Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfzehntes Kapitel.

Als eines Freitags Frau Paloque in die Kirche Saint-Saturnin eintrat, sah sie zu ihrer großen Überraschung Martha vor der Kapelle Sankt-Michael knien, wo der Abbé Faujas Beichte hörte.

Halt! dachte sie, hat sie schließlich doch das Herz des Abbé gerührt? Da muß ich bleiben. Wenn Frau von Condamin kommt, gibt es einen Hauptspaß.

Sie nahm im Hintergrunde Platz und kniete halb nieder mit dem Gesicht zwischen den Händen, als sei sie in inbrünstiges Gebet vertieft; aber sie spreizte die Finger auseinander und schaute hindurch. Es war sehr finster in der Kirche. Martha, deren Haupt auf ihr Meßbuch gefallen war, schien zu schlafen; sie hob sich von den weißen Pfeilern wie eine schwarze Masse ab, und von ihrem ganzen Wesen lebten nur die Schultern, die sich unter ihren Seufzern hoben. Sie war so tief niedergeschlagen, daß sie es immer wieder versäumte, in den Beichtstuhl zu treten, sooft der Abbé Faujas ein Beichtkind entließ. Der Abbé wartete eine Minute und klopfte dann ungeduldig an die Bretterwand des Beichtstuhles. Da entschloß sich eine der Frauen, die dort waren, als sie sah, daß Martha sich nicht rührte, ihre Stelle einzunehmen. Die Kapelle leerte sich, und Martha blieb unbeweglich in ihrer frommen Verzückung.

Sie scheint ordentlich ergriffen zu sein, sagte sich Frau Paloque; es ist unanständig, sich so in einer Kirche hinzulegen ... Ah, da kommt Frau von Condamin.

Wirklich trat Frau von Condamin ein. Sie blieb einen Augenblick vor dem Weihwasserbecken stehen, zog ihren Handschuh aus und bekreuzte sich mit einer anmutigen Handbewegung. Ihr seidenes Kleid rauschte in dem engen Gange zwischen den Stühlen. Als sie niederkniete, erfüllte sie das hohe Gewölbe mit dem Rauschen ihrer Kleider. Sie hatte eine freundliche Miene und lächelte in der Finsternis, die in der Kirche herrschte. Bald waren nur sie und Martha da, und der Abbé klopfte ungeduldig und stärker an die Holzwand des Beichtstuhles.

Madame, Sie kommen daran, ich bin die letzte, sagte Frau von Condamin leise zu Martha und neigte sich zu ihr, ohne sie zu erkennen.

Diese drehte sich um; ein nervöses Zucken zog ihr bleiches, höchst erregtes Angesicht zusammen; sie schien diese Worte nicht zu verstehen. Sie erwachte wie aus einem verzückten Schlafe, und ihre Augenlider zitterten.

Nun, meine Damen? sagte der Abbé, indem er die Türe des Beichtstuhles öffnete.

Frau von Condamin erhob sich lächelnd und gehorchte der Aufforderung des Priesters. Aber als Martha sie erkannte, trat sie schnell in die Kapelle ein; dort sank sie wieder auf die Knie und verharrte in dieser Stellung, drei Schritte von dem Beichtstuhle entfernt.

Die Paloque unterhielt sich köstlich und hoffte, daß die beiden Frauen sich in die Haare fahren würden. Martha mußte alles hören, denn Frau von Condamin hatte eine flötende Stimme und leierte ihre Sünden herunter, den Beichtstuhl mit einem reizenden Geplauder erfüllend. Ja, einmal lachte sie sogar – es war ein ersticktes Lachen – so daß Martha ihr leidendes Gesicht erhob. Übrigens war sie schnell fertig. Sie ging fort, kam aber wieder zurück und plauderte weiter, ohne niederzuknien.

Dieses Teufelsweib macht sich über Frau Mouret und den Abbé lustig, dachte die Frau des Richters; sie ist viel zu schlau, als daß sie sich ihr Leben stören läßt.

Endlich ging Frau von Condamin fort. Martha sah ihr nach und schien zu warten, bis sie fort war. Dann stützte sie sich an den Beichtstuhl, ließ sich gehen und sank schwer auf die Knie. Frau Paloque hatte sich genähert und streckte den Kopf vor, aber sie sah nur das dunkle Kleid der Reuigen, das sich weit ausbreitete. Während einer halben Stunde rührte sich nichts. Sie glaubte einen Augenblick, in der schaurigen Stille unterdrückte Seufzer zu hören, die manchmal ein trockenes Knarren des Beichtstuhles unterbrach. Dieses Belauschen langweilte sie schließlich und sie blieb nur zurück, um Martha zu sehen, wenn sie fortging.

Der Abbé Faujas verließ den Beichtstuhl zuerst und warf die Türe ärgerlich zu. Frau Mouret blieb noch lange unbeweglich und zusammengekrümmt in dem engen Kasten. Als sie fortging mit dem Schleier über dem Gesicht schien sie gebrochen und vergaß, das Zeichen des Kreuzes zu machen.

Da hegt ein Zerwürfnis vor, der Abbé war nicht freundlich, sagte die Paloque und folgte jener bis auf den erzbischöflichen Platz. Sie blieb hier stehen und zögerte einen Augenblick. Nachdem sie sich vergewissert hatte, daß niemand sie beobachte, schlich sie in das Haus des Abbé Fenil, das in einer Ecke des Platzes stand.

Jetzt wohnte Martha fast ganz in der Kirche Saint-Saturnin. Sie erfüllte mit feurigem Eifer ihre religiösen Pflichten. Selbst der Abbé Faujas tadelte sie oft wegen der Leidenschaft, mit der sie sich denselben widmete. Er erlaubte ihr nur einmal im Monate zu kommunizieren, regelte die Stunden ihrer frommen Übungen und verlangte von ihr, daß sie nicht so ganz in der Frömmigkeit aufgehe. Sie hatte ihn lange gebeten, bis er ihr bewilligte, daß sie jeden Morgen einer stillen Messe beiwohne. Als sie ihm eines Tages erzählte, daß sie sich eine Stunde lang auf den eisigen Boden ihres Zimmers gelegt habe, um sich für eine Sünde zu bestrafen, wurde er zornig und sagte ihr, daß nur der Beichtvater das Recht habe, Bußübungen aufzuerlegen. Er drohte ihr, sie zu dem Abbé Bourrette zurückzusenden, wenn sie sich nicht unterwerfe.

