Albin Zollinger
Pfannenstiel
Albin Zollinger

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13

Das eine war ihm von ihr versprochen – brieflich, nachdem der schroffe Abbruch der Begegnungen sich als einzige Möglichkeit der Lösung erwiesen hatte –: die Stunde zu erfahren. Sie war verlobt und reiste nach bestandener Niederkunft. Nun wartete er dem Zeitpunkt entgegen im wunderlichen Zwiespalt von Ungeduld und Entsetzen. Manchmal fühlte er sich ganz leicht, freute er sich gar auf den Vater, Vater zu sein ohne Anspruch; Besitz zu lassen war mehr als wie Seume Besitz zu meiden. Er fühlte die Reife in Schmerzen, empfand den Lohn der Busse in einer inneren Erweiterung, in welcher er wuchs. Manchmal war es schlechterdings grauenhaft, Schuld und Verlust schwarz wie die Nacht in seiner Ruine, die ihre Brandgeister ebenso wenig wie sein Leben den Wahnsinn verlor – er träumte von Ungarn in Flammen, Tilly gebar eine Statue aus ihrem zerrissenen Schoss, eine Zigeunerkapelle fiedelte auf Geigen aus Kindersärgen. Er arbeitete vormittags am Entwurf für den städtischen Wettbewerb, ass eine Wenigkeit unterwegs auf dem Rade, sodass er die Stunden mit der Büste völlig munter verbrachte und die Ankunft des Jünglings ihn nicht selten überraschte. Wenn Byland rauchend noch eine Weile plauderte, fuhr der Bildhauer fort, nach den Fotografien oder auswendig zu modellieren. «Bald wollte ich wünschen, Sie kämen nicht mehr!» lachte er verdrossen. «Sie stören. Sie bringen mir Ihren verdeubelten Naturalismus, mit welchem der Kampf nun begonnen hat. Ich kann es nicht besser als die kluge Natur Sie gemacht hat und darf doch auch nicht Ihren Abklatsch nehmen, der mit einer Maske mühelos hundertmal schneller und authentisch gehext wäre. Sie wissen, es ergäbe eine Totenmaske.»

«Ein Byzanz.»

«Ein Gesicht geht auf Stelzen der Bewegung. Ein Schlafgesicht ist Byzanz. Ich aber, vor dem Hunde von Lehm, der mir hockt so wie ich ihn setze! Ich kann's nur mit der Räumlichkeit zaubern; aber wie? Von der Wahrheit abgehen um wahr zu sein – wie weit abgehen, und welche Wahrheit von den tausend, die Sie mir bringen in Ihrer Epidermis, offen nach aussen und innen!»

Offen nach innen und aussen, stand das Gesicht in schelmischer Verträumung. «Eigentlich müssten wir als Künstler Geduld und Verständnis für die helvetischen Unzulänglichkeiten aufbringen. Das Geistige zu gestalten scheint sogar dem lieben Gott nicht ohne Kopfzerbrechen und Umwege zu gelingen; wie lange sucht seine Natur! Den Menschen gar verstrickt das Bemühen in eigentliche Tragik, sei es die Schwierigkeit, gottselig zu leben, eine Vision festzulegen oder die Form eines Volksganzen ins Reine zu bringen.»

«Ich hätte mich ungenau ausgedrückt, sollte ich dahin verstanden werden, Vollkommenheit von der Sozietät zu erwarten. Vollkommenheit ist wohl das Ziel, doch zugleich die Aufhebung der irdischen Funktion. Ich wünsche mir für das Individuum wie für die Gemeinschaft im Gegenteil ein paar tüchtige Leidenschaften, in denen sie sich auch einmal verfehlen. Ich rede nicht von der Schuld, ich rede von dem Mangel an Fähigkeit, sich in Schuld zu bringen; ich rede von Merkantilismus und Verbalismus. Der Hass auf Kommunismus und Faschismus ist mir ein wenig zu aufgeregt. Ein Volk von Selbstbewusstsein aus gutem Gewissen blickt mit Ueberlegenheit auf Dinge, die es für Irrtümer hält, so wie ein guter Christ die Schwäche des Nächsten wohl beurteilt, aber nicht zum Anlass von Szenen nimmt. Selbstbewusstsein ohne Würde ist nicht Selbstbewusstsein, sondern Dünkel. Die Fehler Anderer können für uns nur die eine Konsequenz ergeben, sich auf eigene hin anzusehen. Wir haben geschichtlichen Heroismus, nationales Pathos als unserer Konstitution nicht entsprechend von uns getan; der Verzicht auf das Aeussere verpflichtet uns zu grösstmöglicher Entwicklung des Innern. Der Verzicht auf Quantitäten des Territoriums darf sich nicht an vermögensmässigen Quantitäten schadlos halten wollen. Volkswohlstand ist gut, aber nur als Voraussetzung einer Pflicht zum höheren Leben im Geistigen . . . . »

