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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Macquart traf den Doktor Porquier nicht zu Hause, so daß dieser erst um halb ein Uhr nachts herbeieilte. Das ganze Haus war auf den Beinen, nur Rougon war in seinem Bette liegen geblieben: Die Aufregung schade ihm, sagte er. Felicité, die noch immer auf demselben Stuhle neben dem Bette Marthas saß, stand auf und ging dem Arzte entgegen.

Ach, lieber Herr Doktor, wir sind sehr besorgt, murmelte sie. Das arme Kind rührt sich nicht, seitdem wir sie zu Bette gebracht haben ... ihre Hände sind schon kalt; ich habe sie vergebens in den meinen gewärmt.

Doktor Porquier sah aufmerksam Martha ins Gesicht; ohne sie weiter zu untersuchen, blieb er stehen, kniff die Lippen zusammen und sagte, indem er eine hoffnungslose Gebärde machte:

Meine liebe Frau Rougon, Sie müssen Mut fassen.

Felicité brach in Schluchzen aus.

Es geht zu Ende, fuhr er leise fort. Schon lange erwartete ich diesen traurigen Ausgang, das muß ich Ihnen heute gestehen. Der armen Frau Mouret waren beide Lungenflügel angegriffen, und die Schwindsucht wurde durch ein Nervenübel noch beschleunigt.

Er setzte sich und behielt in den Mundwinkeln jenes Lächeln eines wohlerzogenen Arztes, der auch im Angesichte des Todes höflich bleibt.

Verzweifeln Sie nicht, machen Sie sich nicht krank, liebe Frau. Die Katastrophe war vorauszusehen, jede geringfügige Ursache konnte sie beschleunigen ... Die arme Frau Mouret hustete schon in der Jugend, nicht wahr? Ich glaube, sie hatte schon jahrelang den Keim der Krankheit in sich. In der letzten Zeit, besonders seit drei Jahren, machte die Schwindsucht schreckliche Fortschritte. Wie fromm sie war! Wie glaubenseifrig! Ich war immer gerührt, wenn ich sie so fromm sah ... Was wollen Sie? Die Wissenschaft ist sehr oft ohnmächtig.

Da Frau Rougon noch immer weinte, suchte er sie in der zärtlichsten Weise zu trösten und forderte, daß sie zu ihrer Beruhigung eine Schale Lindenblütentee trinke.

Ich beschwöre Sie, quälen Sie sich nicht, fuhr er fort. Ich versichere, sie fühlt nicht mehr ihre Krankheit; sie schläft ruhig ein und kommt erst im Todeskampfe zum Bewußtsein ... Übrigens verlasse ich Sie nicht; ich bleibe da, obwohl meine Bemühungen nutzlos sind. Ich bleibe da als Freund, liebe Frau, als Freund, verstehen Sie?

Er richtete es sich bequem in einem Sessel für die Nacht ein. Felicité beruhigte sich ein wenig. Doktor Porquier hatte ihr zu verstehen gegeben, daß Martha nur mehr einige Stunden zu leben habe, weshalb sie den Entschluß faßte, Serge aus dem nahen Seminar holen zu lassen. Als sie Rosa bat, sich dorthin zu begeben, weigerte sich diese zuerst.

Sie wollen den armen Kleinen also auch töten? sagte sie. Das wäre ein viel zu harter Schlag, mitten in der Nacht geweckt zu werden, um eine Tote zu sehen... Ich will nicht sein Henker sein.

Rosa zürnte immer noch ihrer Herrin. Seitdem diese im Sterben lag, ging sie um das Bett herum und schob wütend die Schalen und Flaschen beiseite.

Ist das vernünftig, was die gnädige Frau getan hat? sagte sie. Daran ist niemand schuld, wenn sie fortreist, um sich bei dem gnädigen Herrn den Tod zu holen. Und jetzt müssen wir alle auf den Beinen sein und flennen. Nein, ich will nicht, daß man den Kleinen plötzlich weckt.

