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Siebzehntes Kapitel.

Der Zustand Marthas beunruhigte den Doktor Porquier. Aber er bewahrte sein liebenswürdiges Lächeln und behandelte sie als Arzt der feinen Gesellschaft, für den eine Krankheit nie vorhanden war und der eine Konsultation erteilte, wie eine Näherin ein Kleid anprobiert; aber ein gewisser Zug um seine Lippen besagte, daß die »liebe Frau« nicht allein an einem leichten Bluthusten litt, wie er es sie glauben machte. Er riet ihr, an schönen Tagen sich zu zerstreuen und auszufahren, doch ohne sich anzustrengen. Da unternahm Martha, die immer mehr in Angst geriet und ein Bedürfnis fühlte, ihre nervöse Ungeduld zu beschäftigen, Ausflüge in die benachbarten Dörfer. Zweimal in der Woche fuhr sie nach dem Frühstücke in einer alten, neu angestrichenen Kalesche aus, die sie bei einem Fuhrmann der Stadt mietete; sie fuhr zwei bis drei Meilen weit, so daß sie gegen sechs Uhr wieder zurück war. Ihr Lieblingstraum war, den Abbé Faujas mitzunehmen, und sie war auch nur in dieser Hoffnung den Anordnungen des Doktor Porquier gefolgt; aber der Abbé, ohne es gerade abzuschlagen, behauptete immer, zuviel zu tun zu haben. Sie mußte sich mit der Gesellschaft Olympias oder der Frau Faujas zufrieden geben.

Als sie eines Nachmittags mit Olympia durch das Dorf Tulettes an der kleinen Besitzung des Onkels Macquart vorbeifuhr, bemerkte sie dieser und rief von seiner Terrasse, die mit zwei Maulbeerbäumen bepflanzt war, ihr zu:

Warum ist Mouret nicht gekommen?

Sie mußte einen Augenblick bei dem Onkel halten, und es war eine lange Erklärung notwendig, daß sie leidend sei und nicht bei ihm essen könne. Er wollte durchaus ein Huhn schlachten.

Das tut nichts, sagte er endlich. Ich schlachte es dennoch und du nimmst es mit.

Sofort schlachtete er es. Als er das Huhn brachte und es auf den steinernen Tisch vor dem Hause hinlegte, sagte er entzückt:

Ist das ein fetter Kerl!

Der Onkel war eben im Begriffe, unter seinen Maulbeerbäumen eine Flasche Wein zu trinken in Gesellschaft eines großen, schmächtigen Burschen, der ganz in Grau gekleidet war. Er nötigte die beiden Frauen zum Sitzen, brachte Stühle und erfüllte mit zufriedenem Grinsen die Pflichten des Wirtes.

Nicht wahr, ich wohne hier hübsch? ... Meine Maulbeerbäume sind sehr schön. Im Sommer rauche ich meine Pfeife im Freien. Im Winter setze ich mich dort an die Mauer in die Sonne ... Siehst du mein Gemüse? Der Hühnerhof ist rückwärts. Hinter dem Hause habe ich auch noch ein Stück Land, wo ich Kartoffeln und Klee anbaue ... Ach Gott, ich werde alt; es ist an der Zeit, daß ich ein wenig genieße.

Er rieb sich die Hände und wiegte den Kopf, während er gerührt seinen Besitz betrachtete. Aber ein Gedanke schien ihn düster zu stimmen.

Ist es schon lange her, daß du deinen Vater gesehen hast? fragte er plötzlich. Es ist von Rougon nicht hübsch ... Dort links ist das Getreidefeld zu verkaufen. Wenn er gewollt hätte, würden wir es gekauft haben. Für einen Mann, der auf den Talern schläft, kann es wenig ausmachen. Eine lumpige Summe von dreitausend Franken, glaube ich ... Er hat sich geweigert. Das letztemal hat er mir sogar durch deine Mutter sagen lassen, daß er nicht zu Hause sei ... Du sollst sehen, es bringt ihnen kein Glück.

Kopfschüttelnd wiederholte er mit bitterem Lächeln:

Nein, es wird ihnen kein Glück bringen.

Dann holte er Gläser und wollte durchaus die zwei Frauen seinen Wein kosten lassen. Es war ein Wein aus Saint-Eutrope, den er entdeckt hatte; er trank ihn mit Andacht. Martha benetzte kaum ihre Lippen, Olympia trank die Flasche leer und noch ein Glas Fruchtsaft, da der Wein sehr stark sei, wie sie sagte.

Was macht denn dein Pfarrer? fragte der Onkel plötzlich seine Nichte.

Überrascht und verletzt sah Martha ihn an, ohne eine Antwort zu geben.

Man hat mir gesagt, daß er dir fest an den Leib rückt, fuhr der Onkel laut fort. Die Schwarzröcke wollen nichts als schlemmen. Als man es mir erzählte, erwiderte ich, daß dem Mouret schon recht geschehen sei. Ich habe ihn gewarnt ... Ich würde den Pfarrer zur Türe hinausjagen. Mouret braucht mich nur um Rat zu fragen; ich helfe selbst mit, wenn er will. Ich habe die Geschöpfe nie leiden können ... Ich kenne einen, den Abbé Fenil, der ein Haus jenseits der Straße hat. Er ist nicht besser als die anderen; aber er ist bösartig wie ein Affe, was mich unterhält. Ich glaube, er verträgt sich nicht mit deinem Pfarrer?

Martha war ganz blaß geworden.

Die Dame ist die Schwester des Herrn Abbé Faujas, sagte sie und zeigte auf Olympia, die neugierig zuhörte.

Das geht die Dame nichts an, erwiderte der Onkel, ohne die Fassung zu verlieren. Madame ist nicht böse ... Sie trinkt noch ein Glas Fruchtsaft.

Olympia ließ sich drei Gläschen einschenken. Aber Martha hatte sich erhoben und wollte aufbrechen. Der Onkel zwang sie, seinen Besitz zu besichtigen. Am Ende des Gartens blieb sie stehen und betrachtete ein großes, weißes Haus, das auf einem Abhange stand, einige hunderte Meter von Tulettes entfernt. Die inneren Höfe ähnelten denen eines Gefängnisses; die engen, regelmäßigen Fenster, die schwarze Streifen auf der Vorderseite des Hauses bildeten, gäben dem ganzen Gebäude das kahle, bleiche Aussehen eines Krankenhauses.