«Ob er's sei, sogar das frage ich mich nachgerade und denke dabei an ein Volk wie das italienische, ein Volk der Armut und Geplagtheit: Wie weit ist es seelisch, wie milde und vornehm in seinem Ausdruck! Die Beobachtung widerlegt das marxistische Axiom, nach welchem der geistige Fortschritt mit dem ökonomischen gleichläuft. Es scheint, der Mensch hat es an sich, im Wohlergehen anspruchsvoll und undemütig zu werden. Sind nicht Verwöhntheit und ein mokantes Wesen Merkmale schon unserer Jugend? Für mein Teil lobe ich mir die Ehrfurcht selbst falschen Göttern gegenüber vor der Ueberheblichkeit gegen Gott. Unser Geistiges ist noch nicht Gott, ist nur die Richtung auf ihn – das Geistige lebt hierzulande durchaus in der Abhängigkeit, nicht im Primat der Ordnungen.»

«Ist es anderswo anders? das frage ich mich bei der Gelegenheit . . . »

«Wie es anderswo sei, hat uns nicht zu bekümmern. Das Land Pestalozzis rühmt sich, die besten Schulen der Welt zu haben – was zu den unbewiesenen Annahmen der nationalen Eitelkeit gehört – ich wünsche ihm den Ehrgeiz, die beste Erziehung der Welt zu haben, Erziehung nicht als Dressur, Erziehung als Umgang, Bildung, Fähigkeit der freien Entfaltung. Wir hatten zu dieser Selbsterziehung ein gutes Jahrhundert Zeit; bluteten wir nicht mit den Völkern, so haben wir unsere Kräfte in Spargut nicht pflichtgemäss investiert.»

Mit alledem hatte sich Byland am Schulmeistern sattgegessen und einen Geschmack von Ueberdruss auf die Zunge bekommen. «So sprechen wir unter vier Augen!» rief er mit einer Gebärde gequälter Auflehnung aus. «So tadeln wir aus Liebe und Sorge, des Uebrigen wohlbewusst, in Ueberbetonung dessen, was die Offiziellen zu sehr verschweigen. Nicht dass sie uns ein Vorbild der Versöhnlichkeit wären! Sie füllen die Spalten mit Parteigezänk, mit Problemen von siebenter Bedeutung; ich täusche mich auch nicht darüber, dass, was uns auf der Zunge brennt, nicht leicht an den Mann zu bringen wäre, nicht ohne den Anschein der Gehässigkeit – denn was gesagt sein muss, muss ganz gesagt sein; den Laich von Geschwätz zu vermehren, wären wir nicht da.»

Es hatte sich gezeigt, dass Stapfer den einen und andern des Geheimbundes vom Literarischen Klub und der Künstlergewerkschaft her kannte. «Ich bin noch nicht dazu gekommen,» sagte er, «mich in der Sache der Zeitschrift umzusehen; ich habe die Tage darüber nachgedacht, was vorbereitend zu tun wäre. Es schien mir, wir dürften nicht anders als mit Plan und System, nicht nach unserer Weise bloss intuitiv vorgehen. Die Kultur, um deren Schicksal es uns geht, ist komplexer Natur, hat eine politisch-ökonomische Seite, die in ihren Bedingungen beachtet sein will. Die noch so frische Fronde Einzelner hat die Wirkung höchstens der Originalität und wird günstigenfalls als Kurzweil aufgenommen. Das ist nicht der Zweck der Uebung. Daher suponieren wir vorerst das bestehende Heer der Gleichgesinnten und beginnen in ihrer Vertretung als Gruppe, die sich fairerweise auch einen Namen gibt. Wir könnten die Pfannenstieler heissen. Nehmen wir den Geschmack von Verein in Kauf; alle Bewegungen gingen von einem Verein aus. Das Entscheidende wird sein, dass wir durch Wahrhaftigkeit und Witz überzeugen. Man muss die Redlichkeit unserer Absicht fühlen, unsere Unabhängigkeit von Interessen glauben. Eine Schwierigkeit wird uns daraus erwachsen, das Schulmeisterliche in unserer durchaus pädagogischen Einflussnahme zu vermeiden.»

