Albin Zollinger
Pfannenstiel
Albin Zollinger

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7

Die Nacht ging mit all ihren Strassen auf, Seume war nicht mehr zu halten, und Martin stand eine Weile, lächelte in die Versuchung hinein, und sah die Moscheen im Monde stehn.

All sein Gefühl hing an Seume, er vernahm seine Schritte stundenlang, roch das Heu in dem Schober, in den er vielleicht zum Schlafe kroch.

Seume, Seume! es war ihm ums Heulen.

Auch Seume der Sohn einer Mutter, und starb eines Tages am Strassenrand.

Er hatte ihm die Liebe fortgenommen.

Martin sass in einem Grossrestaurant noch um Mitternacht. Eine Verlobung wird mit Kuss besiegelt. Zuzeiten hatte ihm die Enthaltsamkeit Molesten gemacht. Eins ums andere fiel ihm ein: auch der Umriss um die Leere, in der seine Treue gestanden hatte. Hier trat eine blonde Erscheinung hinein, Tilly, die ihn bediente. Tilly war nicht die einzige, deren Gunst er besass, aber die offenbar, zu der ihn sein Unbewusstes gezogen hatte, in der Stunde der Vereinsamung. Sie merkte die Veränderung an ihm. Seine Anständigkeit hatte ihr wohlgefallen, es gefielen ihr aber ebenso die Anzeichen einer Beachtung, auf die zu warten sie aufgegeben hatte. Sie waren still, ihrem Auge aber unverkenntlich, und es schien wohl gar, dass er um ihretwillen wartete. Wenn der Feierabend sich nur jetzt nicht verzögerte! Stapfer sah seinerseits, dass sie verstanden hatte. Als er bezahlte, blieb Tilly noch bei ihm stehen. «Geht's Geschäft?» fragte er, seine Münze versorgend. «Man kommt durch.» Er wusste um ihre Dreizimmerwohnung, in der sie eine alte Mutter erhielt; Serviertöchter haben das Einkommen eines mittleren Beamten. Er mochte sie gerne in ihrer Erfahrenheit und Selbständigkeit. Tilly deutete mit ihren Augen nach der Garderobe, an der sich ein Gast in seinen Uebergangsmantel helfen liess. «Gestern lag schon ein Maikäfer auf dem Trottoir. Die Frühlingsnächte voll ihres Gesurres sind mir das liebste.» «Tilly ist also das Mädchen, dem nicht vor Maikäfern graust?» «Wo sie so süss sind! Er verdrehte die Augen unter seinem Schnurrbart –» «Unter?» «Er war auf den Rücken geplumpst. Ich hielt seinen Beinen den Finger hin, und er schwang sich im Triumph daran empor. Er hielt es für eignes Verdienst.» «Ihre Sorte Humor ist mir lieb, Tilly. Eigentlich müssten Sie mich Ihren Herzkäfern vorstellen.» «Wird allerseits Freude bereiten. Gleich heute? Es hätte für mich den Vorteil, dass ich Gröbli loswürde; das ist – sehn Sie nicht hin! – der Herr in der Drehtüre.» «Schlimm ist der nicht; er trägt steife Manschetten. Ich möchte übrigens kein Glück zertreten.» «Man tut's nicht gern, ich weiss. Aber kann ich ihn heiraten, bloss weil er so gar kein Gröbli, sondern ein Ehrenmann und Vegetarier ist?» «Wo warte ich Ihnen, Tilly?» «Anfangs der Brücke, o fein. Ich mache so schnell wie möglich.»

Herr Gröbli wandelte vor dem Blocke auf und ab, und Stapfer fragte sich in seiner Betrachtung, wie er von der Art seines Geschlechtes zu denken hätte. Mit viel Sympathie, denn sie sind still; doch haben sie eine andere Ausprägung des Dünkels und der Herrschsucht: sie missionieren. Es sind kleine Schulmeister mit einem Lineal im Rücken, nach welchem die Welt auszurichten sie sich von Gott beauftragt wähnen. Die Welt soll aber nicht geradlinig sein und auch nicht alkoholfrei. Die Welt hat zu wenig, nicht zu viel Leidenschaft, zu viel Dogma und zu wenig Religion. Ein Mädchen wie Tilly fühlt das Unanständige der temperierten Leidenschaft. Trotzdem tat ihm das Männlein leid, als er es mit langer Nase vor Tilly abziehen sah. Auch Tilly tat es leid. «Aber er spricht mir von nichts als seiner werten Leiblichkeit, die er mit aller Sorgfalt zugrunderichtet, mit Waschungen und Diäten, mit Rohkost und Kuren – er ist nie gesund und zweifellos glücklich darüber,» lachte sie schlechten Gewissens.

