Albin Zollinger
Pfannenstiel
Albin Zollinger

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Der Hausbau

6

Noch über Schnee schleppte Martin sein erstes Material herab – auch einen Block beiläufig – und er begann im März. Eine Strasse zu seinem Besitztum wollte er nicht, es sollte wenig zugänglich und mitten im Grase abseits bleiben; das Gras ergrünte über Nacht und trieb schon die wolligen Büschel von Primeln hervor. Pflasterwasser sprudelte ihm der Bach zu der Zeit in Bördern von Hahnenfusskraut – ach, er besass einen Bach! «Bach! Bach!» sagte er und verweilte mit der Hand in dem ungestüm wühlenden Leben. Es rann aus den Rehwäldern des Pfannenstiels herab, roch von dem vorjährigen Laub. Stapfer werkte in seinem Haarnetz, bestaubt wie ein Bäcker, von früh bis spät, spickte das Messer ins Balkenholz, auf dessen Stapel er seine Mahlzeiten einnahm. Ob das Harz in der Sonne hervorquoll, ob Regen getrippelt kam, immer war es eine Herrlichkeit, die Regungen der Einsamkeit zu empfinden. Vögel liessen sich herzu. Vögel würde er auch besitzen! Täglich sass seine Abendamsel und füllte den Himmel mit Wohllaut. Er dachte dann an Marie in Paris. Aus der Müdigkeit schlüpfte die Wehmut hervor; von allem war die Amsel ein Abglanz: von der Röte über Paris und dem schmerzlichen Wohllaut des Herzens.

Er hatte vor, für's erste den Nordteil auszubauen, um eine Unterkunft noch vor dem Winter zu haben; das hielt nicht schwer, da die Mauern hier am höchsten standen – er zog einen Balkenboden hindurch und brachte wohl auch noch ein Kämmerlein oder zwei mit unter Dach. Für das Uebrige liess er sich alle Zeit. Das sparte er sich auf, um noch Jahre hindurch von der lieben Kurzweil zu haben, da eine Wand und dort eine aufzurichten, Dach anzulegen, Lauben herumzuziehen, bis dass es ein richtiges Bauernhaus war, dessen Türen und Fenster der Wind ungläubig versuchte. Er fand seinen Weg herein, missgünstig zunächst, trieb Regen und noch einmal Schnee in das Tälchen; die Primeln, für die Katze gewachsen, gingen unter im nassen Geflock, Martin nahm seine Maurerkelle von der einen in die andere kalte Hand; er arbeitete in Windjacke und Beret, glaubte sich halten zu können und flüchtete vor dem Aeussersten der Bedrängnis mit einem Fluche. Hatte er für die Plastiken in ihren nassen Hüllen gefürchtet, so drohte jetzt Gefahr, dass ihm das Haus auseinandergefror. Er hatte die Natur, sich ganz an eine Sache zu verlieren und die andere darüber zu vergessen. Der Baumeister war aus ihm hervorgetreten, er kaufte Treppen, Kaminhüte, Herde, Oefen, Traufen, Kloakenrohre auf Vorrat, stieg in Neubauten auf ihren Hühnerleitern herum und las in den Zeitungen meistens alles ausser dem Textteil. Er fand auf diese Weise auch das Winkelchen Land, auf dem er die Zürcher Filiale einrichten wollte; es gehörte der Stadt, und seine Berechnung ging dahin, dass er sie mit seiner Hilfe beiläufig einwenig in Abhängigkeit bringen wollte, durch gestundete Mieten nämlich, für die sie ihm Arbeit gab. Das war eine kleine Erpressung, die er vorhatte und dem Kommissionenwesen gegenüber leichten Herzens verantwortete. Den Vertrag darüber schloss er auf Juni ab, mit welcher Frist seine andere Verpflichtung erlosch und die Einsiedelei schätzungsweise beziehbar wurde. So schwierig er in seiner Arbeit war, den Flötenspieler bastelte er in ein paar Stunden zusammen. Was gefiel, gelang ihm so flüssig als irgend einem; er machte Aufnahmen davon, die er aufs Amtshaus trug. Die Expertise kam mit Befugnis zur Bestellung. Allein mit dem Musikanten, sprach Martin also zu ihm: «Gigolo, was haben wir gewettet? Sei ja ohne Sorgen, du bekommst deine richtigen Schriften» – und hieb ihn mit dem Spachtel auseinander, so weich war er noch. Um das angerostete Gestänge knetete er den Kern eines neuen, nicht ohne Seufzer des Schwerenöters, der wusste, was er sich auflud.

