Albin Zollinger
Pfannenstiel
Albin Zollinger

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3

Schliesslich war es das Objekt im Seefeld, für welches er sich entschied. Er schaffte seine Kisten hinaus und hatte vorerst damit zu tun, sich einzurichten. Es beschäftigte ihn über die Massen. Er hatte einiges von der Geschicklichkeit der Hausfrau, schrubbte und nähte; alleiniger Herr und Meister in den zwei Räumen, um die der Landregen dampfte, fand er das Leben schon eine brave Sache; er machte sich selber den Kanarienvogel mit Gepfeife von morgens bis abends.

Was ihn freute, waren die Fenster, zwei Fenster, die eine halbe Wand füllten; ihre gitterige Aufteilung erinnerte ihn an die französischen Feudalpaläste. Sie schwammen im Regen mit einer fliessenden Pappel, dem Grasgeviert und einer Sandsteinfigur vor der Klause. Nachts zog er Vorhänge von blaugewürfeltem Kattun davor. Vom selben Stoffe war der Ueberwurf der Couch in der Ecke. Auf der Lade darüber standen seine gelben Broschurbände. Er verstand sehr geschickt, die Ausstattung aus seinem Alteisengerümpel zu ergänzen. An einem Lampenkörper arbeitete er drei Tage lang bei seinem Schraubstock. Dann war es das Zylinderöfchen, vor dem er sich mit gespreizten Beinen aufprotzte. Ordentlich eine Röte fuhr über seine Stirn. Zu versetzen war das Mistvieh nicht und nahm doch den besten Raum in Beschlag. Das Haarnetz, das Stapfer zur Bändigung seiner Stirnlocke bei der Arbeit zu tragen pflegte, hing ihm schon bald übers Ohr herab. Mit dem Knie puffte er die Couch überquer, was den Raum in zwei überaus artige Kabinette aufteilte, in deren einem das Oefchen architektonischen Sinn und also die seiner Minderwertigkeit mögliche Schönheit gewann. Erfindungen von der Art bereiteten ihm herzinnige Daseinsfreuden. Die Hände im Nacken verschränkt, betrachtete er's von seiner Lagerstatt aus, in der Nacht, die still wie die Nacht auf dem Monde war. Heisst das, der Mond fuhr durch ein Weltall von Regen.

Dass er ein beträchtliches Stück Geld hatte aufnehmen müssen, auch das fiel ihm freilich ein in den Nächten. Die Grabsteine waren von dem Vorgänger zu einer Art Musterfriedhof vor dem Hause angeordnet worden; Stapfer war es das erste gewesen, das steinerne »Wäldchen zugunsten des Rasens auszuroden; er hatte vor, die Industrie zu liquidieren und Aufträge unter seiner Würde nicht anzunehmen. Die Werkstatt behagte ihm wohl, er verschönerte sie noch mit Geranien; vorerst galt seine Geschäftigkeit dem Vergnügen, sich in seinen Gemächern abwechselnd über irgend einer Bastelei aufzuhalten.

Mit dem Haushalt im Reinen, machte er sich an die Arbeit. Aus dem Gedächtnis wiederholte er eine in zahllosen Varianten zurückgelassene Studie ,März', einer Komposition von knospenhafter Art, deren Andeutung ihm rasch und zunächst mit dem Aussehen einer Riesenkaktee unter den Händen wuchs. In dem Masse wie sie in ihrer Ausgestaltung fortschritt, vervielfältigten sich die Schwierigkeiten; es schien als ob der alte Stand von Ausweglosigkeit wieder eintreten wollte, Stapfer grub Photographien hervor, die er in der Weise einer Patience vor seinem Werk auf dem Boden auslegte. Mit den kleinen irdischen Tröstungen war es gründlich vorbei, in seiner Verbissenheit und Verzweiflung sah er nichts mehr auf seinen Wegen, er ass beiläufig und ewig dasselbe, Mais, von dem er einen Vorrat in seiner grössten Pfanne herzustellen pflegte, dazu Kirschen, oder er nahm Brot zu Chianti. Vollkommene Einsamkeit war auf Paris gefolgt, aber es war ein Fürsichsein ohne Entbehrung; nachts ging er aus, meist seehinan, in die Strassen zum Berg hinauf; sie führten überall in Laub voller Sternhimmel. Eines Septemberabends stiess er am Quai auf Marie. Dass sie ihm verändert vorkam, mochte auch einfach von ihrem winterlichen Kleide herrühren.