Was für ein prächtiges Mädchen, sagte sich Stapfer, halbwegs reuig, sich mit ihr eingelassen zu haben; in seiner Lage suchte er nicht das Ernsthafte, sondern den Leichtsinn aus Trotz, keine Liebe, sondern Lust, nichts auf die Dauer, sondern Narkotikum. Tilly aber strahlte ihn mit menschlicher Wahrhaftigkeit an; es war herrlich, an ihrer Seite zu gehen, sie war gross und kräftig gewachsen, sie trug ihren Hut an der Hand und schüttelte im Maiwind manchmal ihr streifiges glattes Haar – sie war glücklich und deshalb von schöner innerer Gelöstheit.

«Wie kommt er denn an den Ort –»

«Ungern genug! Er nennt ihn ein Krematorium und Bierfass, und von Serviertöchtern ist er sich nicht ganz gewiss, ob sie auch jungfräulich sein können, worin er vor allem keinen Spass versteht.»

Die Wahrheit zu sagen, traf sich Stapfer in diesem Punkt mit Herrn Gröbli, und er fragte sich, welche Betonung er aus Tillys Anmerkung heraushören sollte. Ach weh und Jammer, da ging er jetzt, im Begriff eine Sache anzuzetteln, die möglicherweise Macht über ihn bekam und ihn von seiner Linie hinweglockte. Frauen sind zwingende Wasser.

Er wusste es aus Erfahrung; wenigstens ihm ging es so. Eine kleine Anleihe, die er aufnehmen wollte, verstrickte ihn in Lebensschulden, und das kam davon her, dass er selbst im Leichtsinn einwenig der Weisung des Herzens nachging. Schon in der Zeit Maries hatte Tilly seine Augen beschäftigt und ihm manchmal das reine Gefühl getrübt, sodass er der Blonden auswich, welche Schwäche er freilich nicht vornehmer fand. Tilly war nicht eigentlich hübsch, ihm nur besonders reizvoll gerade in den Unregelmässigkeiten ihres Aussehens, und neben ihr gehend, empfand er die ganze Gewalt ihrer Wirkung auf seine Sinne. Er hörte das leise Rauschen ihres Kleides, und er vermutete, dass sie unwohl war; ein Hauch ihrer Wärme unterschied sich in nichts von dem Duft aus dem Birnblust und seinen Maikäfern. Sie flogen vor dem Monde vorüber. Plötzlich schrak Tilly zusammen. «Jesses, die schwarze Katze! Das bedeutet nichts Gutes.» Martin blickte ihr ins Gesicht, zwischen Humor und Aerger. Frauen sind Kontinente, mit allen Geheimnissen und Fremdheiten dem, der sie aufsucht; das unbequem Neue erweckte Heimweh nach dem Vertrauten – was tu ich hier? ging es Martin durchs Herz zusammen mit einer schamvollen Eifersucht.

Er hatte es noch immer nur von Seume, wenn auch mit jeder Eidesleistung; er wollte es von ihr selber bekommen, solange hielt er ihr auch die Treue, diese Treue, die zu zerschlagen das ganze Aufgebot der Selbstquälerei erforderte. Tilly bedankte sich in heller Hoffnung, die aus ihrem Mädchengesicht strahlte; er aber stand versonnen, innerlich am Ende des Abenteuers und einwenig lügenhaft, indem er ihr den Glauben liess.

Er schlenderte durch die Schlafstadt ins Seefeld hinaus. Zweiundvierzig bin ich, grübelte er, und noch in Liebschaften unterwegs, statt den Kopf bei der Arbeit zu haben, ich lächerlicher alter Kater. Die Liebe hat ihr Lebensalter, das Werk hat ein anderes. Man müsste es wie Krannig halten, die Liebe nicht überschätzen. War nicht sogar Marie zu der Einsicht gekommen? Der Chef mochte gütig sein, ein alter Herr mit Schneehaar, und sie besass den Laden, all das weiche Papier und den Goldschnitt. Oben in der Wohnung die Zimmerlinde, und die Gefühle im Alter gleichen einander. Trotzdem bäumte sich etwas in ihm auf, trieb ihm Tränen der Wut heraus.

«Verräterin!» knirschte er. Ach, warum war es mit Tilly misslungen!

Im Bett, nachdem er noch seine Plastiken geduscht hatte, übernahm ihn eine Wehmut; die Schwärze der Nacht war vollkommen, seine Tränen begannen zu fallen – und auf Strassen von Mehl, in welches der Regen klopfte, verklangen die Schritte des Wanderers.


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