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Achtes Kapitel.

Martha ging am folgenden Tage zuerst zu ihrer Mutter und erklärte ihr das gute Werk, von dem sie träumte. Als die alte Frau lachend den Kopf schüttelte, wurde sie fast böse und gab ihr zu verstehen, daß sie wenig Mitgefühl habe.

Das ist eine Idee des Abbé Faujas, meinte plötzlich Felicité.

Erraten, sagte Martha überrascht. Wir haben lange darüber gesprochen. Wieso weißt du es?

Madame Rougon zuckte leicht mit den Achseln, ohne eine bestimmte Antwort zu geben. Dann erwiderte sie lebhaft:

Meine Liebe, du hast recht. Du mußt eine Beschäftigung haben und die findest du da sehr gut. Es macht mir wirklich Kummer, dich immer in diesem einsamen Hause, das nach Moder riecht, eingeschlossen zu wissen. Nur rechne dabei nicht auf mich, denn ich will mich nicht in deine Angelegenheiten mischen. Man würde dann sagen, ich tue alles und wir seien im Einverständnisse, um der Stadt unsere Gedanken aufzudrängen. Ich wünsche im Gegenteil, daß du ganz allein den Dank für dieses gute Werk erntest. Ich unterstütze dich, wenn du willst, mit meinen Ratschlägen, weiter aber nicht.

Und doch habe ich auf deine Teilnahme an dem Gründungsausschuß gerechnet, erwiderte Martha, die der Gedanke, bei diesem großen Unternehmen allein dazustehen, ein wenig erschreckte.

Nein, nein, meine Anwesenheit würde sicherlich alles verderben. Sage vielmehr herum, daß ich nicht im Ausschuß bin und es dir unter allen möglichen Ausflüchten ausgeschlagen habe ... Laß es sogar durchblicken, daß ich zu deinem Plane kein Vertrauen habe ... Du wirst sehen, das wird diese Damen erst recht zum Beitritt bestimmen ... Sie werden sich freuen, bei einem guten Werke zu sein, an dem ich keinen Anteil habe. Besuche Madame Rastoil, Frau von Condamin, Madame Delangre, Madame Paloque; besonders die letztere wird darüber erfreut sein und dir mehr nützen als alle anderen ... Wenn du in Verlegenheit bist, komme zu mir und frage mich.

Sie begleitete ihre Tochter bis zur Treppe. Hier sah sie ihr lächelnd ins Gesicht und fragte:

Befindet sich der gute Abbé wohl?

Sehr wohl, erwiderte Martha ruhig. Ich gehe jetzt in die Kirche, wo ich mit dem Baumeister des Kirchspiels zusammentreffen werde.

Martha und der Priester hatten gedacht, daß die Dinge noch viel zu sehr in der Luft lägen, als daß sie den Baumeister belästigen müßten. Sie wollten eine Zusammenkunft mit dem letzteren verabreden, der sich jeden Tag in die Kirche begab, wo man eine Kapelle ausbesserte. Hier konnten sie ihn fragen. Als Martha in die Kirche kam, standen Faujas und der Baumeister Lieutaud auf einem Gerüste und plauderten miteinander. Sie stiegen eilends herab; der Abbé, der sich für die Arbeiten ungemein interessierte, war an der einen Schulter ganz weiß vom Kalke.

Um diese Nachmittagsstunde war keine einzige Betende anwesend; das Schiff und die Seitengänge waren leer; in den letzteren standen Stühle wirr durcheinander, die zwei Kirchendiener lärmend ordneten. Von den Leitern herab riefen die Maurer mitten unter dem Gekratze der Kellen einander zu. Die Kirche hatte jetzt ein so wenig religiöses Aussehen, daß Martha sogar vergaß, sich zu bekreuzigen. Sie setzte sich vor die in Ausbesserung befindliche Kapelle zwischen den Abbé Faujas und Lieutaud, wie wenn sie in dem Arbeitszimmer des letzteren sitze und ihn um Rat frage.

