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Zweites Kapitel.

Mouret machte eine ärgerliche Gebärde, denn er hatte seinen Mieter erst für übermorgen erwartet. Er stand rasch auf, doch der Abbé erschien schon an der Türe. Es war ein großer, starker Mann mit viereckigem Gesicht, breit ausgeprägten Zügen und fahler Farbe. Hinter ihm stand eine ältliche Frau, die ihm auffallend ähnelte, aber kleiner war und rohere Züge hatte. Als die Ankömmlinge den gedeckten Tisch erblickten, machten beide eine zögernde Bewegung und wichen zurück, ohne aber sich zu entfernen. Die hohe Gestalt des Priesters warf einen dunklen Schatten an die mit Kalk weißgetünchte, helle Wand.

Verzeihen Sie, daß wir stören, sagte er zu Mouret. Wir kommen von dem Abbé Bourrette; er hat Sie doch in Kenntnis gesetzt?

Durchaus nicht, rief Mouret. Der Abbé macht immer solche Streiche! Er schwebt immer in höheren Sphären. Noch heute früh sagte er mir, Sie würden erst in zwei Tagen eintreffen ... Jetzt sind Sie aber da und müssen sich einrichten, so gut es eben geht.

Der Abbé Faujas entschuldigte sich. Er hatte eine tiefe Stimme mit sanftem Tonfall. Er sei wirklich trostlos, zu einer solch ungelegenen Stunde gekommen zu sein. Nachdem er in wenigen, aber gewählten Worten sein Bedauern ausgedrückt hatte, wandte er sich um und bezahlte den Gepäckträger. Seine großen, dicken Hände zogen aus einer Falte seines Talars eine Börse, von der man nur die Ringe bemerkte. Er wühlte einen Augenblick vorsichtig gesenkten Hauptes darin herum und befühlte die Münzen, darauf entfernte sich der Träger, ohne daß man gesehen hätte, was ihm gegeben war. Der Abbé sagte dann höflich:

Ich bitte Sie, mein Herr, sich nicht stören zu lassen ... Ihre Dienerin kann mir ja die Wohnung zeigen und mein Gepäck hier mit hinauftragen.

Mit diesen Worten bückte er sich und faßte den Griff eines kleinen hölzernen Koffers, der durch Blechbeschläge geschützt war und an den Seiten eine Reparatur durch eine quer befestigte Latte erkennen ließ. Mouret suchte mit erstaunten Blicken das übrige Gepäck des Priesters, bemerkte aber nur einen großen Handkorb, den die Frau krampfhaft vor sich in den Händen hielt und trotz ihrer Ermüdung nicht auf den Boden setzen wollte. Da der Deckel ein wenig emporstand, sah man deutlich neben einiger Wäsche einen in Papier eingewickelten Kamm und den Hals einer schlecht verkorkten Flasche.

Lassen Sie nur stehen, sagte Mouret und stieß leicht mit dem Fuße an den Koffer. Er ist nicht schwer, Rosa kann ihn ganz leicht allein hinauftragen.

Er dachte gar nicht daran, welche Verachtung eigentlich in seinen Worten lag. Die alte Frau sah ihn mit ihren schwarzen Augen scharf an, dann ließ sie ihre Blicke wieder über den Tisch gleiten, den sie beobachtete, seitdem sie da war; mit eingekniffenen Lippen unterzog sie jeden Gegenstand einer genauen Prüfung. Sie hatte noch kein Wort gesprochen. Abbé Faujas ließ es schließlich doch zu, daß der Koffer hinaufgetragen werde. In dem gelben Staube der Sonnenstrahlen, die durch die Türe hereinfielen, erschien sein abgenützter Talar rötlich; und die Säume zeigten deutliche Ausbesserungen. Trotz der Reinlichkeit sah das Priesterkleid so abgenutzt, so ärmlich aus, daß sich Martha, die bis jetzt sitzen geblieben war, voll Unruhe erhob. Der Abbé, der nur einen flüchtigen Blick auf sie geworfen hatte, sah sie doch aufstehen, ohne daß er sie anzusehen schien.

