige Gruß der Geladenen.

Unter den vielen Wagen, in welchen die edlen Herren mit ihren Gemahlinnen oder Töchtern gekommen, befand sich auch die alte Kutsche des Geheimrats von Wiedebar. Sabine hatte nach dem Rat der Markgräfin ihren Vater dringend zu überreden gesucht, für sie auf die Teilnahme an diesen Jagden zu verzichten, aber er hatte nur kurz und befehlerisch geantwortet: »Behalte deine Weisheit für dich; was uns zukommt, will ich selbst schon wissen.«

So stand sie denn zwischen den Empfangenden und konnte ihren Anteil hinnehmen an dem freundlichen Willkommen, den Sibylla ihren Gästen bot.

Am Abend war großes Gastmahl. Sabine hatte nicht, wie sonst, ihren Platz an der Tafel der Hofdamen und Kavaliere, die heute vollzählig versammelt waren; sie saß mitten zwischen den andern Gästen und hatte weder bis jetzt ihre früheren Gefährten begrüßen können, noch von der Markgräfin und deren Kindern das leiseste Zeichen des Bemerktseins erhalten. Da brachte ihr gegen Ende der Mahlzeit der Kammerherr von Grunthal das herzliche Bedauern der Frau Markgräfin, sie so sehr von dem üblen Kopfschmerz geplagt zu sehen, und erlaube Ihre Durchlaucht ihr, sich gleich nach der Tafel zurückzuziehen.

Der arme Kammerherr! Er war ein gutherziger und teilnehmender junger Mann, der sehr wohl wußte, was da von neuem Sabine angetan wurde.

Arme Sabine! Wie sie hernach auf der kleinen Gastkammer, welche sie später mit noch einer andern Dame teilen sollte, am Fenster stand und mit trostlosen Augen hinunterblickte auf das weithin sich ziehende schöne Tal, wuchs das bittere Leid noch und das Gefühl ihrer Ohnmacht! Ob die übrige Gesellschaft diese versteckte Weisung aus den Festräumen wohl bemerkt habe? Was ihr Vater dazu sagen werde? Ob sie nicht um seinetwillen besser tue, ganz zu schweigen und das ihr aufgezwungene Kopfweh als wirkliches darzustellen? Das Beste war wohl, morgen früh zurückzubleiben und nach Rastatt zu reiten. Irgendein Bote würde sie wohl gegen ein Douceur begleiten.

Lustig zog am andern Tage in der Frühe die Gesellschaft zu Tal. Auf Schloß Eberstein hörte man noch lange hier und dort Hornruf und den Widerhall einzelner Schüsse, dann war alles still.

Markgräfin Sibylla war jetzt, angeregt von den Jagden und sehr erfrischt durch die ungewohnte Anstrengung, völlig wieder dieselbe, welche man seit Jahren bewunderte, und wenn dennoch die Spannung und Unruhe sie bemeisterte, so faßte sie sich doch immer schnell. Am späten Abend trafen ihre Gäste die Kutschen auf dem bestimmten Halteplatz und fuhren zum größten Teil wieder heimwärts, hochbefriedigt von dem Vergnügen des Tages.

Im Wirtshaus aber saß Sabine und fragte ihren Vater, ob sie nicht morgen heimreisen wollten.

»Vielleicht!« beschied er sie, und da eine alte Gräfin von hier aus nach dem Ziel des morgenden Tages fahren wollte, war sie froh, in Sabine, welche wohl oder übel Kopfschmerzen vorschützen mußte, eine Gesellschafterin bis zu dem Sommerschlosse des Bischofs zu haben. Sabine selbst aber sehnte sich, den hochwürdigen Herrn zu sprechen.

Der Bischof empfing, gefolgt von einigen wenigen Herren, die Markgräfin und ihre Begleiter an der Grenze seines Jagdbezirks mit so offenbarer Freude und Genugtuung, daß Sibylla auf das angenehmste davon berührt wurde. Schon aus seinen ersten Worten hörte sie, daß er diesen Besuch in der taktvollsten Weise zu maskieren verstanden, weder Sibylla noch die spanischen Damen hatten davon, auch für den Fall des Mißlingens, irgendwelche Inkonvenienzen zu fürchten.

»Und Landin?« fragte die Markgräfin.

