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Dreizehntes Kapitel.

Serge war damals neunzehn Jahre alt. Er hatte im zweiten Stockwerke gegenüber der Wohnung des Priesters ein kleines Zimmer, wo er fast wie ein Mönch zurückgezogen lebte und viel las.

Ich muß deine Bücher ins Feuer werfen, sagte Mouret zornig zu ihm. Du wirst schließlich krank.

Wirklich war der junge Mann so nervös, daß er bei der geringsten Unvorsichtigkeit krank ward wie ein schwaches Mädchen, allerlei Zustände bekam, die ihn durch zwei oder drei Tage im Zimmer zurückhielten. Rosa gab ihm dann allerlei Heiltränke, und wenn Mouret hinaufkam, um ihn ein wenig aufzurütteln, wie er sagte, so setzte sie ihn, wenn sie gerade oben war, vor die Türe und rief:

Lassen Sie doch den Jungen in Ruhe. Sie sehen doch, daß Sie ihn mit Ihren Grobheiten töten ... Gehen Sie, er ähnelt Ihnen kaum, er ist das ganze Ebenbild seiner Mutter. Sie werden sie nie verstehen, weder die eine noch den anderen.

Serge lächelte. Da sein Vater bemerkte, daß er schwächlich sei, zögerte er, ihn nach Absolvierung des Gymnasiums nach Paris zu senden, um dort die Rechte zu studieren. Von einer Fakultät in der Provinz wollte er nichts wissen; nur Paris paßte nach seiner Meinung für einen jungen Mann, der es weit bringen wolle. Er setzte viel Ehrgeiz in seinen Sohn, indem er sagte, daß viel Dümmere – z.B. seine Vettern Rougon – eine schöne Laufbahn gemacht hatten. Jedesmal wenn ihm der junge Mann munterer schien, bestimmte er die Abreise für die ersten Tage des folgenden Monats; dann war das Gepäck nie bereit, der Junge hustete, und die Reise wurde wieder verschoben.

Martha sagte in ihrer gleichgültigen Ruhe jedesmal:

Er ist noch nicht zwanzig Jahre alt. Es ist nicht klug, ein Kind so jung nach Paris zu schicken. Übrigens verliert er ja hier seine Zeit nicht. Du findest ja selbst, daß er zu viel arbeitet.

Serge pflegte seine Mutter in die Messe zu begleiten. Er war religiös veranlagt, sehr zärtlich und sehr ernst. Dr. Porquier hatte ihm viel Bewegung angeraten. So botanisierte er und brachte dann die Nachmittage damit zu, die Pflanzen zu trocknen, die er gesammelt hatte, aufzukleben, einzuordnen und mit Namen zu versehen. Damals wurde der Abbé Faujas sein guter Freund. Der Abbé hatte auch seinerzeit botanisiert und gab dem jungen Mann gewisse praktische Ratschläge, für die sich dieser sehr dankbar zeigte. Sie liehen einander einige Bücher und gingen zusammen eines Tages auf die Suche nach einer Pflanze, die nach der Aussage des Priesters in der Umgebung wachsen mußte. Wenn Serge unwohl war, besuchte ihn jeden Morgen sein Nachbar und plauderte lange an seinem Bette. Wenn er an anderen Tagen wieder auf den Beinen war, klopfte er an die Türe des Abbé Faujas, sobald er ihn in seinem Zimmer auf und ab gehen hörte, Sie waren nur durch den schmalen Gang voneinander getrennt und wohnten schließlich beisammen.

Oft geriet Mouret in Zorn trotz der Ruhe Marthas und der wütenden Augen Rosas.

Was mag dieser Taugenichts da oben machen? schimpfte er. Ich sehe ihn ganze Tage nicht. Er kommt gar nicht mehr aus dem Zimmer des Pfarrers; sie stecken immer in den Winkeln beisammen ... Nächstens fährt er nach Paris. Er ist stark wie ein Türke. All dieses Wehleid ist nur Schein, um sich verzärteln zu lassen. Ihr könnt mich immer beide ansehen, ich will nicht, daß der Pfarrer mir aus dem Jungen einen Scheinheiligen macht.

Dann paßte er seinem Sohne auf. Wenn er ihn bei dem Abbé wußte, rief er ihn grob heraus.