Ich bitte Sie, sagte er noch einmal, sich nicht stören zu lassen. Es wäre uns sehr unangenehm, wenn Sie um unseretwillen vom Essen aufstehen sollten.

Gut, erwiderte Mouret, der Hunger hatte, Rosa wird Sie hinaufführen. Verlangen Sie von ihr alles, was Sie brauchen ... Richten Sie sich ganz so ein, wie es Ihre Bequemlichkeit verlangt.

Der Abbé grüßte und ging schon auf die Treppe zu, als Martha sich ihrem Gatten näherte und leise sagte:

Aber du vergißt ...

Was denn? fragte er, als er sah, daß sie zögerte.

Das Obst, du weißt es doch.

Richtig! Du hast recht. Es ist ja Obst oben! rief er bestürzt aus.

Als der Abbé sich mit einem fragenden Blicke umwandte, sagte Mouret zu ihm:

Es ist wahrhaftig ärgerlich. Abbé Bourrette ist gewiß ein würdiger Mann, nur ist es unangenehm, daß Sie ihn mit dieser Angelegenheit betraut haben ... Er hat nicht für zwei Pfennige Überlegung ... Wenn wir es gewußt hätten, würden wir alles vorbereitet haben. Jetzt müssen wir aber erst eine Räumung vornehmen ... Sie sehen ein, daß wir die Zimmer nicht ganz leer stehen lassen konnten, und so haben wir denn auf dem Fußboden unsere ganze Obsternte ausgebreitet: Feigen, Äpfel, Wein ...

Der Priester konnte trotz seiner großen Höflichkeit seine Überraschung nicht verbergen.

Es wird nicht lange dauern, fuhr Mouret fort. Wollen Sie sich nur zehn Minuten gedulden, Rosa ist gleich damit fertig, Ihre Stuben zu räumen.

Auf dem Gesichte des Abbés zeigte sich eine auffallende Unruhe.

Die Wohnung ist möbliert, nicht wahr? fragte er.

Nein, es ist kein einziges Möbel darin. Wir haben sie nie bewohnt.

Jetzt verlor der Priester seine Ruhe. In den grauen Augen leuchtete es auf und er erwiderte in heftigem Tone:

Was? Ich habe doch in meinem Briefe nur eine möblierte Wohnung verlangt. In meinem Koffer konnte ich mir doch nicht Möbel mitbringen.

Dieser Bourrette ist ein fürchterlicher Mensch! rief Mouret erregt. Er war hier, sah sicher auch die Äpfel; denn er nahm einen in die Hand und sagte noch, daß er nie so schöne gesehen habe; dann erklärte er, daß ihm alles gefalle und daß er die Wohnung miete.

Abbé Faujas hörte nichts mehr. In seinen Wangen stieg die Zornesröte empor und mit zitternder Stimme sagte er zu der Frau:

Mutter, hörst du? Die Wohnung ist nicht möbliert.

Die alte Frau hatte soeben das Erdgeschoß mit einigen flüchtigen Schritten besichtigt, ohne ihren Korb wegzustellen.

Sie war bis zur Küchentüre gekommen, hatte einen Blick hineingeworfen, war dann zur Freitreppe gelangt, von wo sie gleichsam den Garten in Besitz nahm. Aber am meisten interessierte sie das Speisezimmer und der gedeckte Tisch, auf dem die dampfende Suppe stand.

Ihr Sohn sagte nochmals:

Hörst du, Mutter? Wir müssen ins Gasthaus gehen.

Sie sah ihn an, ohne eine Antwort zu geben. Aber ihre Gesichtszüge zeigten deutlich, daß sie nicht gesonnen sei, dieses Haus zu verlassen, in dem sie schon alle Winkel kannte. Sie zuckte mit den Achseln, während ihre Augen von der Küche in den Garten und von dem Garten in den Speisesaal schweiften.