Es war doch sehr heimatlich und nach allem Alleinsein wonnig aufregend für ihn, sich ihr gegenüber an den einsamen Gartentisch zu setzen. Als sie ihre Handtasche zuklappte, schlug ein lenzlicher Wohlgeruch herüber.

Eine so niedliche Frau habe ich einmal zu lieben die Fürstlichkeit gehabt, dachte er, ihr Gesicht mit dem Blicke abweidend. Eine stille Freudigkeit ihrer Züge entging ihm nicht. «Zwei Tassen Kaffee», sagte er zur Bedienung – und lehnte sich darnach übers Wasser hinaus. Die Thalwiler Kirche stand wie ein Geist im Nebel, die Alpen hatten sich in Luft aufgelöst. Stapfer grübelte, welche innere Lage es war, die sich wiederholte; es waren die Kiesel auf dem Seegrund.

«Wir dachten nicht anders, du wärst wieder nach Paris zurückgefahren, Martin.»

«Ich war unartig, ich weiss. Eigentlich machte ich mir nie Gedanken darüber.»

Erst in der Nachwirkung fühlte er, dass es beinah raffiniert gesprochen war und eine beiläufige Wirkung hatte, deren er sich schämte. Indessen war es unverkenntlich, dass sie die Veränderungen an ihm auch ohne das wahrnahm und darüber in Nachdenklichkeit verfiel.

Weiber sind immer Weiber, dachte er. «Nun, wie war es? Ich hatte zu tun und nahm es billig als Vorwand dafür, mich bei einem Freunde ein wenig rar zu machen, der seinerseits auch nichts dazu beitrug, die Spannungen zu überwinden.»

«Spannungen,» sagte sie vor sich hin.

Er rauchte.

«Unsere künstlerischen Absichten haben uns auseinandergeführt lange bevor wir es sehen wollten. Und dann: Verbindungen aufrecht zu erhalten, liegt von zweien an dem, der Karriere macht.»

«Ihr Schweizer seid aber empfindlich!»

«Man sagt es.»

«Was mich dabei anbetrifft, so versuchte ich wiederholt, den Anstoss zu geben. Es ist wahr, auch er winkte ab.»

«Und seinen Zorn zu erregen nahmst du denn doch nicht auf dich.»

«Martin, ich ging allein. Ich stand mehr als einmal vor deiner Ligusterhecke.»

«Ich war ja nach Paris zurückgereist?»

Eine ganze Weile beschäftigte es ihn, sich auszumalen, dass sie stand, und er las derweil oder stapfte in den Wäldern herum.

Aufregung bemächtigte sich seines Atems. Wir verachten das Weib und bleiben ihm dennoch hörig. Die harmlose Fröhlichkeit seiner Floskel wirkte beinahe frivol: «Nein, im Ernst, ich hätte mich wirklich gefreut.» Er war höflich und verständig genug, die Verstellung nicht zu weit zu treiben, nachdem die Frau sich in dem Masse gedemütigt hatte. Er ergriff über den Tisch ihre Hand.

«Es ist einfach so,» sagte Marie und hatte die Augen voller Tränen, «dass ich euch nicht in zwei trennen kann. Du gehörst dazu. Ich musste dich verlieren, um es inne zu werden.»

«Schwieriger Fall, aber wie immer, wenn er von der Art ist, auf einer Täuschung beruhend.»

«Welcher?»

«In mir entbehrst du vielleicht Kurzweil, sublime Kurzweil, günstigenfalls; die Liebe gehört dem, dem das Bett gehört.»

So frei herauszureden, war nicht ohne Lust des Wagnisses; Marie ging anstandslos darauf ein, indem sie fast nebenhin sagte: «Das Bett gehört ja nicht mir allein.»

Er hielt inne damit, das Händchen unmerklich zu befühlen.

Er liess es unauffällig sogar los und nebenan auf der Tischplatte liegen.

Es stimmte ihn traurig, dass die Eröffnungen ihn nicht sonderlich bewegten. Mit Krannig freilich war er innerlich fertig. Wenn sie nicht von ihm loskam, so war es nur erotische Gewöhnung, die eine Macht ist. Stapfer wusste, mit kühnem Einsatz war die Frau nie zu gewinnen; aber sei es nun, dass er alles verwartet hatte, sei es, dass die plötzlichen Möglichkeiten ihn stutzig machten, sein Instinkt gab ihm ein, sich nicht zu verpflichten.

