Albin Zollinger
Pfannenstiel
Albin Zollinger

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10

Die Freundin des Sängers verliebte sich in ihn, und er fragte sich, ob er drauf greifen sollte, um das andere noch zeitig zu zerschlagen.

Abstand, der du die Kräfte aufstaust, Ferne, die mit Bläue verschleiert, menschliches Herz in deinem Feuer!

Sie war jung, sie hatte den Zauber aller Keuschheit – aber sie war vor dem Gelächter der Elstern erschrocken, hatte es schlecht gedeutet, zuerst einem alten Weiblein zu begegnen, und ihr Herzensglück summte einen Schlager!

Nicht dass er sich als ein Ausbund von Verdiensten vorkam; er suchte in allem die Natürlichkeit, daher hätte ein Bauernkind so wohl wie eine geistige Frau ihm genügen können; an Tilly verstimmte ihn ein Mangel an Geschmack, der sich in ihrer Art sich zu kleiden ebenso wie in Liebhabereien verriet; so wie der Nachgeschmack der Erinnerung war, glich er dem Gefühl von Vergriff bei der Arbeit; er modellierte hier nebenaus, von der Vision hinweg, modellierte am Leibe seines Lebens in Gewissensnöten, in Schmerzen seines menschlichen Herzens.

Denn auch das, dass er das gute Kind erschreckte, mit Unberechenbarkeit seiner Melancholien, mit Schwierigkeiten, die sie nicht überblickte, mit unerforschlichen Dunkelheiten – wie verantwortete er's vor ihr? Es musste ihr so erscheinen, dass er sich reuig geworden war – in einem anderen Verstande war er's! – wie von einem jungen Herzbrecher hatte sie sich des Treubruchs zu versehen – und er erwog ihn in seinen Gedanken! – hatte sie um die verschenkte Unschuld zu bangen; ein Mütterchen schlug seine Hoffnungen zu denen der umsorgten Tochter, ihre Liebe zu deren Liebe und ein Vertrauen zum Vertrauen, das er so wenig verdiente.

Manchmal war er ihr gram dafür, ihre Zärtlichkeiten verletzten ihn, und sie, in ihrem Kleinmut, begann zu weinen – er sah wie sie weinte, und schwieg dazu, im klaren Bewusstsein seiner Niedertracht, bis dass sich die Verkrampfung löste, er hinging und sie in die Arme nahm; es wurde eine Weichheit von Liebesnacht, ein inbrünstiges Wiederfinden, wurde Tändelei und Scherz und Kindlichkeit und die leichte Heimkehr im Monde.

In der Einsamkeit schlug sich Mephisto herzu.

Hund, du verfluchter; schafsköpfiger Pudel!

War es wie Krannig sagte, dass er zum Künstler wie zum Menschen einen Schuss zu viel Verstand mitbekommen hatte? Krannig nahm und gab, wie sich's fügte, blieb fleissig und erntete den Lohn dieser Welt für seine unbeschwerten Gebilde.

Krannig in Berlin beschäftigte ein Rudel Schüler; er, Stapfer, verbrauchte seine Zeit damit, auch noch seine Hütte zu bauen!

Krannig erschien auf Fotos zusammen mit Zelebritäten – De Fiori, Professor Thorak! – Stapfer sass in Gesellschaft einer kleinen Kellnerin, der eine Vorstellung seiner künstlerischen Absichten beizubringen er sich verzweifelte Mühe gab. Tilly antwortete damit, dass sie ihm Träume erzählte, deren Deutung sie von ihm erwartete. Aergerlich belehrte er sie dahin, dass Träume nie als Weissagung, nur psychologisch zu nehmen waren – und «Was heisst psychologisch?» fragte sie kindlich verzagend, sodass ihm Erbarmen im Herzen aufquoll.

In nichts kam er voran.

Er hatte Ausstellungen mit seinen Arbeiten beschickt; sie waren ausnahmslos abgelehnt worden. Nicht allein, dass er zu solchem Anlass seine strengsten, persönlichsten Sachen auswählte, er hatte sich auch Feinde gemacht, und in dem kleinen Lande verschworen sich die Potentaten. Ihm kam es um die Ohren, dass er von zwei Freunden der unansehnliche war; um was sie den andern erhöhten, um das machten sie ihn geringer.

Künstler sind einsam voreinander in dem Sinne, dass ihre Freundschaft, die sie aus Uebereinstimmung des Menschlichen vielleicht pflegen, nur selten auch wechselseitig das Werk umfasst; die höchsten Beispiele dafür – Michelangelo - Leonardo, Goethe - Schiller – belegen die Tragik dieses Verkennens aus Notwehr der eigenen Art, die, in der Zeit, nicht vor der objektivierten Geschichte, sich gegen die Schwärzen des Nichts auf Kosten der Gerechtigkeit halten muss. Stapfer kannte den einen und andern Berufsgenossen, er hatte seine gesellschaftlichen Verpflichtungen, die er aus Klugheit und mit der Souveränität auf sich nahm, die es den Meistern ermöglicht hatte, in der Abhängigkeit der Fürsten zu leben; er konversierte mit schönen und bedeutenden Frauen – Herzensbrot hatte er allein von Tilly, seinem geistig unzulänglichen täglichen Umgang, ihr hing er an mit der Hilflosigkeit seines schwierigen Wesens – und sah sich doch gerade darin nicht eigentlich von ihr begriffen; er verdunkelte ihre Seele mit Schatten eines Lichtes, das zu erkennen ihr nicht gegeben war. Ohne Hochmut fand er sich schade für sie, schade und gleichwohl ungeeignet, dem guten Mädchen zu sein was es brauchte.