Es war unrecht von mir, Sie anzunehmen, wiederholte er oft; ich will nur gehorsame Seelen.

Sie war über diese Vorwürfe glücklich. Die eiserne Hand, die sie beugte, die Hand, die sie am Rande dieser fortwährenden Frömmigkeit, in der sie gern aufgegangen wäre, zurückhielt, stachelte sie mit einer sich immer wieder erneuernden Begierde an. Sie blieb die Neubekehrte, glitt nur allmählich in die Liebe hinab, ward jäh aufgehalten, ahnte andere Tiefen, empfand das Entzücken dieses langsamen Weges zu ihr noch unbekannten Freuden. Die große Ruhe, die sie zuerst in der Kirche genossen, dieses Vergessen der Außenwelt und ihrer selbst, verwandelte sich in einen wirklichen Genuß, in ein Glück, das sie herbeirief und fühlen konnte. Dies war das Glück, das sie seit ihrer Jugend ahnte und endlich im Alter von vierzig Jahren fand; ein Glück, das ihr genügte, das sie mit ihren schönen vergangenen Jahren erfüllte, das sie selbstsüchtig für sich leben ließ mit allen den neuen Empfindungen beschäftigt, die wie Liebkosungen in ihr erwachten.

Seien Sie gut, flüsterte sie dem Abbé Faujas zu, seien Sie gut, denn ich bedarf der Güte.

Wenn er zu ihr gut war, hätte sie ihm auf den Knien danken mögen. Er zeigte sich dann mild zu ihr, sprach väterlich mit ihr und erklärte ihr, daß sie eine zu lebhafte Einbildungskraft habe. Gott, sagte er, wolle nicht, daß man ihn mit solchen Übertreibungen anbete. Sie lächelte, wurde wieder schön, jung und rot. Sie versprach, ihm zu gehorchen. Dann sank sie in irgendeinem finsteren Winkel auf den Boden nieder, um ihren Glauben zu bezeugen; sie kniete nicht mehr, sondern rutschte, fast sitzend, dahin, indem sie glühende Worte stammelte; und wenn ihr die Worte fehlten, so setzte sie ihr Gebet fort, indem sie ihr ganzes Wesen in Verzückung aufgehen ließ, den göttlichen Kuß anrief, der über ihrem Haupte dahinschwebte, ohne jemals darauf zu ruhen.

Zu Hause wurde Martha zänkisch. Bis jetzt hatte sie sich gehen lassen, war gleichgültig, nachlässig und glücklich, wenn ihr Mann sie in Ruhe ließ; aber seitdem er ganze Tage zu Hause war, sein spöttisches Gerede ließ, abmagerte und gelb ward, wurde sie verdrießlich.

Er ist uns fortwährend im Wege, sagte sie zu der Köchin.

Ja, und nur aus Bosheit, erwiderte diese. Er ist im Grunde genommen kein guter Mensch. Das habe ich nicht erst heute bemerkt. Daß er, der immer so gern sprach, eine solche duckmäuserische Miene macht, ist nur eine Komödie, mit der er unser Mitleid erregen will. Er treibt es arg mit seinem Schmollen, aber er hält sich tapfer, damit man ihn bedauere und ihm seinen Willen lasse. Gnädige Frau, Sie haben ganz recht, daß Sie sich bei diesen Zierereien nicht weiter aufhalten.

Mouret hielt die beiden Frauen durch das Geld in seiner Gewalt. Er wollte nicht herumstreiten, aus Furcht, sein Leben noch düsterer zu gestalten. Wenn er nicht mehr schimpfte, nur herumsuchte und schnüffelte, so wurde er doch noch traurig, wenn er Martha oder Rosa ein Hundertsousstück verweigerte. Er gab der letzteren monatlich hundert Franken für die Küche; Wein, Öl und Konserven waren im Hause. Aber damit mußte die Köchin den ganzen Monat auskommen, selbst wenn sie aus ihrer eigenen Tasche zusetzte. Martha hatte nichts; er gab ihr keinen Sou. Sie war daher auf Rosa angewiesen, mit der sie versuchte, monatlich zehn Franken von den hundert zu ersparen. Oft hatte sie nicht ein Paar Schuhe anzuziehen und war genötigt, von ihrer Mutter das Geld für ein Kleid oder einen Hut auszuborgen.

Mouret wird ein Narr! rief Frau Rougon. Du kannst doch nicht nackt herumlaufen. Ich werde mit ihm reden!

Ich bitte dich, liebe Mutter, tu' es nicht, erwiderte sie. Er verabscheut dich und würde mich noch schlechter behandeln, wenn er wüßte, daß ich dir diese Dinge erzähle.

Weinend fuhr sie fort:

Ich habe ihn lange in Schutz genommen, aber heute habe ich nicht mehr die Kraft zu schweigen ... Du erinnerst dich noch der Zeit, da er nicht wollte, daß ich nur einen Fuß auf die Straße setzte. Er schloß mich ein und behandelte mich wie eine Sache. Wenn er jetzt so hart gegen mich ist, geschieht es nur, weil er wohl sieht, daß ich ihm entronnen bin und nie mehr einwillige, seine Magd zu sein. Er ist ein Mensch ohne Religion, ein Selbstsüchtiger, ein Herzloser.

Er schlägt dich doch wenigstens nicht?