Ich hätte lieber, er würde sich die Weiber ansehen, rief er eines Tages zornig.

Aber, gnädiger Herr, sagte Rosa, das sind ja schreckliche Gedanken!

Ja, die Weiber! Und ich selbst werde ihn hinführen, wenn ihr es mit eurem Pfaffen zu weit treibt.

Serge war natürlich Mitglied des Jugendklubs. Er ging aber selten hin und blieb lieber allein. Wenn nicht der Abbe dort gewesen wäre, mit dem er zeitweilig dort zusammentraf, so hätte er ohne Zweifel nie die Schwelle der Klubräumlichkeiten betreten. Der Abbé lehrte ihn im Lesezimmer das Schachspiel. Mouret, der erfuhr, daß »der Junge« wieder mit dem Pfarrer zusammenkam und sogar in dem Kaffeehause ihn traf, schwur, daß er ihn am nächsten Montag zur Eisenbahn bringe. Das Gepäck war bereit und diesmal im Ernste, als Serge, der noch einmal einen Morgen im Freien zubringen wollte, von einem plötzlichen Regengusse ganz durchnäßt nach Hause kam. Er mußte sich ins Bett legen, da er vor Fieberfrost mit den Zähnen klapperte. Drei Wochen lang schwebte er zwischen Leben und Tod. Die Genesung dauerte zwei lange Monate. Die ersten Tage besonders war er so schwach, daß er dalag wie eine Wachspuppe mit dem Kopfe hochliegend und die Arme auf der Bettdecke ausgestreckt.

Daran sind Sie schuld, rief die Köchin Mouret zu. Wenn der Junge stirbt, so haben Sie es auf dem Gewissen.

Mouret schlich, solange sein Sohn in Gefahr schwebte, traurig, mit rotgeweinten Augen still in dem Hause umher. Er ging selten hinauf und wartete in dem Vorhause auf den Arzt. Als er erfuhr, daß Serge gerettet sei, glitt er in das Zimmer und bot seine Dienste an. Aber Rosa setzte ihn vor die Türe. Man brauche ihn nicht; das Kind sei noch nicht stark genug, um seine Grobheiten zu ertragen; er tue besser, seinen Geschäften nachzugehen als im Wege zu stehen. Da blieb Mouret ganz allein im Erdgeschoß, trauriger und untätiger als bisher; es freue ihn gar nichts, sagte er. Wenn er den Vorraum durchschritt, hörte er oft im zweiten Stocke die Stimme des Abbé Faujas, der ganze Nachmittage am Bette des Gesundenden zubrachte.

Wie geht es heute, Herr Pfarrer? fragte Mouret den Priester ängstlich, wenn dieser in den Garten ging.

Ziemlich gut; es wird lang dauern; er muß sehr geschont werden.

Ruhig las er in seinem Brevier weiter, während der Vater mit der Baumschere in der Hand ihm in die Alleen folgte und dort das Gespräch wieder anknüpfen wollte, um bestimmtere Nachrichten über »den Jungen« zu erhalten. Als die Gesundung fortschritt, bemerkte der Vater, daß der Pfarrer das Zimmer des Serge nicht mehr verließ. Sooft er hinaufkam, was mehrmal in Abwesenheit der Frauen geschah, fand er ihn immer am Bette des jungen Mannes sitzen, indem er freundlich mit ihm sprach und ihm kleine Dienste leistete, wie den Tee süß machte, die Decken zurechtschüttelte und ihm alles reichte, was er wünschte. In dem Hause war immer ein leises Gemurmel und Geflüster zwischen Martha und Rosa, eine eigentümliche andächtige Ruhe, die den zweiten Stock in einen Klosterwinkel verwandelte. Mouret verspürte in dem Hause gleichsam einen Weihrauchgeruch; es kam ihm nach dem Gemurmel der Stimmen manchmal vor, als lese man oben Messe.

Was machen sie denn? dachte er. Der Junge ist doch gerettet; sie geben ihm doch nicht die letzte Ölung?