Schmerzvolle Eifersucht auf den Durchschnittskopf, der kommen würde, ihr ihre kleine Erfüllung zu bringen, nährte sein Feuer, schürte Schwermut des Verlustes, und wenn es anderseits so war, dass sie in guten Stunden sich auf das schönste zusammenfanden, ihrer jungen Mütterlichkeit alle Beglückungen des Weibes gelangen, so riss es ihn hin und her zwischen Himmel und Hölle, Verzicht und Verlangen, von Gewissheit zum Zweifel, aus der Ruhe zur Fiebrigkeit, und die Liebe, die er zeitlebens suchte, war ihm wieder einmal alles, nur nicht das Haus der Geborgenheit geworden.

Er wusste sich frei von der Eigensucht, in alledem nur an sich selbst zu denken; die Ehe war ihm ein Ding wie das Kunstwerk, das gelingen oder missraten konnte, das, vollkommen, die Göttlichkeit an sich hatte und mit den Gesetzen des Weltalls wirkte, in der Halbheit die Lüge vermehrte – ihm kam die Verantwortung auch für des Mädchens kleinere Ordnungen zu. Einst, da er sich in der Klarheit darüber gerade ruhig befand, setzte er es ihr auseinander, legte er ihr die Notwendigkeit sich zu trennen dar; Tilly weinte, erfasste es aber in seiner harten Folgerichtigkeit. Selber redete er sich in eine Erleichterung hinein, die unvorteilhaft von des Mädchens Herzeleid abstach – so ist der Mensch, sagte er sich, und so ist der Augenblick; morgen wird die Veränderung auch mich schier erdrücken. Ungeduldig auf diese Veränderung, begierig auf Sauberkeit und Freiheit des strebenden Willens, ging er die Umwege vor dem Ende mehr nur aus Schonung Tillys und gedankenabwesend mit; er kannte diese Tücken der Verpflichtung einem grossen Augenblick des Lebens gegenüber, einer Verpflichtung, vor der er mit Sicherheit versagte. Tilly, in den Belangen des Selbstverständlichen, versagte mitnichten, sondern gestaltete die Abschiedsstunde aus Talenten des Naturkindes, das sie war. Einer grossen Gefahr entronnen, der Unbeschriebenheit der Zukunft gegenüber aufatmend, wanderte Martin wiederum durch die Schlafstadt, fuhr noch um Mitternacht seinem Berge entgegen, dem Berg des Propheten, der Höhe der Arbeit, im Herzen Gott für den behobenen Irrtum dankend. Der Himmel klingelte mit Herbstlaub und Sternen, schon wieder strahlte das bläuliche Perlmutter des Gebirges im ersten Schnee, und er gedachte Maries, der Vollkommenen, die ihm genommen war, um so schöner in seinen Dunkeln zu leuchten.

Ein Mann seines Alters schwört nicht vorwitzig darauf: das Beste war zu Anfang aus seinem Leben weggegangen, und wo er hinsah und hingriff hier, versetzte ihm alles Schläge gegen das Herz, nichts schien ihm wert, dass er's weitertrieb und vollendete. Der Raum des Herbstes gehörte Marie, mit ihr verbanden hier tausend Tiefen; er kam geisterhaft leicht über das mit Tilly hinweg. Dann begann er an sie zu denken, er stellte sie sich vor in ihren Tränen; das Mitleid vertiefte sich zum Gefühl der Liebe, der Dankbarkeit dafür, dass dieses einfache Mädchen ihn nicht zurückgestossen hatte; – hatte er's ihr anerkannt? hatte er ihr alles gesagt, wofür er sie liebte? Er hatte ihr wenig gesagt, dafür war er schwierig und finster gewesen; Herrgott, was war es schon für ein Bild von ihm, das ihre Erinnerung mitnahm! Und selber, erfuhr er nun nichts mehr von ihr, nichts davon, wie sie die Tage verbrachte, davon, was sie unternahm, wenn sie eines Tages wieder liebte? Ihr Schweigen, in welchem sie doch nur seinem Wunsche gehorchte, erschien ihm als Groll und Vorwurf, er ertrug es zunehmend schwerer; er ertrug es zuletzt keineswegs mehr und schrieb ihr einiges von dem vielen, das zwischen ihnen unausgesprochen geblieben war.

