Albin Zollinger
Pfannenstiel
Albin Zollinger

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9

Ihm blieb jedesmal das Gefühl nach dem Sündenfall; so, ohne Liebe, und doch die Raserei auf dem Lager, und Marga schimmerte ins Rötliche, durch ihre Haare ebenso wie das Sommersprossige der Haut, sie legte Klötze von Spangen auf das Tischchen beiseite, und ein wenig roch sie nach Kaninchenstall.

Dafür ging sie, sobald sie ihre Gage hatte; bei unverschlossener Tür schlief er ein, mit dem Ausdruck eines milchsatten Säuglings.

Für die Gage reichte es seine Zeit, dann hatte er ohne Liebe auszukommen.

Alte Mädchen, Verwachsene hatten auch ohne Liebe auszukommen – der Einsame befindet sich in grosser Gesellschaft, und er überdies: einer, der Tillys ausschlug, nur weil er auf Anstand eitel war . . .

Mehr noch: weil es ihm nicht genügte.

Er zimmerte seine Zürcher Werkstatt in Eternit.

Das Wildland lag im Schatten eines Parkes von Buchen, dem Besitz eines Seidenherrn nebenan; der Tunnel ging unten durch und er hörte die Züge im Erdinnern rollen, das Zylinderöfchen schepperte.

Die Geschäftslage schien gut, er hatte auf einmal Arbeit mehr als er zu leisten vermochte.

Da war ein Opernsänger, der seine Büste bestellte.

Der Seidenherr stand am Hage auf und entschloss sich, sein Töchterchen porträtieren zu lassen.

Herrn Sytz war ein Bruder gestorben.

Und die Stadt bestand auf dem Flötenbläser.

So wie ihn Stapfer entwickelt hatte, befanden ihn die Herren reichlich kopfhängerisch, davon abgesehen, dass sie ihn stehend wollten. «Blast mir mit euerm ganzen Blasorchester,» maulte der Bildhauer und machte sich an den Tenor.

Mit dem Mädelchen hatte es das Handliche an sich, dass er es jederzeit rufen konnte; allein es war ein Gispel, der ihn mit seinem Leben zur Verzweiflung trieb.

Immerhin ging der «März» aus seiner Pension bei einem Dekorationsmaler zum Giesser, und das war schon einige Plackerei wert.

Dem Seidenherrn wurde es schliesslich zu viel, er wollte den Abguss haben; bezahlt war er, und Stapfer hatte sich in seinen Künstlerskrupeln wohl oder übel zu fügen. Es erschien ihm als ein Verrat für Geld. Er hielt sich schadlos an der Stadt, der gegenüber er nicht nachgab, sodass auch der Träumer gegossen wurde.

Ueber alledem war der Sommer hingegangen, ein Sommer voller Blattkühle und Lehmgeruch. Die Wildnis wucherte mit Brombeergerank, eine Königskerze stand mitten auf dem Kiesplatze auf – und die Stunden und Stunden sirrender Stille, und die Sommerregen, von denen die Buchen nachtropften, und der Schlaf unterm Sternenhimmel. Er hatte seinen Hausrat magaziniert, schlief auf einer Fallklappe an der Wand oder eben draussen, auf einem mächtigen Kunststeinblock, wo er morgens in Weidenröschen, Glocken und Amselgesang aufwachte. Es hätte so fortgehen dürfen, mit ein bisschen weniger Zwang, an das Geld zu denken, ja; er hatte mit Schmerzen seine Pariser Garage aufgegeben, hatte so etwas wie die Pappeln im Seefeld nicht wieder zu bekommen geglaubt und besass nun seinen Buchenhain, den ihm der Seidenherr unterhielt, lebte in der Unbeschwertheit des Zigeunertums und begann Seume rechtzugeben: dem Künstler war es gemäss, alles von sich abzutun und ganz nur dem Genius zu leben. Denn wahrlich, es brauchte nicht viel, die Leiblichkeit fortzubringen; er arbeitete aber in einer Kunst, die ihn mehr als nur einen Gänsekiel kostete, und in der Richtung ging es, wenn er sich über den Seidenherrn mitunter verdriessliche Gedanken machte.