Serge selbst beunruhigte ihn. Er sah in seinen weißen Linnen einem Mädchen ähnlich; seine Augen waren größer geworden; sein Lächeln war ein süßes Entzücken der Lippen, das er auch inmitten der grausamsten Schmerzen bewahrte. Mouret wagte nicht mehr von Paris zu sprechen, so weiblich und züchtig kam ihm der Kranke vor.

Eines Nachmittags war er hinaufgegangen und dämpfte das Geräusch seiner Schritte. Durch die halb offene Türe bemerkte er Serge im Sessel im Sonnenschein sitzen. Der junge Mann weinte, die Augen zum Himmel gerichtet, während seine Mutter, die vor ihm stand, gleichfalls schluchzte. Sie drehten sich, als sie das Geräusch an der Türe vernahmen, um, ohne ihre Tränen zu trocknen. Sofort sagte Serge mit seiner schwachen Stimme eines Gesundenden:

Lieber Vater, ich habe eine große Bitte an dich. Die Mutter glaubt, daß du böse wirst und mir meine Bitte, deren Erfüllung mich mit Freude erfüllen würde, abschlägst ... Ich möchte Priester werden.

Er hatte mit fieberhafter Ergebung die Hände gefaltet.

Du! Du! sagte Mouret leise.

Er sah Martha an, die sich abwandte. Er sagte nichts weiter, trat an das Fenster, setzte sich wieder an das Bett, ganz unwillkürlich, wie gelähmt durch diesen Schlag.

Lieber Vater, hub Serge nach einer langen Pause wieder an, ich habe Gott gesehen, als ich dem Tode so nahe war; ich habe geschworen, ihm zu gehören. Ich versichere dir, meine ganze Freude liegt nur darin. Glaube mir und betrübe mich nicht durch deine Weigerung.

Mit traurigem Gesichte und mit zu Boden gesenkten Augen schwieg Mouret noch immer. Er machte eine Bewegung der äußersten Entmutigung, als er sagte:

Wenn ich den geringsten Mut hätte, würde ich zwei Hemden in ein Sacktuch binden und fortgehen.

Dann stand er auf, trat an das Fenster und trommelte mit seinen Fingern darauf herum. Als ihn Serge von neuem anflehte, sagte er einfach:

Laß gut sein. Werde Pfarrer, mein Junge.

Damit ging er hinaus. Am folgenden Tage reiste er, ohne jemandem etwas zu sagen, nach Marseille, wo er acht Tage bei seinem Sohn Octave zubrachte. Aber er kam kummervoll, gealtert zurück. Octave hatte ihm wenig Trost gebracht. Er führte ein lustiges Leben, hatte viele Schulden und hielt in seinen Schränken Mädchen verborgen; übrigens ließ er von diesen Sachen kein Wörtchen fallen. Er ging gar nicht mehr aus, machte nicht mehr jene glänzenden Geschäfte; jene Käufe von Ernten auf dem Halme, die früher seinen Stolz bildeten. Rosa bemerkte, daß er ein fast vollständiges Stillschweigen bewahre und sogar vermeide, den Abbé Faujas zu grüßen.

Wissen Sie, daß Sie keine Höflichkeit kennen? sagte sie eines Tages keck zu ihm. Der Herr Pfarrer ist eben vorübergegangen und Sie haben ihm den Rücken zugekehrt ... Wenn Sie das vielleicht wegen des Jungen tun, so sind Sie im Unrecht. Der Herr Pfarrer wollte nicht, daß er Priester werde; er hat ihn genug abgekanzelt; ich habe es gehört ... Ach, in unserem Hause geht's jetzt lustig. Sie sprechen kein Wort mehr, nicht einmal mit der gnädigen Frau; wenn Sie sich zu Tische setzen, ist es wie zu einem Begräbnisse ... Ich, gnädiger Herr, habe es jetzt bald satt.

Mouret verließ das Zimmer, aber die Köchin folgte ihm in den Garten.

Sollten Sie nicht glücklich sein, den Jungen auf den Füßen zu sehen? Er hat gestern ein Kotelett gegessen, der Hebe Kerl und mit gutem Appetite. Das ist Ihnen ganz gleich, nicht wahr? Sie wollen aus ihm einen Heiden machen, wie Sie einer sind ... Sie haben das Beten nur zu sehr not. Der liebe Gott will unser aller Heil. An Ihrer Stelle würde ich vor Freude weinen, wenn ich bedenke, daß dies arme kleine Herz für mich betet. Aber Sie, gnädiger Herr, sind von Stein ... Und wie den lieben Jungen der Talar schön kleiden wird!