Sie kam, als ihre eigene Post, selber die Wiese herab. Sie hatten einander wieder; er machte ihr alles zum Geschenk was er aufgebaut hatte, schenkte ihr ausdrücklich das Bruchstück von Haus, den Bach, die Erlen, die Eschen, die Amsel, sie nahm es von ihm entgegen als das glücklichste Menschenkind, das je in der Nacht zuvor noch sein Kissen nassgeweint hatte. Alles schien auch ihm sehr gut. Er genoss eines unbeschwerten Glückes ohne Ueberlegungen, liebte aus einer Unmittelbarkeit heraus, die ihn trug. Er verlegte die Arbeit wieder nach Zürich, sass bei Tilly so oft als er irgend dazukam – nicht mit ungemischten Gefühlen übrigens, durch den Umstand, dass sie diente; mitternachts, wenn er, zudem müde, Arm in Arm mit ihr, sie nach Hause begleitete, murrte er über ihren Beruf, der sie verpflichtete, sich von Schweinekerlen und alten Gecken mit Augen und Händen betasten zu lassen. «Ich sähe es auf die Dauer nicht mit an, ohne die schwersten Skandale zu machen. Der gewisse Doktor da, wenn er sich noch einmal erfrecht, dir den Arm umzulegen, hat meine Faust in der Fresse, Doktor hin, Doktor her.» «Er meint es nicht so . . . » «Ich weiss wie ein Mann das meint, meine er's wie er's wolle, und wenn er's nicht meint, soll er es freundlichst lassen. Im übrigen verstimmt mich deine Duldung in diesem Punkte. In diesem Punkte hört jede Verpflichtung auf, auch die gegen einen Brotgeber. Es gibt Dinge, die es nicht gibt.» «So sehr ist mir das selbstverständlich, dass ich sie auch nicht sehe, Martin. Du weisst, was dir und was den andern gehört.» «Ich weiss es und lege Wert darauf, hierin nicht missverstanden zu werden. Ich rede von etwas anderem, von dem reden zu müssen der tragikomische Grund meiner Misstimmung ist. Das Dreckpack hier! In der Fremde sah ich die Schweizer als biedere Bauern; doch haben wir ja auch die kleine Grosstadt da, welche mir je länger desto fragwürdiger wird, gerade durch das, was du mir aus deiner Erfahrung darüber mitzuteilen weisst. Ich setze voraus, Zürich sei nicht die Eidgenossenschaft; allein in dem Rechtsstaat, was eine Demokratie vor allem zu sein hat, darf die Verrohung im entlegensten Böotien nicht, geschweige denn in dem kulturellen Athen hier den Umfang annehmen, welchen der Vaterstadt zu übersehen mir nachgerade nicht mehr gelingen will, und sollte mich einer dafür tadeln, dass ich das Ganze nach einem Beispiel beurteile, so müsste ich ihm entgegnen, die Einzelheit eines berufstätigen Mädchens darf es gerade nicht sein, was die Willkür zu spüren bekommt. Wenn wir denn schon den grossen Schwung nicht haben, Weltgeschichte zu machen, ist das mindeste, was uns an Pflicht obliegt, die Handhabung der Gerechtigkeit und Sauberkeit auch im Kleinen, vor allem im Kleinen. Du stehst vierzehn Stunden hier auf deinen zwei Beinen, trittst sogenannt freiwillig an deinem Ruhetag abends noch einmal an, in Kenntnis des Umstandes, dass du so sehr ersetzbar bist. Ein jeder redet sich gern mit der Krisenzeit aus. Nun, die Krise wurde uns von dem Grossen Schwung ins Haus gesetzt, an welchem wir nicht teilhatten, sie mag unverschuldetes Unglück sein – was steht den Unglücklichen an? In sich zu gehen. Was die Sorgen der Oberen betrifft, so hat dieses Weltstädtchen mir noch einige Luxuswagen zu viel; hinsichtlich der übrigen muss ich den Ernst vermissen, der dem wirklichen Mangel im Gesicht steht. Was mich vor allem entsetzt, das ist diese neue Jugend, der Nachwuchs der Kriegsgewinnler, der auf den Barstühlen hockt, durch die Gassen gröhlend kein Bürgermädchen vorbeilässt, ohne es in der unflätigsten Weise zu belästigen – und das Schändlichste an allem: mit der Duldung der Öffentlichkeit, unbestraft von einer Sittenpolizei, die ihren Kopf in Magazine, illustrierte Liebesromane und Filme versteckt. Pass auf, was sogleich geschehen wird.»

Eine Gruppe von jungen Leuten beider Geschlechter kam auf dem schmalen Bürgersteig an der Rämimauer gegen das Paar angewandert. Stapfer prallte mit seinem ganzen Gewicht gegen den Jüngling zur Linken, welchem der Hut vor die Fusse fiel. «Pardon!» sagte der Hüne mit einer Betonung, die ziemlich das Gegenteil einer Entschuldigung zu verstehen gab.

«Hast du», fuhr er weitergehend zu seiner Freundin hinüber fort, «hast du jemals erlebt, dass so ein Lausejunge dir um Handbreite Platz gemacht hätte? Du bist Luft für das junge Gesindel, diesen nichtsnutzigen Mob, der samstags auf den Fussballplätzen hopst und an den Sonntagen aus verkümmerten Kräften ein wenig herumhurt mit den Ziegen seines erotischen Kommunismus, leidenschaftslos, eifersuchtslos, zynisch und schauerlich greisenhaft.»

Mittlerweile hatte der Jüngling sich von dem Schock erholt. «Tschumpel!» rief er dem Grobian hinüber.