Jetzt wurde Mouret unruhig, denn es entging ihm nicht, daß weder die Mutter noch der Sohn gesonnen sei, vom Platze zu weichen.

Unglücklicherweise, sagte er, haben wir keine Betten. Auf dem Dachboden steht zwar ein Gurtbett, mit dem sich die Frau bis morgen begnügen könnte, aber ich wüßte wirklich nicht, wohin ich den Herrn Abbé legen sollte.

Jetzt öffnete Frau Faujas den Mund und erwiderte mit heiserer Stimme:

Mein Sohn legt sich auf das Gurtbett ... Ich begnüge mich mit einer Matratze auf der Erde in einem Winkel.

Der Abbé nickte zustimmend mit dem Kopfe. Mouret wollte widersprechen und suchte nach einem anderen Auskunftsmittel, aber vor den zufriedenen Blicken seiner neuen Mieter schwieg er und wechselte nur mit seiner Frau einen Blick des Erstaunens.

Morgen früh, sagte er in seinem spöttischen Tone, können Sie sich dann einrichten, wie Sie wollen. Rosa schafft das Obst weg und macht die Betten. Wenn Sie unterdessen auf der Terrasse warten wollen ... Kinder, zwei Stühle, schnell!

Die Kinder waren die ganze Zeit seit der Ankunft des Abbés ruhig an dem Tische sitzen geblieben. Der Priester wollte sie nicht bemerken, aber Frau Faujas hatte ihnen einen stechenden Blick zugeworfen, als wolle sie mit einem Schlage diese jungen Köpfe durchdringen. Als die Kinder die Worte ihres Vaters vernahmen, sprangen sie alle auf und trugen Stühle hinaus.

Die alte Frau setzte sich nicht. Als Mouret sich umdrehte, bemerkte er sie vor einem halb offenen Fenster des Salons stehen und ihre Besichtigung fortsetzen ruhig und behaglich wie eine Person, die eine verkäufliche Besitzung besichtigt. In dem Augenblicke, als Rosa den Handkoffer aufhob, trat sie wieder in das Vorderhaus und sagte:

Ich helfe Ihnen.

Mit diesen Worten ging sie hinter der Dienerin die Treppe hinauf.

Der Priester ließ sie ruhig gewähren; er lächelte den drei Kindern zu, die vor ihm standen. Sein Gesicht konnte, wenn er wollte, trotz der Härte und den rohen Zügen um den Mund ungemein mild erscheinen.

Ist dies Ihre ganze Familie? fragte er Martha, die näher getreten war.

Ja, mein Herr, erwiderte sie, vor dem scharfen Blicke des Mannes sich befangen fühlend.

Die beiden Söhne werden bald Männer sein, fuhr er fort ... Haben Sie Ihre Studien schon beendet, fragte er Serge.

Mouret antwortete selbst:

Er ist schon fertig, obwohl er der Jüngere ist. Wenn ich sage »fertig«, so will ich damit sagen, daß er die Reifeprüfung hinter sich hat; jetzt besucht er das Kollegium wieder, um ein Jahr Philosophie zu hören. Er ist der Gescheite in der Familie ... Der andere, der Ältere, der große Tölpel da, taugt nicht viel. Er ist schon zweimal bei der Prüfung durchgefallen; ein Nichtsnutz, der nur immer an tolle Streiche denkt.

Octave hörte diese Vorwürfe lächelnd an, während Serge bei seiner Belobung den Kopf senkte. Faujas schien sie noch einen Augenblick still zu prüfen, dann trat er auf Desirée zu und sein Gesicht nahm wieder einen zärtlichen Ausdruck an.

Darf ich Ihr Freund sein, Fräulein? fragte er.

Sie gab keine Antwort, sondern verbarg, fast erschreckt, das Gesicht an der Schulter ihrer Mutter. Diese drückte sie noch mehr an sich und legte den Arm um sie.