»Wie ich Euch nach Ettlingen schrieb, durchlauchtigste Frau, hält er sich gegen seine sonstige Art still. Daß er Euch nicht begegnen darf, weiß er; behütet auf alle Fälle Eure Nichte vor einem Wiedersehen mit ihm.«

»Das wird nicht schwer sein; Anna Maria glaubt ihn wohl kaum hier«, sagte die Markgräfin.

»Ihr werdet mit dem willensstarken Mädchen noch viel Not haben, Frau Markgräfin!«

»Wenn es Euch belieben wollte, diesen Landin der Gräfin Truchseß zum Gemahl zu geben?« schlug Sibylla vor.

»Das ist ein Gedanke!« rief der Bischof.

»Wer ist jener blasse, sehr junge Mann, den der Markgraf so freudig begrüßte?« fragte Sibylla, während sie dem Schlosse zuritten, den Bischof.

»Das ist Adam Franz von Schwarzenberg, Ew. Liebden, der Sohn Eurer Freundin, der geborenen Gräfin Suly!« erklärte der Bischof.

»Ah!«

Der Bischof winkte dem jungen Fürsten, und Sibylla begrüßte ihn.

»Ihr kanntet den Markgrafen?« fragte Sibylla, im höchsten Grade überrascht, und ihr Blick flog nach dem Sohne, der dies alles erwartend schon neben ihr war. »Du kanntest den Fürsten?«

»Ihn und Prinzeß Maria, teure Mutter!« sagte mit einem Blick, der den hellen Herzensjubel verriet, der Markgraf.

Sibylla hatte Mühe, einen Schrei zu unterdrücken.

»Die Schwester? Sie muß ein Kind sein?« fragte sie dann den Bischof, die Herren entlassend.

»Ein Kind? Ein reizendes Mädchen, sechzehn Jahre denk' ich!«

Während des Rittes hatte Bilky durch einen Boten einen Brief empfangen und mit betroffenen Mienen gelesen. Der Brief war von Landin und lautete:

»Zug um Zug, lieber Graf! Ich habe die beiden in diesen Tagen nach Wien abgehenden Kuriere mit Briefen in Eurem Interesse beladen, da ich noch nicht fort soll, doch habe ich die Erlaubnis, mich in einer benachbarten Meierei den Augen Eurer mir ungnädigen Herrin zu entziehen. Amor ist immer der Beschützer der Liebenden! Im Vertrauen auf Euer Gelöbnis bitte ich Euch, der bewußten Dame zu sagen, daß ich sie an dem Kreuzweg nach A. und dem Schlosse erwarte. Macht Euch zum Stellvertreter des Liebesgottes!

Darum bittet Euch inständig Euer
L.«

In unaussprechlicher Aufregung und Spannung ritt Anna von Neuburg dem angegebenen Ziele jetzt zu, sie und Bilky die letzten im Zuge.

»Ich tue meiner teuren, gütigen Herrin unrecht!« sagte Bilky niedergeschlagen.

»Gott wird Euch keine Sünde darum anrechnen, Bilky, ach, und wie wollen Landin und ich Euch danken!«

Da war der Kreuzweg. Die Gesellschaft ritt vorüber, erst der Bischof und die Markgräfin, darauf die andern alle, Anna von Neuburg und Bilky als die letzten des Zuges; sie lenkten die Pferde auf den Seitenweg, hielten still und horchten, bis das Hufgetrappel verklang.

Da! »Yanko! mein Yanko!« Die Prinzeß war vom Pferde, lag in Landins Armen und Bilky hielt am Kreuz Anna von Neuburgs Tier. Niemand vermißte die beiden, als man auf dem Schlosse ankam, sogleich. Sibylla war froh, in Einsamkeit ausruhen und ihren sorgenden Gedanken nachhängen zu können. Als eine halbe Stunde später der Markgraf seine Cousine und Bilky auf den Schloßhof traben sah, war er mit Bilkys flüchtiger Erklärung: »Wir hatten einen kleinen Aufenthalt!« vollständig zufrieden. Wie oft reißt nicht eine Schnalle, oder löst sich ein Sattelgurt. Sein Herz war zu übervoll von dem Glück, Anna Maria von Schwarzenberg heute sehen zu sollen.