Welches waren die Hintergründe, aus denen unser Bildhauer die Zuversicht zu all seinen hochgemuten Unternehmungen bezog? Er tätigte Käufe, warf mit Grundstücken nur so um sich und frotzelte, ein Hungerschlucker, die hohe Obrigkeit – die Wahrheit ist, dass er sein Talent darin ausmünzte, mit den knappsten Mitteln zu rangieren, welche Mittel er aus der Hand einer Fräulein Wehrli empfing.

Die Bekanntschaft mit Annette Wehrli reichte in Kindheitstage zurück. Sohn einer armen, doch tätigen Witwe, leistete Martin sein kleines Teil des Erwerbes damit, dass er in zwei oder drei vornehmen Häusern das Postkind machte, so auch für die Schwestern Wehrli, welche damals schon ältere Damen waren. Annette malte und machte Musik auf einem wunderfeinen Instrumente, von welchem sie das Knäblein belehrte, dass es nicht ein Piano, vielmehr ein Cembalo war; sie spielte es anscheinend aus einer Art Frömmigkeit und der Neuzeit zum Trotze, sie spielte es aber auch zauberhaft, solcherart, dass der kleine Martin auf seinem Sammethocker die Huppen zu essen versäumte, die er als weiteres Zeugnis von Annettes Kunstfertigkeit überwiesen bekommen hatte; selbige Röhrchen stellte sie aus einer Art Oblate auf Vorrat her. Um den Hocker lief ein Kranz von Porzellanknöpfen; er hatte das Lustgefühl von ihnen noch jetzt in den Fingerbeeren, und er vermutete halbwegs, aus jenem Erlebnis von Tastsinn und Gehör seinen Bildnertrieb davongetragen zu haben. Wer ergründete die Kräfte, die uns formen! Martins Mutter war eine Hebamme gewesen, Künstlertum in der Familie nicht überliefert; die Anlage, so sie bestand, erfuhr in dem Hause Wehrli jedenfalls ihre erste Befruchtung. Denn es empfing ihn mit spiegelndem Messinggriff schon der Türe und einem Treppenhaus voll zarten Wichsegeruches, in welchem ein Lüftlein Leuchtgas umging. Er zog unten an einem Griff und vernahm das Glöcklein im Innern, zierlich wie alles an dem Orte; es war ihm nicht anders, er setzte mit dem Drahte Annettens Seele in Bewegung. Ahnte er in seiner Kindlichkeit die Zusammenhänge? Er war durchaus unnachgiebig und mit der gewissen Säuerlichkeit vornehmer Leute behandelt, aber er hatte Zutritt zur guten Stube, er durfte bei Annette malen, Phlox und Ruinenlandschaften, und er brachte sein blondes Gelock, auf welches das alte Mädchen recht haltlos versessen war. Sein Kopf stand eine ordentliche Tyrannei von ihr aus. Stundenlang währten die Prozeduren, denen er in einer weissen Mantille stillzuhalten hatte; die Brennschere klapperte, die Benzinflasche schläferte ihn ein mit ihrem Dunste, und alles das zu dem Ende, dass im Spiegel ein fremdes Haarwesen erschien, über welches er sein Gefallen zu bekunden hatte.