Stapfer, unter dem Widerstand Tillys, kehrte langsam zu ihm zurück. «Wie heisse ich, Jüngelchen? Du trollst dich jetzt fein deines Weges und machst dich nicht auch noch mausig, sonst lehr ich dich mores, du Konfirmand, der links und rechts eines Trottoirs nicht unterscheiden kann.»

Er stand mit den Händen am Rücken, es schien nicht ratsam, sich dem Riesen zu widersetzen, und die Kumpanei lockte das Hähnchen: «Lass doch den Spinner, Marcel!» Der Spinner blickte ihm nach auf gespreizten Beinen, wandte sich dann aber zärtlich zu seinem bittenden Mädchen herum, legte ihm die Hand auf die Schulter und sah nach den Autos aus, bevor er die Strasse überquerte.

Hatte er recht verstanden? Sie foppten ihn aus der Ferne:

«Pfannenstiel!» riefen sie, Männlein und Weiblein: «Pfannenstiel!»

Tilly schoss das Wasser in die Augen. «Lass dich nicht kränken, Armer, es ist eine Lümmelbande!»

Stapfer leuchtete das Antlitz in zartem Erstaunen.

«Kränken, Tilly, wieso kränken? Wahrlich, den Unmündigen gibt es der Herr im Schlaf. Pfannenstiel. Pfannenstiel möcht ich wohl heissen! Das ist mir der Inbegriff des Besseren, ist mir Refugium und Sanctuarium. Wir wollen das Wort behalten. Im übrigen bin ich ja bekannter als ich hoffte.»

Sie sah, der Zwischenfall plagte ihn.

Ueber diesen nicht völlig im Klaren und selber vor Stapfers Schroffheit ein wenig erschrocken, forschte sie mit den Blicken nach seinem erblassten Gesichte. «Traurig, traurig», sprach er stehen bleibend, «muss es um ein Land bestellt sein, das in seiner Jugend zerfällt! Das freilich ist eine Ruine, auf die ich nicht bauen wollte. Liebes Mädchen, das macht mir Kummer; denn das, vorhin, liegt durchaus in der Linie. Bin ich ein Nörgler und Griesgram? Ich bin von Natur aus höflich, neige zur Ehrerbietung; ich habe mir's abgewöhnt, in der Strassenbahn aufzustehen: diesen Damen fehlt die Erziehung, der Ritterlichkeit dankschön zu sagen. Es sind Mannweiber, Gecksnasen oder Schicksen, was weiss ich. Ich will jetzt eine Weile oben bleiben, gute Nacht, du mein Herztrost. Dich gibt es ja auch und Deinesgleichen, und ich weiss, das pflegt so zusammenzukommen. Es kommt auch das Gute zusammen. Jetzt bin ich bitter inwendig hinab und gebe nichts Fröhliches von mir, so wie du es lieber hast. Ich werde dich wiedersehen.»

Die Vision, die Vision!