»Denn, glaub' mir's, Friedel, das Recht der freien Herzenswahl braucht sich kein Mensch beeinträchtigen zu lassen. Erkennt die Frau Mutter nur Ernst, so gibt sie sich darein, und du sollst sehen, mit der Anna und dem Vetter Friedrich wird es just so gehen, die Anna nimmt ihn nicht, und er ist dessen froh! Mir soll's recht sein, wenn er mein Schwager wird.«

Das klang für Bilky tröstlich genug. Jawohl, die hatten es gut! Sie brauchten wenigstens nicht nach Geld und Gut zu fragen. Aber er und Charlotte? Und wie war die auch auf einmal stachlig und schnippisch gegen ihn? Sie wußte ja doch längst, wie er's meinte! Mußte es wissen. Aber wie sollte er sie fragen? Welchen Namen konnte er ihr bieten? O, der Qual und Not!

Aus allen Gemächern traten die reichgeschmückten Gäste hervor und versammelten sich um den Hochwürdigen. Nie war Sibylla herrlicher, stolzer dahergeschritten. Ein einziger Blick genügte ihr, um den vollen geheimen Triumph in ihr zur Entfaltung zu bringen. Wie? Das waren die Spanierinnen? Diese kleine, vertrocknete Mumie mit dem gelben Teint die Gemahlin eines Infanten? Und diese ebenso kleine, unscheinbare Tochter, Prinzeß Claudia, wollte der Kaiser ihr als Nachfolgerin geben? Und die nannte man schön? Fand man etwa sonst nirgends einen Gemahl für dieses unbedeutende Mädchen und bot es nun dem jungen Markgrafen? Aber jene? Jenes schlanke, zarte Mädchen mit der vornehmen Haltung? den tiefen, herrlichen Augen? Und indem sie so dachte, begrüßte sie die Damen mit den üblichen Umarmungen, redete die konventionellen Phrasen und erschrak heimlich, wie alt ihre einstige Freundin, die Fürstin Schwarzenberg geworden, welche ihr nun ihre beiden Kinder vorstellte.

In den langweiligen Etikettenrücksichten war dem jungen Markgrafen vorerst eine Annäherung an Maria von Schwarzenberg nicht möglich, aber Sibylla beobachtete jeden seiner Blicke, während sie nichts zu sehen schien; wie umhüllten sie dieses noch kaum entwickelte, immer heißer erglühende, junge Kind mit seiner offenkundigen Liebe. Er tat sich auch nicht den mindesten Zwang an; nachdem er der Prinzessin Claudia die Rücksichten der Höflichkeit gezollt, war sie für ihn kaum vorhanden. Er sah nur Maria, seine Maria, und lächelnd, in holdester Jungfräulichkeit nahm sie seine Huldigungen entgegen, während ihr Bruder in der schwärmerischen Hingabe eines Jünglings an den älteren Freund den Arm des Markgrafen nicht freiließ.

In Sibyllas Seele herrschte in diesen Stunden ein wahrer Sturm von Zorn, Angst und leidenschaftlichem Widerstreben! Wie genau wußte Ludwig Georg ihre Meinung über alles, was das Kaiserhaus betraf und mit diesem zusammenhing. Und dennoch; dennoch!

Das waren also diese Ritte mit Bilky gewesen! Der Schändliche, der Undankbare, den sie wie ein eigenes Kind gehalten! Ihr nichts zu sagen!

So ging das Fest vorüber. Sibylla schwankte, ob sie ihren Sohn zu sich bescheiden dürfe, um mit ihm zu reden; sie, die sonst stets so sichergehende, fühlte mit tiefem Schrecken, sein Wille war ein unbeugsamer Manneswille.

Strahlend wie in den Tagen von Baden war Anna von Neuburg; Sibylla erinnerte sich erst, dies heute abend bemerkt zu haben, als die Prinzessin sich von ihr für die Nacht verabschiedete. Ein unerträgliches Kopfweh begann sie zu quälen, sie, welche sonst nie gewußt, was es hieß, Kopfschmerz zu haben oder überhaupt krank zu sein. Gegen Tagesgrauen hatte sie einige Stunden geschlafen und fühlte sich davon bedeutend wohler. Ein Sonnenstrahl brach sich Bahn durch die Vorhänge. Sie klingelte ihrer Kammerfrau und ließ sich ankleiden. Ganz sachte wollte sie in den Park hinausgehen, einen ihrer stillen Morgenspaziergänge machen. Als sie dann von der Mettler begleitet, in dem Gange hinabglitt, ging hinter ihr eine der vielen Türen auf, und eine unbekannte Stimme rief ärgerlich einem der Diener zu:

»Der Fürst Landin! Wo bleibt er denn? Meine Hoheit wartet mit Ungeduld!« Und dann kam die Antwort: »Großer Gott, er ist nicht zu finden, ich war schon dreimal in der Meierei.« Sofort kam von neuem das Kopfweh, das entsetzliche Gefühl der nicht mehr zu beherrschenden Aufregung über die Markgräfin.