Schließlich ging sie doch ins Seminar. Doktor Porquier hatte sich vor dem Feuer ausgestreckt; mit halb geschlossenen Augen fuhr er fort, an Frau Rougon freundliche Worte zu richten. Ein leichtes Röcheln hob Marthas Brust. Der Onkel Macquart, der sich seit zwei Stunden nicht hatte sehen lassen, kam sachte zur Türe herein.

Woher kommen Sie denn? fragte ihn Felicité und führte ihn in eine Ecke.

Er erwiderte, daß er Wagen und Gaul in der Herberge »zu den drei Tauben« eingestellt habe. Aber seine Augen leuchteten von so teuflischer List, daß sie ihn in tausenderlei Verdacht hatte. Sie vergaß ihre sterbende Tochter und witterte einen Schurkenstreich, den sie erfahren wollte.

Man sollte meinen, Sie haben jemandem aufgelauert, fuhr sie fort, da sie seine beschmutzten Beinkleider sah. Sie verheimlichen mir etwas, Macquart. Das ist nicht schön. Wir sind immer gut zu Ihnen gewesen.

Ja, gut, brummte der Onkel höhnisch. Das sagen Sie. Rougon ist ein Geizhals; in der Geschichte mit dem Felde hat er mir mißtraut, mich schlecht behandelt ... Wo ist denn Rougon? Er pflegt sich und kümmert sich nicht um die Sorgen, die man wegen seiner Familie hat.

Das Lächeln, mit dem er die letzten Worte begleitete, beunruhigte Felicité lebhaft. Sie sah ihm ins Gesicht.

Welche Mühe haben Sie sich denn um die Familie genommen? fragte sie. Sie werden doch mir nicht vielleicht einen Vorwurf daraus machen, daß Sie Martha aus Tulettes zurückgebracht haben? ... Übrigens sage ich Ihnen nochmals, daß es mir sehr verdächtig vorkommt. Ich habe schon Rosa gefragt; es scheint, daß Sie den Vorsatz gefaßt hatten, gleich hierher zu kommen ... Ich wundere mich auch, daß Sie an dem Wohnhause in der Balande-Straße nicht stärker geklopft haben; man hätte Ihnen geöffnet ... Ich will damit nicht sagen, daß ich unwillig bin, das liebe Kind bei mir zu haben; sie stirbt wenigstens im Kreise der Ihrigen und hat Freunde um sich ...

Der Onkel schien sehr überrascht; er unterbrach sie mit ängstlicher Miene:

Ich glaubte, daß Sie mit dem Abbe Faujas in größerer Freundschaft ständen?

Sie gab keine Antwort; sie näherte sich Martha, deren Atem stöhnender wurde. Als sie zurückkam, sah sie, wie Macquart den Vorhang des Fensters hob und mit der Hand die Feuchtigkeit von der Glasscheibe wischte, als suche er in die Nacht hinauszublicken.

Fahren Sie morgen nicht eher ab, als bis Sie mit mir gesprochen haben, meinte sie; ich will alles ins reine bringen.

Wie Sie wollen, erwiderte er. Man ist sehr in Verlegenheit, soll man Ihnen zu Gefallen sein. Sie lieben die Leute und dann wieder nicht ... Ich mache mir nichts daraus; ich gehe nur immer meinen Weg.

Es war ihm augenscheinlich unwillkommen zu erfahren, daß die Rougon nicht mehr gemeinsame Sache mit dem Abbé Faujas machten. Er wischte mit den Fingerspitzen die Scheibe ab und sah unverwandt in die finstere Nacht hinaus. In diesem Augenblick rötete eine starke Helle den Himmel.

Was ist denn das? fragte Felicité.

Er öffnete das Fenster und sah hinaus.

Man könnte meinen, es sei ein Brand, murmelte er ruhig. Es brennt hinter der Unterpräfektur.