«Wie denkt er sich das in der Ehe?»

Sie schien auch an diese Ehe nicht mit sonderlicher Zuversicht mehr zu denken. Sie brach wieder in Tränen aus. «Schliesslich werde ich von uns dreien es sein, die nach Paris zurückfährt.»

Der Gedanke daran erweckte eine schmerzhafte Art von Erbarmen in ihm, gerade durch den Umstand, dass er nichts dagegen zu veranlassen sich in der Lage fühlte.

Sie war so anmutig wie je, eigentlich wenig französisch in ihrem Wesen, und dass sie die Sprache sprach, befremdete ihn heute. Ihre Augen schienen zwei Lebewesen für sich, still und falterhaft, ihr feiner Mund beschäftigte seine Blicke; aber er sah all das nur noch mit den Augen, nicht aus der Tiefe des Herzens heraus, es fehlte gewissermassen das Gefälle zu ihr hin, zu ihr und ihrem Leben, und was noch darnach aussah, kam mehr aus seinem Wunsche, ihr so wie einst zu gehören.

Dass er sich hierin verändert hatte – unheimlich ist die Abhängigkeit von Hintergründen des Gefühls! – verschaffte ihm wenigstens die Berechtigung zu einer gütig vertrauten Art, sich um sie zu bekümmern, einer Väterlichkeit, die beinah ebenso tief befriedigte. Er versuchte, Krannig von bürgerlicher Schuld zu entlasten, was sich freilich als müssiger Eifer erwies, indem er Marie nichts damit sagte, was ihr nicht zum voraus selbstverständlich gewesen wäre; es lag ihr auch daran, in ihrer Beständigkeit nicht angezweifelt zu werden, und Stapfer sass denn fast ein wenig naseweis und zurechtgewiesen vor ihr in seiner Verdrossenheit.

Es war Nacht und auch kühl geworden, die Lampen der Wirtschaft sprühten aus giftgrünem Laub. Eigentlich war alles nur angebrochen, was sie einander hatten sagen wollen; eine Handbewegung, mit der Marie ihren Mantel ein wenig überzog, gab das Zeichen zu einem etwas schreckhaften Aufbruch.

Erst die Notwendigkeit, auseinanderzugehen, gab ihnen wieder das Bewusstsein ihrer Verbundenheit. Sie schoben die Trennung mit Auf- und Abgehen lange hinaus, sie wanderten in einen Flaum von Dunkelheit hinein, die sie tiefer und tiefer verhüllte, und es geschah aus sehr gutem Gefühl, in einer milden Sonorität der Herzen, dass sie am Ende noch voreinander standen, Martin unwiderstehlich versucht, den holden Schatten an seine Brust zu nehmen – das Herz sang ihm, die Augen wurden ihm nass, als er in seiner langsamen Art, im Gesprenkel der Allee nach Hause ging.

Maries Augen leuchteten auf, da er wirklich kam, doch wusste Stapfer wohl, dass es Freude über seine Artigkeit war und auf Krannig sich mehr als seine Person bezog; den ganzen Abend zeichnete sie ihn für seinen Gehorsam mit warmer Vertraulichkeit aus. Er lebte davon in seinem Innern, bewegte sich in der erlauchten Gesellschaft aus Glückseligkeit frei und heiter, obwohl er, wie er fühlte, hier niemand, nur Krannigs Freund war. Krannig hatte sich eine Fliege von Bart unter der Lippe wachsen lassen, die bewegte sich, wenn er sprach, und Martin starrte darauf, in der einen Vorstellung, dass er sie, liebend, Marie vor das Kinn drückte; er sah überhaupt nur noch Brutalität an dem Freunde, auch in dem Koryphäengehaben, das Krannig als eine gewisse eilfertige Unbekümmertheit zur Natur geworden war.