Die Unterredung dauerte eine gute halbe Stunde. Der Baumeister gab bereitwilligst Auskunft. Seine Meinung ging dahin, daß es nicht notwendig sei, ein Haus zu erbauen »für das Werk der heiligen Jungfrau«, wie der Abbé es nannte, da dies viel zu hoch komme. Er erklärte, es sei besser, ein fertiges Haus zu kaufen, das man ja zu diesem Zwecke umbauen könne. Er bezeichnete sogar eines in der Vorstadt, das ein Pensionat gewesen, später von einem Futterhändler übernommen und jetzt zu verkaufen war. Mit einigen Tausend Franken lasse sich das alte Haus vollständig umbauen, wobei er Wunder zu wirken versprach: Einen prächtigen Eingang, große Säle und einen Hof mit Bäumen bepflanzt. Allmählich sprachen Martha und der Priester lauter über die einzelnen Punkte unter dem dumpftönenden Gewölbe des Schiffes, während Lieutaud mit seinem Stocke auf den Steinplatten ihnen ein Bild der Vorderseite des Gebäudes zu entwerfen suchte.

Also, es ist abgemacht, sagte Martha, als sie sich von dem Architekten verabschiedete. Sie machen einen kleinen Kostenvoranschlag, damit wir wissen, woran wir sind ... Und dann bitte ich dies als Geheimnis zu betrachten.

Der Abbé begleitete sie bis zu der kleinen Türe der Kirche. Als sie zusammen an dem Hauptaltar vorübergingen und sie weiter mit ihm lebhaft redete, war sie ganz überrascht, ihn plötzlich nicht mehr an ihrer Seite zu finden; sie suchte ihn und fand ihn vor dem großen Kreuze knien, das in Musseline gehüllt war. Dieser mit Kalk beschmutzte Priester, der sich da so inbrünstig niederbeugte, flößte ihr ein sonderbares Gefühl ein. Sie erinnerte sich, an welchem Orte sie sei, sah sich unruhig um und dämpfte ihre Schritte. An der Tür reichte ihr der Priester, der sehr ernst geworden war, schweigend seine vom Weihwasser nassen Finger. Ganz verwirrt bekreuzigte sie sich; dann fiel die Doppeltüre wie mit einem erstickten Seufzer hinter ihr zu.

Martha ging von hier zu Frau von Condamin. Sie fühlte sich glücklich, einmal im Freien durch die Straßen gehen zu können, so daß ihr die kleinen Wege wie ein Ausflug vorkamen. Frau von Condamin nahm sie mit der größten Liebenswürdigkeit auf. Wie selten sie die Madame Mouret besuche! Als sie erfuhr, um was es sich handle, begeisterte sie sich sofort dafür und war zu allen Opfern bereit. Die Dame hatte ein malvenfarbenes Kleid an mit grauen Bändern und lebte in ihrem Zimmer als verbannte Pariserin.

Das ist schön von Ihnen, daß Sie dabei an mich gedacht haben! sagte sie, indem sie Martha die Hände schüttelte. Diese armen Mädchen! Wer soll ihnen denn zu Hilfe kommen als wir, die man beschuldigt, daß wir ihnen durch unseren Luxus ein schlechtes Beispiel geben? ... Dann ist auch der Gedanke schrecklich, diese Kinder allen Schandtaten ausgesetzt zu sehen. Ich bin davon ganz krank geworden ... Verfügen Sie völlig über mich!

Als Martha ihr mitteilte, daß ihre Mutter nicht im Ausschuß sein werde, war jene noch bereitwilliger.

Es ist wirklich schade, daß sie so viel zu tun hat, meinte sie in ironischem Tone, sie hätte uns viel nützen können ... Aber was läßt sich da machen? Wir tun alles, was in unseren Kräften steht. Ich habe einige Freunde; ich werde Seine bischöfliche Gnaden besuchen, kurz Himmel und Erde in Bewegung setzen, wenn es notwendig ist ... Wir haben Erfolg, das verspreche ich Ihnen.