Auf dem Platze entstand Lärm. Ein Diener trat bestürzt herein und meldete, daß im Hause der Tochter der gnädigen Frau Feuer ausgebrochen sei. Man hätte den Schwiegersohn der gnädigen Frau, den man eingesperrt glaubte, in dem Garten mit einer brennenden Weinrebe herumrennen sehen. Das Schlimmste sei, daß man zweifle, die Bewohner des brennenden Hauses retten zu können. Felicité drehte sich hastig um, sah Macquart starr an und dachte einen Augenblick nach. Sie begriff endlich.

Sie hatten uns doch versprochen, sagte sie leise, daß Sie sich ruhig verhalten würden, als wir Ihnen das kleine Haus in Tulettes übergaben. Nichts fehlt Ihnen, Sie leben dort wie ein wahrer Rentier ... Das ist schändlich, verstehen Sie! Wieviel hat Ihnen denn der Abbé Fenil gegeben, um François die Türe zu öffnen?

Er geriet in Ärger, aber sie hieß ihn schweigen. Sie schien über die Folgen dieses Vorfalles beunruhigter als über das Verbrechen selbst entsetzt zu sein.

Und welch schrecklicher Skandal, wenn man erfahren würde! ... murmelte sie weiter. Haben wir Ihnen je etwas verweigert? Wir sprechen morgen wegen des Feldes, mit dem Sie uns in den Ohren liegen ... Wenn Rougon es erfahren würde, wäre es sein Tod.

Der Onkel mußte lächeln. Er verteidigte sich lebhafter und schwur, daß er nichts wisse, daß er sich in nichts gemengt habe. Als sich der Himmel immer mehr rötete und der Doktor schon hinuntergegangen war, verließ der Onkel das Zimmer und bemerkte neugierig:

Ich will nachsehen.

Herr Péqueur des Saulaies hatte zuerst Lärm geschlagen. In der Unterpräfektur war Gesellschaft gewesen. Er ging einige Minuten vor ein Uhr eben zu Bette, als er einen eigentümlichen roten Widerschein an der Decke seines Zimmers bemerkte. Er trat ans Fenster und war ganz überrascht, als er ein großes Feuer im Garten der Mourets brennen sah, während eine Gestalt, die er zuerst nicht erkannte, in dem Rauch herumtanzte und einen Feuerbrand schwenkte. Fast gleichzeitig brachen aus allen Öffnungen des Erdgeschosses die Flammen hervor. Der Unterpräfekt zog schnell seine Beinkleider an, rief seinen Diener und schickte den Hausmeister fort, um die Feuerwehr und die Behörden zu verständigen. Bevor er sich auf die Unglücksstätte begab, kleidete er sich vollends an und drehte sich vor einem Spiegel seinen Schnurrbart. Er kam als erster in die Balande-Straße. Die Straße war ganz leer, nur zwei Katzen rannten quer hinüber.

Sie werden da drinnen braten wie Koteletten, dachte Herr Péqueur des Saulaies, erstaunt über die tiefe Ruhe der Vorderseite des Hauses, wo sich noch keine Flamme zeigte.

Er pochte heftig an die Türe, aber er hörte in dem Stiegenhause nur das Prasseln des Feuers. Er donnerte dann an die Türe des Herrn Rastoil. Hier erhob sich ein durchdringendes Geschrei, begleitet von dem Hinundherrennen, Türenzuwerfen und Rufen.

Aurelia, nimm etwas um die Schultern, rief der Präsident.

Herr Rastoil stürzte heraus, gefolgt von Frau Rastoil und der jüngeren, noch unverheirateten Tochter. Aurelia hatte in der Eile einen Überzieher ihres Vaters umgeworfen, so daß ihre Arme nackt blieben; sie wurde ganz rot, als sie Herrn Péqueur des Saulaies erblickte.

Welch schreckliches Unglück! stammelte der Präsident. Alles wird verbrennen. Die Wand meines Zimmers ist schon heiß. Die zwei Häuser bilden ja nur ein Gebäude, wenn ich so sagen darf ... Ach, Herr Unterpräfekt, ich habe mir nicht einmal die Zeit genommen, die Uhren zu retten. Man muß die Nothilfe in Anspruch nehmen; man kann doch nicht seine Möbel in wenigen Stunden verlieren.