Nein, aber dazu kommt es noch. Einstweilen verweigert er mir alles. Seit fünf Jahren habe ich keine Hemden gekauft. Gestern zeigte ich ihm die, die ich habe; sie sind abgenützt und sooft ausgebessert, daß ich mich schäme, sie zu tragen. Er hat sie angesehen, befühlt und dann gesagt, daß sie ganz gut noch bis zum nächsten Jahre halten ... Ich habe nicht einen Centime für mich, ich muß weinen, um ein Zwanzigsousstück zu erhalten. Neulich mußte ich von Rosa zwei Sous borgen, um Nähseide zu kaufen. Ich habe meine Handschuhe genäht, da sie überall zerrissen waren.

So erzählte sie noch viele andere Einzelheiten: von den Flecken, die sie sich mit Pechzwirn auf ihre Schuhe setzte; von den Bändern, die sie in Tee wusch, um ihre Hüte damit aufzufrischen; von der Tinte, mit der sie die schäbigen Stellen ihres einzigen Seidenkleides bestrich, um seine Abnützung zu verbergen. Frau Rougon bemitleidete sie und ermutigte sie zum Widerstände gegen das Ungeheuer. Er gehe in seiner Habsucht so weit, sagte Rosa, daß er die Birnen auf dem Dachboden und die Zuckerstücke in den Schränken zähle, die Konserven hüte und die Brotstücke vom vorhergehenden Tage selbst esse. Martha litt besonders darunter, daß sie sich nicht an den Sammlungen in der Kirche zu Saint-Saturnin beteiligen konnte; sie verbarg in Papier eingewickelte Zehnsousstücke, die sie sorgfältig für die Hochämter an den Sonntagen aufhob. Wenn die Damen des Werkes von der heiligen Jungfrau der Kathedrale irgendein Geschenk machten wie einen Hostienkelch, ein silbernes Kreuz oder eine Fahne, war Martha ganz beschämt, ging ihnen aus dem Wege und stellte sich, als ob sie von der ganzen Sache nichts wisse. Die Damen bedauerten sie sehr. Sie hätte ihren Mann bestohlen, wenn sie den Schlüssel zum Schreibtische gefunden hätte, so sehr quälte sie das Bedürfnis, die Kirche zu schmücken, die sie liebte. Es erfaßte sie die Eifersucht einer betrogenen Frau, wenn sich der Abbé Faujas eines Kelches bediente, der von Frau von Condamin gespendet war, während sie an den Tagen, wo er auf dem von ihr gestickten Altartuche die Messe las, eine grosse Freude empfand, und mit einem frommen Schauer betete, als wenn sich etwas von ihrem eigenen Ich unter den ausgebreiteten Händen des Priesters befinde. Ihr Wunsch war, daß eine ganze Kapelle ihr gehöre; sie träumte von dem Glücke, sich dort einzuschließen, Gott in ihrem Hause für sich allein zu empfangen.

Rosa, die ihre Vertraute war, ersann alles mögliche, ihr Geld zu verschaffen. In diesem Jahre brachte sie die schönsten Früchte des Gartens beiseite und verkaufte sie; auf gleiche Weise brachte sie vom Boden einen Haufen alte Möbel hinaus, die sie verwertete, so daß sie schließlich eine Summe von dreihundert Franken zusammenbrachte, die sie triumphierend Martha übergab. Diese umarmte die Köchin.

Ach, wie gut bist du, sagte sie und duzte sie. Du bist doch ganz sicher, daß er dich nicht gesehen hat? ... Neulich sah ich in der Goldschmiedstraße kleine ziselierte Meßkännchen aus Silber; sie kosten ungefähr zweihundert Franken ... Du tust mir einen Gefallen, nicht wahr? Ich will sie nicht selbst kaufen, weil man mich dort eintreten sehen könnte. Sage deiner Schwester, sie möge sie holen; sie soll sie des Nachts bringen und sie dir zum Küchenfenster hereinreichen.

Dieser Ankauf der Meßkännchen war für sie ein förmliches Geheimnis, worüber sie sich ungemein freute. Sie hielt sie drei Tage lang in einem Schranke hinter der Wäsche versteckt; und als sie sie dem Abbé Faujas in der Sakristei von Saint-Saturnin übergab, zitterte und stammelte sie. Er zankte sie in freundschaftlichem Tone aus. Er wollte keine Geschenke und sprach von dem Gelde mit der Verachtung eines geistig überlegenen Menschen, der nur nach Macht und Herrschaft strebt. Während seiner ersten zwei Jahre des Elends, selbst an den Tagen, wo seine Mutter und er nur von Wasser und Brot lebten, hatte er nie daran gedacht, zehn Franken von den Mourets zu borgen.

Martha fand ein sicheres Versteck für die hundert Franken, die ihr übrig geblieben waren. Auch sie wurde geizig; sie berechnete, wie sie das Geld verwenden könne, und kaufte jeden Tag etwas Neues. Da sie sehr zurückhaltend war, teilte ihr Rosa mit, daß Frau Trouche mit ihr zu sprechen wünsche. Olympia, die sich stundenlang in der Küche aufhielt, war die intime Freundin der Rosa geworden, von der sie oft vierzig Sous auslieh, um nicht die zwei Treppen hinaufgehen zu müssen, wenn sie, wie sie sagte, ihr Geldtäschchen oben vergessen hatte.

Gehen Sie zu ihr, sagte die Köchin, Sie können mit ihr oben besser reden ... Es sind brave Leute; sie haben den Pfarrer sehr gern. Sie haben schon vieles durchgemacht. Das Herz muß einem brechen, wenn man es Olympia erzählen hört.

Martha fand Olympia in Tränen. Sie seien viel zu gut: man habe sie nur ausgenutzt; und nun sprach sie von ihren Geschäften in Besançon, wo die Schurkerei eines Teilhabers sie in schwere Schulden gestürzt habe. Das Schlimmste sei, daß die Gläubiger ungeduldig würden. Sie habe soeben einen groben Brief erhalten, in dem man ihr drohe, an den Bischof und an den Bürgermeister von Plassans zu schreiben.