Sie müssen sie entschuldigen, sagte die Mutter ernst; sie ist ein Kind geblieben ... Ihr Verstand ist schwach, und wir plagen sie nicht mit dem Lernen. Sie ist jetzt vierzehn Jahre alt, und ihre ganze Freude bilden nur die Tiere.

Das Mädchen beruhigte sich unter den Liebkosungen der Mutter, sah hinter ihr auf und lächelte; dann sagte sie:

Ich möchte wohl, daß Sie mein Freund seien ... Nur dürfen Sie den Fliegen nichts zuleide tun.

Da alle bei diesen Worten lachten, fuhr sie ernst fort:

Octave tötet immer die Fliegen; das ist schlecht von ihm.

Der Abbé Faujas hatte sich niedergesetzt und schien sehr müde zu sein. Einen Augenblick gab er sich der warmen Ruhe hin, die auf dieser Terrasse lag, und ließ seine Blicke über den Garten und die Bäume der benachbarten Besitzungen schweifen. Diese tiefe Ruhe in dem stillen Winkel des Städtchens überraschte ihn, und die Schatten des Ernstes legten sich auf sein Antlitz.

Hier ist es schön, sagte er leise.

Darauf verfiel er wie geistesabwesend in ein tiefes Schweigen, so daß er erschreckt zusammenfuhr, als Mouret zu ihm sagte:

Wenn Sie erlauben, mein Herr, gehen wir jetzt zu Tische.

Auf einen Blick der Frau hin fügte er hinzu:

Ich bitte das gleiche zu tun und einen Teller Suppe anzunehmen. Auf diese Weise brauchen Sie nicht in das Gasthaus zu gehen. Bitte ... machen Sie keine Umstände.

Ich danke Ihnen herzlichst, aber wir haben gar keinen Hunger, erwiderte der Abbé ungemein höflich, so daß eine zweite Aufforderung ganz unnütz war.

Hierauf begaben sich die Mouret wieder in das Speisezimmer, wo sie sich zu Tische setzten. Martha teilte die Suppe aus, man klapperte lustig mit den Löffeln, und die Kinder plauderten. Desirée lachte hell auf, da ihr der Vater eine Geschichte erzählte voller Freude, daß es endlich ans Essen ging. Unterdessen saß der Abbé unbeweglich auf der Terrasse und schien gar nichts zu hören. Als die Sonne unterging, nahm er den Hut ab, weil ihm zu heiß war. Martha, die bei dem Fenster saß, sah seinen großen, dicken Kopf mit kurzen Haaren, die an der Schläfe schon ergrauten. Ein letzter roter Sonnenstrahl beleuchtete diesen rauhen Soldatenschädel, auf dem sich die Tonsur wie die Narbe von einem Keulenschlage ausnahm. Dann verschwand das Sonnenlicht; die Schatten des Abends hüllten den Priester ein, und er war nur mehr ein schwarzes Profil in dem Aschgrau der Dämmerung.

Martha wollte Rosa nicht rufen und holte deshalb selbst eine Lampe, worauf sie den ersten Gang auftrug. Als sie aus der Küche kam, begegnete sie am Fuße der Treppe einer Frau, die sie zuerst nicht erkannte. Es war Frau Faujas, die jetzt ein weißes Häubchen auf hatte und in ihrem wollenen Kleide, das über der Brust von einem rückwärts zusammengebundenen gelben Tuche bedeckt war, ganz wie eine Magd aussah. Sie keuchte noch von der soeben vollbrachten Arbeit, als sie in ihren plumpen Schuhen über den Korridor dahinschlürfte.

Sind Sie fertig, Madame? fragte Martha lächelnd. Ja, erwiderte sie, im Handumdrehen war alles gemacht. Dann ging sie die Freitreppe hinunter und rief ihrem Sohne zu:

Ovide! Liebes Kind! Willst du nicht hinaufgehen? Es ist alles bereit!