Frau Rastoil, die mit einem Schlafrocke nur halb bekleidet war, weinte wegen der Salonmöbel, die sie eben erst hatte frisch überziehen lassen. Unterdessen hatten sich einige Nachbarn an den Fenstern gezeigt. Der Präsident rief sie herbei und begann, seine Wohnung zu räumen; er belud sich besonders mit den Uhren, die er auf dem gegenüberliegenden Fußsteige niedersetzte. Als man die Sessel des Salons hinausgeschafft hatte, ließ er seine Frau und Tochter sich niedersetzen, während der Unterpräfekt bei ihnen blieb, um sie zu trösten.

Beruhigen Sie sich, meine Damen, sagte er. Die Feuerwehr kommt und greift das Feuer tüchtig an ... Ich glaube, Ihnen die Versicherung geben zu können, daß man Ihr Haus retten wird.

Die Fenster der Mourets platzten und die Flammen erschien im ersten Stockwerk. Sofort war die Straße hell erleuchtet; es war licht wie am Tage. In der Ferne schlug ein Tambour auf dem Präfekturplatze Alarm. Männer eilten herbei, es bildete sich eine Kette, aber es fehlte an Eimern, und die Spritze kam auch nicht. Inmitten der allgemeinen Bestürzung gab Herr Péqueur des Saulaies, ohne die Damen Rastoil zu verlassen, mit lauter Stimme Befehle:

Den Durchgang freilassen! Die Kette ist dort drüben zu eng! Stellt euch immer zwei Schritte voneinander auf!

Dann wandte er sich zu Aurelia und sagte in sanftem Tone:

Ich wundere mich, daß die Spritze noch nicht da ist ... Es ist eine neue Spritze, die jetzt die Feuertaufe erhalten soll. Ich habe sofort den Hausmeister hingeschickt; auch auf die Gendarmerie mußte er laufen.

Die Gendarmen waren zuerst da; sie hielten die Neugierigen zurück, deren Zahl trotz der vorgerückten Stunde immer mehr anwuchs. Der Unterpräfekt ordnete persönlich die Kette, die einige Spaßvögel aus der Vorstadt ins Wanken gebracht hatten. Die kleine Glocke von Saint-Saturnin läutete Sturm, und nach Mail zu in dem unteren Teile der Straße schlug ein zweiter Tambour Alarm. Endlich kam die Spritze rasselnd heran. Die Menschengruppen wichen zurück; fünfzehn Feuerwehrleute von Plassans liefen keuchend herbei; aber trotz des Eingreifens des Herrn Péqueur des Saulaies verging noch eine bange Viertelstunde, ehe die Spritze ihre Tätigkeit beginnen konnte.

Ich sage Ihnen, der Kolben bewegt sich nicht, rief der Hauptmann dem Unterpräfekten wütend zu, der behauptete, die Schrauben seien zu fest angezogen.

Als ein Wasserstrahl emporstieg, entrang sich der Menge ein Seufzer der Befriedigung.

Das Haus brannte jetzt vom Erdgeschosse bis zum zweiten Stockwerk wie eine ungeheure Fackel. Das Wasser fuhr zischend in die Glut, während die Flammen in gelben Säulen immer höher stiegen. Einige Feuerwehrleute waren auf das Dach des Hauses des Präsidenten gestiegen, wo sie mit Hacken einige Ziegel einschlugen, um dem Feuer eine Grenze zu setzen.

Die Bude ist verloren, murmelte Macquart, der mit den Händen in der Tasche ruhig auf dem gegenüberliegenden Fußwege stand und dem Umsichgreifen des Brandes mit lebhaftem Interesse zusah.