Von Verwaltung und Ausgaben wollte sie nichts hören; man finde das notwendige Geld schon, versicherte sie. Das Werk sollte dem Ausschuß Ehre machen und alles schön und gut sein. Sie fügte lachend hinzu, daß die Ziffern ihr den Kopf toll machten und sie vornehmlich die ersten Schritte und Wege, die allgemeine Gestaltung des Planes übernehme. Die liebe Frau Mouret sei ans Bitten und Sammeln nicht gewöhnt; deshalb werde sie sie auf ihren Gängen begleiten und ihr sogar einige Wege abnehmen. Nach einer Viertelstunde war das Werk ihre Sache, und sie gab jetzt Martha Belehrungen. Als diese fortgehen wollte, trat eben Herr von Condamin ein; sie blieb verlegen stehen und wagte nicht von dem Unternehmen zu sprechen, weil der Forstinspektor nach dem Gerede der Leute ebenfalls in die Sache, die die ganze Stadt beschäftigte, verwickelt war.

Frau von Condamin erklärte ihrem Gatten den großen Plan; er zeigte sich dabei voll Mitgefühl und fand diese Absicht sehr löblich.

Ein solcher Gedanke kann nur dem Kopfe einer Mutter entspringen, sagte er ernst, ohne daß man erraten konnte, ob er sich nicht darüber lustig machte. Plassans wird Ihnen, Madame, seine guten Sitten verdanken.

Ich gestehe Ihnen offen, daß dieser Gedanke von mir nur aufgegriffen wurde, erwiderte Martha, verlegen über dieses Lob. Ich habe ihn von einer Persönlichkeit, die ich ungemein schätze.

Wer ist dies? fragte neugierig Frau von Condamin.

Der Herr Abbé Faujas.

Damit erzählte Martha einfach all das Gute, was sie von dem Priester wußte, wobei sie aber nicht die geringste Anspielung auf das üble Gerede machte, das über diesen Mann umging. Sie stellte ihn als einen Mann hin, der der höchsten Achtung würdig sei und versicherte, sie fühle sich glücklich, ihm ihr Haus geöffnet zu haben. Frau von Condamin hörte zu und nickte zeitweilig mit dem Kopfe.

Ich habe es immer gesagt, rief sie aus, der Abbé Faujas ist ein ausgezeichneter Priester ... Wenn Sie wüßten, wie schlechte Leute es gibt! Aber seitdem Sie ihn empfangen, wagt man nicht mehr so zu sprechen, und alle üblen Nachreden verstummten auf einmal ... Also Sie sagen, der Gedanke ist von ihm? Man muß ihn bestimmen, in den Vordergrund zu treten; bis dahin ist es selbstverständlich, daß wir die Sache als Geheimnis betrachten ... Ich versichere Ihnen, ich habe ihn immer geachtet und in Schutz genommen ...

Ich habe einmal mit ihm gesprochen, sagte der Forstinspektor, und er machte den Eindruck eines sehr gutmütigen Mannes auf mich.

Aber seine Frau hieß ihn durch eine Gebärde schweigen; sie behandelte ihn oft wie einen Diener. Bei der eigentümlichen Ehe, die man Herrn von Condamin vorwarf, traf es sich, daß schließlich er allein die Schande trug; denn die junge Frau, die er sich, man wußte nicht woher geholt, hatte sich bald durch ihre Anmut und liebenswürdige Schönheit die Verzeihung der ganzen Stadt erworben; die Provinzbewohner haben für diese Vorzüge mehr Gefühl, als man glaubt.

Der Forstinspektor sah ein, daß er bei dieser tugendhaften Unterhaltung überflüssig war.

Ich lasse Sie mit dem lieben Gott allein, sagte er mit leichtem Spotte, und rauche unterdessen eine Zigarre ... Octavie, vergiß nicht, rechtzeitig Toilette zu machen, denn wir gehen heute abend auf die Präfektur.

Als er fort war, sprachen die beiden Frauen noch einen Augenblick miteinander, kamen wieder auf den früheren Gegenstand, bemitleideten die armen, verführten Mädchen und begeisterten sich immer mehr für den Gedanken, die Kinder vor der Schande zu schützen. Frau von Condamin eiferte heftig gegen die Ausschweifungen.