Dieser war so gar nicht von der Art etwa Herrn Sytzens, vielmehr ein Knot und Bourgeois recht nach dem Herzen eines sozialdemokratischen Journalisten, phantasielos, hart auf dem Beutel und unverfroren. Wenn er sich über den Zaun lehnte, so geschah es zu dem Zwecke weniger, sich an der Arbeit des Bildhauers zu verkurzweilen, als ihm immer wieder zu sagen, dass die Kinderbüste nur selten gefalle und so oder so überzahlt sei. Wieviel er denn zurückerstattet wünsche, fragte Stapfer, worauf sich der Krösus ausschwieg, in grämlicher Betrachtung des werdenden Werkes verweilte, einer Aufmerksamkeit, deren Aussehen, ernst genommen, beleidigt hätte; es lag darin alles ahnungslos geringschätzige Erstaunen des Geldverdieners, dem solche Beschäftigung als Knabenbastelei vorkam, ungeschickt obendrein, indem die Naturähnlichkeit, in der er noch etwelchen Sinn erblickt hätte, seinem Urteil bei weitem nicht genügte. Anfangs hatte Martin versucht, ihn auf die richtigen Begriffe zu bringen; der Stock von Banausentum in dem Manne verleidete ihm die Bemühungen bald; da er sich auf das verstand, was seiner Meinung nach die Werte des Lebens ausmachte, das Geld, getraute er sich über die untergeordneten Dinge umso leichter zu befinden. Solcher Dünkel erboste den Bildhauer, er liess es an kalten, schneidenden Zurechtweisungen nicht fehlen, um die Würde der eigenen Art gegen den Materialismus abzugrenzen; der Parkbesitzer freilich war auf die Weise nicht zu kränken, auch sein Ehrgefühl hatte das Organ nicht an der Stelle, wo man es zu treffen hoffte; sein täglicher Gang in den Bäumen herum, den ein Boxerhund eskortierte, führte ihn jedesmal vor den Hungerschlucker, durch den wunderlichen Zwang der Gegensätzlichkeiten; auch die offenbare Zugeknöpftheit im Arbeitseifer vermochte ihm nichts anzuhaben, weckte vielmehr seinen hinterhältigen Humor, nun erst recht zu verweilen, den Träumer mit seiner schweigenden Beobachtung zu ärgern.

Das Grundstück am Pfannenstiel war Martin jetzt eine Belastung, er bereute den Kauf; doch war es so, dass seine fensterlose Baracke wohl über Sommer, nicht aber im Winter als Wohnraum genügte, weshalb er denn wieder mit seinem Rade hinauffuhr und ein Zimmermann wurde; nur mit der Mithilfe eines Strickes legte er den Roost von Balken über das Erdgeschoss und sehr bald auch den Dachstuhl des kleinen Vorbaus, der ein Ziegenstall gewesen sein mochte und ihm nun als Werkstatt diente. Der Herbst hier oben umgab ihn als ein dämmriger Raum voll der Erinnerung an Marie und die Hoffnungen, aus denen er alles das unternommen. Die Zeitlosen waren den Knollen der vorjährigen entsprosst; so hielt sich von zerblätternden Dingen das Verborgene eines Zusammenhangs; in irgend einer Verwandtschaft würde zeitlebens Schönheit dieser Liebe aus seinen Werken blühen; das Innere blieb ihm unverloren.

Allein der Mensch untersteht dem Bedürfnis, zu essen, zu schlafen und ebenso seinem Herzen Nahrung und eine Lagerstatt zu gewähren; die Beunruhigungen daraus wechseln in ihrem Ausmasse von sehnlicher Träumerei zum wilden Begehren, in welchem Dummheiten zu unternehmen dem armen Geplagten nicht mehr als ausgefallen, vielmehr als menschliche Bestimmung erscheint. Es war vielleicht ausgefallen, und ein Teil seines Gewissens warnte ihn, sich abermals Tilly zu nähern; sie hatte die Stelle gewechselt, seine Mannhaftigkeit noch einmal Gelegenheit, sich zu bewähren; sie bewährte sich nicht, er ging über sie hinweg und in das Caféhaus, das ihm genannt worden war. Tilly empfing ihn mit einem Aufleuchten ihrer Miene, aber alsbald entschlossen, sich nicht wieder voreilig zu entblössen. Es gab hier Musik, deren schmalzige Stücke ihr Entzücken bildeten; sie trug vor der Brust die Initialen ihres Namens, ein klotziges Monogramm aus einer Nachahmung von Achat, eine Geringfügigkeit, die aber ihr Aussehen nach dem Warenhausmässigen verfärbte. Er sah gleich, sie würde seinen innersten Anforderungen niemals genügen. Er nahm die Verwicklungen auf sich; wissend, dass er es noch in der Hand hatte, eine Provinz der Schmerzen zu umgehen, zog er vor, den vordergründigen, deshalb dringlicheren Wünschen zu willfahren – es kam diesmal zu Zärtlichkeiten, in denen beide sich übernahmen; das Temperament zuckte und wand sich in dem starkgliedrigen Mädchen, beider Liebkosungen fanden sich im Geheimen der Eindeutigkeit; Tilly hing schon das Haar als ein wirres Gestrüpp um die Schläfen, ihr Hut lag am Boden. So in dem Zustande von Leidseligkeit sah er sie nicht ohne Gewissensbisse als ein Menschenkind, welchem er Versprechungen aus leeren Händen machte. Sie müsste sich doch seinen Buchenpark ansehen, flüsterte er, und sie nickte.