Auf der Straße hatte sich im Freien ein Salon gebildet. Die Sessel standen im Halbkreise beisammen, als wolle man einem Schauspiele bequem zusehen. Frau von Condamin und ihr Gatte waren eben angekommen; sie seien kaum aus der Unterpräfektur zu Hause angelangt, sagten sie, als sie die Alarmsignale hörten. Herr von Bourdeu, Herr Maffre, Doktor Porquier, Herr Delangre, von mehreren Gemeinderatsmitgliedern begleitet, waren ebenfalls herbeigeeilt. Alle umstanden die Damen Rastoil, trösteten sie und ergingen sich in mitleidsvollen Worten. Schließlich setzte sich die Gesellschaft auf die Sessel, und es entspann sich eine Unterhaltung, während zehn Schritte weiter die Spritze arbeitete und die brennenden Balken krachten.

Hast du meine Uhr an dich genommen? fragte Frau Rastoil; sie lag samt der Kette auf dem Kaminsims.

Ja, ja, ich habe sie in der Tasche, erwiderte der Präsident erregt und vor Aufregung zitternd. Ich habe auch das Silberzeug ... Ich hätte alles mitgenommen; aber die Feuerwehrleute wollen es nicht, sie meinen, es sei lächerlich.

Herr Péqueur des Saulaies zeigte sich sehr ruhig und höflich.

Ich versichere, daß Ihr Haus in keiner Gefahr ist, sagte er; das Feuer ist eingeschränkt. Sie können Ihr Eßzeug in das Speisezimmer zurücktragen.

Aber Herr Rastoil wollte sich nicht von seinem Silberzeug trennen, das er, in eine Zeitung eingehüllt, unter seinem Arme hielt.

Alle Türen sind offen, stammelte er; das Haus ist voll Leuten, die ich nicht kenne ... Sie haben in mein Dach ein Loch geschlagen, dessen Ausbesserung mir viel Geld kosten wird.

Frau von Condamin rief dem Unterpräfekten zu:

Aber das ist schrecklich! Ich glaubte, daß die Bewohner Zeit gehabt hätten, sich zu retten! ... Man hat keine Nachricht über den Abbé Faujas?

Ich selbst habe angeklopft, sagte Herr Péqueur des Saulaies; niemand hat mir geantwortet. Als die Feuerwehr ankam, ließ ich die Türe einschlagen und Leitern an die Fenster legen ... Alles ist vergebens gewesen. Einer unserer tapferen Gendarmen, der sich in den Vorraum gewagt hat, wäre bald in dem Rauche erstickt.

Also der Abbé Faujas! ... Welch schrecklicher Tod! fuhr die schöne Octavia schaudernd fort.

Die Herren und Damen sahen sich blaß in der flackernden Helle des Brandes an. Doktor Porquier erklärte, daß der Feuertod vielleicht nicht so schrecklich sei, wie man glaube.

Man wird ohnmächtig, sagte er zum Schluß, und es ist in einigen Sekunden geschehen. Ich muß sagen, es hängt von der Heftigkeit der Hitze ab.

Herr von Condamin zählte an den Fingern.

Wenn Frau Mouret sich bei ihren Eltern befindet, wie man behauptet, sind es immer noch vier: Der Abbé Faujas, seine Mutter, seine Schwester und sein Schwager ... Das ist schrecklich!

In diesem Augenblicke neigte sich Frau Rastoil zu dem Ohre ihres Mannes.

Gib mir meine Uhr, flüsterte sie. Ich habe keine Ruhe. Du bewegst dich und setzest dich noch darauf.

Da eine Stimme rief, der Wind treibe die Flammen gegen die Unterpräfektur, entschuldigte sich Herr Péqueur des Saulaies und stürzte fort, um dieser neuen Gefahr vorzubeugen. Unterdessen wollte Herr Delangre, daß man eine letzte Anstrengung mache, um den Opfern Hilfe zu bringen. Der Feuerwehrhauptmann erwiderte ihm kurz, er solle selbst auf die Leiter hinaufsteigen, wenn er es für möglich halte; ein solches Feuer, sagte er, habe er noch nie gesehen. Der Teufel müsse das Haus angezündet haben, daß es auf allen Seiten zugleich lichterloh brenne. Der Bürgermeister ging in Begleitung einiger hilfsbereiter Leute in die Sackgasse Chevillottes, indem er glaubte, man werde von der Gartenseite her hinaufsteigen können.