Man hatte sich in einem Palaste von vielen ineinandergehenden Räumlichkeiten zusammengefunden, Bankleute, Maler, Literaten; ein Quartett unter Führung der Hausherrin machte Kammermusik, Dienstmädchen in Hauben servierten belegte Brötchen zu Tee; da waren die Herren und Damen, Stapfer auch nach der Vorstellung unbeschriebene Blätter, die einander kannten, herumstehend, mit dem Ellbogen auf der Hand, eifrige und lange Gespräche miteinander führten; frische hübsche Mädchen, die man sich auf dem Tennisplatz eher als in dem geistigen Zirkel zuhause dachte, unterhielten sich wohlbeschlagen mit Rechtsanwälten ebenso wie, um einen Ton freudiger und herzlicher, so schien es, mit den weniger ansehnlich aufgemachten Meistern der Künste, vor denen die eine und andere als Modell etwas wie Tochterstellung erhalten haben mochte. Stapfer, in der Tiefe seines Ledersessels, gab sich der Beobachtung dieser drolligen Welt von Extremen hin, fand sie leise lächerlich, leise verlogen – sieh da die Alphornbläser und Sennerinnen, die Eintracht von Bürgern und Bohême, die Uebereinkunft auf dem hauchfeinen Boden der Selbsttäuschung!

Der Gastgeber, ein windschiefes graues Männlein, welchem die Millionen ebensowenig wie sein Mäzenatentum anzusehen waren, bewegte sich in der Versammlung nervös, doch mit Sicherheit, hinter Augengläsern versponnen; eine kleine Fürstlichkeit, wechselte er von Audienz zu Audienz, auch der blonde Bildhauer war ihm des näheren vorzustellen, was – und hier zeigte er sich in seiner ganzen Grosszügigkeit – von Krannig mit dem Ergebnis besorgt wurde, dass Stapfer seine Lieblingsplastik im provisorischen Auftrag des Bankiers ausführen sollte. Einen Vorschuss darauf erkannte ihm Herr Sytz unaufgefordert mit angenehmer Beiläufigkeit zu. Er hatte sich Stapfer gelegentlich der Freilichtausstellung erstaunlicherweise gemerkt, befand sich durchaus im Bild und legte überhaupt eine Fachkenntnis an den Tag, die, frei von Snobbismus, eine wirkliche Liebhaberei des Geldmagnaten verriet. Dabei sprach er in aller Schlichtheit und, gegen das Ende hin, mit halbem Ohr schon dem nächsten Interpellanten offen. Martin glühte. Nach Künstlerart wechselte er aus dem Groll gegen Krannig in Begeisterung hinüber; die kleine Freundin schmolz in Rührung über den Ausgang der Dinge, die zu veranlassen sie gottlob die Hartnäckigkeit aufgebracht hatte.

Stapfer ging mit ins Atelierhaus gar nicht weit von seiner Eremitage. Krannig schien seinem Stern zu vertrauen, aus der Miete zu schliessen, die zu bezahlen er auf sich genommen hatte. Das Haus lag abseits in Akazien, wohnlich verschachtelt und von wilder Rebe über und über bewachsen, ein Dornröschenschloss, das mit Zimmern in Purpur und Ahorn aufging. Krannig hatte, nebst dem Atelier, deren zwei belegt, eine trauliche Grotte mit Holzsäulen, Batik und Teppichen; er führte den Freund, nicht ohne die irdischen Genüsse zu bagatellisieren und in Relativität zu versetzen, darin herum; aber, weiss Gott, er hatte auch wie ein Pferd gearbeitet, die weitläufige Werkstatt mit alten und neuen Schöpfungen angefüllt – Martin erstarrte im Anblick gottseliger leichter Gestalten, deren schattige Gliedmassen vor einem Hintergrund goldener Zierlichkeiten im Anschein der Riesenhaftigkeit aufstiegen – was hatte er selber dagegen zu setzen? Die eine Verbissenheit, eine neu aufgesprosste Hoffnung, und seinen Kram von Alteisen aus Clignancourt! Und doch, ihm war nicht ums Tauschen. Er passte sich scharf darauf auf, ob es die sauren Trauben wären, ob er aus der Not eine Tugend machte: sein nüchternes Auge sah sogleich, das waren keine Monumentalitäten, das war alles, so wie motivisch, in Grössenunterschieden dasselbe, Freund Krannig war ein Meister der Kleinkunst. Er hatte nicht das Format, zu dem ihn die Welt verzerrte, er wäre, in seinen Grenzen geblieben, grösser und ganz gewesen; Stapfer sagte sich das ohne Eifersucht oder gar Schadenfreude, er sah es einfach und sah es sogar mit Kummer, bei seiner Gewissheit darüber, dass es sich eines Tages rächen, der Beifall der Toren in Unterschätzung eines grossen Talentes abfallen würde.

