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Elftes Kapitel.

Eines Morgens kam der Abbé Bourrette mit bestürzter Miene ins Haus. Als er Martha auf der Freitreppe bemerkte, ging er auf sie zu, schüttelte ihr die Hände und stammelte:

Der arme Compan, es geht zu Ende mit ihm, er liegt im Sterben ... Ich will zum Abbé Faujas hinauf, ich muß ihn sogleich sehen.

Als Martha ihm den Priester zeigte, der seiner Gewohnheit gemäß im Garten spazieren ging und in seinem Brevier las, eilte er mit seinen kurzen Beinen auf ihn zu. Er wollte sprechen, ihm die traurige Nachricht mitteilen, aber der Schmerz erstickte ihn, er konnte sich nur schluchzend an seinen Hals werfen.

Was haben denn die beiden Abbé? fragte Mouret, der schnell aus dem Speisezimmer herauskam.

Der Pfarrer von Saint-Saturnin scheint dem Tode nahe, erwiderte Martha tief bewegt.

Mouret machte eine überraschte Miene. Er ging wieder hinein und sagte leise:

Bah, der gute Bourrette tröstet sich morgen, wenn man ihn zum Nachfolger des anderen ernennt ... Er rechnet auf die Stelle; er hat es mir gesagt.

Unterdessen hatte sich der Abbé Faujas aus der Umarmung des alten Priesters losgemacht. Er nahm die traurige Nachricht ernst entgegen und schloß bedächtig sein Brevier.

Compan will Sie sehen, stotterte der Abbé Bourrette; er erlebt den Mittag nicht mehr ... Es war ein lieber Freund. Wir haben zusammen studiert ... Er will Ihnen Lebewohl sagen; die ganze Nacht hat er mir wiederholt gesagt, daß Sie allein in dem Kirchspiel Mut haben. Seit mehr als einem Jahre, wo er hinsiechte, wagte nicht ein Priester von Plassans, ihm die Hand zu schütteln. Sie kannten ihn kaum und haben ihm jede Woche einen Nachmittag gewidmet. Er weinte vorhin, als er von Ihnen sprach ... Sie müssen sich beeilen, lieber Freund.

Der Abbé Faujas ging einen Augenblick in seine Wohnung hinauf, während der Abbé Bourrette unterdessen ungeduldig und trostlos im Vorraum auf und ab ging; nach einer Viertelstunde gingen beide fort. Der alte Priester wischte sich den Schweiß von der Stirne und eilte auf dem Pflaster dahin, während er in abgebrochenen Sätzen sprach:

Er wäre wie ein Hund ohne ein Gebet gestorben, wenn nicht seine Schwester mich gestern abend gegen elf Uhr in Kenntnis gesetzt hätte. Es war schön von dem lieben alten Fräulein. Er wollte keinen von uns kompromittieren und hätte nicht einmal die letzte Ölung empfangen ... Ja, mein Freund, er war auf dem Punkte, in einem Winkel allein und verlassen zu sterben, er, der so viel Einsicht gehabt und nur für das Gute gelebt hat.

Er schwieg; nach einer Pause fuhr er mit veränderter Stimme fort:

Glauben Sie, daß Fenil mir das verzeiht? Nein, niemals, nicht wahr? ... Als Compan mich mit dem heiligen Öl kommen sah, wollte er nicht und rief mir zu, ich solle fortgehen. Nun, es ist geschehen! Ich werde nie Pfarrer. Es ist mir lieber. Ich habe wenigstens Compan nicht wie einen Hund sterben lassen ... Dreißig Jahre lag er mit Fenil im Hader. Als er sich hinlegte, sagte er mir: Jetzt siegt Fenil, jetzt, da ich zu Boden liege, macht er mir den Garaus. Ach, dieser arme Compan, er, den ich so stolz, so energisch in Saint-Saturnin sah ... Der kleine Chorknabe Eusèbe, den ich mitnahm, um das Viatikum zu läuten, blieb ganz verlegen stehen, als er sah, wohin wir gingen; er sah sich bei jedem Läuten um, als wenn er fürchte, Fenil könne ihn hören.

Der Abbé Faujas ging mit gesenktem Kopfe, nachdenklich rasch dahin und schwieg; er schien seinen Gefährten nicht zu hören.

Ist Se. bischöfliche Gnaden in Kenntnis gesetzt? fragte er plötzlich.

Jetzt schien der Abbé Bourrette nachdenklich zu sein. Er antwortete nicht. Als sie zu der Türe des Abbé Compan kamen, sagte er leise:

Sagen Sie ihm, daß wir soeben Fenil begegnet seien und daß er uns gegrüßt habe. Es wird ihn freuen ... Er wird glauben, ich sei Pfarrer.