Das ist das Irrenhaus, sagte der Onkel leise, der den Blicken Marthas gefolgt war. Der Bursche da ist Wärter daselbst. Wir sind sehr gut miteinander bekannt, und er kommt zeitweilig her, um eine Flasche Wein mit mir zu trinken.

Mit diesen Worten wandte er sich dem in Grau gekleideten Manne zu, der unter den Maulbeerbäumen sein Glas leerte.

He, Alexander, rief er, zeige einmal meiner Nichte, wo das Fenster unserer armen Alten ist.

Alexander näherte sich zuvorkommend.

Sehen Sie jene drei Bäume? sagte er und streckte den Finger aus, als zeichne er einen Plan in der Luft. Ein wenig über den links bemerken Sie einen Springbrunnen in der Ecke des Hofes ... Folgen Sie den Fenstern des Erdgeschosses rechts: es ist das fünfte.

Martha schwieg; ihre Lippen waren weiß, die Augen blickten unwillkürlich starr auf das Fenster hin, das man ihr zeigte. Auch der Onkel Macquart sah hin, aber mit einem selbstgefälligen Augenblinzeln.

Manchmal sehe ich sie am Morgen, wenn die Sonne auf der anderen Seite ist. Sie befindet sich sehr wohl, nicht wahr, Alexander? Das sage ich ihnen immer, wenn ich nach Plassans komme ... Ich habe hier einen sehr guten Platz, um über sie zu wachen. Man kann keinen besseren Platz haben.

Er ließ ein zufriedenes Kichern hören.

Siehst du, meine Tochter, in den Köpfen der Rougons und Marcquarts ist es nicht mehr richtig. Wenn ich mich hierher setze diesem großen, verdammten Gebäude gegenüber, sage ich mir oft, daß vielleicht eines Tages die ganze Sippe hineinkommt, da die Mutter schon drinnen ist ... Gott sei Dank, für mich fürchte ich nichts, ich habe den Schädel auf dem rechten Fleck. Aber ich kenne Leute, die einen tüchtigen Hieb weg haben ... Nun, ich bin da, um sie zu empfangen, ich sehe sie von meinem Neste aus und empfehle sie Alexander, wenngleich man mit mir in der Familie nicht immer schön umgegangen ist.

Mit dem schrecklichen Lächeln eines lauernden Wolfes fuhr er fort:

Es ist für euch alle ein großes Glück, daß ich in Tulettes bin.

Martha zitterte. Obwohl sie ihren Onkel kannte, der gern grausame Scherze machte und seine Freude daran hatte, die Leute zu quälen, denen er Kaninchen brachte, schien es ihr doch, als habe er die Wahrheit gesagt, daß die ganze Familie dereinst dort in den grauen Zellenreihen hausen wird.

Nicht eine Minute wollte sie länger hier bleiben trotz des Drängens Macquarts, der davon sprach, noch eine Flasche zu entkorken.

Und das Hühnchen? rief er, als sie in den Wagen stieg.

Er holte es schnell und legte es ihr auf die Knie.

Das ist für Mouret, hörst du? wiederholte er boshaft; für Mouret, nicht für einen anderen, hörst du? Ich frage ihn, wenn ich ihn besuche, wie es ihm geschmeckt hat.

Er zwinkerte mit den Augen, wobei er Olympia ansah. Der Kutscher wollte eben die Pferde antreiben, als Macquart sich neuerdings an den Wagen klammerte und ihr zurief:

Geh zu deinem Vater, sprich mit ihm von dem Getreidefeld ... Es ist das Feld vor uns ... Rougon hat unrecht. Wir sind zu alte Vettern, um in Hader zu leben. Er weiß wohl, daß es für ihn nur um so schlechter wäre ... Mach' ihm begreiflich, daß er unrecht hat.

Die Kutsche fuhr fort. Als sich Olympia umsah, gewahrte sie, wie Macquart unter den Maulbeerbäumen mit Alexander lachte und die zweite Flasche entkorkte, von der er gesprochen hatte. Martha befahl dem Kutscher ausdrücklich, nicht mehr durch Tulettes zu fahren. Übrigens wurde sie dieser Spazierfahrten überdrüssig; sie machte sie immer seltener und gab sie ganz auf, als sie einsah, daß der Abbé Faujas nie einwilligte, sie zu begleiten.

In Martha wuchs ein ganz neues Weib heran. Sie war durch das nervöse Leben, das sie führte, geläutert. Ihre spießbürgerliche Schwerfälligkeit, diese träge Ruhe, die sie sich durch einen fünfzehnjährigen Schlummer hinter dem Ladenpulte erworben hatte, schien in der Flamme ihrer Frömmigkeit zu schmelzen. Sie kleidete sich besser und plauderte jeden Donnerstag bei den Rougons.

Frau Mouret wird wieder ein junges Mädchen, sagte Frau von Condamin verwundert.

Ja, sagte Doktor Porquier leise, indem er mit dem Kopfe schüttelte, sie schreitet das Leben im Krebsgange hinab.

Martha war in ihrer schmächtigeren Gestalt, mit den rosigen Wangen, den prächtig schwarzen glühenden Augen damals einige Monate lang eine eigentümliche Schönheit. Das Gesicht strahlte; eine außerordentliche Lebensfülle ging von ihrem ganzen Wesen aus und umhüllte sie gleichsam mit einem warmen Beben. Es schien, als ob ihre vergessene Jugend mit vierzig Jahren in ihr mächtig auflodere. Sie ging in den Gebeten völlig auf und gehorchte dem Abbé Faujas nicht mehr. Sie nützte ihre Knie auf den Fliesen von Saint-Saturnin ab, lebte in den Gesängen und Anbetungen und fühlte sich erleichtert im Anblicke strahlender Monstranzen, beleuchteter Kapellen, Altäre und Priester, die im Glanze von Gestirnen an dem dunklen Gewölbe des Kirchenschiffes leuchteten. Es war in ihr eine Art leiblichen Hungers nach diesen Herrlichkeiten, ein Hunger, der sie quälte, ihr die Brust durchwühlte und den Schädel leerte, wenn sie ihn nicht befriedigte. Sie litt zu sehr, sie siechte dahin und mußte die Nahrung ihrer Leidenschaft haben, sich unter dem Gemurmel der Beichtenden niederwerfen, unter dem mächtigen Schauer der Orgeltöne beugen und in der Verzückung der Kommunion vergehen. Dann fühlte sie nichts mehr, ihr Körper litt keine Schmerzen mehr. Sie lag in Wonne auf der Erde, rang schmerzlos mit dem Tode und wurde eine reine Flamme, die sich in Liebe verzehrte.