Sie mußte ihren Sohn bei der Schulter berühren, um ihn aus seinen Träumereien zu reißen. Da es kühl wurde und ihn schon fröstelte, folgte er ihr, ohne ein Wort zu sagen. Als er an der Tür des Speisezimmers vorüberging, das in dem Lichte der Lampe erstrahlte und das Geplauder der Kinder ertönte, rief er hinein:

Gestatten Sie mir, Ihnen nochmals zu danken und Sie für unsere Störung um Entschuldigung zu bitten ... Wir sind ganz trostlos ...

Aber gar keine Ursache! Gar keine Ursache! rief Mouret. Nur wir müssen bedauern, daß wir Sie für diese Nacht nicht besser unterbringen können.

Der Priester grüßte und Martha sah neuerdings diesen starren Adlerblick, der sie schon das erstemal beunruhigt hatte. Es kam ihr vor, als leuchte es in den Augen dieses Mannes plötzlich auf gleich Lampen, die nachts an den schlafenden Häusern vorbeigetragen werden.

Der Herr Pfarrer scheint recht feurige Augen zu haben, sagte Mouret spöttisch, als die beiden hinaufgegangen waren.

Ich halte sie für nicht sehr glücklich, erwiderte Martha leise.

Großen Reichtum bringt er nicht mit ... Sein Koffer ist federleicht. Ich hätte ihn mit dem kleinen Finger aufheben können.

Doch er wurde von Rosa unterbrochen, die soeben über die Treppe heruntergelaufen kam, um all das Merkwürdige zu berichten, das sie gesehen.

Die kann arbeiten! sagte sie, indem sie sich an den Tisch stellte, wo die Herrschaft aß. Die Frau ist wenigstens fünfundsechzig Jahre alt. Das sieht man ihr aber kaum an. Sie arbeitet wie ein Pferd!

Hat sie dir beim Wegräumen des Obstes geholfen? fragte Mouret neugierig.

Freilich, gnädiger Herr. So trug sie das Obst in ihrer Schürze weg; dabei nahm sie so viel, daß sie zu reißen drohte. Ich sagte zu mir: »Das Zeug muß reißen,« aber es riß doch nicht, denn der Stoff ist so gut wie der meinige. Wir sind wenigstens zehnmal hin und her gegangen, und ich spürte dann kaum mehr meine Arme. Ihr war es aber immer noch zu langsam, und sie zankte, nein, sie fluchte sogar, mit Respekt zu sagen.

Mouret schienen diese Worte zu belustigen.

Und die Betten? fragte er weiter.

Die Betten hat sie gemacht ... Die muß man sehen, wie sie einen Strohsack aufschüttelt! Sie packt ihn bei einem Ende an und wirft ihn wie eine Feder in die Luft ... Dabei ist. sie aber ungemein genau ... Sie machte das Bett, als wolle sie das liebe Jesukindlein hineinlegen ... Von vier Decken legte sie drei auf das Bett. Alle beiden Polster gab sie ihrem Sohne; sie wollte keinen haben.

So schläft sie auf der Erde?

In einem Winkel wie ein Hund. Sie warf eine Matratze auf den Fußboden in dem anderen Zimmer, und erklärte, sie schlafe dort besser als im Paradiese. Ich konnte sie durchaus nicht dazu bringen, sich ein besseres Lager zu machen. Sie sagte, es friere sie nie, und sie habe einen viel zu dicken Schädel, um die Fliesen des Fußbodens zu fürchten ... Ich brachte ihnen dann Wasser und Zucker, wie es die gnädige Frau mir anbefohlen hatte ... Kurz und gut, solch drollige Leute habe ich noch nicht gesehen.