Es wäre ein herrlicher Anblick, wenn es nicht so traurig wäre, bemerkte Frau von Condamin, die sich allmählich beruhigte.

In der Tat war das Feuer prächtig. Funkengarben stiegen in großen blauen Flammen empor; rotglühende Löcher bildeten sich in jedem klaffenden Fenster, während der Rauch ruhig dahinzog und in einer großen bläulichen Wolke verschwand gleich dem Rauche des bengalischen Feuers bei einem Feuerwerke. Die Herren und Damen hatten es sich in den Lehnstühlen bequem gemacht; sie stützten die Ellenbogen auf, streckten sich aus und blickten empor; dann trat ein Schweigen ein, nur zeitweilig durch Bemerkungen unterbrochen, wenn ein noch heftigerer Flammenwirbel sich erhob. In der Ferne, in der tanzenden Helle, welche die dicht gedrängten Köpfe der Zuschauer beleuchtete, floß der Lärm der Menge und das Rauschen des Wassers zu einem unbestimmten Getöse zusammen. Die Spritze schnaubte zehn Schritte entfernt regelmäßig weiter und ließ das heisere Gurgeln in ihrem metallenen Halse hören.

Sehen Sie doch zum dritten Fenster im zweiten Stock hinauf, rief plötzlich Herr Maffre erstaunt aus; man sieht deutlich links ein Bett brennen. Die Vorhänge sind gelb, sie brennen wie Papier.

Herr Péqueur des Saulaies kam in mäßigem Laufe zurück, um die Gesellschaft zu beruhigen.

Die Flammen werden wohl, sagte er, durch den Wind gegen die Unterpräfektur getrieben, aber sie erlöschen in der Luft. Es ist keine Gefahr, man ist des Feuers Herr geworden.

Aber weiß man denn, fragte Frau von Condamin, wie das Feuer entstanden ist?

Herr von Bourdeu versicherte, daß er zuerst eine große Rauchwolke aus der Küche habe emporsteigen gesehen. Herr Maffre wieder behauptete, daß die Flammen zuerst in einem Zimmer des ersten Stockes ausgebrochen seien. Der Unterpräfekt schüttelte mit amtlicher Bedächtigkeit den Kopf; schließlich sagte er leise:

Ich glaube, daß Bosheit diesem Unglücke nicht fern steht, und habe schon eine Untersuchung angeordnet.

Dann erzählte er, daß er einen Menschen gesehen, der mit einem brennenden Holzscheite das Feuer angezündet habe.

Ja, auch ich habe ihn gesehen, unterbrach Aurelia Rastoil. Es war Herr Mouret.

Das brachte eine außerordentliche Überraschung hervor. Es sei unmöglich, sagte man. Herr Mouret soll dem Irrenhause entsprungen und seinen Besitz angezündet haben, welch schreckliches Drama! Und nun bestürmte man Aurelia mit Fragen. Sie errötete, während ihre Mutter sie streng ansah. Es war nicht anständig, daß ein Mädchen jede Nacht so am Fenster stehe.

Ich versichere Ihnen, ich habe Herrn Mouret genau erkannt, fuhr sie fort. Ich konnte nicht einschlafen, und stand auf, weil ich einen großen Lichtschein bemerkte ... Herr Mouret tanzte mitten im Feuer.

Der Unterpräfekt sprach sich jetzt aus:

Das Fräulein hat vollkommen recht ... Ich erkenne jetzt diesen Unglücklichen. Er sah so schrecklich aus, daß ich ganz bestürzt war, obgleich mir sein Gesicht nicht unbekannt vorkam ... Ich bitte Sie um Verzeihung, es ist sehr ernst; ich muß noch einige Befehle erteilen.