Dann ging Mouret in den ersten Stock. Hier schloß er sich in einem Zimmer ein, das er. seine Kanzlei nannte, ein großer, leerer Raum, in dem nur ein Tisch und zwei Stühle standen. Dieses Zimmer war sein Zufluchtsort, wenn ihn die Köchin verfolgte. Er langweilte sich dort und ging wieder in den Garten hinunter, den er mit noch größerer Sorgfalt pflegte. Martha schien das Schmollen ihres Gatten nicht zu bemerken; manchmal redete er eine ganze Woche nicht, ohne daß sie sich darüber ärgerte oder Kummer empfand. Sie entwöhnte sich jeden Tag mehr ihrer Umgebung; sie glaubte sogar, so friedlich kam ihr das Haus vor, daß, weil sie nicht jede Stunde das Schimpfen ihres Mannes hörte, dieser zu Vernunft gekommen sei und sich, wie sie, einen glücklichen Winkel eingerichtet habe. Das beruhigte sie und berechtigte sie, sich noch mehr ihrem Traume hinzugeben. Wenn er sie ansah mit trübem Auge, das sie nicht mehr erkannte, so lächelte sie ihm zu und bemerkte nicht die Tränen, die ihm an den Wimpern hingen.

An dem Tage, wo Serge, der vollständig geheilt war, in das Seminar eintrat, blieb Mouret mit Desirée allein zu Hause. Jetzt gab er oft acht auf sie. Das große Kind, das bald sechzehn Jahre alt war, hätte in das Bassin fallen oder das Haus in Brand stecken können, wenn es wie ein Mädchen von sechs Jahren mit Zündhölzchen spielte. Als Martha nach Hause kam, fand sie die Türen offen und die Zimmer leer. Das Haus schien ihr ganz entvölkert. Sie stieg auf die Terrasse hinunter und bemerkte am Ende einer Allee ihren Mann mit Desirée spielen. Er saß auf der Erde im Sande; er füllte mit Hilfe einer hölzernen Schaufel ganz ernst ein kleines Wägelchen, das Desiree an einem Faden zog.

Hü, hü! rief das Kind.

Aber warte doch, sagte geduldig der gute Mann; er ist nicht voll ... Wenn du das Pferd machen willst, so mußt du auch warten, bis er voll ist.

Sie stampfte mit den Füßen, wie es ein ungeduldiges Pferd tut; dann konnte sie nicht länger stehen bleiben und sprang hell auflachend davon. Der Karren fiel um und entleerte sich. Als sie durch den ganzen Garten gelaufen war, kam sie wieder zurück und rief:

Fülle ihn! Fülle ihn wieder!

Mouret füllte ihn geduldig von neuem. Martha stand auf der Terrasse und sah bewegt mit einem Gefühl des Unbehagens zu; diese offenen Türen, dieser Mann, der im Hintergrunde des leeren Hauses mit dem Kinde spielte, stimmten sie traurig, ohne daß sie eine bestimmte Ahnung hatte, was in ihr geschah. Sie ging hinauf, um sich umzukleiden, und hörte Rosa, wie sie auf der Freitreppe sagte:

Mein Gott, wie kindisch der gnädige Herr ist!

Nach dem Ausdruck seiner Freunde von der Promenade Sauvaire, kleiner Rentiers, mit denen er alle Tage spazieren ging, war Mouret »angegriffen«. Seine Haare waren in einigen Monaten grau geworden, seine Beine schlotterten, und er war nicht mehr der furchtbare Spötter, den die ganze Stadt fürchtete. Man glaubte einen Augenblick, daß er sich in kühne Spekulationen eingelassen habe und unter irgendeinem großen Geldverluste leide.

Frau Paloque, die an dem Fenster ihres Speisezimmers stand, das auf die Balande-Straße hinausging, sagte, sooft sie ihn ausgehen sah, daß es schlimm mit ihm stehe. Wenn der Abbé Faujas einige Minuten später über die Straße ging, fand sie ein Vergnügen daran, besonders wenn sie Besuch hatte, zu rufen:

Seht doch den Herrn Pfarrer an; der wird dick! ... Wenn er von demselben Teller äße wie Herr Mouret, kannte man meinen, er lasse ihm nur die Knochen.