Die Gedanken behielt er für sich, im Verlaufe der Unterhaltung, die, durch Maries Veranlassung, auf weite Strecken Krannig zum Gegenstand hatten; Stapfer schwieg sich über das Innerste seiner Auffassung aus noch als der Arrivierte, unverfrorener-, aber ahnungsloserweise, Ermahnungen und Ratschläge von sich zu geben anfing.

«Der Mensch im Zustand der Reife,» sagte er, und sprach, wie Stapfer nicht zweifelte, unbewusst zur Rechtfertigung seiner selbst, «ist über Scylla und Charybdis der pubertären Zweifel hinaus. Dem Mannesalter kommen andere Bedingungen als dem Stande des Jünglings nicht nur als Recht, sondern schlechterdings auch als Pflicht zu. Festigkeit ist noch keine Routine, die Anwendung eines Bestandes von Errungenschaften nicht Selbstplagiat; dem Manne steht es an, munter und mit Plan sogar quantitativ fruchtbar zu sein. Wechsel der Absichten, Wechsel in den Mitteln, Heiss und Kalt, Himmel und Hölle, die den Sturm und Drang genialisch machen, wirken am Manne wie Ausweglosigkeit, und wenn ich aus dem Vorrecht des wohlmeinenden Freundes einmal schrankenlos aufrichtig sein dürfte, müsste ich dir zurufen: Mach endlich Schluss mit der Quälerei, nimm dir Mut zur Begrenzung, die Kraft zum Genügen und geh weiter zum Nächsten. Wieviele Jahre hast du nun um das Eine verbraucht! Der Kampf mit dem Engel ist Gegenstand einmal einer Traumnacht, keine Lebenshaltung. Den Meister kennzeichnet, dass er nicht die Fülle, sondern das Bestimmte sieht, durch dessen Verwirklichung die Fülle von selber wird. Und lass dir den Kopf abschneiden, du denkst zu viel.»

Dem Andern, da er das hörte, stand das Gesicht in heiterer Verblüffung offen. «Es gibt möglicherweise die beiden Typen,» gab er mit tonloser Stimme zur Antwort, und noch etwas leiser fügte er hinzu: «Was mich anbetrifft, so wöge mir die eine Vollendung die Fülle der Versuche auf.»

Sie blühte ihm wieder vor den Augen, diese Vollendung, das Weib seiner Sehnsucht: Die Fülle des Frühlings im Märzstaub, sein Wasserglänzen, sein Blust und der Purpur der Amsel sollte darin sein, in dem Knospenhaften des Jünglings, das auszuglätten war in jener Epidermis einer gesetzhaften inneren Form. Er berührte sie fleckenweise, da strahlte sie und bezwang, aber in seiner Ganzheit erschien die Figur als eine Erde voll unerforschter Kontinente, und zu seinem Unglück war es so, dass die Lichtungen wieder verwucherten. Er raste von Pol zu Pol, der Verlauf einer Linie am Hals gab ihm die Vision der Fesseln, eine Veränderung im Gesichtsausdruck rief der Verlagerung der Hüfte. Wie kann, so fragte er sich, ein Mensch Säle voll realisieren, wo die eine Harmonie eine zu erobernde Welt ist? Sie bauen schöne Formen, ich aber suche die Wahrheit; sie singen gefällige Melodien, ich jage nach der Erkenntnis; sie rechnen an Hand der Empirien, mir dämmert der Urgrund einer Formel.

Die Griechen sind kein Vergleich, sie waren Götter. Sie schufen das Vollkommene in Reihen.

Ein Riff am versunkenen Erdteil der Kunst hatte er erklettert.

Tagelang arbeitete er treulich und in Demut.

Die Inseln von Glanz breiteten sich aus.

Dann wieder drangen ihm die Tränen wie Schweiss durch die Wimpern heraus.

Er verzweifelte, liess davon ab und wandte sich umfänglich Kleinerem zu.

In seiner Armut auf Bruchstücke angewiesen, liess er sich seinen Vorrat aus Paris nachschicken. Sein Haus stand um ihn versammelt, und es begegnete ihm, dass er über zeitlichen Abstand hinweg die Holdseligkeit seiner Kinder erblickte.

Selber, in seinen Bartstoppeln, hatte er das Aussehen eines Langobarden.


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