Er entfernte sich neuerdings, während die Gesellschaft diesen schrecklichen Vorfall besprach, daß ein Hausbesitzer seine Mieter verbrenne. Herr von Bourdeu war gegen die Irrenhäuser entrüstet; die Aufsicht in ihnen sei ganz unzureichend. In Wahrheit fürchtete aber Herr von Bourdeu in dem Feuer die Präfektur aufflammen zu sehen, die ihm der Abbé Faujas versprochen hatte.

Die Verrückten sind rachgierig, sagte Herr von Condamin einfach.

Dieses Wort setzte die ganze Gesellschaft in Verlegenheit. Die Unterhaltung stockte sogleich. Die Frauen schauerten zusammen, während die Herren sich eigentümliche Blicke zuwarfen. Das brennende Haus wurde viel interessanter, seitdem die Gesellschaft wußte, welche Hand es angezündet hatte. Die Augen hafteten in wollüstigem Schreck an dem brennenden Scheiterhaufen drüben, und man dachte an das Drama, das sich dort abgespielt hatte.

Wenn Papa Mouret drinnen ist, sind es ihrer fünf, sagte Herr von Condamin wieder, den die Damen schweigen hießen, indem sie ihm vorwarfen, er sei ein grausamer Mensch.

Seit dem Beginn des Brandes lehnten die Paloques am Fenster ihres Speisezimmers und sahen zu. Sie befanden sich gerade über dem Salon, der auf dem Fußsteige sich gebildet hatte. Die Richterin ging schließlich hinunter, um in freundlicher Weise den Damen Rastoil wie auch den Personen, die sie umstanden, Gastfreundschaft anzubieten.

Man sieht sehr gut von unseren Fenstern, sagte sie.

Da die Damen sich weigerten, fuhr sie fort:

Aber Sie werden sich erkälten; die Nacht ist sehr kühl.

Frau von Condamin lächelte und streckte ihre kleinen Füße aus, so daß sie unter dem Kleide sichtbar wurden.

Ach nein, uns ist nicht kalt, erwiderte sie; mir ist an den Füßen sehr heiß ... Ist Ihnen kalt, Fräulein?

Mir ist zu warm, versicherte Aurelia. Es ist wie in einer Sommernacht. Das Feuer wärmt sehr hübsch.

Die ganze Gesellschaft erklärte, daß es warm sei; so entschied sich Frau Paloque auch, zu bleiben und sich in einen Sessel zu setzen. Herr Maffre war soeben fortgegangen; er hatte in der Menge seine zwei Söhne in Begleitung Wilhelm Porquiers bemerkt, die alle drei ohne Krawatte aus einem Hause bei den Schanzen herbeigeeilt waren, um das Feuer zu sehen. Der Richter, der sicher wußte, daß er sie in ihrem Zimmer doppelt eingeschlossen hatte, führte Alphonse und Ambroise bei den Ohren fort.

Wie wäre es, wenn wir zu Bette gingen? sagte Herr von Bourdeu, der immer mißlauniger wurde.

Herr Péqueur des Saulaies war wieder zurückgekehrt; trotz seiner vielen Sorgen vergaß er die Damen nicht. Er ging schnell Herrn Delangre entgegen, der aus der Sackgasse Chevillottes zurückkam. Sie sprachen leise miteinander. Der Bürgermeister mußte einer schrecklichen Szene beigewohnt haben; er hielt sich die Hand vor die Augen, als ob er das fürchterliche Bild bannen wollte, das ihn verfolgte. Die Damen hörten ihn nur murmeln: Wir sind zu spät gekommen! Es ist schrecklich, schrecklich! Er wollte keine Frage beantworten.

Nur Bourdeu und Delangre bedauern den Abbé, flüsterte Herr von Condamin Frau Paloque zu.

Sie hatten mit ihm zu tun, erwiderte diese ruhig. Sehen Sie nur, da ist der Abbé Bourrette. Er weint aufrichtige Tränen.