«Ich stelle mir vor,» setzte Byland freudig aufgeregt den Entwurf der Projekte fort, «der erste Programmpunkt unseres Blattes besteht in der Aufgabe, der positiven Leistung ein Forum zu sein. Den Stock unseres Textes bildet die Belletristik, die es um ihrer Qualität willen schwer hat, in der Tagespresse oder in Wochenblättchen unterzukommen.»

«Wie ist das: Die Qualität, wenn sie es ist, müsste doch auch die Gnade der zwei oder drei vornehmen Damen, von denen Sie sprachen, finden . . . ?»

«Die Qualität hat es an sich, nicht akademisch zu sein, das vergessen Sie. Und dann, wir sind nur aus Nazareth.»

«Natürlich auch ihr Literaten!»

«Dazu kommt die bildende Kunst in Aufsätzen möglichst von Kameraden oder in Briefen und Maximen der Künstler selbst, deren Art wir in wenigen, aber aparten Klischees demonstrieren. Wir machen den Anfang mit Ihnen, Herr Stapfer, so kommt mein Artikel doch endlich nach Ithaka.»

«Da es eine Kongregation der verkannten Genies ist, wird sie den Mut zur Unbescheidenheit aufbringen müssen.»

«Darüber, über Hochmut und Demut des Künstlers, ist der Oeffentlichkeit beiläufig ein Kolleg zu lesen, jener Oeffentlichkeit, die auch dem Künstler keinen andern Antrieb als den der Ehrsucht zutraut. Ueber die Kunst in ihrer Funktion und Notwendigkeit bedarf das Volk, ein gutwilliges, aber in dieser Provinz verlassenes Volk, der Unterweisung; denn was tut die Presse in seinen Diensten? Der Nachfrage des Abonnenten erbötig, liefert sie das sogenannte Populäre, nimmt sie das Diktat des Herrn Eingesandt im offenen Verrat am Geistigen entgegen. Ohne Bewusstsein für ihre Würde und Verantwortlichkeit, begeben sich die Schriftleiter ihrer Kompetenz, aus der Gesetzgebung des Geistigen heraus Einfluss zu nehmen; Arbeiter ihres Brotherrn, lassen sie dem Herrn Eingesandt die Verfügung darüber, was Literatur sei. Herr Eingesandt ist derselbe, der seine Stimme in den Wahlen und Abstimmungen gibt oder versagt, Herr Eingesandt ist die sakrosankte Vox populi, Herr Eingesandt muss es ja wissen. So kommt es, dass die Hochburg der Dichtung Herrn X. Y. gehört, einem Grossbuchdrucker, der den Konsum mit seinen Versicherungsblättchen so skrupellos und gründlich als irgend ein Käsemagnat ausbeutet, und keiner, keiner der literarischen Sachwalter hat ihm jemals im Namen des Geistes auf seine dreckigen Finger geschlagen.»

Sie kannten und verstanden einander mit jeder Sitzung besser. Die Büste begann ein wunderliches Doppelwesen von Träumer und Jakobiner zu werden.

«Byland!» rief der Bildhauer eines Tages aus dem Schweigen des Fleisses heraus. «Eine Bitte privat: Gehn Sie doch einmal bei Tilly vorbei . . . »

«Ich war, ich war. Sie ist längst nicht mehr dort.»

«Muss sie ja: es geht in den zehnten Monat, ich warte und warte, ich halte es nicht mehr aus. Hat sie geboren, ist sie im nachträglichen Groll verreist?»

Tilly war tot, und ihm lebte das Kind von ihr.


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