War er selber ohne Fehler? Er war es vor Gott und der Welt nicht, doch er strebte und hatte die Gabe, zu leiden. Der Klüngel da, sah er ihn jemals anders als frischfröhlich und unverfroren? Er aber fühlte sich wie verraten. Wo, wenn nicht bei der Jugend, findet die Begeisterung Anklang? Wehe einem Land ohne Jugend, die sich für Recht und Schönheit, für das nicht weiter Nützliche gegen das Krämertum der Alten einsetzt. Wehe einer Jugend, die ihre Fairness auf dem Sportplatz ausgibt, Gesetze nur im Spiel, nicht in den höheren Verpflichtungen der Gesellschaft anerkennt. Stapfer, bei seiner Arbeit des Gestaltens nach ahnbaren kosmischen Normen, machte sich viele Gedanken über das Wesen der Menschen und ihres Zusammenlebens im Staate, das als blosse Interessengemeinschaft nicht seine höchste Möglichkeit, ja auch als Rechtsverband nicht mehr als kaltschnäuzige Pflichten erfüllte; Martin war schlecht und recht Demokrat und der Meinung, das Haus, das ein Volk sich in seiner Verfassung baute, müsste aus sichern Instinkten das Höchstmass der Wohnlichkeit und Zweckmässigkeit gewinnen, nicht anders als das der Schnecken, verschieden nach Schneckenbesonderheiten, buntfarbig und schön, weil aus Urgesetzlichkeiten gewachsen – darüber hinaus aber mehr als Versteinerung, ein Raum, der sich mitverwandelte, in der Wechselwirkung der Kräfte auch bildete, Gesinnungen formte, mit der Folge, dass ein lautes Gebaren, ausbeuterischer, ungeistiger Charakter in ihm nicht die Oberhand gewinnen konnte. Wo er sie sah, fand er beide schuldig, den Menschen sowohl als sein Staatswesen. Nun war er Schweizer, ein Schulmeister somit in irgend einem Teil seines Strebens; ein Demokrat ist es immer, er wollte die Dinge verändern; er war Schweizer und also eitel auf den guten Ruf alles Schweizerischen, er kam ausserdem von der Fremde heim mit geschärftem Auge, bedürftig, die Heimat zu lieben. Es war ihm in so manchem schwer gemacht, auch hier oben, wo er Schuldenbäuerlein und die Allmacht von Gemeindebonzen vorfand; er liebte es, den Tag mit einem Gang über Land zu beschliessen, bei seiner Leutseligkeit hatte er es leicht, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen; er stand bei Knechten und Grossbauern, Verdingbuben und Grossmüttern, die Kinder hingen ihm an um seines warmen ruhigen Wesens willen und aus Versessenheit auf eine süsse Art Bärendreckzeltlein, die zu schlecken er selber die Gewohnheit hatte. Dabei war es aber eben kein Dorf hier oben; nur wer den Zusammenhang der Verwandtschaften und Schicksale, die Zinsabhängigkeiten, Freundschaften und Feindschaften über Hag und Acker hinweg kannte, empfand die einsamen Höfe als eine Gemeinschaft. Es gab irgendwo ein Kirchlein mit Käsbissenturm in der Nachbarschaft des vormaligen Pfarrhauses, ein Idyll aus biedermeierlichem Jahrhundert; hier sammelte sich das Sonntagsvolk im Kamphergeruch seines Tuches, standen die stillen Männer, Rasierblut ums Kinn, mit laubbraunen, klaren Augen, angenehm scheu und bescheiden, standen die Bäuerinnen, die röckeverhüllten Gebärerinnen, mit dem Kirchenbuch in den Händen, handfeste Dinge beredend, klug teilnehmend und sparsam in eigener Beichte. Der Gruss dieser Einfachen, ihre fühlbare Anerkennung seiner Gegenwart erfüllten Martin mit Freude und Stolz. Er, der in Jahrzehnten nicht auf den Einfall eines Kirchenbesuches gekommen war, hatte ordentlich schon seinen Stammsitz in dem Kapellchen auf der Höhe; er liebte über alles den feiertäglichen Gang durch das Glockengeläute, die Begegnung mit der Gemeinde von Einsiedlern, die Stunde der Besinnlichkeit in altem Holzgeruch und Sonnenweben, das Gefühl einer schönen Beruhigung Aller im gemeinsamen Gedanken, den Gesang aus vergangenen Zeiten, schleppend in seiner wunderlichen Melancholie, voll von Kirchen- und Zopfstaub, Taufwasser, Grabstein, in seiner Hintergründigkeit von Krieg, Feuersbrunst, Ernte und Jenseits. Ein Gesang, von so vielen Mündern gesungen – es gab eine Kraft auch im Guten der Gemeinschaft, eine Masse ohne Vermassung, eine Bindung aus geistiger Freiheit, eine Vereinbarung, welche bildete.

In solchem Frieden wohlaufgehoben, brachte unser Künstler auch seine Arbeit voran. Bei vollkommener Stille der Landschaft, in die nur das Bächlein mit seinen kindlichen Lauten plauderte, genoss er das Glück des Gelingens, entbehrte er nichts, erfüllte ihn reines Genügen, und seine leise Verwunderung zeichnete sich schon beinah als eine Bewegung in der traumhaften Windstille ab. So hätte es bleiben müssen; er hätte sich gewünscht, dass keine Störung mehr käme, aus ihm selber so wenig wie vom Aeussern; er sah sich gewillt, dafür nichts mehr für sich zu begehren – er hatte Aepfel und Birnen im Haus, die Birnen an ihren Stielen unter dem Ziegeldach aufgehängt, er hatte seine Grube von Kohl aus dem Gärtlein, er holte abends die Milch bei der Kuh. Die Anfechtung aus den Sinnen schien Ruhe gegeben zu haben; er dachte an Tilly nur aus dem Wunsche heraus, es möchte auch ihre Liebe sich zum Verzichte geläutert haben – weshalb sich belasten mit Besitz? weshalb einen edlen Zustand an die Ungewissheit des Glückes tauschen? Immer nach seiner Zeit der Sammlung wusste er's doch unverrückbar, er konnte dem guten Mädchen und sich selber einige Wochen Bitternis wie die Schmerzen einer Operation, nicht aber die Folge der Täuschung ersparen. Er wusste wohl, dass er leiden würde; jetzt hielt er sich zwischen den Entscheidungen auf, auch in den Briefen an Tilly, die seines Seelenfriedens natürlich nicht teilhaftig wurde, wie sehr er sich bestrebte, sie durch Zuspruch aus der Wehmut der Weisheit dahinzubringen; sie erfasste diese Sprache keineswegs und in der Welt nicht solche Andeutungen, wie er sie meinte, wenn er sich, leise schelmisch, widersetzlich und entsagend nicht anders als mit «Pfannenstiel» unterschrieb.

Er sah voraus, dass sie in aller Mädchenanmut verstehen würde, die Entscheidungen in Bewegung zu bringen; er ergrimmte, als sie wirklich eines Tages unter seiner Tür erschien. Das ist das Weib, ging es ihm durch den Sinn, das Gegenprinzip, das mit seiner Selbstsucht ins Schöpferische einbricht. Sie rechnete aber falsch, wenn sie hoffte, ihn mit ihrer Dumpfheit zu übertölpeln; sein Instinkt bäumte sich gegen den Anspruch des Weibchens auf – er würde seine Statuen vor der unteren Welt des bloss Tierlichen, ungeistig Bürgerlichen zu verteidigen wissen. Am besten liess er es die Frau von allem Anfang an wissen: «Ich verbitte mir solche Selbstherrlichkeiten!» fuhr er sie zum Empfange an.