Der Abbé Bourrette, der mit in der Kette stand, weinte bitterlich. Der arme Mann war untröstlich und wollte sich auch nicht in einen Sessel setzen, sondern blieb stehen und sah unverwandt auf die letzten brennenden Balken hinüber. Man hatte auch den Abbé Surin gesehen; aber er war verschwunden, als er von Gruppe zu Gruppe schreitend die umlaufenden Gerüchte hörte.

Gehen wir schlafen, sagte Herr von Bourdeu wieder. Es ist dumm, bis zu Ende da zu bleiben.

Die ganze Gesellschaft erhob sich. Es wurde beschlossen, daß Herr Rastoil samt Frau und Tochter bei den Paloque übernachten solle. Frau von Condamin strich ruhig ihren Rock glatt, der ein wenig zerknittert war. Man schob die Sessel zurück, blieb einen Augenblick stehen, und wünschte sich dann gegenseitig eine gute Nacht.

Die Spritze keuchte noch immer, der Brand erlosch inmitten eines schwarzen Rauches; man hörte nur noch das Getrappel der Menge und die Hacke eines Feuerwehrmannes, der einen Balken lostrennte.

Es ist zu Ende, dachte Macquart, der den gegenüberliegenden Fußsteig nicht verlassen hatte.

Er blieb noch einen Augenblick stehen, um die letzten Worte zu hören, die Herr von Condamin leise mit Frau Paloque wechselte.

Bah, sagte die Frau des Richters, niemand wird weinen außer dem dummen Bourrette. Er war unerträglich geworden, wir alle waren seine Sklaven. Der Bischof wird lachen ... Endlich ist Plassans befreit.

Und die Rougon, bemerkte Herr von Condamin, müssen entzückt sein.

Bei Gott, die Rougon sind im siebenten Himmel. Sie treten die Erbschaft des Abbé an. Ja, sie hätten den sehr gut bezahlt, der gewagt hätte, die Bude anzuzünden.

Macquart ging verdrossen fort. Er fürchtete schließlich, der Betrogene zu sein. Die Freude der Rougon machte ihn bestürzt. Sie waren Schurken, die immer ein doppeltes Spiel trieben und bei denen man schließlich immer der Betrogene war. Als er über den Präfekturplatz schritt, schwur er sich, nie mehr auf diese Weise im trüben zu fischen.

Als er in das Zimmer hinaufging, wo Martha im Sterben lag, fand er Rosa auf einer Stufe der Treppe sitzen. Sie war noch immer blau vor Zorn und schimpfte:

Nein, ich bleibe nicht in dem Zimmer; so etwas will ich nicht sehen. Möge sie ohne mich hinsterben! Ich kann sie nicht mehr leiden, ich kann niemanden mehr leiden ... Muß ich den Kleinen holen, um sich so etwas anzusehen! Und ich willigte ein! Ich ärgere mich mein ganzes Leben darüber ... Er war weiß wie sein Hemd, der Engel. Ich habe ihn vom Seminar bis hierher tragen müssen. Ich glaubte, er gebe unterwegs den Geist auf, so heftig weinte er. Es ist ein Jammer! ... Und jetzt ist er da und küßt sie immerfort. Mich überläuft es eiskalt. Ich wollte, das Haus stürze uns auf den Kopf, damit es mit einem Schlage aus ist ... Ich gehe in irgendein Loch, lebe für mich allein und sehe niemanden, nie, nie! Das ganze Leben ist nur da, um zu weinen oder sich zu ärgern.

Macquart trat in das Zimmer. Frau Rougon lag auf den Knien und verbarg das Gesicht in ihren Händen, während Serge bei dem Bette stand und weinend das Haupt der Sterbenden stützte. Sie war noch nicht zum Bewußtsein gekommen. Die letzten Flammen des Brandes erleuchteten das Zimmer mit einem roten Scheine.

Ein Schluchzen erschütterte Martha. Sie öffnete erstaunt die Augen, setzte sich auf und blickte herum. Dann faltete sie in einem unaussprechlichen Entsetzen die Hände und hauchte die Seele aus, als sie in dem rötlichen Feuerschein den Talar Serges erblickte.

 

Ende.


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