»Wenn Anna Maria ihm begegnete!« schrie es in ihr. Sie weiß, daß er hier ist! Sie hat ihn gesprochen, sie ist bei ihm! Vergebens bat die Mettler ihre Herrin, nicht hinauszugehen. Diese beharrte darauf. »Prinzeß Anna hat ein treffliches Mittel gegen dies hämmernde Kopfweh, hole es mir!« sagte sie mit zuckenden Lippen. »Ich erwarte dich vor der Türe draußen.« Die Mettler lief so schnell sie konnte. Nach einer Weile kam sie zurück und berichtete: »Bärbel Eydelmann sagt, Ihro Gnaden habe ebenfalls so geklagt und sei hinaus in den Park. Das Mittel fanden wir nicht.«

Sibylla hatte diese Nachricht voraus gewußt. »So finde ich sie!« sagte sie ruhig und wehrte die Kammerfrau nochmals. Sie müsse allein sein. Als sie dann nach einer Viertelstunde, ohne die Gesuchte gesehen zu haben, wieder in das Schloß zurück und auf ihr Zimmer kommend, an das Fenster trat, sah sie gerade noch, wie Landin von den längst reisefertigen, sehr mißlaunig aussehenden Damen mit lebhaften Vorwürfen vor der Haustür empfangen wurde.

Ihre Überzeugung sagte ihr, Landin und Anna von Neuburg hatten sich gesehen, gesprochen; und als diese bald darauf zum Frühstück erschien, vermochte Sibylla auf keine Weise zu erkennen, ob ihre Nichte von Landins gestriger Anwesenheit wisse.

Nach dem Frühstück bot der Bischof der Markgräfin den Arm, er habe ihr Wichtiges zu sagen. Was Markgraf Karl Sibylla angedeutet, was sie in Ettlingen geahnt, als der Marquis de Noailles plötzlich dort erschien, seine Freundschaft mit Grunthal zu erneuern, es war Wahrheit. Der Regent von Frankreich warb um die Hand der Prinzeß Augusta von Baden, und die Gründe, welche sie hatten, waren nicht ohne schweres Gewicht. Aber welch glänzende Partie! Und jetzt, wo Augustas Herz noch frei und unberührt war, jetzt konnte man sie noch in die erwünschte Richtung lenken, ohne Widerstand zu fürchten. Sibylla erfuhr, daß der Regent diese längst geplante Verbindung durch seine in Ungnade gefallene Tochter, die Herzogin von Berry, dem Bischof zur Befürwortung empfohlen. Die Torheit, welche dieselbe beging, als sie Madame Riom wurde, hoffte sie zu sühnen, indem sie die Wünsche ihres Vaters förderte. Der junge Herzog, welcher die Versöhnung zwischen dem Regenten und dessen Tochter vermittelte, weilte eben jetzt bei derselben und hatte durch einen glücklichen Zufall Prinzeß Augusta gesehen. Sibylla hörte erstaunt, was der Bischof erzählte.

»Ein scharmanter junger Mann, ritterlich, sensible, ein nobles Herz! Wenn Ihr gestattet, Durchlauchtige Frau, so stelle ich ihn Euch bei der Tafel vor.«

»Ist denn der Herzog Louis in der Nähe?«

»Sehr nahe, und mit Sehnsucht dieses Augenblicks harrend«, erwiderte der Bischof mit geheimnisvollem Lächeln.

Sibylla, so erregt sie über diese Mitteilungen war, konnte dennoch nicht eine Minute die Sorge um ihren Sohn vergessen. Bis jetzt hatte der Bischof die Besprechung dieses Punktes vermieden. Was war zu tun betreffs der Herzensaffäre Markgraf Ludwigs?