Also abgemacht, sagte sie und schüttelte Martha nochmals die Hand, ich bin beim ersten Rufe bei Ihnen ... Wenn Sie Madame Rastoil und Madame Delangre besuchen, sagen Sie ihnen nur, daß ich alles übernehme, sie hätten nur ihre Namen zu leihen ... Nicht wahr, das ist ein guter Gedanke? Wir weichen keinen Strich davon ab ... Meine Empfehlungen an den Abbé Faujas.

Martha begab sich sofort zu Madame Delangre, dann zu Madame Rastoil. Sie fand diese Damen sehr höflich, aber kühler, als Frau von Condamin. Beide zogen die Geldseite des Planes in Betracht, meinten, daß dazu viel Geld notwendig sei und daß es nie durch die öffentliche Mildtätigkeit aufgebracht werden könne, so daß man schließlich zu einem lächerlichen Mißerfolge komme.

Martha wollte sie beruhigen und gab ihnen Ziffern an. Dann wünschten sie zu wissen, welche Damen schon ihre Mitwirkung zugesagt haben. Der Name der Frau von Condamin ließ sie gleichgültig; als sie aber erfuhren, daß Madame Rougon sich entschuldigt habe, erwärmten sie sich mehr für den Plan.

Madame Delangre hatte Martha in dem Kabinett ihres Gatten empfangen. Sie war eine kleine, blasse Frau, unterwürfig wie eine Magd. Ihre Sittenverderbtheit war in Plassans stadtbekannt.

Mein Gott, sagte sie endlich, ich verlange nichts Besseres. Das wäre wirklich eine Schule der Tugend für die Arbeiterkinder, und sehr viele schwache Seelen könnten dadurch gerettet werden. Ich kann Ihnen meine Mitwirkung nicht abschlagen, weil ich weiß, daß ich durch die Stellung meines Mannes, den das Amt eines Bürgermeisters mit allen einflußreichen Leuten in Berührung bringt, Ihnen sehr nützlich sein kann. Nur bitte ich Sie, bis morgen auf meine bestimmte Zusage zu warten, denn unsere Stellung erheischt viel Vorsicht, und ich will darüber erst mit meinem Manne sprechen.

Madame Rastoil, die Martha dann besuchte, war ungemein zimperlich und suchte immer nach Worten, um von den Unglücklichen sprechen zu können, die ihre Pflichten vergessen. Sie war sehr fett und stickte eben mit ihren Töchtern, die sie nach den ersten Worten hinausgehen hieß.

Ich danke Ihnen, daß Sie an mich gedacht haben, sagte sie; aber ich bin jetzt wirklich in Verlegenheit, denn ich gehöre anderen Ausschüssen an, so daß ich nicht weiß, woher ich die Zeit nehmen soll ... Ich hatte denselben Gedanken wie Sie, nur war mein Plan noch größer, vielleicht auch vollständiger. Schon vor einem Monate nahm ich mir vor, zu dem Bischof zu gehen und mit ihm darüber zu sprechen, doch fand ich noch keine Zeit dazu. Wir können ja unsere Kräfte vereinigen. Ich werde Ihnen sagen, wie ich die Sache beurteile, denn ich glaube, daß Sie über viele Punkte im Irrtum sind ... Wenn es sein muß, nehme ich dieses Opfer auch noch auf mich. Mein Mann sagte erst gestern zu mir: Wirklich, du kümmerst dich gar nicht mehr um deine Angelegenheiten, sondern nur um die anderer.

Martha sah sie neugierig an und dachte an ihr altes Verhältnis zu Herrn Delangre, von dem man noch heute in den Kaffees der Promenade Sauvaire sprach. Die Frau des Bürgermeisters und die des Präsidenten nahmen den Namen des Abbé Faujas mit großer Vorsicht auf, besonders letztere, und Martha ärgerte sich ein wenig über das Mißtrauen gegen eine Person, für die sie bürgte. Sie beharrte denn auch bei den guten Eigenschaften des Priesters in so beredten Worten, daß die Frauen schließlich die Verdienste des Priesters zugeben mußten, der so zurückgezogen lebte und für seine Mutter sorgte.

