Albin Zollinger
Pfannenstiel
Albin Zollinger

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Die Pfannenstieler

12

Der Park des Seidenherrn stand wie ein kühles Wasser, verhüllte in sein Gekringel auch das Bildhauerhäuschen und seine Brombeerwildnis; als eine Laus der Armut hatte es sich der Feudalität in den Schopf gesetzt – hemdärmelig, in ewig demselben schwarzen Haarnetz, arbeitete Stapfer auf dem Höfchen zwischen Werkstatt und Zaun, Stunden und Stunden allein, der lichten Ablagerung von Geriesel aus Sonne une Schatten, Glockenschlag, fernem Gebell und Fahren, und dann zusammen mit Byland, welcher Anfälle von Schläfrigkeit in Qualen überwand; sein Hölderlinkopf erbleichte zum lebenden Marmorbild, zur Gamee auf dem Grunde des Dornengeranks. Er war auch ein Dichter, erwies es sich, schrieb Verse und Novellen, die anzubringen er aber besondere Schwierigkeiten vorfand: «Ich gelte als Eigenbrödler. Man findet mich auch nicht schweizerisch. Es ergeht mir diesbezüglich ein wenig wie Ihnen, Herr Stapfer. Das Erbe manifestiert sich in uns nicht handgreiflich, nicht in Alphorn und Jodeln. Wir sehen die Schweiz nicht antiquarisch, nicht in Souvenirs. Ich weiss nicht was sie wollen. Ich kenne einen einzigen, der das Alphorn bläst; er bläst es an Sonntagen auf dem Landungssteg, ist aber ein grausiger Kitschbruder. Nichts gegen das Alphorn in den Alpen! Da bin ich ihm auch einmal begegnet. Es war, als spräche der Berg mich an. Selber bin ich ein Kind des Tieflandes und wirklich an meinem Orte nur in den Apfelbaumgärten, von welchen ich obendrein weiss, dass die römischen Legionäre sie über die Pässe aus ihrem weicheren Lande heraufbrachten, und was die Ursehnsucht anbetrifft, so habe ich eher als das Alpengras das Salz der See, welche auch vorzeiten hier war, im Geruche. Das Meer ist meine Liebe. Die Väter gar folgten dem Gefälle, kannten sich aus in Versailles und am Tiber; wir aber, die Söhne, sollten nicht schweifen, uns der Welt nicht öffnen dürfen, im Geographischen wie im Geistigen? Gerade darin besteht doch das Schweizerische! Wem Literatur und Kunst etwas mehr als nur Randverzierung sind, der blickt, ganz ohne Gedanken an die eigene Wenigkeit, mit Betrübnis auf den Krautgarten von Kultur, in welchem nur die Kohlköpfe des Nützlichen, die Radieschen der Kritik, die Spaliere des Lehrbaren und an Flor zur Not ein paar Heimattümeleien gezogen werden. Nichts gegen die Heimat, aber alles gegen die Heimattümelei, die eine Unterschätzung der Heimat ist. Ueber Aller Heimat hinweg wölbt sich der Menschheit Himmel. Aus dem Kraut schwingt sich die Raupe zum höheren Zustand des Schmetterlings auf. Erwerb, Geschäftigkeit, Sicherung sind erst das Dasein im Kraut, die Voraussetzung, nicht der Aufschwung ins Geistige, der allein ein Volk vor der Geschichte rechtfertigt. Wochenblattliteratur gehört durchaus dem Bereich des satten Genügens an. Was die Bemühung beansprucht, indem es sich selber bemüht, findet hier kaum eine Stätte. Wir haben links den roten und rechts den schwarzen Materialismus. Links muss es nützlich sein – Wissen ist Macht! – rechts darf es nicht stören.»

Stapfer wollte es, dass sein Modell nicht in Schweigen erstarrte. Jetzt hatte er sein Hölzchen in den Lehm gesteckt.

«Und die Mitte?» fragte er fiebrig angeregt.

«Die Mitte ist eben jene Masse braver Sparer im Materiellen wie im Geistigen, durchschnittlich konservativ, von achtbarem Standard des Lebens wie der Bildung, die eigentliche Schweiz, die Schweiz, die gegen alle Anstrengungen immer wieder eine konservative Regierung auskristallisiert.»

«Ich höre einigermassen mit den Ohren eines Ausländers; ich höre Sie mit wahrem Entzücken, Entzücken nicht an der Sache, leider nicht, sondern daran, endlich einen Menschen so reden zu hören wie ich reden müsste, wollte ich meinen ketzerischen Gedanken Ausdruck verleihen. Ich darf sagen, ich war ja immer ein Patriot, schon zu Zeiten, als man sich damit noch lächerlich machte. In der Fremde ist man es schon aus Heimweh. An Ort und Stelle erschrak ich recht eigentlich über die Beobachtung von so viel Selbstgefälligkeit eines Volkes, das eine Andeutung von Kritik schon als Landesverrat empfindet, selber aber vom hohen Thron seiner Unfehlbarkeit aus alle Welt schulmeistert. Donner, sagte ich mir, da lauern Gefahren. Ein Volk, das nur noch hören will, was Lord Rothermere gelegentlich einer Schweizerreise Schmeichelhaftes von ihm gedacht hat, ein Volk, das die eigene Art in Heimattümeleien hätschelt, ein solches Volk ist nicht die Gefolgschaft der Helden, die es beständig im Munde führt. »Ein Volk, das die Wahrheit nicht verträgt,« sagt Ibsen, »muss ausgerottet werden.« Ins Hochland der Unabhängigkeit jeder Art glaubte ich heimzukehren, und kam nach Byzanz.»