Sie lachte, und man lachte mit ihr. Der Abbé Faujas wurde wirklich vornehm, trug immer schwarze Handschuhe, und sein Talar glänzte. Er lächelte eigentümlich, es lag ein spöttischer Zug um seine Lippen, wenn ihm Frau von Condamin zu seinem guten Aussehen Glück wünschte. Diese Damen hatten es gerne, wenn er gut aussah und sich reich und weichlich kleidete. Er träumte von Faustkämpfen mit nackten Armen, unbekümmert darum, daß die Kleidung in Fetzen zerfällt. Aber wenn er sich gehen ließ, zog ihn sofort der kleinste Tadel der alten Frau Rougon aus seiner Nachlässigkeit; er lächelte, kaufte Seidenstrümpfe, einen Hut und einen neuen Gürtel. Er brauchte viel, sein mächtiger Leib brachte alles zum Reißen. Seit der Gründung des Werkes von der heiligen Jungfrau standen alle Frauen auf seiner Seite; sie nahmen ihn gegen die unsauberen Geschichten in Schutz, die manchmal noch erzählt wurden, ohne daß man mit Sicherheit ihre Quelle erraten konnte. Sie fanden, daß er manchmal ein wenig barsch war; aber diese Ungeschliffenheit mißfiel ihnen nicht, besonders nicht in dem Beichtstuhle, wo sie gern diese eiserne Hand auf ihren Nacken herniedersausen fühlten.

Meine Liebe, sagte eines Tages Frau von Condamin zu Martha, er hat gestern mit mir gezankt. Ich glaube, er hätte mich geschlagen, wenn nicht ein Gitter zwischen uns gewesen wäre ... Ach, er ist nicht immer angenehm!

Sie lächelte ein wenig im Nachgenusse dieses Zankes mit ihrem Beichtvater. Es war ihr nicht entgangen, daß Martha erbleichte, als sie ihr einige vertrauliche Mitteilungen über die Art und Weise machte, wie der Abbé Faujas die Beichte höre; sie erriet ihre Eifersucht und fand ein böses Vergnügen daran, sie dadurch zu quälen, daß sie noch länger bei gewissen intimen Einzelheiten verweilte.

Als der Abbé Faujas den Jugendklub gegründet hatte, wurde er gutmütig; es war wie eine Neugeburt. Seine strenge Natur bog sich unter seiner Willensstärke wie weiches Wachs. Er ließ erzählen, welchen Anteil er an der Eröffnung des Klubs hatte, wurde der Freund aller jungen Leute der Stadt, überwachte sich selbst sorgfältiger, weil er sehr wohl wußte, daß die eben der Schule entwachsenen Jünglinge die Frauen nicht um der Roheiten willen lieben. Er hätte sich bald mit dem jungen Rastoil überwürfen, den er bei den Ohren zu nehmen drohte wegen eines Streites über die Hausordnung des Klubs; aber mit einer überraschenden Herrschaft über sich selbst reichte er ihm fast augenblicklich die Hand und brachte die Anwesenden auf seine Seite durch die gütige Herablassung, mit der er den großen Dummkopf Severin, wie man ihn nannte, um Entschuldigung bat.

Hatte der Abbé die Frauen und Kinder erobert, so blieb er einfach auf einem höflichen Fuße mit den Vätern und Ehemännern. Die ernsten Personen mißtrauten ihm noch immer, weil sie sahen, daß er sich von jeder politischen Partei abseits hielt. Auf der Unterpräfektur sprach Herr Péqueur des Saulaies entschieden abfällig über ihn; während Herr Delangre, ohne ihn gerade zu verteidigen, mit feinem Lächeln erklärte, daß man mit dem Urteil noch warten müsse. Bei Herrn Rastoil war er ein wahrhafter Störenfried des Hauses geworden. Severin und seine Mutter hörten nicht auf, den Präsidenten durch Lobsprüche über den Priester zu quälen.