Alle ihre Gedanken schüttete die sonst so vornehm zurückhaltende Markgräfin vor dem geistlichen Herrn aus. Wie eine Beichte berührte sie dies Entlasten ihres von so vielen Sorgen bewegten Herzens, und bereitwillig ließ sie sich dann ermahnen, nicht allzusehr einzugreifen in den Gang der Ereignisse. Wie töricht, zu wähnen, daß ein junges, eben erwachendes Herz gleich auch in unbezwinglicher Glut auflodert! Nur Ruhe, Gelassenheit! Erst den reiferen Menschen erfaßt die allgewaltige Leidenschaft! Man mußte ruhig zusehend beobachten; sich scheuen, selbst lenken zu wollen, was schon in einer kurzen Spanne Zeit von selbst geregelt wurde. Offener Widerstand? Wie verkehrt! Ach, ach, das Mutterherz, welches durchaus danach trachtet, den Kindern selbst das Schicksal zu bereiten, statt Gott und die Heiligen walten zu lassen!

Welches Glück erschien Sibylla der verständige Rat. Sie bedachte nicht, daß der Bischof ihr nur mit andern Worten wiederholte, was Graf Eberstein ihr so oft schon bittend und ratend gesagt: und ebensowenig bedachte sie, daß ihr des Bischofs Ansichten nur darum so wertvoll erschienen, weil sie dieselben mit der ihr eigenen Devotion, als von dem geistlichen Oberhaupte kommend, empfing, während sie sich in den Jahren ihrer Regentschaft nur allzusehr gewöhnt hatte, Eberstein und ihre Räte anzuhören, ohne sich irgendwie beeinflussen zu lassen, gewiß, die daraus entstehenden kleinen Gereiztheiten und offenen Widerreden schließlich zu besiegen, nicht durch Überzeugung, sondern mit den Waffen der schönen Frau. Die Markgräfin war ihrem liebenswürdigen Wirte von Herzen dankbar, daß er sie von der folternden Unruhe befreit hatte und sagte ihm dies.

»Ich werde demnächst den Pater Isidorus mahnen, Euch zur Demut zu leiten, denn wisset, Frau Markgräfin, trotz Eurer gewinnenden Liebenswürdigkeit und Herzensgüte seid Ihr im geistigen Hochmut arg befangen«, sagte er ihr lächelnd, aber mit ernstem Blick.

Sie wurde glühend rot. Das hätte ein anderer wagen sollen!

»Wir protestieren meist am schnellsten gegen den Vorwurf, der die schwächste Seite trifft –« fuhr er fort.

Im nächsten Augenblick senkte sie den Kopf. »Pater Isidorus soll nicht klagen, daß ich in der Selbstzucht säumig sei«, erwiderte sie.

*

Und wieder war Markgräfin Sibylla ruhig und heiter. Sie plante allen eine Überraschung und wenn auch eben erst ermahnt, nicht allzuviel selbst Schicksal spielen zu wollen, war sie in den nächsten Stunden doch ganz vertieft in Kombinationen, welche alle auf die glänzende Zukunft ihrer geliebten, holden Augusta hinausliefen. Auf ihrem Zimmer ruhte sie dabei aus von den Aufregungen der letzten Tage, und als ihre Tochter kam, nach dem Befinden der Mutter zu sehen, freute dieselbe sich heimlich ihrer frischen Schönheit und riet ihr, ein Kleid anzulegen, in welchem sie besonders reizend aussah.

»Aber warum sind denn die Durlacher Verwandten noch nicht da?« fragte die Prinzeß.

»Der Bischof hat sie nicht geladen, Kleine, mich dünkt, es fehlte ihm an Platz!« erklärte sie ruhig.

»Engster Kreis der Fürstlichkeiten!« war die Order für die Mittagstafel. Nur ein kleiner Zirkel, dessen Mittelpunkt der Bischof war, neben welchem Markgräfin Sibylla und Fürstin Schwarzenberg saßen. Nur ein einziger Gast war noch gekommen, ein gänzlich unerwarteter Gast! der junge Herzog von Orleans, der Sohn des Regenten. Die Überraschung war groß, noch größer, als Markgraf Ludwig und Prinzeß Augusta in ihm den Reiter erkannten, den sie neulich im Walde bei Herrenwies getroffen. Im ersten Augenblick wurde Prinzeß Augusta glühend rot, denn ihr fiel plötzlich ein, was Markgraf Karl in weinseliger Laune geplaudert. Als sie aber dann scheu und angstvoll in die Augen des jungen Herzogs blickte, der eben lebhaft mit Prinzeß Anna sprach, tröstete sie sich. Sicherlich galt die Ankunft des Herzogs Louis von Orleans ihr. Diese Meinung befestigte sich, da Anna Maria neben ihm an der Tafel, sie ihm gegenüber saß.