Als Martha Madame Rastoil verließ, brauchte sie, um Madame Paloque zu besuchen, nur über die Straße zu gehen, weil diese am anderen Ende der Balande-Straße wohnte.

Es war schon sieben Uhr, aber sie wollte doch noch diesen Besuch abstatten, wenn sie auch wußte, daß Mouret schon wartete und sie auszanken werde. Die Paloque setzten sich eben in einem kalten Speisezimmer zu Tische, wo man die sorgsam verhüllte provinzielle Armut merkte. Madame Paloque beeilte sich die Suppenschüssel zuzudecken, die sie eben aufgetragen hatte, voll Unmut, bei Tische angetroffen zu werden. Sie war sehr höflich, fast demütig und verlegen über einen Besuch, den sie nicht erwartete. Ihr Mann, der Richter, saß unterdessen vor seinem leeren Teller und stützte die Hände auf die Knie.

Das sind die rechten! rief er, als Martha von den verführten Mädchen sprach. Ich habe heute wieder bei Gericht schöne Dinge gehört. Die Mädchen haben ja selbst ganz ehrbare Männer zur Unzucht aufgefordert ... Sie tun unrecht, Madame, sich für einen solchen Auswurf zu interessieren.

Ich fürchte, sagte Madame Paloque, daß ich Ihnen gar nicht nützlich sein kann. Ich kenne niemanden, und mein Mann läßt sich eher eine Hand abhauen, als daß er das Geringste verlangen würde. Wir haben uns aus Ekel vor all den Ungerechtigkeiten, die wir gesehen, ganz zurückgezogen. Wir leben hier bescheiden, überglücklich, daß man uns vergißt ... Sollte man meinem Manne eine Beförderung anbieten, er würde es ausschlagen, nicht wahr, lieber Mann?

Der Bezirksrichter nickte mit dem Kopfe. Beide sahen sich lächelnd an, und Martha war diesen schrecklichen Gesichtern gegenüber in Verlegenheit, die vor Galle gelb waren und sich so gut auf die Komödie eines heuchlerischen Verzichtes verstanden. Zum Glück erinnerte sich Martha der Ratschläge ihrer Mutter.

Ich habe aber doch auf Sie gerechnet, sagte sie im liebenswürdigsten Tone. Wir werden alle Damen für uns haben, so Madame Delangre, Madame Rastoil, Frau von Condamin; aber, unter uns gesagt, geben diese Damen nur ihren Namen her. Ich hätte gern eine sehr achtungsvolle, hingebende Persönlichkeit gehabt, die die Sache mehr mit dem Herzen anfaßt, und da dachte ich an Sie ... Bedenken Sie wie dankbar uns Plassans sein wird, wenn wir ein solches Unternehmen zu einem guten Abschlüsse bringen!

Gewiß, gewiß, erwiderte Madame Paloque, entzückt über die schönen Worte.

Dann tun Sie auch unrecht, wenn Sie sich für so machtlos halten. Man weiß, daß Herr Paloque auf der Unterpräfektur sehr gut angeschrieben ist und, unter uns gesagt, man sieht ja in ihm den Nachfolger des Herrn von Rastoil. Bitte, bitte! Ihre Verdienste sind bekannt, und Sie verbergen sich vergebens. Dies ist eine ausgezeichnete Gelegenheit für Madame Paloque, ein wenig aus dem Schatten herauszutreten, in dem sie sich hält, und zu zeigen, welcher Geist und welches Herz in ihr wohnen.

Der Richter rückte unruhig hin und her; er sah seine Frau blinzelnd an.

Meine Frau hat es ja nicht abgeschlagen, sagte er.

Nein, das nicht, erwiderte diese. Sie brauchen mich; das genügt. Ich mache vielleicht nochmals eine Dummheit und gebe mir viele Mühe, für die ich keinen Dank ernte. Fragen Sie meinen Mann, was wir Gutes getan haben, ohne etwas zu sagen. Sie sehen, wie weit wir dabei gekommen sind ... Ändern können wir uns nicht. Wir bleiben immer die Betrogenen. Rechnen Sie auf mich, liebe Frau.

