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Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Die Markgräfin stand in ihrem Zimmer vor Laudrum, ein Schriftstück in der Hand haltend, in welchem sie gelesen. Beide hatten ein tiefernstes, die Markgräfin ein erschrockenes Aussehen, und dabei legte sich um ihren Mund ein herber Zug, der ihrem Gesicht sonderbar fremd stand.

»Die Sabine Wiedebar soll unsern Vorteil nicht umsonst gewahrt haben«, sagte sie, in den Brief sehend. »Aber ist es nicht wie ein Gottgeben, daß sie uns die Fatme festhielt, da sie bettelnd in ihr Haus kam und daß die Scholastika bekannt hat? O, und mein Siegfried! Den ich liebte fast wie ein eigenes Kind!« rief Sibylla.

Der Landvogt hörte nicht auf den Ausdruck ihres Kummers. »Was beschließt Ew. Durchlaucht über Mustapha? Er hat sichtlich ein böses Gewissen! Seit Ihr ihn von der Dienstleistung bei der Hochzeit zurückwieset, geht er umher wie vor den Kopf geschlagen. Auch sagt mir der Gefangenwärter, der Mustapha habe ihm Geld bieten lassen, wenn er ihn zur Scholastika führe!«

»Und das ist Mustapha, auf dessen Treue mein Gemahl schwor, wie ich es auch getan hätte«, murmelte Sibylla.

»Soll ich ihn verhaften, Frau Markgräfin?« fragte Laudrum. »Wäre es nicht am besten, ihn – den Mustapha –?«

»Nicht heute, nicht jetzt, man könnte es nicht, ohne Aufsehen zu erregen!« sagte sie hastig. Und dann fuhr sie nach einem längeren Nachdenken fort: »Einen öffentlichen Prozeß? Nimmermehr, Laudrum! – Aber was tun?«

»Ohne Prozeß könnt Ihr sie nicht richten, Frau Markgräfin!« wandte Laudrum mit Festigkeit ein.

»Das weiß ich!« fuhr sie mit blitzenden Augen ihn an. »Glaubt Ihr, daß Ihr mich Gerechtigkeit lehren müßt?«

»Vergebt, Herrin! Es war der Beamte, der Richter, welcher ungefragt sich einmischte. Vergebt!« sagte Laudrum.

»Ungefragt? Rat begehr' ich von Euch!«

»So gebt mir Befehl, Graf Bilky und Mustapha zu verhaften, sobald ich den ersten Anschein der Notwendigkeit sehe.«

Ein Klopfen an der Tür störte die Markgräfin. »Der Herr Graf Eberstein bittet um kurzes Gehör«, meldete der Page.

»Wartet, Laudrum, verlaßt das Schloß nicht!« flüsterte die Markgräfin.

Laudrum ging. Ein erstaunter Blick des eintretenden Eberstein folgte ihm.

»Und nun, Graf? Was führt Euch zu mir?« fragte Sibylla ihn.

»Ihr habt Verdruß gehabt, Frau Markgräfin? Laudrum verließ Euch? Konnte der gestrenge Herr Euch nicht heute verschonen?« sagte er lebhaft und mit heimlicher Verwunderung Sibyllas verstörtes Aussehen bemerkend.

»Er ist ein treuer Mensch. Wenn er einmal des Guten zuviel tut, darf ich es ihm nicht anrechnen«, sagte sie leichthin.

»Ich komme als Bittsteller und Vertrauter eines jungen Bräutigams«, begann Eberstein dann.

»Bräutigam?« rief die Markgräfin leichenblaß werdend, denn sie dachte nur an ihren Sohn. Er erriet sie. »Es ist Bilky! Das Herz hat ihm den losen Streich gespielt – und so sind er und Fräulein Charlotte einig!« erklärte er lächelnd. »Da ist nun natürlich des Grafen erster Gedanke der, seine Herkunft festzustellen«, fuhr Eberstein fort. »Er hat mit dem Fürsten Landin seinerzeit schon darüber geredet. Aber was mißfällt Euch, Frau Markgräfin – Ihr seht –?«

»Mir mißfallen? Nichts, nichts, Eberstein, redet weiter!«

»Ich finde,« fuhr er fort, »die Absicht Bilkys, selbst nach Ungarn zu reisen, auch durchaus vernünftig. Es ist höchste Zeit, eh' der Winter hereinbricht.«

»Ah! er will nach Ungarn?« sagte die Markgräfin mit sonderbar vibrierender Stimme. »Und wer gibt ihm das Geld zu dieser Reise?« Jetzt glaubte er ihren Verdacht zu erkennen. »Ich, Durchlaucht! Ich habe es ihm –«

»Ihr?« schrie die Markgräfin auf, wie von einer Natter gestochen. Eberstein blieb sehr ruhig.