Ein junger Bursche, spaltete er Holz für Annette, deckte die Grube mit Herbstlaub und pfadete im Winter vor dem Hause. Der Schopf war ein Schopf von weichem Steppengrase geworden, der Haarkräuslerkunst verloren, auch wenn die intimen Sitzungen noch schicklich gewesen wären. Martin nässte die Stirne in einem Ausschlag von Pickeln, die Stimme schlug ihm in holprige Tiefen hinab, Verwandlungen suchten ihn heim, denen das Fräulein zimperlich und jedenfalls ratlos gegenüberstand. Er brachte ihr aber seine Zeichnungen, sie händigte ihm Bücher aus ihrem Glasschranke aus, und ihrem Machtwort verdankte er es, dass er Kunstmaler werden durfte. Nicht ganz dem Machtwort allein, sie untermauerte es mit einem Bankscheck. Möglich, dass der Wohlstand auch nach dem Hinschied der älteren Schwester Hortense nicht von dem Umfange war, ihr grössere Leistungen zu erlauben; er vergass sie wie man eine Patin vergisst und erblickte sie alle die Jahre darnach ungefähr wie den Geist einer Toten. Die Begegnung erfolgte bei Anlass eines Vortrages von Paul Valéry, dessen Französisch zu hören Martin Verlangen trug. Seinen Augen hatte sich Fräulein Wehrli nicht sehr verändert; sie schien eine Bezugsquelle für ihre alten Ridiküle, Gaböttchen und Kettenzwicker zu haben. Eine ganze Weile fand sie sich nicht in der Erinnerung zurecht; dann errötete sie sogar einwenig. Sie war aber auf ein Kränzchen des Lesezirkels Hottingen hin pressiert, hatte den Einfall, ihn mitzunehmen, und so erneuerte er die Bekanntschaft in Gegenwart einer Berühmtheit, von der er der alten Dame Persönliches aus Paris vermittelte. Dafür dankbar und liebenswert eitel darauf, ein wenig in Mäzenatentum zu machen, nahm sie den Bildhauer unter ihre Silberflügel, nicht ohne Aengstlichkeit, weil ungewiss der Entwicklung des jungen Kuckucks gegenüber.

Von allem blieb ihm ein Heimweh, aus welchem die Entbehrung Maries mit Uebermacht hervorbrach. Er hatte sich still gefügt, ihr die Schonzeit zugestanden und bis auf den Tag nicht geschrieben, freilich auch nicht die Hartnäckigkeit seines Glaubens preisgegeben, sondern fortgefahren, die Geliebte in sein Tun und Trachten einzubeziehen. Jetzt mit dem wunden Herzen, in seinen geisterhaften Verhältnissen flüchtete er zu ihr, indem er ihr alles schilderte, den Stand der innern und äussern Dinge, seine Verstrickung in Abhängigkeiten, seine Aussichten, das Schattenhafte der Drohung, eines Tages mit Schimpf und Schande im Debakel des Ganzen abzugehen. «Wär ich ein Lüderjahn, wär ich ein Schwindler, so aber schufte ich, gönne mir kaum ein Vergnügen und streife doch immer das Zuchthaus, wo die Spitzbuben der Welt, die Gegenwärtigen, die vergoldeten Nullen in Limousinen von Schandtat zu Schandtat fahren. Was will ich, welches ist mein Anspruch? Mein Werk zu verwirklichen unter keinem andern Gehorsam als dem vor dem Geiste, von welchem ich es empfange, und nicht darüber das menschliche Dasein verkümmern zu lassen, in der Meinung, dass eines das andere zu tragen habe; denn ich habe plastisch zu denken den Charakter, ich suche das volle Polare, mir ist das Symbol der Ergänzung in Mulde und Wölbung greifbare Philosophie, und ich verweigere mich dem Schlagwort von der Entsagung des Künstlers.»