Der Abbé Faujas verdoppelte seine Strenge und hielt sie nur durch Barschheit in Schranken. Sie setzte ihn durch diesen Ausbruch der Leidenschaft, durch diesen glühenden Eifer, zu lieben und zu sterben, in Erstaunen. Oft fragte er sie neuerdings über ihre Kindheit aus. Er ging zu Frau Rougon und blieb einige Zeit erschüttert, wie unzufrieden mit sich selbst.

Die Hausfrau beklagt sich über dich, sagte seine Mutter zu ihm. Warum läßt du sie nicht in die Kirche gehen, wenn es ihr gefällt? ... Du tust unrecht, sie zu hindern; sie ist sehr gut zu uns.

Sie tötet sich, murmelte der Priester.

Frau Faujas zuckte dann wie gewöhnlich mit den Achseln.

Das ist ihre Sache. Jeder holt sich sein Vergnügen, wo er es findet. Es ist besser, sich durch Beten töten, als sich den Magen überladen, wie diese verdammte Olympia ... Sei mit Frau Mouret weniger streng. Es könnte uns schließlich das Haus unmöglich machen.

Als sie ihm eines Tages diese Ratschläge gab, sagte er mit düsterer Stimme:

Mutter, diese Frau wird das Hindernis sein.

Sie, rief die alte Bäuerin aus, aber sie betet dich doch an, Ovid! ... Du kannst mit ihr machen, was du willst, wenn du mit ihr nicht mehr zankst. Bei Regenwetter würde sie dich in die Kirche tragen, damit du dir die Füße nicht naß machst.

Der Abbé Faujas sah selbst die Notwendigkeit ein, die Barschheit nicht weiter zu treiben. Er fürchtete einen Auftritt. Er ließ daher allmählich Martha eine größere Freiheit, erlaubte ihr die Zurückgezogenheit, die langen Rosenkränze vor jeder Kreuzesstation; er gestattete ihr sogar, zweimal in der Woche in seinem Beichtstuhle in Saint-Saturnin zu erscheinen. Martha, die nicht mehr diese schreckliche Stimme hörte, die sie der Frömmigkeit wie eines schmählich befriedigten Lasters beschuldigte, dachte, daß Gott ihr seine Gnade zugewendet habe. Sie trat endlich in die Wonnen des Paradieses ein. Sie hatte Anwandlungen der Rührung, unaufhörlich flossen ihr die Tränen über die Wangen und sie fühlte sie nicht mehr; es waren dies nervöse Anwandlungen, aus denen sie geschwächt und halb ohnmächtig hervorging, als wenn ihre ganze Lebenskraft mit den Zähren über die Wangen entströmt sei. Rosa legte sie dann in das Bett, wo sie stundenlang dalag, mit den eingekniffenen Lippen und halboffenen Augen einer Toten. Eines Nachmittags erschrak die Köchin über ihre Regungslosigkeit und glaubte, daß sie dem Tode nahe sei. Sie dachte nicht daran, an die Türe des Zimmers, wo sich Mouret eingeschlossen hatte, zu klopfen, sondern stieg in den zweiten Stock hinauf und bat den Abbé Faujas, zu ihrer Herrin zu kommen. Als er sich in dem Schlafzimmer befand, ging sie fort, um Äther zu holen, und ließ ihn allein bei der ohnmächtigen Frau, die quer über dem Bette lag. Er begnügte sich damit, Marthas Hand in die seinige zu nehmen. Da bewegte sie sich und murmelte zusammenhangslose Worte. Als sie ihn schließlich erkannte, wie er auf der Schwelle des Schlafzimmers stand, schoß ihr das Blut in den Kopf und sie machte eine Bewegung, als wollte sie die Decke über sich ziehen.

Geht es Ihnen besser, liebes Kind? fragte er sie. Sie machen mir große Sorge.

Es schnürte ihr die Kehle zu, und sie konnte nicht antworten; sie brach in ein Schluchzen aus und ließ ihren Kopf in die Arme des Priesters sinken.

Ich leide nicht, ich bin zu glücklich, sagte sie mit einer Stimme, so schwach wie ein Windhauch. Lassen Sie mich weinen, die Tränen sind meine Freude. Ach, wie gut, daß Sie gekommen sind. Lange erwartete ich Sie, lange rief ich Sie.

Ihre Stimme wurde immer schwächer und war schließlich nur das Gemurmer eines glühenden Gebetes:

Wer wird mir Flügel geben, um zu dir zu fliegen? Meine Seele, fern von dir, voll Ungeduld, von dir durchdrungen zu werden, verschmachtet ohne dich, sehnt sich glühend und seufzt nach dir, o mein Gott, o mein einziges Gut, mein Trost, meine Süße, mein Schatz, mein Glück und mein Leben, mein Gott und mein alles ...

Sie lächelte, indem sie dieses Bruchstück eines gierigen Geständnisses stammelte. Sie faltete die Hände und schien das ernste Haupt des Abbé Faujas in einem Heiligenscheine zu sehen. Diesem war es bisher immer gelungen, auf den Lippen Marthas ein Geständnis zurückzuhalten; er fürchtete sich einen Augenblick, machte seine Arme los, erhob sich und sagte gebieterisch:

Seien Sie vernünftig, ich will es. Gott wird Ihre Huldigungen nicht annehmen, wenn Sie sie nicht mit der Ruhe Ihrer Vernunft an ihn richten ... Es handelt sich jetzt darum, Sie zu pflegen.

Rosa kam verzweifelt zurück, weil sie keinen Äther gefunden hatte. Er rief sie zum Bette ihrer Herrin und sagte in sanftem Tone zu Martha:

Quälen Sie sich nicht. Gott wird von Ihrer Liebe gerührt sein. Wenn die Stunde kommt, wird er zu Ihnen herabsteigen und Sie mit ewiger Glückseligkeit erfüllen.