Das Zögern im Schrecken rasch überwindend, schloff ihm das Mädchen an die Brust. «Martin, ich habe ein Kind von dir.»

Die erste blitzartige Antwort auch darauf war: Das hat ihr die List gegen mich eingegeben! Dann aber packte ihn der Jammer seiner ganzen Reue und des Erbarmens mit dem misshandelten Opfer; obwohl zu Tode erschrocken, hielt er sich auf den Beinen, umfasste den Blondschopf mit den Armen und drückte ihn an sich: «Armes Kind, hast du Angst ausgestanden!»

«Habe nicht Angst, Tilly,» fuhr er ebenso leise fort: «Dann ist alles einfach, dann ist alles gegeben, wir brauchen keine Ueberlegungen mehr zu machen, dann sind wir eben Mann und Frau, fortan.»

Das Gewicht des schlagartig zusammenschiessenden Schicksals drückte ihn nun doch auf den Sitz nieder. Die Haltung dieses Gebrochenen konnte sie nur schlecht ermuntern. Tilly begann leise zu weinen.

Als er es nach einer Weile inne wurde, zog er sie zu sich herab, streichelte ihr übers Haar und sprach mit sehr sanfter, beruhigender Stimme:

«Verzeih mir, du Liebes, und lass mir ein wenig Zeit, die Veränderung zu überschauen. Es sind Veränderungen –»

«Aber gewiss! Ich verstehe dich; im übrigen, glaube mir, kam ich nicht als Erpresserin, dachte auch gar nicht, dass du dich so dazu stellen würdest.»

«Ah, du hast angenommen, ich ginge mit dir zur Quacksalberin. Bin ich ein Ladenschwengel und Torhüter?»

«Aber du bist traurig und tust es nur aus Anständigkeit.»

«Das Gemeine ist jetzt, dass ich nicht alles zugleich sagen kann, was zur Richtigstellung der Missverständnisse gesagt werden müsste. Zunächst überschlage ich das Materielle. Es wird aber gehen müssen.»

«Angenommen, wir heirateten, so macht uns meine Mutter den Haushalt, und ich verdiene wie zuvor.»

«Für den Anfang mögen wir uns damit behelfen; nur: ich habe Schulden und werde jetzt beschleunigt bauen müssen.»

«Der Künstler hat Schulden und keine unehrenhaften; eine Serviertochter hat ehrenhaft Erspartes. Das ist es nicht, was mir Sorgen macht.»

«Du nimmst es jetzt leicht; einmal im Alltag wirst du dich der besseren Gelegenheiten erinnern, die du schon ausgeschlagen hast. Grosser Gott, wie sehr muss der Mensch seine Unaufrichtigkeiten büssen! Verzeih mir, Tilly, auch das gehört zu dem Missverständlichen; es ist alles anders als du's vermutlich verstehst. Es geschieht mir kein Unrecht, von Erpressung kann nicht die Rede sein, und was mir geschieht, ist nicht in dem Sinne furchtbar, dass es an sich minderwertig wäre oder nur meine Person beträfe. Es handelt sich um Richtigkeiten, ums Organische. Ich muss daran denken, dass ich mich da so wählerisch benehme, als wüsste ich nicht deine Werte, deine Jugend, deine Liebe zu schätzen, und Windler, der ein rechter Mensch ist, ein Mann überdies, der dir ein besseres Leben zu bieten vermag, verzehrt sich im Unglück darüber, dich nicht zu bekommen. All das . . . »

«Ich liebe ihn aber nicht; was hast du für Schuld daran?»

«All das ist so schmerzhaft, unentwirrbar und demütigend! Meine Schuld daran? Ich habe auch deine Richtigkeiten gestört. Windler ist der für dich geartete Mann, eine andere Seite meiner Schuld die, dich in deiner Geschlechtlichkeit blockiert zu haben. Tilly, Tilly, etwas so Wundervolles wie deine körperliche und seelische Jungfräulichkeit hast du mir zum Geschenk gemacht, und ich bin zu wissen verdammt: das Geschenk kommt mir nicht zu!»

«Ich kann das Geschenk zurücknehmen . . . »

«Eben das kannst du nicht!»

« . . . und es weitergeben . . . »

«Das ist es ja. Man macht das Geschenk nur einmal, und ich bin der, der es genäschig zurückgab!»

«Wäre ich ganz grosszügig, so bäte ich ihn zum Vater des Kindes. Es reichte knapp noch zum Schmuggel. So grosszügig bin ich indessen nicht, weil ich nie anders als aus Liebe heiraten werde. Es ist mein Ernst: weder die sogenannte Schande, noch der Kostenpunkt trübt meine Freude daran, ein Kind von dir zu behalten. Ich liebe dich doppelt dafür. Es geht nicht um das Kind. Es ist mit der Jungfräulichkeit nicht zu teuer bezahlt, darüber sei du ganz ruhig. Was ich wollte, wäre, dir meine Zuversicht zu geben.»