Die Paloque erhoben sich; Martha empfahl sich ihnen und dankte ihnen für ihre Hingebung. Als sie einen Augenblick auf der Stiege stehen blieb, um ihren eingezwängten Rock freizumachen, hörte sie hinter der Türe lebhaft sprechen:

Sie suchen dich auf, weil sie dich brauchen, sagte der Richter heftig. Du sollst ihnen die Kastanien aus dem Feuer holen.

Freilich, erwiderte seine Frau; aber sie sollen es mir vergelten mit allem übrigen.

Als Martha nach Hause kam, war es fast acht Uhr. Mouret wartete schon seit einer guten halben Stunde auf das Essen, weshalb sie eine Szene fürchtete. Als sie sich aber umgekleidet hatte und in das Speisezimmer trat, saß ihr Gatte rittlings auf einem Sessel und trommelte mit den Fingern auf dem Tischtuche herum. Er war heute schrecklich in seinem Hohne.

Ich dachte schon, meinte er, du wolltest heute in einem Beichtstuhle übernachten. Wenn du wieder in die Kirche gehst, so sage es mir vorher, damit ich auswärts soupiere, wenn du bei den Priestern eingeladen bist.

In diesem Tone ging es fort während des ganzen Essens, so daß Martha darunter mehr litt, als wenn er gezankt hätte. Einigemal sah sie ihn flehentlich an und bat ihn, sie in Ruhe zu lassen, aber das reizte ihn nur noch mehr. Octave und Desirée lachten; Serge schwieg und ergriff damit die Partei seiner Mutter. Während des Nachtisches meldete Rosa ganz erschrocken den Besuch des Herrn Delangre, der mit der gnädigen Frau zu sprechen wünsche.

Ei, du hältst es auch mit den Behörden? höhnte Mouret.

Martha empfing den Bürgermeister im Salon. Dieser, ein sehr hebenswürdiger, fast galanter Mann, sagte, daß er es nicht auf den folgenden Tag verschieben könne, ihr zu diesem edlen Gedanken Glück zu wünschen. Seine Frau sei ein wenig ängstlich und habe unrecht gehabt, nicht sofort ihre Mitwirkung zuzusagen; er komme daher selbst, um in ihrem Namen die Antwort zu bringen, daß sie sich sehr geschmeichelt fühle, dem Ausschuß der Leiterinnen dieses Werkes anzugehören; er wolle sein möglichstes zur Förderung dieses so nützlichen Planes beitragen. Martha begleitete ihn bis zu der Haustüre, wo er, während Rosa noch auf die Straße hinausleuchtete, hinzufügte:

Sagen Sie dem Abbé Faujas, daß ich mich glücklich schätzen würde, wenn er mich einmal besuchen wollte. Es gibt eine ähnliche Anstalt in Besançon, er kann mir also die beste Auskunft geben. Ich setze durch, daß die Stadt wenigstens das Haus bezahlt. Auf Wiedersehen, gnädige Frau! Eine Empfehlung an den Herrn Mouret, den ich nicht stören will.

Als um acht Uhr der Abbé mit seiner Mutter herunterkam, sagte Mouret zu ihm:

Sie haben mir heute meine Frau genommen. Verderben Sie mir sie nicht ganz und machen Sie nur keine Heilige aus ihr.

Dann vertiefte er sich wieder in das Kartenspiel, denn er hatte an Madame Faujas eine furchtbare Revanche zu nehmen, weil er an drei Tagen verloren hatte.

Martha erzählte dem Priester alle Schritte, die sie getan, wobei sie noch ganz in Aufregung war über den außer dem Hause zugebrachten Nachmittag. Der Abbé ließ sich nochmals einige Einzelheiten erzählen; er versprach, dem Herrn Delangre seinen Besuch zu machen, obwohl er lieber im Hintergrunde geblieben wäre.

Es ist nicht recht gewesen, daß Sie gleich meinen Namen nannten, sagte er in unsanftem Tone zu ihr, als er sie so bewegt und eifrig sah. Aber so sind die Frauen immer, die besten Dinge verderben in ihren Händen.

