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Neunundzwanzigstes Kapitel.

Die Märzsonne lachte warm und belebend auf den Grasboden hinter Rudolf von Wiedebars Wohnhause herab. Sabine stand mit den Kindern neben einer Henne, welche so früh im Jahre schon Küchlein gebrütet und lachte mit ihren Pfleglingen um die Wette über die kleinen Tierchen mit dem gelben Flaum.

Der Hausherr wollte eben mit Knechten und Tagelöhnern in den Weinberg gehen; da sah er die fröhliche Gruppe.

»Komm, Vater, sieh!« rief Elsbeth ihn herbei. Er winkte den Leuten voranzugehen und trat zu seinem Töchterchen. »Sieh, Vater, gerade wie Tante Sabine, so gibt sie uns auch immer das Beste!« sagte die Kleine, auf die Henne zeigend.

Sabine blickte lachend auf; aber da begegneten ihre Augen denen des Vetters und er erwiderte herbe: »Nein, Elsbeth, die Henne ist der Küchlein Mutter, das will Tante Sabine für euch nicht sein, damit sie jeden Tag, wenn's ihr in den Kopf kommt, weggehen und uns allein lassen kann!«

Tränen des Zorns und der Liebe traten ihm in die Augen. Sabine stand im glühendsten Erröten, erschreckt, in grenzenloser Verwirrung vor ihm. Erschüttert stammelte sie: »O Rudolf, das ist nicht wahr, wie sollt' ich –?«

»So wollt Ihr nicht gehen, Sabine?« fragte er mit zärtlichem, weichem Ton, sie schnell unterbrechend.

»Wenn ich bleiben darf!« sagte sie kaum hörbar, und er hielt ihre Hände mit dem Ausdruck plötzlichster freudigster Überraschung in den seinigen fest.

»Nur als mein Weib, Sabine, nur als die Herrin hier – die Mutter!« sagte er bebend vor Aufregung. »Kinder, bittet, daß sie eure Mutter werde!« rief er.

Die Kinder standen starr und blickten erstaunt auf den Vater und die Tante, nur Elsbeth sagte, beide Hände emporhebend: »O liebe, gute Sabine, tu es doch, er will es ja so gern!«

»Du Kind! Du liebes, süßes Kind!« rief Rudolf von Wiedebar und gleich darauf hatte er Sabine und Elsbeth in den Armen, und küßte sie im überströmenden Glücksgefühl. »O Sabine, wie soll ich dir danken? Wie gut bist du! Wie kann ich je vergelten, daß du mich so glücklich machst. Und ich bin so ein Bauer neben dir, du Feine, ich weiß es ja selbst! Aber –«

»Schweig, schweig, Rudolf, du bist mir der liebste Mensch auf der Welt, ich bin es ja, die von dir all ihr Glück empfängt! O Rudolf, was habe ich dir abzubitten!«

Das waren herrliche Stunden, die nun folgten!

Sabine war glücklich wie nie zuvor. Wie gern wurde sie jetzt des braven Rudolf Weib, wie dankbar war sie ihm für seine Liebe.

Und er erzählte ihr leuchtenden Blickes, daß sie sich nicht mehr einengen brauchten wie früher. Er habe gut was vor sich gebracht, Sabines Vater ebenso und dazu die Erbschaft der Muhme! –

Die Knechte beobachteten unterdes vom Weinberg herab das Fräulein und ihren Herrn heimlich scharf, und Klaus schwor Stein und Bein, es werde doch noch ein Paar. Zuletzt konnte er's nicht mehr aushalten und ersann sich einen Vorwand, die beiden, deren Auf- und Abgehen und häufiges Verschwinden in der Laube ihn immer mehr aufregte, zu stören.

»Sieh einmal her, Klaus, sie hat jetzt endlich eingewilligt, bei uns zu bleiben!« Und Sabine nickte dazu dem Treuen freundliche Zustimmung.