«Einem Byzanz der Banken, Versicherungshäuser und Wochenblättchen. Einem Byzanz des mechanisierten Liberalismus. Der vaterländische Ehrgeiz erschöpft sich in der Verherrlichung der Ahnen – unter Verwendung von etlicher Retouche aus Unkenntnis oder schlechtem Gewissen; der Patriotismus, auf die Historie, nicht auf die lebendige Verpflichtung ausgerichtet, ist nicht verbal nur bei seinen Spezialisten, die ihn geschäftlich auszuwerten wissen.»

«Ich verstehe alldas gewiss in seiner Absicht zur verdeutlichenden Uebertreibung zu nehmen, Doktor; finden Sie's im Ganzen hoffnungslos?»

«Sehen Sie, es begegnet mir wohl, dass ich im Strom der Sonntagsbummler treibend völlig der Bitterkeit verfalle; welcher Mob, welche Menschenware! Sagen Sie's nicht weiter. Ich kann nichts dafür, ich bin von Natur keineswegs mephistophelisch, der Sarkasmus kommt weit eher aus meiner Vorstellung eines schönen Volkes, schön im Ausdruck einer inneren Ordnung. Nun will ich Ihnen folgendes sagen. Eine Klasse von neuen Schülern enttäuscht mich rein anblicksmässig immer. Kaum ein Gesicht ist darunter. Nach und nach gehen sie auf wie Blumen, das letzte wird schön und persönlich. Es geht mir im Militärdienst nicht anders. Die Gröhler auf der Strasse – vielleicht weinen sie zu Hause. Die sympathische Schamhaftigkeit des Schweizers versteckt sich in lautes Gebaren. Er ist voller Hemmungen und daher schwer zu beurteilen. Man kennt ihn noch nicht, wenn man sein Wort gehört hat. Er lebt in Parteien und stimmt doch nach seinem Belieben. Die Schweiz ist ein Pfahlbauerdorf, das auf den Einzelnen steht. Die Einzelnen finden Sie überall: da einen senkrechten Bürger, dort einen ernsthaften Sucher. Nur haust jeder in seiner Talschaft. Wir haben es schwer, uns zu finden. Wir sind geborene Eigenbrödler.»

«Somit tanzen Sie nicht aus der Reihe und müssten im Grunde verstanden werden?»

«Wir haben es schwer, uns zu finden. Auf dem Gebiete der Kunst wird der Eigenbrödler unheimlich. Auch die Kunst will der Schweizer, wie er es nennt: vernünftig – etwas materialistisch, weshalb Zünd und Calame und Koller ausschliesslich seine Liebe haben. Für das eigentlich Schöpferische fehlt ihm das Auge. Er hat sich vor Marignano der Eroberungslust entschlagen, beziehungsweise ins Basteln geflüchtet und ist heimlich ein grosser Erfinder, freilich auch als solcher, wie ich mir habe sagen lassen, in seinen Risiken einsam; viel gute Kraft flieht vor der heimischen Vorsicht ins Ausland.»

«Man müsste sie sammeln!»

«Da Sie mich nach dem Ganzen fragten: Ich schätze, der Durchschnitt an Intelligenz und Interesse kann neben irgend einem bestehen, doch ergibt auch ein hoher Prozentsatz der kleinen Nation nicht das Kontingent von Bewussten, die sich des eigentlichen Lebens, des schaffenden Geistes annähmen.»

Stapfer hatte sein Stäbchen wieder ergriffen. «Man müsste einen Klub der Eigenbrödler gründen.»

«Das ist ein alter Plan unter Brüdern, Herr Stapfer. Unser einige, Schriftsteller, Maler, träumen von einer Zeitschrift, die wir vor allem brauchten, wie Sie Ihr Modellierholz, den Lehm der Oeffentlichkeit zu formen. Diese Zeitschrift unterhielten wir als ein Laboratorium, in welchem drei Dutzend Versuche gern auf ein neues Gelingen gehen dürften. Was wir an Zeitschriften haben, ist das Heer der Wochenblätter und zwei oder drei noble Damen, vor denen man nur in der Vollkommenheit seiner Haltung erscheinen darf. Wir aber sind Sucher, und Sucher stolpern wohl einmal im Dunkeln, stürzen in Schluchten und kommen verdreckt in Gesellschaft. Wir wären politisch, kulturpolitisch, literarisch und kritisch, wir wären junge Leute an Idealisten aus allen Arbeitslagern.»

«Wären. – Seien Sie's, machen Sie's!»

Byland schabte mit dem Zeigfinger am Daumen.

«Ah? Auch die Idealisten kapitulieren vor dem Klang? Eine Notwendigkeit wird mit oder ohne Geld durchgesetzt, und es ist eine Notwendigkeit. Irgend ein Kauz von Finanzmann wird der Marotte für Schmetterlinge fähig sein.»

«Das Mäzenatentum ist aus der Mode gekommen.»

«Das Fossil lebt fort. Machen Sie's, wenn ich's verschaffe?»

«Schlechten Gewissens der Notwendigkeit zuliebe, mit meinen verkauften Kräften. Es ernährt seinen Mann so wenig als ihn Verse ernähren.»

«Sollen sie das? In Kanada gibt es eine Sekte, deren Priester sich das Brot mit Holzfällen verdienen müssen.»

Stapfer verträumte sich in der Arbeit und in dunkelnder Melancholie. Der Abend erinnerte ihn an Tilly.


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