Rosa bediente weiter; die Mouret ließen sich diesen Abend mit dem Essen Zeit und kamen immer wieder auf die Mieter zu sprechen. In ihrer Lebensweise, die regelmäßig wie eine Uhr war, mußte die Ankunft der Fremden ein großes Ereignis sein. Sie sprachen von ihnen wie von einer Katastrophe mit jener Weitschweifigkeit, mit der man in der Provinz spricht, um die langen Abende totzuschlagen. Mouret besonders hatte seine Freude an dem kleinstädtischen Tratsch und sagte immer wieder bei dem Nachtisch mit der zufriedenen Miene eines glücklichen Menschen:

Besançon hat Plassans kein hübsches Geschenk damit gemacht ... Habt ihr rückwärts seinen Talar gesehen, als er sich umdrehte? ... Es soll mich sehr wundern, ob die Betschwestern einem solchen schäbigen Rocke nachlaufen! Die Betschwestern haben nur hübsche Pfarrer lieb!

Seine Stimme ist aber mild, sagte Martha, die nachsichtig war.

Aber nicht, wenn er in Aufregung gerät, versetzte Mouret. Hast du nicht bemerkt, wie er sich ärgerte, als er vernahm, daß die Wohnung nicht möbliert sei? Er ist ein roher Mensch. Ich bin nur neugierig, wie er sich morgen einrichtet – vorausgesetzt, daß er zahlt. Wenn nicht, so halte ich mich nur an den Abbé Bourrette.

Die Familie war wenig fromm. Selbst die Kinder machten sich über den Abbé und seine Mutter lustig. Octave ahmte die alte Frau nach, wie sie den Hals vorstreckte, um in jedes Zimmer hineinsehen zu können, worüber Desiree nicht wenig lachte.

Serge, der ernster war, nahm »diese armen Leute« in Schutz.

Sonst nahm Mouret immer um zehn Uhr, wenn er nicht eine Partie Piquet spielte, den Leuchter in die Hand und ging schlafen; aber heute hielt er sich noch um elf Uhr tapfer gegen den Schlaf. Desiree war schließlich eingeschlafen, mit dem Kopfe auf den Knien der Mutter liegend; auch die beiden Knaben waren schon in ihr Zimmer hinaufgegangen. Mouret plauderte immer noch mit seiner Frau.

Für wie alt hältst du ihn? fragte er plötzlich.

Wen? entgegnete Martha, die auch schon zu schlummern begann.

Nun, den Abbé! Für vierzig bis fünfundvierzig Jahre, nicht wahr? Schade, daß er die Kutte trägt! Er hätte einen schönen Soldaten abgegeben.

Fach einer kleinen Pause erging er sich mit lauter Stimme in Betrachtungen, die ihn ganz träumerisch machten:

Sie sind mit dem Zuge um 6 Uhr 45 Minuten angekommen und haben daher gerade noch Zeit gehabt, sich zu dem Abbé Bourrette zu begeben und dann hierherzukommen ... Ich wette, sie haben gegessen! Wir hätten sie ja sonst in das Gasthaus gehen sehen ... Ich möchte wirklich gern wissen, wo sie gespeist haben.

Rosa ging seit einigen Augenblicken in dem Speisezimmer hin und her und wartete, bis ihre Herrschaft schlafen ging; denn sie wollte die Türen und Fenster schließen.

Ich weiß, wo sie gegessen haben, sagte sie.

Mouret drehte sich erstaunt nach ihr um.

Ja, ich war wieder hinaufgegangen, um zu fragen, ob sie nichts brauchten; da sich in dem Zimmer nichts hören ließ, habe ich durch das Schlüsselloch geschaut.

Das schickt sich aber durchaus nicht, unterbrach Martha in strengem Tone. Sie wissen, Rosa, daß ich dies nicht leiden kann.

So laß sie doch, rief Mouret, der in jedem anderen Falle sie ebenfalls wegen ihrer Neugierde getadelt hätte. Sie haben also durch das Schlüsselloch geschaut?

Ja, gnädiger Herr, und zwar in guter Absicht.

Gewiß ... Was machten sie denn?