Sie gingen still hinauf. Die Schwester des Abbé öffnete ihnen. Als sie die beiden Priester sah, brach sie in ein Schluchzen aus und stammelte unter Tränen:

Es ist aus! Er ist soeben in meinen Armen gestorben ... Ich war allein. Er sah, als er in den letzten Zügen war, sich um und sagte leise: »Habe ich denn die Pest, daß man mich so verlassen hat? ...« Ach, meine Herren, er starb mit Tränen in den Augen.

Sie traten in das kleine Zimmer, wo der Pfarrer Compan, den Kopf auf einem Kissen, zu schlafen schien. Seine Augen waren offen geblieben, und dieses bleiche, tieftraurige Gesicht weinte noch; die Tränen rannen über die Wangen herab. Der Abbé Bourrette fiel auf die Knie, schluchzte und betete, die Stirn an die Bettdecke gedrückt. Der Abbé Faujas blieb aufrecht stehen und sah den armen Toten an; nachdem er einen Augenblick niedergekniet war, ging er leise hinaus. Der Abbé Bourrette, ganz in seinem Schmerze verloren, hörte nicht einmal die Türe schließen.

Der Abbé Faujas ging in die bischöfliche Residenz. In dem Vorzimmer des Bischofs begegnete er dem Abbé Surin, der mit Papieren beladen war.

Wünschen Sie Se. bischöflichen Gnaden zu sprechen? fragte ihn der Sekretär mit seinem ewigen Lächeln. Sie kommen sehr ungelegen. Se. bischöfliche Gnaden ist so sehr beschäftigt, daß er jedem den Zutritt hat verbieten lassen.

Ich komme in einer sehr dringenden Angelegenheit, erwiderte ruhig der Abbé. Man kann ihn immerhin benachrichtigen und wissen lassen, daß ich da bin. Ich warte, wenn es notwendig ist.

Ich fürchte, daß es unnütz ist. Se. bischöfliche Gnaden hat mehrere Personen bei sich. Kommen Sie morgen wieder, es ist besser.

Aber der Abbé nahm einen Stuhl, als der Bischof eben die Türe seines Kabinetts öffnete. Er war sehr verlegen, als er den Besucher bemerkte und tat, als ob er ihn nicht kenne.

Liebes Kind, sagte er zu Surin, wenn Sie diese Papiere eingeordnet haben, kommen Sie sofort wieder zurück; ich habe Ihnen einen Brief zu diktieren.

Dann wandte er sich an den Priester, der achtungsvoll stehen geblieben war:

Ei, Sie sind es, Herr Faujas? Es freut mich Sie zu sehen ... Sie haben mir wahrscheinlich etwas mitzuteilen? Kommen Sie, kommen Sie in mein Arbeitszimmer; Sie stören mich nie.

Das Kabinett des Bischofs war ein geräumiges Zimmer, doch ein wenig düster; ein großes Feuer brannte Sommer und Winter. Der Teppich und die dichten Vorhänge machten die Luft erstickend. Es war, als steige man in ein heißes Bad. Der Bischof saß da fröstelnd in einem Sessel, von der Welt zurückgezogen, den Lärm hassend und die Sorgen um seinen Amtsbezirk dem Abbé Fenil überlassend. Er war ein leidenschaftlicher Freund der altklassischen Literatur. Man erzählte sich, daß er im geheimen Horaz übersetze; die kleinen Verse der griechischen Anthologie begeisterten ihn gleicherweise, und er zitierte schlüpfrige Verse, die er mit der Naivität eines Gelehrten genoß, dem das Schamgefühl für das Gemeine fremd ist.

Sie sehen, es ist niemand bei mir, sagte er und ließ sich vor dem Feuer nieder, aber ich bin ein wenig leidend und verbot, jemanden vorzulassen. Sie können sprechen, ich stehe zu Ihrer Verfügung.

In seiner gewöhnlichen Liebenswürdigkeit lag eine stete Unruhe, eine Art ruhiger Ergebung. Als der Abbé Faujas ihm den Tod des Pfarrers Compan meldete, stand er bestürzt und erregt auf:

Wie? rief er aus, mein braver Compan ist gestorben, und ich konnte ihm nicht Lebewohl sagen! ... Niemand hat mich benachrichtigt ... Ach, mein Freund, Sie hatten recht, als Sie mir sagten, ich sei hier nicht mehr der Herr! Man mißbraucht meine Güte.

Ew. bischöfliche Gnaden weiß, erwiderte der Abbé Faujas, wie sehr ich Ihnen ergeben bin; ich warte nur auf einen Wink.