Ich bin bereit, alles zu erdulden, fügte sie schluchzend hinzu; aber ich würde meinen Kopf hingeben, wenn nur mein Bruder nicht kompromittiert wird ... Er hat schon viel zuviel für uns getan; ich will ihm nichts sagen, denn er ist nicht reich und würde sich unnütz quälen ... Mein Gott! Wie soll ich es nur machen, um zu verhindern, daß dieser Mensch schreibt? Es wäre eine furchtbare Schande, wenn ein solcher Brief an das Bürgermeisteramt oder in die bischöfliche Residenz käme. Ja, ich kenne meinen Bruder, er würde den Tod davon haben.

Da traten auch Martha die Tränen in die Augen. Sie war ganz blaß und drückte Olympia die Hände. Dann bot sie ihr, ohne daß diese etwas verlangt hätte, ihre hundert Franken an.

Es ist freilich wenig, aber wenn es die Gefahr hinausschieben könnte? fragte sie ängstlich.

Hundert Franken, hundert Franken, wiederholte Olympia, nein, nein, mit hundert Franken gibt er sich nie zufrieden.

Martha war in Verzweiflung. Sie versicherte, daß sie nicht mehr besitze. Sie vergaß sich so weit, daß sie ihr von den Meßkännchen sprach. Wenn sie diese nicht gekauft hätte, hätte sie ihr dreihundert Franken geben können. Die Augen der Frau Trouche leuchteten auf.

Dreihundert Franken sind gerade die Summe, die er verlangt, sagte sie. Sehen Sie, Sie würden meinem Bruder einen größeren Dienst erwiesen haben, wenn Sie ihm dies Geschenk nicht gemacht hätten, das doch in der Kirche bleibt. Wie viel schöne Sachen haben ihm nicht die Damen von Besançon gebracht! Er ist heute deswegen nicht reicher. Schenken Sie ihm nichts mehr, es ist fast ein Diebstahl. Fragen Sie mich immer um Rat, es gibt so viel verborgenes Elend! Nein, hundert Franken reichen nie hin.

Als sie so eine halbe Stunde fortgejammert und sah, daß Martha wirklich nur hundert Franken habe, nahm sie das Geld schließlich doch an.

Ich will sie absenden, um diesen Menschen zur Geduld zu bewegen, sagte sie leise, aber er läßt uns nicht lange in Ruhe ... Vor allem bitte ich Sie inständig, sagen Sie meinem Bruder nichts; es würde sein Tod sein ... Es ist auch besser, wenn mein Mann von unseren kleinen Angelegenheiten nichts weiß; er ist so stolz, daß er Dummheiten begeht, um Sie nur zu bezahlen. Wir Frauen verstehen uns immer.

Martha war ob dieses Darlehens überglücklich. Von da an hatte sie eine ganz neue Sorge, nämlich die: von dem Abbé Faujas die ihm drohende Gefahr, die er gar nicht ahnte, abzuwenden. Sie ging oft zu den Trouche hinauf und verweilte daselbst stundenlang und suchte mit Olympia nach einem Mittel, die Gläubiger zu bezahlen. Diese hatte ihr erzählt, daß zahlreiche Wechsel auf den Namen des Priesters im Umlaufe seien und daß es einen ungeheueren Skandal gebe, wenn diese Papiere einmal an einen Gerichtsvollzieher in Plassans geschickt würden. Die Schuldenlast war nach ihren Worten so hoch, daß sie lange sich weigerte, sie zu nennen, und nur noch mehr weinte, wenn sie Martha dazu drängte. Eines Tages endlich sprach sie von zwanzigtausend Franken. Martha war sprachlos. Nie würde sie zwanzigtausend Franken zusammenbringen. Sie starrte vor sich hin und sagte sich, daß sie nur nach dem Ableben ihres Gatten über eine solche Summe verfügen könne.

Ich meine zwanzigtausend Franken im ganzen, beeilte sich Olympia hinzuzufügen, der die ernste Miene Marthas Unruhe einflößte; wir würden zufrieden sein, wenn wir sie in kleinen Abzahlungen binnen zehn Jahren tilgen könnten. Die Gläubiger würden solange warten, wie man will, wenn sie nur wüßten, daß sie regelmäßige Teilzahlungen erhalten. Es ist sehr traurig, daß wir nicht einen Menschen finden, der in uns Vertrauen setzt und uns die nötigen Summen leiht.

Das war der gewöhnliche Gegenstand ihrer Unterhaltung. Olympia sprach auch oft von dem Abbé Faujas, den sie anzubeten schien. Sie erzählte Martha die intimsten Sachen über den Priester: daß er kitzlig sei, auf der linken Seite nicht schlafen könne, auf der rechten Seite ein Muttermal habe von der Form einer Erdbeere, das im Mai rot werde wie eine wirkliche Frucht. Martha lächelte und ward nicht müde, solche Einzelheiten anzuhören. Sie fragte die junge Frau über ihre Kindheit und die ihres Bruders aus. Wenn dann die Rede wieder auf das Geld kam, war sie wie wahnsinnig wegen ihres Unvermögens und beklagte sich bitter über Mouret, so daß Olympia, dadurch kühn gemacht, ihn vor ihr nur »den alten Geizhals« nannte. Plauderten die beiden Frauen noch, wenn Trouche aus dem Amte kam, so schwiegen sie und begannen sofort von etwas anderem zu sprechen. Trouche bewahrte eine würdige Haltung. Die Damen von dem Werke der heiligen Jungfrau waren sehr zufrieden mit ihm. Man sah ihn nie in einem Kaffeehause der Stadt.