Sie sah ihn überrascht an, da sie auf einen solchen Ausfall nicht gefaßt war; sie fühlte eine Angst, die sie manchmal bei dem Anblicke seines schwarzen Talars empfand. Es kam ihr vor, als wenn sich eiserne Hände auf ihre Schultern legten und sie niederdrückten. In den Augen eines Priesters ist die Frau immer die Feindin. Als er ihre Aufregung bemerkte, dämpfte er seine Stimme und sagte:

Ich denke nur an den Erfolg Ihres edlen Werkes ... Ich fürchte, seinen Erfolg zu gefährden, wenn ich mich damit beschäftige. Sie wissen, daß ich in der Stadt nicht sehr beliebt bin.

Als Martha diese demütigen Worte hörte, versicherte sie ihm, daß er sich täusche und alle Damen von ihm nur das Beste sprächen. Man wisse, daß er seine Mutter unterstütze und ein zurückgezogenes Leben führe, das jedes Lobes wert sei. Hierauf sprachen sie bis elf Uhr von dem großen Plane, wobei sie die kleinsten Einzelheiten in Betracht zogen. Es war ein schöner Abend.

Mouret hatte während des Spieles einige Worte aufgefangen.

Ihr wollt das Verbrechen um die Wette aus der Welt schaffen ... Das ist eine schöne Sache. So sprach er, als sie schlafen gingen.

Drei Tage später bildete sich der Damenausschuß, der Martha zur Vorsitzenden wählte; diese schlug auf Anraten ihrer Mutter hin, die sie insgeheim um Rat gefragt, Frau Paloque zur Kassenverwalterin vor. Beide gaben sich große Mühe, verfaßten Rundschreiben und besorgten hunderterlei Kleinigkeiten. Unterdessen ging Frau von Condamin von der Unterpräfektur in die bischöfliche Residenz und von da zu den einflußreichen Persönlichkeiten; mit großer Anmut erklärte sie »den glücklichen Plan, den sie ersonnen«, führte dabei wunderbare Toiletten ins Treffen und sammelte Almosen und Versprechungen zur Unterstützung. Madame Rastoil erzählte den Priestern, die sie jeden Dienstag empfing, fromm, wie ihr der Gedanke gekommen sei, soviele unglückliche Kinder vor dem Laster zu retten, wobei sie sich damit begnügte, den Abbé Bourrette zu ersuchen, bei den Schwestern vom heiligen Joseph Schritte zu tun, sie zu der Übernahme der inneren Verwaltung des Hauses zu bewegen. Madame Delangre teilte wieder den kleinen Beamten im Vertrauen mit, daß die Stadt diese Einrichtung ihrem Gatten verdanke, denn der Ausschuß habe nur von ihm die Bewilligung erhalten, seine Sitzungen in einem Zimmer des Rathauses abzuhalten. Ganz Plassans war durch dieses fromme Werk in Aufruhr gebracht, und man sprach bald von nichts anderem als von dem Werke der heiligen Jungfrau. Man stimmte überall Lobeslieder an, die Bekannten einer jeden Gönnerin beteiligten sich daran und jeder kleine Kreis arbeitete an dem Erfolge des Unternehmens. Die Einzeichnungslisten, die in den drei Bezirken im Umlaufe waren, kamen schon binnen acht Tagen ganz ausgefüllt zurück. Als der »Anzeiger von Plassans« diese Listen mit den Beiträgen veröffentlichte, erwachte die Eigenliebe, und die hervorragendsten Familien suchten einander an Hochherzigkeit zu übertreffen.