Er hatte sie ja in seinen Armen, er drückte sie an sich und küsste sie.

«Wo hast du's?» scherzte er: «Hast du's da?» und legte ihr die Hand auf den Schoss. «Liebes, liebes Mädchen: wir wollen jetzt heiter und leicht sein. Ich bin nur so schauderbar ernsthaft. Du weisst doch, ich liebe dich, und es ist nicht, dass ich des Glückes ermangelte. Hab ich das schon gesagt? Mir ist, ich redete immer nur vom andern! Liebe und Glück – ich habe die Männer im Verdachte, sie retouchierten ihre wahre Empfindung nach dem Rezept der Bücher. Am Ende unterscheide ich mich von ihnen einzig durch Aufrichtigkeit. Kann Windler dich lieber haben? Er liebt dich auf andere Art, nach der Weise der Unkomplizierten. Ihre Eindeutigkeit scheint uns überlegen; ich habe indessen nicht beobachtet, dass sie weniger Schiffbruch machten. Ich denke, er hasst und verachtet mich. Was noch die Zweifel betrifft: Ist der Schuss Fremdheit im Schicksal nicht das, was uns weiterbringt, das Unzulängliche nicht der Antrieb zur Bemühung, das Ueberschobene, auf dessen Stufen wir steigen? Siehst du: Marie, möglicherweise war das die völlige Entsprechung. Möglicherweise wären wir am mangelnden Gefälle miteinander zum Stillstand gekommen. Wer es wüsste! Wer es wüsste!! Jedenfalls ist es nun so und ist vielleicht gut so. Liegt dir an rascher Heirat, oder liegt dir eher daran, dass sie eines Tages auch mir das Selbstverständlichste von der Welt sei? Ich bin langsam, Tillychen, ich bin ein wahrer Schneck von Gefühlsmensch!»

Wie immer war alles gut in ihrer Gegenwart. Er sah sie in seinem Bruchstück von Haus herumgehen und zum rechten sehen, der Anblick ihres jungen, wohlausgebauten Leibes entzückte sein Herz; es gab wieder ein Tischtuch und Blumen zwischen die Platten, der Service war ja ihr Beruf; Martin folgte ihr mit den Augen, stellte sich alles vor – an den Plastiken ging sie ihm etwas zu harsch vorbei, so als wären sie gar nicht da; allein es geschah im Eifer für alles andere, weshalb er es ihr nicht verübelte; am Ende war es die Absicht der Fügung, dass er in seinem eigentlichsten Reiche einsam und somit frei bleiben würde; der Gedanke an Tillys übrige Eigenschaften, die sie ihm ins Haus brachte, beschäftigte ihn auf das angenehmste. Er fing sie plötzlich an sich, mitten aus ihren Geschäftigkeiten heraus, so dass sie nicht übel erschrak; aus den Liebkosungen erwuchs eine Beisserei, eine stundenlange, immer neu sich entfachende Liebesraserei von vollkommenen Erfüllungen – das Essen erkaltete auf dem Tische, sie nahmen es so wie es war, in Pijama und Bademantel sitzend, kameradschaftlich, einträchtig, in Kindereien erfinderisch sowie im Wettkampf der Aufmerksamkeiten. Die Erleichterung presste Martin einen Seufzer aus, den er spasshaft übertrieb: «War ich vom Aff gebissen, Tillychen? Hau mir doch jedesmal eine herunter, wenn ich wieder den Koller zu Wort kommen lasse.»

Auf eine Weile verstimmte es ihn zu verdriesslicher Nachdenklichkeit, dass Tilly, als eine Krähe über dem Hause krächzte, wieder ihren abergläubischen Schrecken hatte. «Es wird jemand hier sterben,» sagte sie tonlos, und beides ärgerte ihn, der dumme Spruch und ihre Hartnäckigkeit, seinen Spott in den Wind zu schlagen.

Der Tag darauf hatte gewissermassen Neumond, war schattig von etwas wie einer Abwesenheit; Stapfer hatte Mühe, sich das Aussehen der Geliebten in Erinnerung zu rufen; nichts von Verzauberung war da, nichts von jenem Leuchtstoff aus dem Blute, dem Samen der Seligkeiten – von allem blieb nur das eine, der gottverfluchte Zwang, um den Irrtum zu wissen. Er presste ihm Tränen aus, er tobte gegen den Geist von Widersetzlichkeit in ihm, gegen das verhasste Gesicht kalter Verschlossenheit in seinem Herzen. Er litt auf das marterlichste, ununterbrochen, sass vor Tilly im Café, blickte aus Augen eines betrübten Hundes zu ihr auf, schwieg in ihre Versonnenheit hinein und fand doch keine Ruhe auch vor den Quälereien der Eifersucht. Das Mädchen war noch einmal umgezogen, immer nahm es denselben Verlauf mit diesen Patrons und ihren Söhnen, deren Artigkeit und Verständigkeit eines Tages die faunische Fratze entblössten, und überall war es dasselbe an Unverschämtheit unter der Kundschaft. «Ich dulde nicht, dass sie dich duzen – erwartest du, dass ich das mitansehe, bloss weil ich das Geld nicht habe, dich hier wegzunehmen? Du sagst mir, es gehört zum Beruf und hängst aber an dem Berufe – irgendwo schillert das in Prostitution hinüber, man hat dafür das Auge oder man hat es nicht» – und der Skandal blieb nicht aus:

Man kannte ihn zuletzt auch hier in seiner Beziehung zu Tilly, seine Anwesenheit schützte sie recht ordentlich vor den Zudringlichkeiten; er sass als ein ärmlicher Pascha, heimlich verlacht, der Rotte ein Dorn im Auge; er sass in dem Bewusstsein unangefochten, seiner Privilegien froh, der Bande zum Trotz und nur von der Seite ganz anderer Melancholien mitunter in seinem Stolze angefallen. Nun fügte es sich, dass seine Gegenwart einmal nicht vorausgesetzt war, Stapfer in der Deckung einer Blattpflanze den Doktor, welcher mit Tilly das Lokal gewechselt hatte, dabei ertappte, ihr mit seinem Patschhändchen an die Kniekehle zu fahren; totenblass fuhr der Bildhauer aus seiner Nische hervor.

««Wenn Sie lieber Herr,» sagte seine Geisterstimme, «glauben, mit Ihrem dreckigen Batzen jedes Recht an der Bedienung hier bezahlt zu haben, so sollen Sie die Bestätigung dafür handschriftlich von mir erhalten.» Tilly war in schlimmster Erwartung hinweggelaufen und hob mit einem leisen Schrei ihre Hände an die Ohren empor, als sie den Schlag vernahm. Sie blickte nach dem Spiegel der drei oder vier Gesichter in dem Räume. Es war wunderlich spärlich, was an Wirkung davon herauskam, dass ein Mann einen andern verohrfeigte; der Gedanke an Gericht und Zeugenschaft zog einen Schleier über die Mienen, kaum dass der Ausdruck von Erstaunen, Empörung oder Sensationslust darin aufgeklafft war. Martin aber warf eine Münze auf den Tisch und verliess das Haus.

Tilly getraute sich nicht, ihm vor die Tür nachzufolgen. Er hätte sich auch schwerlich nach ihr umgewendet. Es war aus, jetzt war es aus mit der Bindung an einen Menschen, durch den er so weit herunterkam, sich in Cafés mit Nebenbuhlern herumzubalgen. Seine Blässe schlug in Zornglut um. Der Berg der Statuen, und diese Niederung! Das Flachland ihrer Schlagermelodien und Monogramme. Tilly erschien ihm als eine Lockbeute des Teufels. Nun, er hatte seine Ehre und sinnbildlicherweise die ihre gerettet, dem Handel mit Mannestat einen Abschluss gegeben, für ihn war er in Ordnung – Tillys Sache, aus seinem Ritterdienst zu machen was ihr lag. Widerlich und beleidigend war der Disput über erwiesene Dinge; er hatte ihr seine Philosophie in Streichen veranschaulicht; damit, ihr darzulegen, inwiefern sie Mitschuld trug, gab er sich nicht mehr ab.

Er verlegte, unter den Winterbäumen dahinwandelnd, die Auseinandersetzung in einen Gerichtssaal. Eine Stunde hin überlegte er nichts anderes mehr als seine Verteidigungsrede, eine Predigt vor dem Forum des Landes.

Als stünde er wirklich vor den Schranken, litt er namenlos in der Wehrlosigkeit seiner Ueberzeugung, davon abgesehen, dass er Schuld einer ganz anderen Herkunft, als sie dem Richter fassbar gewesen wäre, im tiefsten Bewusstsein trug! Er war schuldig vor dem Antlitz Gottes, schuldig vor dem Gericht der Dinge selber, dessen Erinnyen der Tat entstiegen und den Fehlbaren nicht verfehlten. Er hatte sich der Genauigkeit gegenüber vergangen am Stoff des lebendigen Lebens, der sich nicht wie Lehm wieder ändern liess; er bezahlte den Fehler mit Herzblut!

Denn wo lief er hinaus? Wohin floh er vor der Gewissheit, dass in Tilly ein Kind von ihm lebte? Hatte die Feigheit sich ein Recht aus dem Vorfall gebastelt, spielte ein Sünder den Gekränkten?

Er wanderte bis zum Ruinenhaus und wurde ruhig in der Resignation aus Pflichtbewusstsein. In seinem zu leichten Mantel setzte er sich und schrieb einen Brief an das Mädchen, Zeilen voll männlicher Traurigkeit, in denen er ihr Anweisungen dazu gab, sich durch Unmissverständlichkeit aus dem Geheimnis der weiblichen Würde zu schützen, besser als er es mit seinen Mitteln vermochte; er bat sie um Verzeihung dafür, ihr wirklich einen Augenblick gegrollt und sich gedrückt zu haben, es habe ihm nicht bekommen, er büsse es mit schmerzhaft zu empfindendem Erbarmen im Gedanken an ihre Brautschaft voll dummer Streiche dieses Narren von einem Bräutigam, welcher sich übrigens als der Besserung fähig oder doch willens erachte.


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