Gut! Gut! Er hat alle Vorzüge, die ihr wollt, rief der Unglückliche. Meinetwegen, aber laßt mich in Ruhe. Ich habe ihn zum Essen einladen lassen; er ist nicht gekommen. Ich kann ihn doch nicht mit Gewalt herführen.

Aber, lieber Freund, sagte Frau Rastoil, wenn du ihm begegnest, grüßest du ihn kaum. Das muß ihn kränken.

Ohne Zweifel, fügte Severin hinzu, er bemerkt wohl, daß du nicht so gegen ihn bist, wie du sein solltest.

Herr Rastoil zuckte mit den Achseln. Wenn Herr von Bourdeu dort war, beschuldigten beide den Abbé Faujas, daß er zur Unterpräfektur hinneige. Frau Rastoil bemerkte, daß er dort nicht esse, überhaupt noch nie über die Schwelle der Unterpräfektur gekommen sei.

Gewiß, erwiderte der Präsident, ich beschuldige ihn nicht, ein Bonapartist zu sein ... Ich sage, daß er hinneigt, das ist alles. Er hat Beziehungen zu Herrn Delangre.

Ei, du auch, rief Severin aus, du hast auch Beziehungen zu dem Bürgermeister gehabt. Man ist ja in gewissen Umständen dazu gezwungen ... Sage doch gleich, du kannst den Abbé Faujas nicht leiden, das ist richtiger.

So stritt man im Hause Rastoil ganze Tage herum. Der Abbé Fenil kam nur selten hin; er erklärte, wegen der Gicht nicht ausgehen zu können. Übrigens hatte er zweimal, als die Rede auf den Pfarrer von Saint-Saturnin kam, in kurzen Worten ein Lob über ihn ausgesprochen. Der Abbé Surin und der Abbé Bourrette, wie auch Herr Maffre waren immer derselben Meinung wie die Herrin des Hauses. Die Opposition kam also einzig und allein von dem Präsidenten, der an Herrn von Bourdeu eine Stütze fand; beide erklärten ernst, daß sie ihre politische Stellung nicht durch die Aufnahme eines Mannes kompromittieren könnten, der seine Ansichten verberge.

Severin kam aus Neckerei auf den Einfall, an der kleinen Türe der Sackgasse Chevillottes zu klopfen, wenn er dem Priester etwas sagen wollte. Allmählich wurde die Sackgasse ein neutrales Gebiet. Der Doktor Porquier, der diesen Weg als erster benützt hatte, der junge Delangre, der Bezirksrichter kamen unmerklich dorthin, um mit dem Abbé Faujas zu plaudern. Manchmal standen während eines ganzen Nachmittags die kleinen Türen der beiden Gärten weit offen, ebenso das Tor der Unterpräfektur. Der Abbé stand in dieser Sackgasse lächelnd an der Mauer und drückte den Personen der beiden Gesellschaften die Hand, die ihn zu begrüßen kamen. Aber Herr Péqueur des Saulaies stellte sich, als wolle er nicht den Fuß aus dem Garten der Unterpräfektur setzen; während Herr Rastoil und Herr von Bourdeu gleicherweise es sich in den Kopf setzten, sich nicht in der Sackgasse zu zeigen. Sie blieben ruhig unter den Bäumen vor dem Wasserfalle sitzen. Selten drang der kleine Hof des Abbé in die Gartenlaube der Mourets. Nur von Zeit zu Zeit steckte der eine oder der andere den Kopf zur Türe herein und verschwand wieder. Übrigens tat sich der Abbé Faujas gar keinen Zwang an; aber er beobachtete mit Unruhe das Fenster der Trouche, wo immer die Augen Olympias leuchteten. Die Trouche lagen da auf der Lauer hinter den roten Vorhängen, von einem wütenden Verlangen gequält, auch hinunterzugehen, von den Früchten zu kosten und mit der feinen Welt zu plaudern. Sie schlugen die Vorhänge auseinander und lehnten sich einen Augenblick hinaus, zogen sich aber unter den gebieterischen Blicken des Priesters wütend wieder zurück; dann schlichen sie wieder heran, preßten ihr fahles Gesicht an eine Ecke der Glasscheiben und beobachteten jede seiner Bewegungen, von Leid erfüllt, ihn so nach Herzenslust das Paradies genießen zu sehen, das er ihnen verbot.