Als er das Zimmer verließ, strahlte Martha wie neubelebt. Von diesem Tage an behandelte er sie wie weiches Wachs. Sie wurde ihm sehr nützlich in gewissen heiklen Sendungen zu Frau von Condamin; sie besuchte auch fleißig Frau Rastoil auf einen bloßen Wunsch hin, den er aussprach. Sie gehorchte ihm unumschränkt, suchte nicht zu verstehen, sondern wiederholte nur, was er sie zu wiederholen bat. Er übte keine Vorsicht mehr ihr gegenüber, kanzelte sie derb ab und bediente sich ihrer wie einer Maschine. Sie hätte in den Straßen gebettelt, wenn er es ihr befohlen hätte. Wenn sie unruhig wurde, die Hände gegen ihn ausstreckte, mit gepreßtem Herzen und von der Leidenschaft geschwellten Lippen, da warf er sie mit einem Worte nieder und beugte sie unter den Willen des Himmels. Nie wagte sie zu sprechen. Es gab zwischen ihr und diesem Manne eine Mauer des Zornes und des Widerwillens. Wenn er aus diesen kurzen Kämpfen, die er mit ihr zu bestehen hatte, hervorging, zuckte er mit den Achseln voll der Verachtung eines Ringkämpfers, dem sich ein Kind in den Weg gestellt hat. Er wusch und bürstete sich, als habe er unwillkürlich ein unsauberes Tier berührt.

Warum bedienst du dich nicht der Taschentücher, die dir Frau Mouret gegeben hat? fragte ihn seine Mutter. Die arme Frau wäre glücklich, wenn sie sie in deinen Händen sehen würde. Sie hat einen Monat damit zugebracht, dein Monogramm hineinzusticken.

Mit einer barschen Gebärde erwiderte er:

Nein, benutze sie, Mutter. Es sind Frauentaschentücher. Sie haben einen mir unerträglichen Geruch.

Wenn sich Martha vor dem Priester beugte, nur mehr seine Sache war, so wurde sie doch jeden Tag verbitterter und stritt wegen tausend nichtiger Dinge. Rosa sagte, sie habe sie noch nie so »zänkisch« gesehen. Aber ihr Haß wuchs besonders gegen ihren Gatten. Der alte Groll der Rougons erwachte gegenüber diesem Sohne einer Macquart, einem Manne, den sie beschuldigte, die Qual ihres Lebens zu sein. Wenn im Speisezimmer Frau Faujas oder Olympia ihr Gesellschaft leisteten, hielt sie sich nicht mehr zurück und zog gegen Mouret los.

Wenn man bedenkt, daß er mich zwanzig Jahre wie einen Gehilfen mit der Feder hinter dem Ohre zwischen einem Fasse Öl und einem Sack Mandeln festgehalten hat! Niemals ein Vergnügen, nie ein Geschenk! ... Er hat mir meine Kinder genommen. Er ist imstande, sich eines schönen Morgens davonzumachen, um den Glauben zu erwecken, daß ich ihm das Leben verleide. Glücklicherweise sind Sie da. Sie werden überall sagen, wie es sich in Wahrheit verhielt.

Ohne jede Veranlassung zog sie gegen Mouret los. Alles was er tat, seine Blicke, seine Gebärden, die wenigen Worte, die er sprach: sie brachten sie außer sich. Sie konnte ihn nicht mehr sehen, ohne wie unbewußt in Wut zu geraten. Die Streitigkeiten brachen besonders am Ende der Mahlzeiten aus, wenn Mouret, ohne den Nachtisch abzuwarten, seine Serviette zusammenlegte und sich schweigend erhob.

Du könntest wohl warten, bis die übrigen vom Tische aufstehen, sagte sie zornig zu ihm; das ist nicht höflich, was du da tust.

Ich bin fertig, ich gehe, erwiderte er langsam.

Aber sie sah in diesem täglichen Rückzuge ein absichtliches Benehmen ihres Mannes, den Abbé zu verletzen. Dann verlor sie jede Besonnenheit.

Du hast keine Erziehung, du machst mir nur Schande ... Ach, ich wäre unglücklich mit dir, wenn ich nicht Freunde getroffen hätte, die mich über deine Roheiten trösten. Du kannst dich nicht einmal bei Tische benehmen; du hinderst mich, auch nur eine einzige Mahlzeit friedlich einzunehmen ... Bleib, hörst du! Wenn du nicht ißt, schau uns zu!

Er legte in aller Ruhe seine Serviette zusammen, als habe er nichts gehört; dann ging er langsam hinaus. Man hörte ihn die Treppe hinaufsteigen und sich in seinem Zimmer doppelt einschließen. Dann drohte sie vor Zorn zu ersticken und stammelte:

Oh, das Ungeheuer! Er tötet mich, er tötet mich!

Frau Faujas mußte sie trösten. Rosa lief bis zur Treppe und rief aus allen Kräften, damit es Mouret durch die Türe höre:

Sie sind ein Ungeheuer, gnädiger Herr; die gnädige Frau hat ganz recht zu sagen, daß Sie ein Ungeheuer sind!

Gewisse Streitigkeiten waren besonders heftig. Martha, deren Verstand ins Wanken geriet, bildete sich ein, daß ihr Gatte sie schlagen wolle: Es war eine fixe Idee. Sie behauptete, daß er sie belauere und nur auf eine Gelegenheit warte. Er wage es nicht, sagte sie, weil er sie nie allein finde; in der Nacht fürchte er, daß sie schreien, um Hilfe rufen könne. Rosa versicherte, daß sie gesehen habe, wie der gnädige Herr einen dicken Knüttel in seinem Büro versteckt habe, Frau Faujas und Olympia glaubten ohne weiteres diese Geschichten; sie beklagten sehr ihre Hausfrau, machten sie sich streitig und bildeten ihre Wache. »Dieser Wilde«, wie sie jetzt Mouret nannten, würde sie vielleicht in ihrer Anwesenheit nicht roh behandeln. Sie empfahlen ihr, wenn er sich abends rühre, sie holen zu lassen. Das Haus lebte nur mehr in Aufruhr.

Er ist eines schlimmen Streiches fähig, erklärte die Köchin.