Der Bischof schüttelte den Kopf und sagte leise:

Ja, ja, ich erinnere mich an Ihr Anerbieten: Sie sind ein ausgezeichneter Mann. Doch was für ein Aufsehen wäre es, wenn ich mit Fenil bräche! Acht Tage lang würde man mir an den Ohren liegen ... Und doch, wenn ich sicher wäre, daß Sie mich mit einem Schlage von dem Manne befreiten, wenn ich nicht fürchten müßte, daß er nach acht Tagen wieder zurückkäme, um Ihnen den Fuß auf den Nacken zu setzen ...

Der Abbé Faujas konnte ein Lächeln nicht zurückhalten. Dem Bischof traten Tränen in die Augen.

Ich habe Furcht, das ist wahr, hub er wieder an, und ließ sich von neuem in seinen Sessel fallen, so weit ist's mit mir gekommen. Dieser Unglückliche hat Compan getötet und mir seinen nahen Tod verheimlicht, damit ich nicht hingehen und ihm die Augen zudrücken könne; er ersinnt Schreckliches ... Aber ich will lieber in Frieden leben. Fenil ist sehr arbeitsam und leistet mir große Dienste in meinem Amtsbezirk. Wenn ich nicht mehr bin, gestalten sich die Dinge vielleicht besser.

Er beruhigte sich und lächelte wieder.

Übrigens geht jetzt alles gut, und ich sehe nirgends eine Schwierigkeit ... Man kann warten.

Der Abbé Faujas setzte sich nieder und erwiderte ruhig:

Freilich ... Doch werden Sie einen Pfarrer zu Saint-Saturnin an Stelle des Abbé Compan ernennen müssen.

Der Bischof Rousselot legte mit verzweifelter Miene die Hände an seine Schläfen:

Mein Gott, Sie haben recht! stotterte er. Daran dachte ich nicht mehr ... Der brave Compan weiß nicht, in welche Sorgen er mich durch seinen plötzlichen Tod gestürzt hat, von dem ich nicht in Kenntnis gesetzt wurde. Nicht wahr, Ihnen habe ich die Stelle versprochen?

Der Abbé verneigte sich.

Also, lieber Freund, Sie retten mich; Sie geben mir das Wort zurück. Sie wissen, wie Fenil Sie haßt; der Erfolg des Werkes von der heiligen Jungfrau hat ihn wütend gemacht; er schwört, daß er Sie hindern werde, Plassans zu erobern. Sie sehen, ich bin offen. Als man jüngst von der Pfarre Saint-Saturnin sprach, nannte ich Ihren Namen. Fenil geriet darüber in einen schrecklichen Zorn und ich mußte schwören, daß ich die Pfarre einem seiner Schützlinge, dem Abbé Chardon geben wolle, den Sie gut kennen, ein sehr würdiger Herr im übrigen ... Lieber Freund, tun Sie es um meinetwillen und verzichten Sie darauf. Ich gebe Ihnen jede Entschädigung, die Sie wollen.

Der Priester blieb ernst. Nach einer Pause, als sei er mit sich zu Rate gegangen, sagte er:

Sie wissen, Monseigneur, daß ich keinen persönlichen Ehrgeiz habe; ... ich wünsche zurückgezogen zu leben, und es wäre für mich eine große Freude, auf diese Pfarre verzichten zu können. Nur bin ich nicht mein eigener Herr; es liegt mir daran, meine Beschützer zu befriedigen, die sich für mich interessieren ... Um Ihretwillen, Monseigneur, denken Sie darüber nach, bevor Sie einen Entschluß fassen, den Sie später bereuen würden.

Obgleich der Abbé Faujas sehr demütig gesprochen hatte, fühlte doch der Bischof die verborgene Drohung, die in diesen Worten lag. Er erhob sich, machte einige Schritte, von einer tiefen Bestürzung erfaßt. Dann hob er die Hände:

Jetzt habe ich meine Plackerei für lange Zeit. Ich hätte gern alle diese Erklärungen vermieden; aber, da Sie darauf bestehen, muß ich offen sprechen ... Also, lieber Herr, der Abbé Fenil wirft Ihnen vielerlei vor. Ich glaube, Ihnen schon gesagt zu haben, daß er nach Besançon hat schreiben lassen, von wo er alle die Geschichten erfuhr, die Sie ja kennen ... Gewiß, Sie haben mir alles erklärt, ich kenne Ihre Verdienste, Ihr reuevolles und zurückgezogenes Leben, aber was wollen Sie? Der Großvikar hat Waffen gegen Sie, er gebraucht sie unbarmherzig. Oft weiß ich nicht, wie ich Sie verteidigen soll ... Als der Minister mich gebeten hat, Sie in meinen Amtsbezirk aufzunehmen, da habe ich ihm nicht verschwiegen, daß Ihre Lage eine schwierige sein werde. Er drang aber in mich, sagte, daß es Ihre Sache sei, und schließlich willigte ich ein. Nur muß man heute nicht Unmögliches von mir verlangen.