Das ist zu dumm, sagte eines Tages Olympia zu ihrem Manne; er würde uns, wenn er könnte, in einen Schrank stecken, um das Vergnügen ganz für sich zu haben. Wir gehen hinunter, wenn du willst. Wir wollen einmal hören, was er sagt.

Trouche war eben aus dem Amte gekommen. Er band sich einen anderen Hemdkragen um, staubte seine Schuhe ab, um anständig auszusehen. Olympia zog ein helles Kleid an. Dann stiegen sie mutig in den Garten hinunter und gingen langsam die großen Büsche entlang, wobei sie zeitweilig vor den Blumen stehen blieben. Der Abbé Faujas kehrte ihnen gerade den Rücken zu, da er mit Herrn Maffre auf der Schwelle der kleinen Türe der Sackgasse sprach. Als er den Sand knirschen hörte, waren die Trouche hinter ihm bei der Laube. Er drehte sich um und hielt vor Bestürzung, sie zu sehen, mitten in einem Satze inne. Herr Maffre, der sie nicht kannte, sah sie neugierig an.

Ein sehr schönes Wetter, meine Herren, nicht wahr? sagte Olympia, die unter dem Blicke ihres Bruders erblaßte.

Der Abbé zog plötzlich den Richter in die Sackgasse, wo er sich seiner entledigte.

Er ist wütend, sagte Olympia leise. Um so schlimmer! Wir müssen bleiben. Wenn wir hinaufgehen, glaubt er, wir fürchten uns ... Ich habe es satt. Du sollst sehen, wie ich mit ihm rede.

Damit hieß sie Trouche sich auf einen der Stühle setzen, die Rosa einige Augenblicke zuvor gebracht hatte. Als der Abbé zurückkam, sah er sie ruhig dasitzen. Er riegelte die kleine Türe zu, und nachdem er sich mit einem Blicke versichert hatte, daß das Laub sie genügend verberge, trat er auf sie zu und sagte mit gedämpfter Stimme:

Ihr vergeßt unser Übereinkommen. Ihr habt mir versprochen, im Zimmer zu bleiben.

Es war oben zu heiß, erwiderte Olympia. Wir begehen doch kein Verbrechen, wenn wir hier frische Luft schöpfen wollen.

Der Priester wollte aufbrausen; aber seine Schwester, die ganz blaß war von der Anstrengung, die sie machte, ihm Widerstand zu leisten, sagte in eigentümlichem Tone zu ihm:

Schrei' nicht! Da nebenan sind Leute, du könntest dir schaden.

Die Trouche lächelten ein wenig. Er sah sie an und griff sich mit einer stummen und schrecklichen Gebärde an die Stirn.

Setze dich, sagte Olympia. Du willst eine Erklärung, nicht wahr? Nun, da hast du sie ... Wir haben es satt, uns einzusperren. Du lebst hier wie der Hahn im Korbe; das Haus gehört dir, der Garten gehört dir. Um so besser, es macht uns eine Freude zu sehen, daß es dir gut geht; aber wir lassen uns deshalb nicht lumpen. Nie hattest du die Aufmerksamkeit, mir eine Weintraube hinaufzubringen; du hast uns das schlechteste Zimmer gegeben; du versteckst uns, du schämst dich unser, du sperrst uns ein, als wenn wir die Pest hätten ... Das kann nicht mehr so fortgehen!

Ich bin nicht der Hauseigentümer, sagte der Abbé. Wendet euch an Herrn Mouret, wenn ihr den Besitz verwüsten wollet.

Die Trouche lächelten sich wieder an.

Wir fragen dich nicht nach deinen Angelegenheiten, fuhr Olympia fort; wir wissen, was wir wissen, das genügt ... Alles beweist, daß du ein schlechtes Herz hast. Glaubst du, daß, wenn wir in deiner Lage wären, wir dir nicht sagen würden, du sollst deinen Teil nehmen?

Aber was wollt ihr denn schließlich von mir? fragte der Abbe. Glaubt ihr, daß ich in Gold schwimme? Ihr kennt mein Zimmer, ich habe schlechtere Möbel als ihr. Ich kann euch doch nicht dieses Haus geben, das nicht mir gehört.