In diesem Jahre folgte Martha den religiösen Übungen der Karwoche mit glühendem Eifer. Am Karfreitag war sie in der schwarzen Kirche, in frommer Verzückung schier vergehend, während die Kerzen eine nach der anderen unter dem Klagegesange erloschen, der im Hintergrunde des düsteren Schiffes ertönte. Es schien ihr, als wenn ihr Leben mit diesen Kerzen vergehe. Als die letzte Kerze erlosch und eine Schattenmauer undurchdringlich und geschlossen sich vor ihr aufrichtete, fiel sie mit ihrer hohlen Brust und ihrem geängstigten Leibe in Ohnmacht. Eine Stunde blieb sie auf ihrem Stuhle in betender Haltung zusammengesunken, ohne daß die Frauen, die um sie herum knieten, dies bemerkten. Die Kirche war leer, als sie wieder zu sich kam. Sie träumte, daß man sie mit Ruten schlage, daß das Blut aus ihren Gliedern fließe; sie fühlte im Kopfe so unerträgliche Schmerzen, daß sie mit den Händen danach griff, als wolle sie die Dornen herausreißen, deren Spitzen sie in ihrem Schädel fühlte. Abends bei dem Essen war sie ganz seltsam. Die nervöse Erschütterung hielt an; sie sah, wenn sie die Augen schloß, die sterbenden Seelen der Kerzen in der Dunkelheit davonfliegen; sie musterte unwillkürlich ihre Hände und suchte die Löcher, durch die ihr Blut geflossen war. Die ganze Passion blutete in ihr.

Als Frau Faujas sah, daß sie leidend sei, wollte sie, daß Martha frühzeitig zu Bette gehe. Sie begleitete sie und brachte sie zu Bette. Mouret, der einen Schlüssel zum Schlafzimmer besaß, hatte sich schon in seine Kanzlei zurückgezogen, wo er die Abende zubrachte. Als Martha, die bis zu dem Kinn in den Decken steckte, sagte, daß ihr warm sei und daß sie sich wohler fühle, wollte Frau Faujas die Kerze ausblasen, damit sie ruhiger schlafen könne; aber die Kranke erhob sich erschrocken und bat flehentlich:

Nein, löschen Sie das Licht nicht aus; stellen Sie es auf die Kommode, damit ich es sehen kann ... Ich würde in dieser Finsternis sterben.

Mit weit geöffneten Augen starrte sie vor sich hin, als wenn sie sich zitternd irgendeines furchtbaren Dramas erinnere, und murmelte tieftraurig:

Es ist schrecklich, schrecklich!

Sie fiel auf das Kissen zurück, schien sich zu beruhigen, und Frau Faujas verließ leise das Zimmer. An diesem Abend war um zehn Uhr das ganze Haus zu Bette. Rosa bemerkte, als sie die Treppe hinaufging, daß Mouret noch in seiner Kanzlei war. Sie schaute durch das Schlüsselloch und sah, daß er auf dem Tische eingeschlafen war und neben ihm eine Küchenkerze brannte, deren schlechter Docht rauchte.

Um so schlimmer! Ich wecke ihn nicht! sagte sie, indem sie weiter hinaufging. Mag er sich einen steifen Hals holen, wenn es ihm Vergnügen macht.

Um Mitternacht lag das Haus in tiefem Schlafe, als im ersten Stocke sich Geschrei vernehmen ließ. Zuerst waren es dumpfe Klagen, die bald in ein wahres Geheul ausarteten, erstickte und heisere Rufe eines Opfers, das man erwürgt. Der Abbé Faujas, der sofort erwachte, rief seine Mutter. Diese nahm sich kaum Zeit, einen Rock anzuziehen. Sie eilte zur Türe Rosas, klopfte und rief:

Gehen Sie schnell hinunter, ich glaube, man ermordet Frau Mouret.

Doch das Geschrei wurde stärker. Das Haus war bald auf den Beinen. Olympia erschien, die Schultern bloß mit einem Halstuche bedeckt; hinter ihr Trouche, der eben erst mit einem kleinen Rausche nach Hause gekommen war. Rosa eilte hinunter, die anderen ihr nach.

Öffnen Sie, öffnen Sie, gnädige Frau! rief sie kopflos, indem sie mit der Faust gegen die Türe schlug.

Tiefe Seufzer waren die Antwort; dann fiel ein Körper, ein heftiger Kampf schien auf dem Boden inmitten von umgestürzten Möbeln zu wüten. Dumpfe Schläge erschütterten die Mauern; ein Röcheln drang unter der Türe hervor so schrecklich, daß die Faujas und Trouche erbleichend sich anblickten.

Ihr Mann tötet sie, sagte Olympia leise.

Sie haben recht, es ist der Wilde! erwiderte die Köchin. Ich habe ihn gesehen, als ich hinaufging; er tat, als schliefe er. Er bereitete den Anschlag vor.

Sie schlug von neuem mit beiden Fäusten an die Türe, um sie zu zertrümmern und rief:

Öffnen Sie, gnädiger Herr! Wir holen die Polizei, wenn Sie nicht öffnen ... Oh, der Schuft! Er wird auf dem Schafott endigen.

Dann brach das Geheul von neuem los. Trouche meinte, der Kerl müsse die arme Frau wie ein Huhn abschlachten.

Mit dem Klopfen allein ist nicht geholfen, sagte der Abbé Faujas, indem er vortrat. Wartet!

Er drückte eine seiner mächtigen Schultern an die Türe, die er mit langsamer, steter Anstrengung eindrückte. Die Frauen stürzten in das Zimmer, wo sich ihren Augen ein sonderbares Schauspiel darbot.

Inmitten des Zimmers lag auf den Fliesen Martha keuchend, mit zerrissenem Hemde, die Haut blutig geritzt, blau von Schlägen. Ihre aufgelösten Haare hatten sich um ein Stuhlbein gewunden; ihre Hände mußten sich mit einer solchen Kraft an die Kommode geklammert haben, daß diese jetzt quer vor der Türe stand. In einer Ecke stand Mouret mit dem Leuchter in der Hand und sah stumpfsinnig zu, wie seine Frau sich auf dem Boden wand.

Der Abbé Faujas mußte die Kommode zurückschieben.

Sie sind ein Ungeheuer! rief Rosa, indem sie mit erhobener Faust auf Mouret losging. Eine Frau in einen solchen Zustand zu bringen! ... Er hätte sie ganz getötet, wenn wir nicht zur rechten Zeit gekommen wären.