Sie erhitzten sich in stundenlangem Liebesringen, das wie ein Kampf auf Leben und Tod aussah; dutzendemal setzte das Mädchen sich auf, wie misshandelt, zupfte ihr Kleidchen zurecht und verschwor sich, nun heim zu wollen. Der flüchtigste Kuss zwang sie in Hörigkeit des Begehrens hinab, doch hielt sie die Verteidigung der Grenze. Diese Laune, im Gewähren zu versagen, verdross den Mann endlich, er wurde böse und fand es tunlich, die bittersten Verdachte nicht vor ihr zu verschliessen. «Du wirst wissen warum,» sagte er, «und ich anerkenne schliesslich die Noblesse, mich vor dem Angebinde zu bewahren.»

Als sie zu verstehen glaubte, erbleichte sie in Erstaunen. Sogleich und unbegleitet begehrte sie fortzugehen, was keinerlei Schwierigkeit hatte.

Er schlief bald und tief, und nicht vor dem Morgen fand er Gelegenheit, die Vorfälle des Abends zu überdenken. Wenn er ihr Unrecht getan hatte, dann war es das gründlichste, dessen er sich ihr gegenüber schuldig machen konnte; die Möglichkeit verpflichtete, noch einmal hinzugehen. Das Mädchen sah völlig krank aus. Entfremdung und Heimweh mischten sich auf ihrem Antlitz zu einem Ausdruck verzweifelnder Gläubigkeit. Sie kam, um sich zu rechtfertigen. «Es war unartig und dumm von mir, Martin, doch nur insofern, als ich mich überhaupt darauf einliess. Ich war schamlos und büsse es, aber ich hätte vorausgesetzt, dass es der Geliebte mit seinem Verstehen heiligte. Anders ist alles grauenhaft, und ich weiss nicht, wie ich's verwinden soll.»

Er stand eine Weile.

«Geliebtes,» sagte er alsdann, «mir dämmert die Gewissheit meiner nicht wieder gutzumachenden Verfehlung.»

Das entsetzte sie noch einmal.

«Ist es denn tatsächlich so, dass euch eines Mädchens Unschuld erstaunt?»

«Man kann es wohl sagen,» antwortete er.

«Dann ist es die Schuld der Mädchen. Ich sehe ja, wie sie's treiben, und den Männern ist nicht zu zürnen.»

«Gut bist du auch.»

Sonderbar, dass er an dem Abend aus seiner milden Verträumung nicht aufzuwecken war.

Er blieb von dem Tage an aus, und sie war es, die ihn aufsuchen musste. Sie fand das Hüttchen verriegelt und verfiel den schwersten Aengsten darüber, was ihm zugestossen sein möchte. Die Wiederholung des Ganges zeigte kein anderes Ergebnis, auch nicht der stundenlange Wandel auf und ab vor dem Törchen.

Ihr blieb nur, zu schreiben. Seine Antwort kam nach drei Tagen und hatte diesen Inhalt:

«Tilly. Ich habe Dir zu bekennen, dass ich Dich unterschätzte. Jetzt, wo ich weiss, wer Du bist, lieb ich Dich, süsses Mädchen. Süss bist Du mir in Deiner Jugend, in Deiner kräftigen Rankheit, süss mit dem falben Haar und zusamt Deiner feurigen Unschuld. Wüsstest Du nur, wie herrlich Du bist. Ich bin der, der Dich beschimpft hat; Du findest in mir auch den, der wie kein anderer Dich in Deiner Herrlichkeit erkennt. Ich bitte Dich nicht um Verzeihung, ich bedarf ihrer nicht. Wohl aber bitte ich Dich darum, mir den Verzicht auf Dich nicht schwerer zu machen als er es ohnehin ist. Es hält schwer, seine Notwendigkeit zu begründen; glaube mir, dass sie besteht, glaube das kindlich einem erfahrenen Manne, welcher Dich in die Fülle seiner Zuneigung, in die Fülle seines Segens schliesst. Er haust hier auf einem Berge recht wunderlich in einem teilweisen Hause, das er sich selber pflastert. So jung wie Du bist, ist er alt, so köstlich wie Du, ist er zweifelhaft, so einfach wie Du, ist er schwierig. Weder fehlt es ihm an der Liebe zu Tilly, noch leugnet er sein Verlangen, sie auf Lebenszeit in sein Haus zu setzen; doch weiss er, es darf nicht sein.»

Das war, und am Ende gar gewollt, nicht der Ton, ein liebendes Weib zu beschwichtigen, entweder hatte er sich in seiner Verborgenheit sicher gefühlt, oder dann rechnete er mit ihrer Findigkeit und verrechnete sich hierin nicht. Eines Tages kam sie die Wiese herab. Er lief hin und wollte sie in seinen Armen erdrücken. Selber hatte sie schnell ihre Hände voll Obst in das Gras niedergelegt und die Finger an den Hüften abgewischt. Dann presste sie ihre Wange an seinen Hals, die Augen tief verschlossen.

Was galt ihnen noch das Aeussere, wo ihre Seligkeiten zusammenflössen!


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