Als hätte der Brief ihn gerufen, erschien wunderlicher Besuch aus Paris mit Grüssen der Liebsten, nämlich Seume, der Maler und Wanderer, der in seiner Dachkappe, ein Felleisen aus der Handwerksburschenzeit auf dem Rücken, den Weg zu Fuss gemacht hatte und eines Abends das Limmattal heraufmarschiert kam, rosig angeregt noch am Ende der Tagesleistung, beim Eintritt zum Aufbruch munter, ein jugendlicher Greis mit aschfarbenen Stoppeln um die Lichtung seines Scheitels. Die Ostsee blickte ihm aus den Augen, über die Dünen der Wülstchen darunter, die gläsernen Härchen seiner Beine in Kniehose wehten wie Strandhafer – Seume, alter Kunde, Hansen, wohin treibt dich dein Wikingerblut diesen Frühling?

Es trieb ihn nach Konstantinopel. Er machte Station bei dem Freunde und sass denn, ein friesischer Fischer, bei ihm auf dem Bauplatz am Pfannenstiel, die knochigen Knie unterm Bärtchen, ein Schneiderlein voller Schalkheit, ein freundlicher Sack von Sarkasmus. Der Witz der Geschicke fügte es, dass Hansen, seiner Herkunft nach Zimmermann, als der leibhaftige Streik im Gebälke sass, von dem aus er mit scherzhaften Sprüchen nach dem Fleisse des Bauherrn zielte:

«Alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit des Menschen wie des Feldes Blüten – das Gras verdorrt, die Blume verwelket; Staub ist er und zu Staub soll er werden – wer wird sich denn Häuser bauen, auf der Durchfahrt durchs Menschenleben, sag mir das, Hanswurst! Das Fundament: seine Wiege, der Dachstuhl: sein Sarg. Wen reut nicht die Zeit dazu, wo er sich umtun kann in dem schlüsselfertigen Hause der Welt! Ich will meine Beine bewegen, seine Wolkenräume erwandern; es ist ein Lust an sich, Schritte zu machen, tausend, hunderttausend, die Strassen gehen dir ein wie Wein und die Fernen als ein Rausch. Was denkst du, wie oft mir mein Wanderpuls das Blut um und um gejagt hat! Von allen Winden durchlüftet, in Regen aller Schrägen gestriegelt, führt es auch nicht ein Stäubchen Hypochondrie mehr . . . »

«Ich weiss nicht, ob ich mir's wünschen soll, Seume. Vielleicht muss der Wildbach Blöcke führen.»

«Ich hab in meiner Kappe mehr Dinge als mancher in seinem Schädel: Salz von Biarritz, Rauch der Abruzzen.»

«Seume, der Materialismus!»

«Das sagt mir einer, der seine Liebe zwischen vier Wände sperrt. Ich geb dir ein Rätsel zu lösen auf: Ein Mensch hat seiner Tage kein Weib angerührt und doch alle Weiber der Erde besessen.»

«Es ist derselbe, der Gott zu lieben vorgab und nie einen Nächsten zu lieben vermochte: Es ist ein Ungläubiger.»

Martin kniete sich in die Wiese zu den Schlüsselblumen, trank wie aus einer Quelle.

Es war Essenszeit, er stieg zu Seume auf die Balken. «Staub an den Füssen, Zement an den Händen – die Wahrheit ist doppelseitig.»

«Zement erstarrt.»

«Und Staub verfliegt.»

«Auch der Zement mitunter.»

Stak eine Mitteilung darin? Martin blickte zu Seume auf. «Baust du das für Marie?»

«Ich baue es im Gedanken an sie», antwortete Martin. «Auch der Zement mitunter. Marie ist verlobt.»

Marie war mit dem Chef verlobt.

Keinen von beiden, die sie liebte – dafür Wohlsein und Ruhe; Martin verstand sie.

Tägg, machte die Kelle und stak in dem Troge.


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