»Ihr meint die vertraute Freundschaft zwischen der Prinzeß und Bilky, Durchlaucht? Sorgt Euch nicht! – Eben darum bot ich selbst dem Grafen das Geld, damit er ohne jegliche Verpflichtung bleibe.«

»Sehr klug und schön, aber glaubt Ihr etwa, der Bilky brauche nicht des Fürsten Einfluß?«

»Ihr kennt Euren Pflegesohn, Frau Markgräfin, nehmt ihm das Versprechen ab –«

»Ja, wohl kenne ich ihn!« sagte sie in zorniger Aufregung.

Eberstein setzte dieselbe auf Rechnung der Prinzeß Anna. »Ein Mensch, der selbst liebt, hat leicht Sympathie für die Liebe anderer«, entschuldigte er Bilky.

Sibyllas Aufregung war grenzenlos. Bilky nach Wien – er nahm die Beweise seiner Geburt sicher mit, und dann – hinunter mit ihm ins tiefste Gefängnis. Ihr blieb kein Ausweg. »Und wann möchte Bilky reisen?« fragte sie vor Eberstein stehenbleibend.

»Am liebsten sofort!« erwiderte er, immer betroffener über ihr Aussehen.

»Ei, das laß ich gelten!« höhnte sie, »der junge Herr hat Eile!«

»Der Plan ist längst in ihm entstanden, Durchlaucht, er hat ihn reiflich durchdacht!«

»So? Nun das kann ich mir vorstellen!« murmelte sie wieder.

»Und wenn Ihr ihm gnädigst Urlaub bewilligt, hofft er in Wien für Euch Aufträge besorgen zu können!« fuhr Eberstein überredend fort.

Sibylla trat dicht vor den Grafen hin und sah ihm fest in die Augen. Nicht der Hauch eines wärmeren Gefühls lag in ihrem Blicke, nur die gebieterische Frage nach seiner Treue. Er aber konnte diesen Blick nicht enträtseln. Und unwillkürlich sagte sie leise und in ihrer Aufregung und Traurigkeit über Bilkys Verräterei viel weicher, als sie selbst wußte: »Nein, Eberstein, Ihr betrügt mich nicht! Ihr seid mir treu!«

Das Wort, ihr Blick brachten ihn um alle Selbstbeherrschung.

»Sibylla! Sibylla! Meine Herrin, meines Herzens Königin! Endlich siehst du es? Endlich? O, Sibylla – ich bin nur ein Mensch, – Ihr wißt es, wie ich Euch liebe, und Ihr fragt, ob ich Euch treu sei? O, meine geliebte, angebetete Herrin, und wie lange ließest du mich ohne Trost! Wie war ich so hoffnungslos!« Das Wort brachte sie auf einmal zur Wirklichkeit zurück. Sie fuhr wie von einem Blitzstrahl getroffen zusammen.

»Hoffnungslos!« murmelte sie bestätigend und sah sehr erschrocken aus, er hörte, sie bezog das Wort mit auf sich.

Er hatte wieder die Lippen auf ihre Hände gedrückt, jetzt blickte er auf, sah mit feuchten Augen zu ihr empor! »Und doch hoffe ich, Sibylla!« flüsterte er außer sich vor Glück, Dankbarkeit und Entzücken.