Wie der Klaus lachte: »Ich hab's gleich gesagt! Unser Herr sah die letzte Zeit so eigen aus – und eine Frau im Haus, wie wir sie jetzt kriegen! Na, Gott segne die gnädige Herrschaft!« Und er zupfte sich an den in die Stirn hängenden Haaren und machte seinen schönsten Kratzfuß.

Einen so seligen Tag hatte Sabine nie erlebt. Sie ließ dem Gesinde auf Rudolfs Wunsch einen Festschmaus bereiten. Den Kopf hatte sie schon ganz voll von Plänen, wie sie Schloß Wiedebar, das Rudolf jetzt baute, ausschmücken und traulich einrichten wollte.

In solchen lieblichen Gedanken stand sie am Fenster, als sie plötzlich pfeilgeschwind einen todblassen Menschen durch das Tor kommen und vollen Laufes in der offenen Haustür verschwinden sah. In ihrem Schrecken war sie aber, ohne sich zu besinnen, dem Manne entgegengestürzt, der, völlig kopflos vor Angst, sich vor ihr niederwarf.

»Rettet mich! – Barmherzigkeit! Sie sind hinter mir!« rief er heiser vor Herzklopfen und Aufregung.

Sie starrte ihn groß an – ihm blieb das Wort im Munde stecken.

»Mein Heiland – Waidling? Wie kommt Ihr –?« rief Sabine.

»Großer Gott – das gnädige Fräul–!« keuchte er und ein Freudenstrahl flog über sein Gesicht.

»Rettet! Helft! Des Landvogts Reiter –! Entflohen! Graf Bilky –!« flehte der ehemalige Schloßdiener, Bärbels Bräutigam.

Draußen wurden Pferdehufe laut.

»Hier hinein! Schnell! schnell!« Sabine riß den Mann, ohne zu überlegen, am Arme in die Kammer der Kinder.

»Dort – hinter den Bettvorhang!«

Er verschwand dahinter. Jetzt sah sie durch das Fenster schon die Reiter vor der Tür halten.

Dieselben erblickten die Dame am Fenster.

»Habt Ihr nicht einen Mann laufen sehen?« fragten sie zugleich.

»Dorthin! Dorthin! Aber die Scheune hat nach der anderen Seite einen Ausgang!« rief sie zurück.

»Hussa! Vorwärts!« schrien die beiden, ritten in die offene Tür der Scheune und verschwanden dort.

»Haltet Euch jetzt ganz still; ich schicke die Köchin fort und bringe Euch dann ungesehen auf die Flachskammer, da seid Ihr sicher«, flüsterte sie.

»Gott segne Ew. Gnaden!«

Sie tat, wie sie gesagt. Zehn Minuten später war der Flüchtling geborgen und sie stand ruhig am Herde, als einer der Reiter, dann auch der andere zurückkam.

Höflich grüßend fragten sie nach dem Herrn des Hauses, und um Erlaubnis, den Hof abzusuchen.

Sie merkte, der eine der Männer erkannte sie.

»Sucht immerhin, der Freiherr wird nichts dagegen einwenden, daß Ihr Eure Pflicht tut!« sagte sie ruhig, fragte aber dann, was der Mensch denn verbrochen habe?

»Ew. Gnaden, er ist eigentlich kein Übeltäter, aber da er ausgebrochen ist –! Er lag in Bruchsal in leichter Haft, man muß ihn wieder haben, der Herr Landvogt wütet!« erklärte ihr unbekannter Bekannter.

Sie bot den Männern ohne die geringsten Gewissensbisse ob ihrer Falschheit einen Trunk, den sie dankbar und ohne Eile zu sich nahmen.

»Er sitzt auf durchlauchtigen Befehl, was er getan hat, weiß man nicht; Schlimmes kann's nicht sein, denn er wird aufs beste gehalten und war doch nur Hausdiener im Schloß Favorite.«

Dabei sahen sie aber aus, als wüßten sie die Wahrheit ganz genau, dürften sie nur nicht sagen. Sabine ließ sie so unbekümmert gewähren, daß auch nicht der Schatten eines Argwohns in ihnen aufstieg.