Unterdessen wurde mitten in diesem Aufruhr oft der Abbé Faujas genannt. Obgleich jede Gönnerin das Projekt sich allein zuschrieb, wollte man doch wissen, daß der Abbé es von Besançon mitgebracht habe. Herr Delangre erkannte es in der Gemeinderatssitzung an, wo der Kauf des Hauses, das von dem bischöflichen Baumeister als geeignet befunden war, bewilligt wurde. Den Abend zuvor hatte der Bürgermeister eine lange Unterredung mit dem Priester, und sie waren mit warmem Händedruck geschieden. Der Stadtsekretär hatte sie sogar sich mit »Lieber Herr« anreden hören, was einen förmlichen Umschwung zugunsten des Abbé verursachte. Er hatte von da an eine Partei, die ihn gegen seine Feinde verteidigte. Die Mouret waren der Schutz des Abbé geworden. Da ihn Martha als den Urheber eines guten Werkes bezeichnete, dessen Vaterschaft er aus Bescheidenheit leugnete, ging er jetzt nicht mehr mit gesenktem Kopfe längs der Häuser dahin. Er zeigte von jetzt an seinen neuen Talar im Sonnenschein, ging mitten auf der Straße und mußte von der Balande-Straße bis zur Kirche Saint-Saturnin eine Menge Grüße erwidern. Eines Sonntags sprach ihn Frau von Condamin, als er aus der Vesper kam, auf dem Bischofsplatze an und unterhielt sich mit ihm fast eine halbe Stunde.

Nun, Herr Abbé, sagte Mouret lachend zu ihm. Sie stehen schon im Gerüche eines Heiligen ... Und vor einem halben Jahre war ich der einzige, der Sie verteidigte. Doch an ihrer Stelle würde ich nicht allzu vertrauensselig sein. Sie haben noch immer den Bischof und dessen Umgebung gegen sich.

Der Priester zuckte leicht mit den Achseln, denn es war ihm nicht unbekannt, daß die Anfeindungen, die er noch zu erdulden hatte, von dem Klerus herrührten. Der Abbé Fenil hielt den Bischof Rousselot ganz am Gängelbande. Gegen Ende März, als der Großvikar eine kleine Reise antrat, schien der Abbé Faujas diese Gelegenheit zu benützen, um dem Bischof einige Besuche zu machen. Der Abbé Surin, der Geheimsekretär, erzählte, daß »dieser Teufelsmensch« stundenlang mit dem Bischof eingeschlossen blieb und daß letzterer nach diesen langen Unterredungen sehr schlechter Laune war. Als der Abbé Fenil zurückkam, stellte Faujas seine Besuche ein und verschwand von neuem vor ihm. Aber der Bischof blieb sehr unruhig: Es war klar, daß in seinem bisherigen Wohlbehagen eines sorglosen Prälaten ein großer Umschwung eingetreten sei. Bei einem Essen, das er der Geistlichkeit gab, war er besonders gegen den Abbé Faujas liebenswürdig, den demütigen Vikar von Saint-Saturnin. Der Abbé Fenil biß seit dieser Zeit oft die Lippen zusammen, und seine Beichtkinder konnten ihn in Zorn bringen, wenn sie sich teilnahmvoll nach seinem Befinden erkundigten.

Für den Abbé Faujas war die Zeit der Gemütsfreudigkeit gekommen. Er lebte zwar immer noch so streng, aber er war heiterer und liebenswürdiger. An einem Dienstage abend triumphierte er vollständig. Er war nämlich an das Fenster getreten, um die erste Wärme des Frühlings zu genießen, als die Gesellschaft des Herrn Péqueur des Saulaies in den Garten hinabstieg und ihn von ferne begrüßte. Frau von Condamin ging so weit, daß sie mit dem Sacktuche winkte. Aber in demselben Augenblicke nahm auf der anderen Seite die Gesellschaft des Herrn Rastoil vor dem Wasserfalle auf Gartenstühlen Platz. Herr Delangre lehnte an der Terrasse der Präfektur und beobachtete, was bei dem Richter vorging, und sah dank dem Abhänge über den Garten Mourets hinüber.

Sie sollen sehen, sie bemerken ihn gar nicht.

Er täuschte sich. Der Abbé Fenil drehte sich wie zufällig um und zog den Hut. Dann taten es alle übrigen Priester, die da waren, und der Abbé Faujas erwiderte den Gruß. Dann schloß er, nachdem er rechts und links noch einmal die Gesellschaften überblickt hatte, das Fenster und zog die verschwiegenen, weißen Vorhänge zu.


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