Sie entzog ihm ihre Hände und fuhr mit der Rechten über ihre Stirn. Was war das? Wohin war sie geraten? »Steht auf, Graf, ich will das kühne Wort vergessen!« sagte sie, sich mühsam beherrschend. Aber eben weil sie mit sich selbst in Widerspruch geraten, klang jetzt jedes Wort eisig kalt und streng. Graf Eberstein gehorchte und blickte sie ganz verwirrt ob dieser plötzlichen Änderung ihres Tones an. Sie aber fuhr ebenso scharf und kalt fort, indem sie mit unerhörter Selbstbeherrschung sich bezwang, nur an das zu denken, was sie sprach: »Meldet Eurem Schützling, ich bewillige ihm Urlaub, verlange aber, daß er von der Sache nicht rede, sondern abreise, ohne sich bei irgendwem zu beurlauben, außer bei dem Markgrafen. Man soll vorzeitig von der Reise nicht sprechen.« Je weiter sie so in kaltem Tone ihre Befehle erteilte, je bleicher wurde Graf Eberstein. War es möglich? War diese Frau so grenzenlos hochmütig, so gefallsüchtig, daß sie ihm erst die mühsam errungene Festigkeit niederbrach – um in demselben Augenblick kalt und streng zu sagen: »Ich will Euch das kühne Wort vergessen«? Er sah sie nur an mit einem Zorn, der keine Grenzen kannte. So? das also war Sibylla, Markgräfin von Baden? War sie nicht in kurzem ganz frei?

Sie liebte ihn! Er war dessen jetzt gewiß! Warum hoffnungslos? Nur weil ihr Hochmut über ihre Liebe ging. Und während diese Gedanken ihn wahnsinnig machten vor Bitterkeit, gab sie ihm kalt und klar ihre Befehle als – Herrin!

Mit zwei Schritten war er neben ihr. »Ich danke Euch, Frau Markgräfin, Ihr habt mich mit Eurer Strafe geheilt! Liebt Euch nur selber am meisten, folgt nur der kühlen Berechnung, die Euch nie vergessen läßt, daß Ihr eine Stufe herabsteigen müßtet und daß der Preis zu hoch ist für Euren Stolz. Ihr werdet schon sehen, wohin Ihr damit kommt! Ich habe Euch all diese Jahre her stumm und demütig angebetet und konnte mein Herz nicht losreißen von Euch. Habt Dank, daß Ihr es mir möglich macht. Nun kann ich fort; und Ihr, die Ihr Euch selbst auf den Altar Eures Herzens gestellt habt, seid nun für allezeit von mir befreit!« Er verbeugte sich und ging. Sie wußte nicht ob sie laut aufgeschrien, ihn zurückgerufen. Er hörte nicht.

»Er hat seine Entlassung nicht! Er darf nicht gehen!« rief es in ihr. Dann war plötzlich alles Nacht um sie. Nach längerer Zeit erst fand sie sich wieder zum Bewußtsein zurück. Da brannten noch die Lichter auf ihrem Tische, da tönte die Musik von draußen zu ihr herein! Augustas Hochzeit war, richtig! Und – ihr Blick fiel auf den Spiegel, sie schrak zurück vor dem totbleichen Bilde, welches ihr darin entgegentrat. Dann sah sie sich rings im Zimmer um. Wie sonderbar, alles schien ihr mit schwarzen Trauerfloren verhängt! Eine scheue Furcht malte sich in ihren Zügen, sie blickte noch einmal umher, alles schwarz! Dazwischen wallte es wie schwebende dunkle Schleier. Als sei sie festgebannt, starrte sie in diese Verfinsterung hinein. Aber das alles dauerte nur Minuten, welche ihr eine Ewigkeit schienen. Endlich! Gott sei Dank! die Mettler! Sibylla schwankte zu der treuen Person und lag dann weinend und zitternd in den Armen der Erschrockenen.

»Mir wurde schlimm, Mettler, ich hatte, glaub' ich, eine Ohnmacht!« sagte sie, sich zusammennehmend und sah sich wieder scheu im Zimmer umher. Aber da waren die Gobelins, alles wie sonst. »Hole mir ein Glas schweren Wein, Mettler!«

»Ruht Euch eine Weile; freilich ist's zuviel für Euer Gnaden Durchlaucht!«

»Ja, ja, ich will ruhen, ich brauche Ruhe!« Und ihr Herz krampfte sich von neuem zusammen in verzweifelndem Schmerz.

Da lag sie wohl eine Stunde. Jedes seiner Worte hallte in ihr nach, sie hatte Eberstein für immer verloren. Der Tor! Nicht zu sehen – Und Bilky ein Verräter!

Ein neuer Gedanke schoß ihr durch den Kopf! Sie sprang auf, setzte sich an ihren Schreibtisch und schrieb mit eiliger Feder nur wenige Worte. »Mettler!« Die Gerufene stand neben ihr. »Dies unbemerkt sofort an den Landvogt von Laudrum!« –

Den ganzen Rest des Abends widmete die Markgräfin in frischem Anzuge, lächelnd, schön und würdevoll ihren Gästen.


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