Nun, sie aßen, gnädiger Herr ... Sie aßen auf der Bettstatt. Die Alte hatte die Serviette ausgebreitet, und so oft sie aus der Weinflasche getrunken hatten, lehnten sie sie verkorkt wieder ans Kissen.

Aber was aßen sie denn?

Das weiß ich nicht genau. Es schien mir ein Stück Kuchen zu sein, der in ein Stück Zeitungspapier eingewickelt war. Sie hatten auch Äpfel neben sich liegen, aber so kleine, daß sie nach gar nichts aussahen.

Sie sprachen doch auch miteinander? Hast du das nicht gehört?

Nein, gnädiger Herr, sie sprachen nicht miteinander ... Und doch war ich fast eine Viertelstunde an der Türe ... Nein, sie redeten gar nichts, sondern aßen nur immer.

Martha stand auf und weckte Desiree; sie wollte sich auf ihr Zimmer begeben; die Neugierde ihres Mannes war ihr peinlich. Mouret entschloß sich nun auch, das gleiche zu tun, während die alte Rosa, die sehr fromm war, leise fortfuhr:

Der arme liebe Mann muß einen schrecklichen Hunger gehabt haben ... Seine Mutter gab ihm die größten Stücke und sah ihm mit Vergnügen zu, wie er einhieb ... Jetzt schläft er wenigstens in reinlichen Bettüchern, wenn der Obstgeruch ihn nicht daran hindert. Es riecht in dem Zimmer gar nicht gut. Sie wissen ja, Äpfel und Birnen haben einen scharfen Geruch ... Das ganze Zimmer ist leer, nur ein Bett steht in einer Ecke – ich würde mich fürchten, da oben zu schlafen.

Mouret hatte die Kerze in die Hand genommen, blieb einen Augenblick vor Rosa stehen und faßte die Ereignisse des Abends in dem spießbürgerlichen Ausruf zusammen:

Es ist ganz außerordentlich!

Dann folgte er seiner Frau, die er am Fuße der Treppe einholte. Sie schlief schon, während er noch immer auf die von oben kommenden Geräusche lauschte. Das Zimmer des Abbés lag gerade über dem seinigen. Nach einigen Augenblicken hörte er oben sachte das Fenster öffnen, was ihn nicht wenig interessierte. Er hob den Kopf von den Polstern und kämpfte tapfer gegen den Schlaf, da er gern wissen wollte, wie lange der Priester an dem Fenster bleibe. Aber der Schlaf war stärker; Mouret sank in die Kissen zurück, bevor er neuerdings das Knarren des Fensterflügels hören konnte.

Der Abbé Faujas sah oben in die dunkle Nacht hinaus.

Er blieb lange an dem Fenster stehen und war froh, daß er endlich allein war und ganz seinen Gedanken nachhängen konnte. Unter sich fühlte er den ruhigen Schlaf des Hauses, in dem er sich seit einigen Stunden befand, den reinen Atem der Kinder, die ruhigen Atemzüge Marthas und das regelmäßige Schnarchen Mourets. Es lag etwas wie Verachtung in der Bewegung, als er seinen Stiernacken aufrichtete und den Kopf vorstreckte, um bis an das Ende der in Schlaf gesunkenen Stadt zu sehen. Die großen Bäume des Gartens der Unterpräfektur bildeten eine dunkle Masse, und die Birnbäume des Herrn Rastoil starrten mit ihren dürren Ästen in die dunkle Nacht empor; hinter ihnen war ein Meer von Finsternis, dem nicht der leiseste Laut entstieg. Unschuldig wie ein Wiegenkind lag das Städtchen im Schlafe.

Faujas breitete mit spöttischem Trotz die Arme aus, als wolle er Plassans umfassen und es mit einem Drucke an seiner starken Brust zermalmen.

Und diese Dummköpfe lachten, sagte er leise, als sie mich durch ihre Straßen gehen sahen!


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