Des Bischofs dringende Bitten an die Markgräfin, ihm noch einen weiteren Tag die Ehre ihres Besuchs zu schenken wurde angenommen, und in lauter Scherz und Frohsinn verging der Abend. Der junge Herzog tanzte bei dem schon vorbereiteten Ballfeste mit Anmut und Eifer, indem er in taktvoller Weise vermied, Prinzeß Augusta auszuzeichnen. Sibylla aber wußte klug jedes Gespräch mit ihren argwöhnisch dareinschauenden Getreuen zu vermeiden.

Es war etwa eine Stunde nach der aufgehobenen Tafel des nächsten Tages, als der Bischof, den Prinzeß Augusta schwärmerisch verehrte, zu dieser trat, sie aus dem Kreise der Gefährtinnen entführte und sich mit ihr in eins der von ihm selbst bewohnten Zimmer begab, wo die erstaunte Prinzeß ihre Mutter und neben derselben den Herzog Louis von Orleans traf. Dieser hatte die in ahnendem Schrecken Zurückweichende kaum gesehen, als er neben ihr war und ein Knie beugend, in unverkennbarer Erregung ihre Hand ergreifend, sprach:

»Mit der gnädigsten Erlaubnis Eurer durchlauchtigen Mutter und meines Herrn und Vaters bitte ich Euch, Prinzeß Augusta von Baden-Baden, um Eure Hand zu einem mit Gottes Hilfe glücklichen Ehebunde!«

Sibylla aber erwiderte den entsetzten, zu ihr eilenden Blick der Tochter mit einem zärtlichen, freudevollen Zunicken, und der junge Herzog küßte ihre eiskalte Hand mit warmen Lippen und warmem Dank.

Sie hatte nicht protestiert, sie lag in den Armen ihrer Mutter, hörte des Bischofs Segensworte und Glückwunsch und wurde hier von den erregten Dankesbezeugungen des jungen Herzogs, dort von den Versicherungen ihrer Mutter, daß nichts auf der Welt sie mehr erfreuen könne als diese Wahl ihres geliebten Kindes, überstürzt. Ehe sie Zeit hatte sich zu besinnen, sah sie sich gegenüber der herbeiströmenden Gesellschaft, hörte, wie die Markgräfin, ihre geliebte Mutter, mit freudebebender Stimme allen verkündete, daß Herzog Louis von Orleans, der älteste Sohn und Erbe Sr. Königlichen Hoheit des Regenten von Frankreich, soeben um die Hand ihrer Tochter, der Prinzeß Augusta, gebeten und deren Einwilligung so bereitwillig wie die ihrige erhalten habe. Das Freudengeschrei, die Glückwünsche und die Umarmungen hörten nicht auf.

»Es ist ein Traum!« sagte sich Augusta von Baden. Es konnte ja nur ein Traum sein.

»Welche Freude!« sagten alle; jeder der Anwesenden rief ihr so vergnügt sein: »Gott segne Euch, Prinzeß Augusta!« entgegen. Und neben ihr der Herzog, ihr Verlobter, küßte ihre kalte Hand immer häufiger. Und dann sprach er von der Zukunft und wie er sich glücklich fühle und sich bemühen wolle, sie zu beglücken.

»Der Eltern Segen baut den Kindern Häuser!« hallte es in Augustas Seele.

So verging der Abend und ein Teil der Nacht, und dann gab es keine Tränen, keine Verzweiflung bei ihr, o nein! nur so ein sonderbares Gefühl, wie wenn da in ihr alles erstarrt sei; lebend und bewußt, aber ganz starr; weder traurig noch vergnügt; weder bang noch hoffend. Eberstein, Wiedebar, Plittersdorff, alle die andern badischen Räte und Herren hielten sich kalt zurück. Sie zürnten Sibylla bitter und flüsterten nur: »Das ist des Bischofs Werk!«


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