Um Olympia zu helfen, die an gewissen Tagen davon sprach, sich zum Fenster hinauszustürzen, drängte Martha ihre Köchin Rosa, zu einem Trödler alle alten Sachen zu schaffen, die als unnütz in den Winkeln herumlagen. Die beiden Frauen waren zuerst ängstlich; sie brachten während der Abwesenheit Mourets nur die alten Stühle und Tische fort; dann machten sie sich an wertvolle Sachen, verkauften Porzellan, Schmucksachen, alles, was verschwinden konnte, ohne eine zu große Lücke zu hinterlassen. Sie befanden sich auf einem verhängnisvollen Abhange. Sie hätten schließlich die großen Möbelstücke auch noch fortgeschafft und nur die nackten vier Mauern zurückgelassen, wenn nicht Mouret eines Tages Rosa eine Diebin gescholten und ihr mit der Polizei gedroht hätte.

Ich eine Diebin! Gnädiger Herr! hatte sie ausgerufen. Achten Sie auf Ihre Worte!... Weil Sie mich haben einen Ring der gnädigen Frau verkaufen sehen? Der Ring gehörte mir; die gnädige Frau hatte ihn mir geschenkt. Sie ist nicht so geizig wie Sie ... Sie schämen sich nicht, Ihre arme Frau ohne einen Sou zu lassen! Sie hat keine Schuhe anzuziehen. Neulich habe ich die Milchfrau bezahlt ... Nun ja, ich habe ihren Ring verkauft. Was ist dabei? Gehört der Ring nicht ihr? Sie kann ihn zu Geld machen, da Sie ihr alles verweigern ... Ich würde das ganze Haus verkaufen, verstehen Sie? Das ganze Haus! Es schmerzt mich viel zu sehr, sie nackt wie einen heiligen Johannes herumgehen zu sehen.

Jetzt war Mouret jede Stunde wachsam; er verschloß die Schränke und steckte die Schlüssel zu sich. Wenn Rosa ausging, sah er mißtrauisch auf ihre Hände; er befühlte ihre Taschen, wenn er eine verdächtige Aufbauschung ihres Rockes bemerkte. Er kaufte von dem Trödler gewisse Sachen zurück, die er an ihren Platz stellte, sie vor Martha abstaubte und hätschelte, um ihr in Erinnerung zu bringen, was er »die Diebstähle Rosas« nannte. Er quälte sie besonders mit einer kristallenen Wasserflasche, die von der Köchin für zwanzig Sous verkauft war. Sie hatte erklärt, daß sie sie zerbrochen habe, und mußte sie jetzt bei jeder Mahlzeit auf den Tisch stellen. Eines Tages ließ sie beim Frühstück vor Wut die Flasche zu Boden fallen.

Jetzt, gnädiger Herr, ist sie wohl zerbrochen, nicht wahr? sagte sie und lachte ihm ins Gesicht.

Er jagte sie fort und sie rief:

Versuchen Sie es! ... Ich diene Ihnen jetzt fünfundzwanzig Jahre. Die gnädige Frau würde mit mir fortgehen.

Martha, durch die Ratschläge Rosas und Olympias zum äußersten getrieben, lehnte sich schließlich auf. Sie brauchte unbedingt fünfhundert Franken. Seit acht Tagen weinte ihr Olympia etwas vor und erklärte ihr, wenn sie bis zum Ende des Monats nicht fünfhundert Franken habe, werde einer der Wechsel mit dem Namen des Abbé Faujas »in einer Zeitung von Plassans« veröffentlicht werden. Diese furchtbare Drohung, die sie sich gar nicht genau erklären konnte, erschreckte sie so sehr, daß sie beschloß, alles zu wagen. Abends, bei dem Schlafengehen, verlangte sie von Mouret die fünfhundert Franken; als er sie bestürzt ansah, sprach sie von ihren in Selbstverleugnung verlebten fünfzehn Jahren, die sie in Marseille am Ladentische mit der Feder hinter dem Ohre wie ein Handlungsgehilfe zugebracht habe.

Wir haben das Geld zusammen erworben, meinte sie; es gehört uns beiden. Ich will fünfhundert Franken.

Mouret brach sein Schweigen. Er geriet in den heftigsten Zorn und ward mit einemmal wieder gesprächig.

Fünfhundert Franken! schrie er. Vielleicht für deinen Pfarrer? ... Ich mache jetzt nur den Dummen, ich schweige, weil ich viel zu viel zu sagen hätte. Aber du darfst nicht glauben, daß Ihr mich bis zum Ende narren könnt ... Fünfhundert Franken! Warum nicht das ganze Haus! Es gehört ihm eigentlich ohnehin schon! Jetzt will er das Geld, nicht wahr? Er hat dir gesagt, du sollst das Geld von mir verlangen? ... Wenn ich es recht bedenke, lebe ich in meinem Hause wie in einem Walde! Man stiehlt mir schließlich das Taschentuch aus der Tasche. Ich wette, wenn ich in seinem Zimmer suchen würde, ich könnte alle meine armseligen Sachen in seinen Schubläden finden. Gestern zählte ich nach, da fehlten mir drei Unterhosen, sieben Paar Strümpfe, vier oder fünf Hemden. Mir gehört gar nichts mehr, alles verschwindet, alles geht zugrunde... Nein, nicht einen Sou, nicht einen Sou. Hörst du?

Ich will fünfhundert Franken, wiederholte sie ruhig, denn die Hälfte des Geldes gehört mir.

Eine Stunde lang wetterte Mouret, ärgerte sich und schrie sich fast heiser, wobei er immer dieselben Vorwürfe wiederholte. Er erkannte seine Frau nicht mehr. Sie liebte ihn vor der Ankunft des Pfarrers, hörte auf ihn und hatte stets das Interesse des Hauses im Auge. Die Leute, die sie gegen ihn aufhetzten, mußten sehr schlechte Menschen sein. Dann versagte ihm die Stimme; er ließ sich in einen Sessel fallen, gebrochen und schwach wie ein Kind.

Gibst du mir den Schlüssel zum Schreibtische? fragte Martha.

Er stand auf und schrie mit letzter Kraft:

Du nimmst alles. Deine Kinder liegen auf dem Stroh, und wir haben nicht ein Stück Brot ... Gut, nimm alles, rufe Rosa, damit sie ihre Schürze füllt. Da ist der Schlüssel.