Frau Faujas und Olympia machten sich mit Martha zu schaffen.

Arme Freundin, murmelte die erstere. Sie hatte heute abend eine Ahnung; sie war ganz erschrocken.

Wo tut es weh? fragte die andere. Sie haben sich nichts gebrochen, nicht wahr? ... Da ist eine Schulter ganz schwarz; das Knie zeigt eine große Hautabschürfung ... Beruhigen Sie sich. Wir sind bei Ihnen, wir werden Sie schützen.

Martha stöhnte nur mehr wie ein Kind. Während die beiden Frauen sie untersuchten, wobei sie ganz vergaßen, daß Männer da waren, machte Trouche einen langen Hals und sah den Abbé von der Seite an, der ruhig die Möbel wieder in Ordnung brachte. Rosa half mit, sie wieder zu Bett zu bringen. Als dies geschehen war, blieben alle noch einen Augenblick da und sahen sich neugierig in dem Zimmer um, um Einzelheiten zu erfahren. Mouret stand noch immer in der Ecke mit dem Leuchter in der Hand, wie versteinert über das, was er gesehen.

Ich versichere Sie, stotterte er, ich habe ihr nichts getan, ich habe sie nicht mit der Fingerspitze berührt.

Eh, Sie lauern schon seit einem Monate nach einer Gelegenheit, schrie Rosa zornig. Wir wissen es wohl, wir haben Sie genug beobachtet. Die liebe Frau ahnte Ihre schlechte Behandlung. Lügen Sie nicht. Es bringt mich ganz außer Rand und Band.

Die beiden anderen Frauen fühlten sich nicht berechtigt, so mit ihm zu sprechen, aber sie warfen ihm drohende Blicke zu.

Ich versichere Sie, wiederholte Mouret leise, ich habe sie nicht geschlagen. Ich wollte zu Bett gehen und hatte mir ein Tuch um den Kopf gebunden. Als ich den Leuchter nahm, der auf der Kommode stand, erwachte sie plötzlich; sie streckte mit einem Schrei die Arme aus und begann sich die Stirn mit den Fäusten zu bearbeiten und den Körper mit den Nägeln zu zerreißen.

Die Köchin schüttelte heftig mit dem Kopfe.

Warum haben Sie denn nicht geöffnet? fragte sie; wir haben stark genug geklopft.

Ich versichere Sie, ich bin es nicht, sagte er von neuem noch leiser. Ich wußte nicht, was sie hatte. Sie hat sich auf die Erde geworfen, biß sich und raste herum, als wolle sie die Möbel zertrümmern. Ich habe nicht gewagt vorüberzugehen; ich war ganz dumm. Ich habe Ihnen zweimal zugerufen hereinzukommen, aber Sie müssen mich nicht gehört haben, weil sie zu stark schrie. Ich fürchtete mich sehr. Ich war es gewiß nicht.

Sie hat sich selbst geschlagen, nicht wahr? versetzte Rosa höhnend.

Dann wandte sie sich an Frau Faujas:

Er hat seinen Stock zum Fenster hinausgeworfen, als er uns kommen hörte.

Mouret stellte endlich den Leuchter auf die Kommode und setzte sich nieder, die Hände über die Knie gekreuzt. Er verteidigte sich nicht mehr; er sah stumpf die Frauen an, die halb angekleidet mit ihren mageren Armen vor dem Bette herumfuchtelten. Trouche hatte mit dem Abbé Faujas einen Blick gewechselt. Der arme Mann in Hemdärmeln mit dem gelben Tuche um seinen kahlen Kopf kam ihnen wenig verwirrt vor. Sie traten wieder Martha näher, die mit krampfhaft zuckendem Gesichte aus einem Traume zu erwachen schien.

Was ist denn, Rosa? fragte sie. Warum sind die Leute da? Ich bin gebrochen. Ich bitte dich, sage ihnen, daß man mich in Ruhe lasse.

Rosa zögerte einen Augenblick.

Ihr Mann ist im Zimmer, gnädige Frau, sagte sie leise. Fürchten Sie sich nicht, mit ihm allein zu bleiben?

Martha sah sie erstaunt an.

Nein, nein, erwiderte sie. Gehen Sie fort, ich bin sehr schläfrig.

Da verließen die fünf Personen das Zimmer, während Mouret allein blieb und mit starrem Auge sich umsah.

Er kann die Türe nicht wieder schließen, sagte die Köchin im Hinaufgehen. Bei dem ersten Schrei stürze ich herunter und springe ihm an den Hals. Ich lege mich angekleidet nieder ... Haben Sie gehört, wie die liebe gnädige Frau log, damit man dem Wilden nichts antue? Sie ließe sich töten, ohne ihn anzuklagen. Wie er heuchlerisch aussah, nicht wahr?

Die drei Frauen plauderten einen Augenblick zusammen auf dem Stiegenabsatze des zweiten Stockes, hielten ihre Leuchter in der Hand und zeigten ihre dünnen Knochen unter den schlecht gebundenen Halstüchern; sie erklärten, keine Strafe sei zu groß für einen solchen Menschen. Trouche, der zuletzt hinaufgegangen war, brummte verschmitzt hinter dem Talar des Abbé Faujas:

Die Hausfrau ist noch immer wohlbeleibt, aber es muß nicht angenehm sein, wenn eine solche Frau wie ein Wurm auf der Erde herumkriecht.

Sie trennten sich. Das Haus sank wieder in seine tiefe Ruhe, und die Nacht ging friedlich vorüber. Als am folgenden Morgen die drei Frauen auf den schrecklichen Auftritt zurückkommen wollten, war Martha überrascht, förmlich beschämt und in Verlegenheit; sie gab keine Antwort und brach das Gespräch ab. Sie wartete, bis niemand da war, und holte einen Arbeiter, der die Türe wieder einrichtete. Frau Faujas und Olympia schlossen daraus, daß Frau Mouret, weil sie nicht davon sprach, einen Skandal vermeiden wolle.