Sobald sie fort waren, brachte Sabine ihrem Schützling Brot, Fleisch und Wein.

In später Abendstunde hörten dann sie und Rudolf Waidlings Bericht über Siegfried Bilkys Verhaftung mit äußerstem Erstaunen an.

Jeder anfängliche Unglauben Rudolfs wurde erstickt durch Waidlings genaue Angaben.

Weder Rudolf noch Sabine begriffen diese Nachrichten. Bilky, den man in Wien glaubte, gefangen nach Baden geführt? Warum? Was sollte er getan haben? Dies alles schien so seltsam und unerklärlich, daß Rudolf sehr einverstanden war, als Sabine ihm vorschlug, gleich morgen zum Vater zu fahren, um dort Erkundigungen einzuziehen.

Aber wohin solange mit Waidling? Rudolf rief zuletzt noch in der Nacht Klaus aus dem Bette, und der kluge Klaus brauchte nur wenige Andeutungen, um sofort auf die rechte Ausflucht zu kommen. Waidling war sein Bruder und kam in den späten Abendstunden zum Besuch; so wollte er zu den übrigen Knechten sagen.

*

Der Geheime Rat von Wiedebar ging, heftige Dampfwolken aus der langen, holländischen Tonpfeife ziehend, in seiner Stube auf und ab. Es war ihm heiß geworden unter den Reden, die er und der am Fenster stehende Graf Eberstein führten.

»Ich sage Euch, Graf, unsere Durchlaucht ist so verändert, seit die Regentschaft sich ihrem Abschluß naht«, beharrte er.

»Das ist's nicht, Wiedebar! Das ist es nicht«, erwiderte nachdenklich der Graf Eberstein. »Ich kenne sie so lange, so gut – ihre Größe – wie ihre – alle ihre Eigenschaften. Die Herrschsucht ist's nicht, welche sie jetzt leiden macht, welche diese Frau in sechs kurzen Monaten so ganz und gar verändert hat!«

»Gut, wenn Ihr die volle Wahrheit wollt, Graf, ich weiß es auch, ein Mann in meinen Jahren ist nicht blind, es ist – eine späte Leidenschaft, es ist die Liebe, Graf! Beides kommt zusammen.« Und der alte Herr trat dicht vor seinen Gast hin und bohrte ihm die klugen Augen bis ins Herz.

»Ihr irrt vollständig, Wiedebar!« sagte Eberstein, sich verfärbend, mit solcher Bitterkeit, daß der Alte scheuen Blickes erschrocken sich abwendete.

»Na – dann mag es der – wissen, was es ist! Wie soll man aus den Weibern klug werden?« murmelte er.

»Es ist, als ob eine Schuld sie belaste! Sie soll ganze Nächte ruhelos auf und ab wandern, sich heimlich kasteiend«, sagte zögernd der Graf.

»Markgräfin Sibylla macht sich vielleicht Vorwürfe, daß ihre Strenge die Prinzessin auf das Krankenlager geworfen!« meinte der Geheime Rat. »Ich traue ihr jetzt auch diese Inkonsequenz zu.«

»Glaubt das nicht. Sie sprach zu mir darüber. Es kommt ihr nicht in den Sinn, die Ehe ihrer Nichte mit Landin zu gestatten. Der Erbprinz von Durlach soll die Prinzeß haben, dabei beharrt sie.«

»Und was sagt die Markgräfin von dem Bilky?« fragte der Geheime Rat.

»Wenig! Nichts, möchte ich antworten. ›Macht was Ihr wollt!‹ damit hat sie mich abgewiesen. Ich gestehe, Wiedebar, diese Sache macht mir die größte Sorge, und Plittersdorff behauptet, der Landvogt wisse schon von dem Verbleiben des armen Burschen, oder habe Verdacht in dieser Richtung. Gott wolle, daß er ihn uns nur nicht als Leiche bringt! Landins Nachforschungen haben festgestellt, daß Bilky der Sohn des Grafen Bilky von Rocoskow ist. Ich habe der Frau Markgräfin in ihrer jetzigen Teilnahmlosigkeit noch nichts gesagt. Sie scheint ernstlich gar noch nicht an die Möglichkeit von Bilkys Tod zu –«

Ein Wagen hielt vor dem Hause.