Damit warf er den Schlüssel hin, den Martha unter ihrem Kissen verbarg. Sie war bei diesem Zanke ganz blaß geworden, denn es war der erste heftige Streit, den sie mit ihrem Gatten hatte. Sie legte sich nieder; er brachte die Nacht in dem Sessel zu. Gegen Morgen hörte sie ihn weinen und hätte ihm den Schlüssel zurückgegeben, wenn er nicht wie toll in den Garten hinunter gelaufen wäre, obwohl es noch finstere Nacht war.

Der Friede schien wieder ins Haus eingekehrt. Der Schlüssel des Schreibtisches hing an einem Nagel neben dem Spiegel. Martha, die nicht gewohnt war, große Summen auf einmal zu sehen, hatte eine gewisse Scheu vor dem Gelde. Zuerst zeigte sie sich sehr verschwiegen und beschämt, sooft sie die Lade öffnete, wo Mouret immer etwa zehntausend Franken für seine Weineinkäufe liegen hatte. Sie nahm genau soviel, wie sie brauchte. Übrigens gab ihr Olympia ausgezeichnete Ratschläge: da sie jetzt den Schlüssel habe, müsse sie sich sparsam zeigen. Und weil sie Martha vor dem »Schatze« zittern sah, hörte sie einige Zeit auf, mit ihr von den Schulden in Besançon zu sprechen.

Mouret fiel wieder in sein düsteres Schweigen zurück. Er hatte einen neuen, noch heftigeren Schlag erhalten, als der Eintritt seines Sohnes Serge in das Seminar war. Seine Freunde von der Promenade Sauvaire, die kleinen Rentner, die regelmäßig von vier bis sechs Uhr spazieren gingen, begannen sich ernsthaft Sorge um ihn zu machen, wenn sie ihn so daherkommen sahen mit hängenden Armen, blödem Gesichte, kaum eine Antwort gebend, als sei er unheilbar krank.

Er geht ein, er geht ein, sagten sie leise. Mit vierundvierzig Jahren ist es unbegreiflich. Der Verstand geht ihm schließlich aus.

Er schien die Anspielungen nicht mehr zu hören, die man voll Bosheit vor ihm machte. Wenn man ihn geradezu nach dem Abbé Faujas fragte, errötete er leicht und antwortete, daß der Abbé ein guter Mieter sei und seine Miete pünktlich bezahle. Hinter seinem Rücken spotteten die kleinen Rentner, die auf einer Bank im Sonnenschein saßen.

Er hat nur bekommen, was er verdient, sagte ein ehemaliger Mandelhändler. Sie erinnern sich, wie warm er für den Pfarrer eingetreten ist; er posaunte sein Lob in allen Straßen von Plassans aus. Wenn man heute mit ihm darüber sprechen will, macht er ein sonderbares Gesicht.

Die Herren erzählten sich dann gewisse Skandalgeschichten, die sie sich von einem Ende der Bank zu dem anderen zuflüsterten.

Nun, hub ein ehemaliger Gerber an, Mouret ist nicht recht bei Verstand; ich hätte den Pfarrer zum Hause hinausgejagt.

Alle stimmten zu, daß Mouret nicht recht klug sei, er, der sich über die Ehemänner so lustig gemacht habe, die von ihren Frauen an der Nase herumgeführt würden.

In der Stadt kamen diese Verleumdungen trotz der Hartnäckigkeit, mit der gewisse Leute sie zu verbreiten schienen, nicht über einen kleinen Kreis von Müßiggängern und Schwätzern hinaus. Wenn der Abbé sich geweigert hatte, in den Pfarrhof zu ziehen und lieber bei den Mourets blieb, konnte der Grund, wie er selbst sagte, nur seine Liebe zu dem Garten sein, wo er so ruhig sein Brevier las. Seine große Frömmigkeit, seine strenge Lebensweise, seine Verachtung gegen die Liebäugeleien, die die Priester sieh erlaubten, erhoben ihn über allen Verdacht. Die Mitglieder des Jugendklubs beschuldigten den Abbé Fenil, daß er jenen zu verderben suche. Übrigens stand die ganze Neustadt auf seiner Seite; er hatte nur das Sankt-Markusviertel gegen sich, dessen vornehme Bewohner sich zurückhaltend benahmen, wenn sie ihm in den Salons des Bischof begegneten. Aber er schüttelte mit dem Kopfe, wenn die alte Frau Rougon zu ihm sagte, er könne alles wagen.

Nichts ist noch fest, murmelte er; ich habe niemanden für mich. Ein Strohhalm könnte das Gebäude umwerfen.

Martha beunruhigte ihn seit einiger Zeit. Er war sich seiner Ohnmacht bewußt, das Frömmigkeitsfieber, das sie verzehrte, zu stillen. Sie entkam ihm, gehorchte ihm nicht und ging weiter, als er gewollt. Diese nützliche Frau, diese geachtete Hausfrau konnte ihn verderben. Es loderte in ihrem Innern eine Flamme, die ihren Körper brach, ihre Haut bräunte, ihre Augen verdarb. Es war wie ein wachsendes Übel, eine Auflösung des ganzen Seins, die allmählich das Gehirn und das Herz ergriff. Ihr Gesicht verschwamm in einer Verzückung, ihre Hände streckten sich mit einem nervösen Zittern aus. Ein trockener Husten schüttelte sie vom Kopf bis zu den Füßen, ohne daß sie den Schmerz zu fühlen schien. Er wurde härter gegen sie, stieß die Liebe zurück, die ihm entgegen kam, und verbot ihr, nach der Kirche Saint-Saturnin zu kommen.

Die Kirche ist eisig kalt, sagte er. Sie husten zu sehr. Ich will nicht, daß Sie Ihr Leiden verschlimmern.