Am zweiten Tage darauf, dem Ostertage, genoß Martha in Saint-Saturnin im Jubel der Auferstehung ein inbrünstiges Erwachen. Die Schatten des Karfreitags waren durch eine Morgenröte hinweggefegt; die Kirche erstrahlte, duftete und war erleuchtet, als wolle man eine göttliche Hochzeit feiern; die Stimmen der Chorknaben erklangen hell wie Flötenton und sie, Martha, inmitten dieses fröhlichen Gesanges, fühlte sich durch eine noch schrecklichere Wonne erhoben, als ihre Beklemmungen angesichts des gekreuzigten Heilandes waren. Mit glühenden Augen und trockener Stimme kehrte sie heim; abends verweilte sie länger bei Tische und plauderte mit einer ungewöhnlichen Heiterkeit. Als sie schlafen ging, lag Mouret schon im Bett. Gegen Mitternacht weckte furchtbares Schreien neuerdings das Haus.

Die Szene der vorigen Nacht erneuerte sich; nur öffnete beim ersten Schlag an die Türe Mouret im Hemde und mit bestürztem Gesichte. Martha lag ganz angekleidet auf dem Bauche und schluchzte, indem sie mit ihrem Kopfe an das Fußende des Bettes schlug. Die Taille ihres Kleides schien zerrissen; zwei Wunden wurden an ihrem nackten Halse sichtbar.

Er wollte sie diesmal erwürgen, sagte Rosa leise.

Die Frauen entkleideten sie. Als Mouret die Türe geöffnet hatte, legte er sich wieder zu Bette, zitternd und bleich wie Linnen. Er verteidigte sich nicht und schien nicht einmal die bösen Worte zu hören. Er verschwand in dem Bette, der Mauer zugewandt.

Seitdem fanden solche Szenen in unregelmäßigen Zwischenräumen statt. Das Haus lebte in fortwährender Furcht vor einem Verbrechen; bei dem geringsten Geräusche waren die Mieter des zweiten Stockwerkes auf den Beinen. Martha vermied alle Anspielungen und wollte durchaus nicht, daß Rosa ein Feldbett für Mouret in der Kanzlei aufschlage. Wenn der Tag anbrach, schien er die Erinnerung an das nächtliche Geschehen mitzunehmen.

Unterdessen verbreitete sich allmählich in dem Stadtviertel das Gerücht, daß bei den Mourets sonderbare Dinge vorgingen. Man erzählte, daß der Gatte alle Nächte seine Frau mit Knütteln prügle. Rosa hatte Frau Faujas und Olympia schwören lassen, nichts zu sagen, da anscheinend auch ihre Frau darüber schweigen wollte; aber sie selbst hatte durch Klagen, Anspielungen, Geheimtuereien vor den Lieferanten zu diesem Märchen beigetragen, das im Umlaufe war. Der Fleischhauer, ein Schalk, behauptete, daß Mouret seine Frau prügle, weil er sie mit dem Pfarrer überrascht habe; aber die Obsthändlerin verteidigte »die arme Dame«, die ein wahres Lamm sei und nichts Schlechtes begehen könne; während die Bäckerin in dem Gatten »einen jener Männer sah, die selbst durch Roheiten ihr Vergnügen bei ihren Frauen erzwingen«. Auf dem Markte sprach man von Martha, indem man mitleidsvoll die Augen zum Himmel aufschlug, nur in den zärtlichsten Worten, wie man sie bei kranken Kindern gebraucht. Wenn Olympia ein Pfund Kirschen oder einen Topf Erdbeeren kaufte, so kam das Gespräch unwillkürlich auf die Mourets. Eine Viertelstunde lang erging man sich dann in rührenden Worten über sie.

Wie ist es zu Hause?

Reden Sie nicht davon! Sie weint sich die Augen aus. Es ist zum Herzbrechen. Man möchte ihr lieber den Tod wünschen.

Sie hat mir neulich Artischocken abgekauft; eine Wange war zerrissen.

Gott, er tötet sie ... Und wenn Sie ihren Körper gesehen hätten wie ich ... Er ist eine einzige Wunde ... Er versetzt ihr mit dem Stiefelabsätze Schläge, wenn sie auf der Erde liegt. Ich fürchte immer, sie mit zerschmettertem Kopfe zu finden, wenn wir in der Nacht hinuntereilen.

Das muß für Sie nicht angenehm sein, in einem solchen Hause zu wohnen. Ich würde ausziehen; ich würde krank werden, wenn ich jede Nacht solchen Schrecken haben sollte.

Was würde dann aus der Unglücklichen werden? Sie ist so vornehm, so sanft! Wir bleiben um ihretwillen! ... Das Pfund Kirschen kostet fünf Sous, nicht wahr?

Ja, fünf Sous ... Nun, ich muß sagen: Sie haben Ausdauer, Sie sind eine gute Seele.

Diese Geschichte von einem Gatten, der Mitternacht abwartet, um mit einem Stocke über seine Frau herzufallen, war besonders geeignet, die Klatschweiber des Marktes in Aufregung zu versetzen. Schreckliche Einzelheiten vergrößerten täglich die Geschichte. Eine Betschwester versicherte, daß Mouret vom Teufel besessen sei und sich dermaßen in den Hals seiner Frau verbeiße, daß der Abbé Faujas mit dem linken Daumen drei Kreuze in die Luft machen müsse, um ihn zu zwingen, sie loszulassen. Dann, fuhr sie fort, falle Mouret wie eine Masse auf den Boden, eine große schwarze Ratte springe ihm aus dem Munde und verschwinde, ohne daß man jemals ein Loch in dem Fußboden entdecken könnte. Der Kaidaunenhändler an der Ecke der Taravelle-Straße setzte das Viertel in Schrecken, indem er die Meinung aussprach, »daß dieser Räuber vielleicht von einem tollen Hunde gebissen wurde«.

Aber diese Geschichte fand in den besseren Klassen von Plassans keinen Glauben. Als sie auf dem Korso Sauvaire auftauchte, belustigte sie die kleinen Rentner, die auf den Bänken in der warmen Maisonne saßen.

Mouret ist nicht imstande, seine Frau zu schlagen, sagten die ehemaligen Mandelhändler; er sieht aus, als wenn er die Peitsche bekommen habe, er macht nicht mehr seinen Spaziergang ... Seine Frau scheint ihn sehr knapp zu halten.