»Du lieber Gott, da ist die ganze Kinderwirtschaft des Rudolf wieder!« Eine Minute später flog die Tür auf und Rudolf von Wiedebar rief, Sabine nach sich ziehend, ihm zu: »Jetzt habe ich sie! Ich habe sie gewonnen! Endlich, endlich, Herr Oheim! Sie ist meine Braut! Nun gebt uns Euren Segen!«

Der alte Herr stand wie versteinert. Eberstein hätte gar nicht fort gekonnt, denn die Tür wurde ganz ausgefüllt von all den kleinen Wiedebars. Sabine aber kniete in Tränen vor ihrem Vater und küßte seine Hand. »Verzeiht mir mein törichtes Widerstreben, Vater, Ihr meintet es gut mit mir, jetzt seh' ich es ein!«

Rudolf von Wiedebar umarmte den noch immer stocksteif dastehenden alten Herrn, der mechanisch seine dünne, lange Tonpfeife mit ausgestrecktem Arm hoch erhoben hielt, um sie vor Zertrümmerung zu schützen.

»Nun freut Euch doch mit mir, Oheim! Sie wird mein liebes, trautes Weib und meiner Kinder Mutter!«

»Sagt' ich's nicht! O, man lehre mich die Weiber kennen! Überraschungen bis ans Ende!« rief er in heller Freude Eberstein zu.

Jetzt erst sah Sabine diesen. Noch tiefer errötend sprang sie auf, und mit einem schönen, glückstrahlenden Lachen nahm sie Ebersteins beide Hände in die ihrigen. »Ihr! Ich muß Euch danken!« stammelte sie nur. Er sah sie mit seinen ernsten Augen freudig und gerührt an. »Das Glück spricht aus Euren Mienen, Fräulein Sabine, Gott segne Euch! Wie schön und gesund Ihr ausseht!« sagte er herzlich.

Der alte Wiedebar lief selbst hinüber, bei der Wirtin zur Traube ein Festmahl zu bestellen. Er durfte nicht fortgehen, sie litten es nicht. Als er zurückkam, hatten sich freilich die Mienen des Brautpaares und des Grafen Eberstein schon sehr verändert.

»Kommt, Wiedebar, kommt! Hört das Unglaubliche!« rief ihm der letztere aufgeregt entgegen. Sabine und Rudolf erzählten jetzt mehr im Zusammenhange als zuerst dem Grafen, von dem, was sie erlebt. Bleich, für den Augenblick ganz ratlos, standen sie beisammen. War hier Sibyllas Verstörung erklärt? Und Laudrum hatte Bilky selbst hingeführt! Daher des Landvogts finstere Blicke, sein kaltes, zurückweisendes Wesen! Was hatte der unglückliche Bilky getan? Allerlei Gedanken schossen wie Blitze durch Ebersteins Hirn. Ihm schien es sogar möglich, daß der kecke, junge Mann seine Augen zu der schönen Herrin erhoben!

Im heftigsten Schrecken zuckte Graf Eberstein zusammen, als ihm jenes versiegelte Päckchen einfiel, welches Bilky ihm anvertraut. Doch –. Er erinnerte sich der Worte seines Schützlings genau – seines Aussehens – des liebevollen Tones, als er von der Markgräfin sprach.

»Vergebt mir, daß ich nun nicht zu Eurem Freudenmahle bleibe!« bat er. »Mir würde kein Bissen schmecken. Ihr, Sabine, müßt Euch mit dem Verlobten der Frau Markgräfin vorstellen, kommt nachmittags zusammen mit Eurem Vater nach dem Schlosse hinaus, dort trefft Ihr mich!« Damit schied er.


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