Sie versicherte, es sei nichts, eine einfache Reizung des Kehlkopfes. Dann unterwarf sie sich und nahm dieses Verbot des Kirchenbesuches als eine wohlverdiente Strafe hin, die ihr die Himmelstür verschloß. Sie schluchzte, hielt sich für verdammt, brachte ihre Tage müßig hin, und gegen ihren Willen schlich sie am Freitag wie eine Frau zu einer verbotenen Liebe voll Demut in die Kapelle Saint-Michel und lehnte ihre glühende Stirn ah die Holzwand des Beichtstuhles. Sie sprach nicht, wie vernichtet blieb sie knien, während der Abbe Faujas sie zornig und in roher Weise eine unwürdige Tochter schalt und entließ. Dann ging sie fort erleichtert und überglücklich.

Der Priester fürchtete das Dunkel der Kapelle Saint-Michel. Er rief die Vermittlung des Dr. Porquier an, und dieser brachte Martha dahin, daß sie in dem kleinen Betsaale der Anstalt der heiligen Jungfrau beichte. Der Abbé Faujas versprach, daß er sie jeden zweiten Samstag dort erwarte. Dieser Betsaal, ein großes, weißgetünchtes Zimmer mit vier großen Fenstern, hatte ein heiteres Aussehen, das, wie der Abbé rechnete, die überreizte Einbildungskraft seines Beichtkindes beruhigen werde. Hier konnte er sie beherrschen und eine unterwürfige Sklavin aus ihr machen, ohne einen Skandal befürchten zu müssen. Übrigens forderte er, um aller schlimmen Nachrede vorzubeugen, daß seine Mutter Martha begleite. Während er dieser die Beichte abnahm, blieb Frau Faujas vor der Türe und strickte, um keine Zeit zu verlieren.

Mein liebes Kind, sagte sie oft zu ihr, wenn sie zusammen nach Hause gingen, ich habe heute Ovid wieder sehr laut reden hören. Sie können ihn also nicht zufriedenstellen? Sie haben ihn also nicht lieb? Ach, wie wollte ich an Ihrer Stelle sein, um ihm die Füße zu küssen ... Ich werde Sie schließlich verabscheuen, wenn Sie ihm nur Kummer bereiten.

Martha senkte das Haupt; sie schämte sich sehr vor Frau Faujas. Sie konnte sie nicht leiden, sie war auf sie eifersüchtig, weil sie sie immer zwischen sich und dem Priester fand. Dann litt sie auch unter den finsteren Blicken der alten Frau, der sie unaufhörlich begegnete, und die ihr so seltsame und beunruhigende Ratschläge gab. Der schlechte Gesundheitszustand Marthas war eine genügende Erklärung für ihre Zusammenkünfte mit dem Abbé Faujas im Betsaale der Anstalt der heiligen Jungfrau. Der Doktor Porquier versicherte, daß sie dabei ganz einfach einer seiner Anordnungen nachkomme. Dieses Wort erregte große Heiterkeit unter den Spaziergängern der Promenade.

Wirklich, sagte Frau Paloque zu ihrem Gatten eines Tages, als sie Martha mit Frau Faujas die Balande-Straße herunterkommen sah, ich möchte gern einmal in einem Winkel stecken, um zu sehen, was der Pfarrer mit seiner Geliebten macht ... Es ist spaßig, wenn sie von ihrem heftigen Schnupfen spricht. Als wenn ein heftiger Schnupfen ein Hindernis ist, in der Kirche zu beichten! Auch ich habe den Schnupfen gehabt, ohne mich deshalb mit den Abbés in den Kapellen zu verstecken.

Es ist unrecht, daß du dich in die Angelegenheiten des Abbé Faujas mischest, erwiderte der Richter. Man hat mich gewarnt. Es ist ein Mensch, der geschont werden muß. Du hast eine zu scharfe Zunge und hinderst uns, unser Ziel zu erreichen.

Nun, erwiderte sie in bitterem Tone, sie sind mir auf dem Bauche herumgetreten und sollen dafür von mir reden hören ... Dein Abbé Faujas ist ein großer Tölpel. Glaubst du, der Abbé Fenil wäre mir nicht dankbar, wenn ich den Pfarrer und seine Schöne überraschte, wie sie Zärtlichkeiten miteinander austauschen? Geh, einen solchen Skandal würde er teuer bezahlen ... Laß mich nur machen, du verstehst von solchen Dingen nichts.

Zwei Wochen später an einem Samstage lauerte Frau Paloque, bis Martha das Haus verließ. Sie stand ganz angekleidet hinter den Fenstervorhängen, verbarg aber ihr häßliches Gesicht und spähte durch ein Loch in der Musseline hinüber. Als die beiden Frauen hinter der Ecke der Travelle-Straße verschwunden waren, verzog sich ihr breiter Mund zu einem grinsenden Lächeln. Sie beeilte sich nicht, zog die Handschuhe an und ging langsam über den Präfekturplatz; sie machte einen Umweg und verweilte auf dem spitzigen Pflaster. Als sie vor dem Hause der Frau von Condamin ankam, wollte sie diese abholen, aber sie hätte vielleicht Bedenken haben können. Es sei besser, dachte sie, ohne Zeugen und mutig den Plan auszuführen.

Ich habe ihnen Zeit gelassen, bei den schweren Sünden anzukommen und glaube, daß ich mich jetzt zeigen kann, dachte sie, nachdem sie eine Viertelstunde spazieren gegangen war.

Jetzt beschleunigte sie ihre Schritte. Sie kam oft in die Anstalt der heiligen Jungfrau, um mit Trouche über verschiedene Rechnungen Rücksprache zu nehmen. An diesem Tage trat sie nicht in die Kanzlei des Beamten, sondern ging den Flur hinauf geradeswegs in den Betsaal. Vor der Türe strickte ruhig Frau Faujas. Die Gattin des Richters hatte dieses Hindernis vorausgesehen; sie ging auf die Türe zu wie eine Person, die ein wichtiges Geschäft hat. Doch bevor sie noch den Arm ausgestreckt hatte, um den Türknopf zu drehen, hatte die alte Frau sie mit einer außerordentlichen Kraft zur Seite geschoben.