Man kann nicht wissen, hub ein Kapitän im Ruhestand an. Ich habe einen Offizier meines Regimentes gekannt, den seine Frau für ein Ja und Nein ohrfeigte. Das dauerte zehn Jahre. Als es ihr eines Tages einfiel, ihm Fußtritte zu versetzen, wurde er wütend und hätte sie beinahe erdrosselt ... Vielleicht kann Mouret die Fußtritte nicht mehr leiden.

Er kann ohne Zweifel die Pfarrer noch weniger leiden, schloß eine spöttische Stimme.

Frau Rougon schien einige Zeit von dem Skandal nichts zu wissen, der die Stadt beschäftigte. Sie lächelte und vermied es, die Anspielungen zu verstehen, die man vor ihr machte. Aber als eines Tages Herr Delangre sie besucht hatte, kam sie mit bestürzter Miene und Tränen in den Augen zu ihrer Tochter.

Ach, sagte sie und umarmte Martha, was muß ich hören? Dein Mann könnte sich soweit vergessen, die Hand gegen dich zu erheben? ... Das sind Lügen, nicht wahr? ... Ich habe es aufs bestimmteste widerlegt. Ich kenne Mouret. Er ist ungezogen, aber nicht bösartig.

Martha errötete; sie fühlte jene Verlegenheit und Scham, die sie jedesmal hatte, wenn man in ihrer Gegenwart diesen Gegenstand berührte.

Ja, die gnädige Frau wird nicht klagen, rief Rosa mit ihrer gewöhnlichen Keckheit. Ich hätte es Ihnen schon lange gesagt, wenn ich nicht gefürchtet hätte, deswegen von der gnädigen Frau ausgezankt zu werden.

Die alte Frau ließ in schmerzlicher Überraschung die Hände sinken.

So ist es also wahr? sagte sie. Er schlägt dich? ... Der Unglückliche!

Sie begann zu weinen.

Bin ich so alt geworden, um solche Dinge zu sehen? Ein Mann, den wir nach dem Tode seines Vaters mit Wohltaten überschüttet haben, als er nur ein kleiner Lehrling bei uns war! ... Rougon wollte eure Heirat. Ich sagte ihm wohl, daß Mouret ein böses Auge habe. Übrigens hat er sich uns gegenüber nie schön benommen; er hat sich nur nach Plassans zurückgezogen, um uns mit seinem Bettel, den er zusammengescharrt hat, zu höhnen. Gott sei Dank! Wir brauchten ihn nicht, wir waren reicher als er, und das hat ihn geärgert. Er hat einen kleinlichen Sinn; er ist so neidisch, daß er sich stets wie ein Bengel geweigert hat, den Fuß in meinen Salon zu setzen; ... er wäre dort vor Neid zerplatzt ... Aber ich lasse dich bei einem solchen Ungeheuer nicht; glücklicherweise gibt es Gesetze.

Beruhige dich; man übertreibt sehr, ich versichere dir, sagte Martha leise, indem sie immer verlegener wurde.

Sie sollen sehen, wie sie ihn verteidigt, sagte die Köchin.

Der Abbé Faujas und Trouche, die im Garten sich unterhielten, kamen jetzt, durch das Sprechen herbeigerufen, näher.

Herr Pfarrer, ich bin eine sehr unglückliche Mutter, hub Frau Rougon an, lauter zu klagen, ich habe nur eine Tochter in meiner Nähe und erfahre, daß sie nicht genug Augen hat, um zu weinen ... Ich bitte Sie; Sie wohnen bei ihr, trösten Sie, beschützen Sie Martha!

Der Pfarrer sah sie an, als wolle er das Geheimnis dieses plötzlichen Schmerzes durchdringen.

Ich habe soeben eine Person gesehen, die ich nicht nennen will, fuhr sie fort, indem sie ihrerseits den Priester ansah. Diese Person hat mich erschreckt ... Gott weiß, daß ich meinem Schwiegersohne nicht zu schaden suche! Aber ich habe die Pflicht, die Interessen meiner Tochter zu verteidigen, nicht wahr? ... Mein Schwiegersohn ist ein Unglücklicher; er mißhandelt seine Frau, er ist ein Ärgernis in der Stadt, er mischt sich in alle schmutzigen Sachen. Sie sollen sehen: er wird sich noch in der Politik kompromittieren, wenn die Wahlen kommen. Das letztemal führte er den Pöbel der Vorstädte an. Das ist mein Tod, Herr Pfarrer!

Herr Mouret gibt nicht zu, daß man ihm Bemerkungen macht, wagte der Abbé einzuwenden.

Aber ich kann meine Tochter bei einem solchen Menschen nicht lassen, rief Frau Rougon aus. Ich will nicht, daß man uns entehrt ... Die Gerechtigkeit ist nicht für Hunde gemacht.

Trouche wiegte sich auf den Beinen. Er benutzte eine Pause und sagte in rohem Tone:

Herr Mouret ist ein Narr!

Dies Wort fuhr wie ein Keulenschlag nieder. Alle sahen einander an.

Ich will sagen, daß es mit ihm nicht ganz richtig ist, fuhr Trouche fort. Sie dürfen nur seine Augen prüfen ... Ich gestehe Ihnen, daß ich nicht ruhig bin. In Besançon war ein Mann, der seine Tochter anbetete, sie in einer Nacht ermordete, ohne zu wissen, was er tat.

Der gnädige Herr ist schon lange nicht recht gescheit im Kopfe, murmelte Rosa.

Aber das ist schrecklich! sagte Frau Rougon. Sie haben recht, er sah auffallend aus, als ich ihn das letztemal sah. Er war ja nie so recht gescheit ... Ach, meine Liebe, versprich, mir alles anzuvertrauen. Ich kann jetzt nimmer ruhig schlafen. Hörst du: bei der ersten Ausschreitung deines Mannes zögere nicht, setze dich nicht weiteren Gefahren aus ... Narren sperrt man ein.

Mit diesem Worte ging sie fort. Als Trouche mit dem Abbé allein war, sagte er mit einem höhnischen Lächeln, das seine schwarzen Zähne sehen ließ:

Die Hausfrau ist mir eine schöne Kerze schuldig. Sie mag's nun in der Nacht treiben, wie sie will.

Der Priester, dessen Gesicht erdfahl war, schlug die Augen zu Boden und schwieg. Dann zuckte er mit den Achseln und ging in den Garten, um sein Brevier zu lesen.


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