Olympia zuckte mit den Achseln; sie hieß ihren Mann, der antworten wollte, schweigen und sagte ruhig:

Jeder lebt nach seiner Art; du könntest Millionen haben und würdest dir nicht eine Bettvorlage kaufen; du würdest dein Geld für irgendeine große dumme Geschichte ausgeben. Wir hingegen leben gern bequem. Willst du leugnen, daß wenn du die schönsten Möbel des Hauses und die Wäsche, die Vorräte, alles haben wolltest, du es noch heute abend haben würdest? ... Ein guter Bruder hätte in diesem Falle schon an seine Verwandten gedacht; er würde sie nicht in dem Schmutze lassen wie du uns.

Der Abbé Faujas sah die Trouche scharf an. Sie wiegten sich auf ihren Stühlen.

Ihr seid undankbar, sagte er nach einer Pause zu ihnen. Ich habe schon viel für euch getan. Wenn ihr heute zu leben habt, verdankt ihr es mir; denn ich habe noch deine Briefe, Olympia, diese Briefe, in denen du mich flehentlich bittest, euch dem Elende zu entreißen und nach Plassans kommen zu lassen. Jetzt, da ihr bei mir seid und ein sicheres Leben habt, kommt ihr mit neuen Forderungen ...

Bah, unterbrach ihn Trouche schroff, wenn du uns kommen ließest, so geschah es nur, weil du uns brauchtest. Ich werde so schlecht bezahlt, daß ich an niemandes Güte glauben kann. Ich ließ jetzt meine Frau reden; aber die Frauen kommen nie zur Sache. In zwei Worten gesagt: lieber Freund, du tust unrecht, uns wie treue Hunde einzusperren, die man nur an Tagen der Gefahr herausläßt. Wir langweilen uns, wir werden schließlich dumme Streiche machen. Laß uns ein wenig Freiheit! Da das Haus nicht dir gehört und du die Bequemlichkeit verachtest, was kann es dir schaden, wenn wir uns nach unserer Art einrichten? Die Mauern fressen wir nicht!

Ganz richtig, erklärte Olympia; es ist zum Rasendwerden, immer eingesperrt zu sein ... Wir sind dir sehr dienstwillig. Du weißt, mein Mann wartet nur auf einen Wink ... Geh' deinen Weg, rechne auf uns; aber wir wollen unseren Anteil haben. Nicht wahr, das ist selbstverständlich?

Der Abbé hatte den Kopf gesenkt; er blieb einen Augenblick stumm; dann stand er auf und sagte, ohne direkt zu antworten:

Höret, wenn ihr jemals mir im Wege stehet, dann schicke ich euch – ich schwöre es – in irgendeinen Winkel, wo ihr auf dem Stroh verrecken könnt.

Dann ging er hinauf und ließ sie in der Laube zurück. Von diesem Tage an gingen die Trouche fast jeden Tag in den Garten; aber sie beobachteten dabei eine gewisse Zurückhaltung; sie vermieden es, in jenen Stunden dort zu sein, wo der Priester mit den Gesellschaften der beiden Gärten plauderte.

Die nächste Woche beklagte sich Olympia so sehr über ihr Zimmer, daß Martha ihnen aus Gefälligkeit das des Serge abtrat, das frei war. Die Trouche bewohnten die zwei Zimmer. Sie schliefen in dem Zimmer des jungen Mannes, aus dem übrigens kein einziges Möbelstück entfernt war; und aus dem anderen machten sie eine Art Salon, für den Rosa auf dem Boden eine alte Samtgarnitur gefunden hatte. Olympia bestellte sich voll Entzücken bei der besten Näherin von Plassans einen rosa Frisiermantel. Mouret, der eines Abends vergessen hatte, daß ihn Martha wegen der Abtretung des Zimmers Serge gefragt, war ganz überrascht, daselbst die Trouche zu finden. Er war hinaufgegangen, um ein Messer zu holen, das der junge Mann in einer Schublade hatte liegen lassen, Trouche schnitzelte gerade mit diesem Messer an einem Stock von Birnenholz herum, den er sich im Garten geschnitten hatte. Mouret entschuldigte sich und ging wieder hinunter.


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