Wohin gehen Sie? fragte sie mit ihrer rauhen, bäuerlichen Stimme.

Ich gehe, wohin ich will, erwiderte Frau Paloque, mit schmerzendem Arme und zornigem Gesichte. Sie sind eine unverschämte und rohe Person ... Lassen Sie mich hineingehen. Ich bin die Kassiererin des Stiftes und habe hier das Recht, überall einzutreten.

An die Türe gelehnt, setzte Frau Faujas sich die Brille zurecht. Dann nahm sie mit der größten Ruhe der Welt den Strumpf wieder in die Arbeit.

Nein, sagte sie kurz, Sie werden nicht eintreten.

Ah! ... Und warum nicht, wenn ich fragen darf?

Weil ich nicht will.

Die Frau des Richters fühlte, daß ihr Anschlag mißglückt sei. Sie drohte vor Zorn zu ersticken. Wütend stotterte sie:

Ich kenne Sie nicht; ich weiß nicht, was Sie hier machen. Ich könnte rufen und Sie verhaften lassen, denn Sie haben mich geschlagen. Es müssen hinter dieser Türe sehr schlechte Dinge geschehen, da Sie beauftragt sind, Leute des Hauses nicht einzulassen. Ich gehöre zum Hause, verstehen Sie? ... Lassen Sie mich hinein, oder ich rufe alle Leute her.

Rufen Sie, wen Sie wollen, erwiderte die alte Frau achselzuckend. Ich habe Ihnen gesagt, daß Sie nicht eintreten; ich will nicht ... Weiß ich, ob Sie zum Hause gehören? Mögen Sie auch hierher gehören, das bleibt sich ganz gleich. Niemand darf eintreten. Das ist meine Sache.

Da verlor Frau Paloque die Geduld und rief:

Ich brauche nicht hineinzugehen. Es genügt mir. Ich bin zufriedengestellt. Sie sind die Mutter des Abbé Faujas, nicht wahr? Sie betreiben offenbar ein sauberes Geschäft! ... Nein, ich gehe nicht hinein; ich will mich nicht in alle die schmutzigen Sachen mengen.

Frau Faujas legte den Strumpf auf den Stuhl und sah sie durch die Brille mit blitzenden Augen an; sie war ein wenig vorgebeugt und hatte die Hände vorgestreckt, als wolle sie sich auf sie stürzen, um sie zum Schweigen zu bringen. Eben wollte sie es tun, als sich die Türe öffnete und der Abbé Faujas auf der Schwelle erschien. Er war im Chorhemde und hatte eine strenge Miene:

Nun, Mutter, fragte er, was gibt es denn?

Die alte Frau senkte den Kopf und wich zurück wie ein Hund, der sich hinter den Beinen seines Herrn verkriecht.

Sie sind es, liebe Frau Paloque, fuhr der Priester fort. Sie wünschten mit mir zu sprechen?

Die Frau des Richters brachte es mit der größten Anspannung ihres Willens zu einem Lächeln. Sie erwiderte in einem schrecklich liebenswürdigen und zugleich scharf spöttischen Tone:

Sie sind es, Herr Pfarrer? Wenn ich das gewußt hätte, würde ich nicht so darauf bestanden haben. Ich wollte das Tuch unseres Altars ansehen, das nicht mehr in gutem Zustande sein muß. Sie wissen, ich bin hier die gute Hausfrau; ich wache über die kleinste Kleinigkeit. Aber da Sie jetzt beschäftigt sind, will ich Sie nicht stören. Erledigen Sie Ihre Angelegenheiten, das Haus gehört Ihnen. Die Frau brauchte nur ein Wort zu sagen, und ich hätte sie über Ihre Ruhe wachen lassen.

Frau Faujas brummte. Ein Blick ihres Sohnes beruhigte sie.

Bitte, treten Sie ein, sagte er. Sie stören mich durchaus nicht. Ich nahm Frau Mouret die Beichte ab, die ein wenig leidend ist ... Treten Sie doch ein. Das Altartuch könnte in der Tat gewechselt werden.

Nein, nein, ich komme wieder, wiederholte sie. Ich bin ganz untröstlich, Sie gestört zu haben. Fahren Sie fort, fahren Sie fort, Herr Pfarrer.

Sie trat aber dennoch ein. Während sie mit Martha das Altartuch betrachtete, machte der Priester mit leiser Stimme seiner Mutter Vorwürfe:

Warum hast du sie nicht eingelassen, Mutter? Ich habe dir nicht gesagt, daß du die Türe bewachen sollst.

Sie starrte wie ein störriges Tier vor sich hin.

Eher hätte sie über meinen Leib gehen müssen, sagte sie leise.

Aber warum?

Weil ... Höre, Ovid, sei nicht böse; du weißt, wenn du böse bist, sterbe ich ... Du sagtest mir, ich solle die Hausfrau hierher begleiten, nicht wahr? Nun, ich glaubte, daß du meiner bedarfst, um die Neugierigen abzuwehren. So setzte ich mich denn dorthin. Ich verbürge dir, ihr hättet tun können, was euch beliebt. Niemand hätte die Nase hineingesteckt.

Er verstand sie, ergriff ihre Hand und sagte:

Wie, Mutter, das hast du vermuten können?

Nun, ich habe gar nichts vermutet, erwiderte sie mit großer Unbefangenheit. Du kannst machen, was du willst; alles, was du tust ist gut; du bist mein Kind ... Ich würde für dich stehlen gehen.

Aber er hörte nicht mehr. Er hatte die Hände seiner Mutter fahren lassen und sah sie an wie in Gedanken verloren, was seinem Gesichte einen noch ernsteren und härteren Ausdruck verlieh.

Nein, nie, nie, sagte er mit herbem Stolze. Du täuschest dich, Mutter ... Die keuschen Menschen sind allein die Starken.


 << zurück weiter >>