Der Abbé Faujas hatte nicht den Kopf gesenkt, er erhob ihn vielmehr, sah den Bischof ins Gesicht und sagte kurz:

Sie haben mir Ihr Wort gegeben, bischöfliche Gnaden.

Gewiß, gewiß ... Der arme Compan wurde alle Tage kränker. Sie haben mir gewisse Sachen anvertraut; da habe ich es Ihnen versprochen, ich leugne es nicht... Hören Sie, ich will Ihnen alles sagen, damit Sie mich nicht beschuldigen können, ich drehte mich wie eine Wetterfahne. Sie behaupten, daß der Minister lebhaft Ihre Ernennung zum Pfarrer von Saint-Saturnin wünsche. Nun, ich habe geschrieben, ich habe mich erkundigt, einer meiner Freunde ist in das Ministerium gegangen. Man hat ihn fast ausgelacht und ihm gesagt, daß man Sie gar nicht kenne. Der Minister verwahrt sich energisch dagegen, Ihr Beschützer zu sein, hören Sie! Wenn Sie es wünschen, werde ich Ihnen einen Brief zeigen, in dem er sich sehr streng über Sie ausläßt.

Er streckte den Arm aus, um in einer Schublade herumzuwühlen; aber der Abbé Faujas hatte sich, ohne ihn aus dem Auge zu lassen, mit einem Lächeln erhoben, durch das ein gewisser Spott, gepaart mit Mitleid, hindurchbrach:

Ach, Monseigneur! Monseigneur!

Nach einigen Augenblicken sagte er, als wolle er sich nicht weiter erklären:

Ich gebe Ihnen Ihr Wort zurück. Glauben Sie mir, ich arbeitete in allem mehr für Sie als für mich. Später, wenn es nicht mehr Zeit ist, werden Sie sich meiner Warnungen erinnern.

Er wandte sich der Türe zu; aber der Bischof hielt ihn zurück und sagte mit unruhiger Miene:

Nun, was wollen Sie damit sagen? Erklären Sie sich, lieber Herr Faujas. Ich weiß, daß man mir seit der Wahl des Marquis von Lagrifoul nicht wohl gesinnt ist. Man kennt mich wirklich sehr wenig, wenn man glaubt, ich hätte mich da eingemischt; ich komme nicht zweimal im Monat aus diesem Zimmer heraus ... Glauben Sie, daß man mich beschuldigt, den Marquis durchgebracht zu haben?

Ja, ich fürchte, erwiderte entschieden der Abbé.

Das ist zu dumm, ich habe nie meine Nase in die Politik gesteckt, ich lebe nur für meine lieben Bücher. Fenil hat alles getan. Ich habe ihm hundertmal gesagt, daß er mir schließlich in Paris Verlegenheiten bereite.

Er hielt inne und errötete, weil er sich diese Worte hatte entschlüpfen lassen. Der Abbé Faujas setzte sich wieder ihm gegenüber und sagte mit tiefer Stimme:

Ew. bischöfliche Gnaden haben soeben Ihren Großvikar verurteilt ... Ich habe Ihnen nichts anderes gesagt. Brechen Sie mit ihm, oder er bereitet Ihnen sehr ernste Sorgen. Ich habe Freunde in Paris, was Sie auch immer glauben mögen. Ich weiß, daß die Wahl des Marquis von Lagrifoul die Regierung sehr gegen Sie aufgebracht hat. Mit Recht oder Unrecht, aber man sieht in Ihnen die einzige Ursache der oppositionellen Bewegung, die in Plassans hervortritt, wo der Minister aus besonderen Gründen die Mehrheit erlangen will. Wenn bei den nächsten Wahlen der Kandidat der Legitimisten wieder durchdringt, so ist es sehr bedauerlich; ich möchte da für Ihre Ruhe fürchten.

Aber das ist ja schrecklich! rief der unglückliche Bischof aus, indem er auf seinem Sessel hin- und herrutschte. Ich kann doch nicht verhindern, daß der Kandidat der Legitimisten durchdringt! Habe ich den geringsten Einfluß, habe ich mich je in die Politik gemischt? ... Ja, es gibt Tage, wo ich Lust habe, mich in ein Kloster zurückzuziehen. Ich würde meine Bibliothek mitnehmen und sehr ruhig leben ... Fenil sollte an meiner Stelle Bischof sein. Wenn ich auf Fenil hörte, würde ich mich völlig in Gegensatz zu der Regierung stellen, ich würde nur Rom hören und um Paris mich nicht kümmern. Aber das sagt nicht meinem Wesen zu, ich will ruhig sterben ... Also Sie sagen, daß der Minister gegen mich wütend sei?

Der Priester antwortete nicht; zwei Falten, die in seinen Mundwinkeln sich bildeten, verliehen seinem Gesichte einen Ausdruck stummer Verachtung.

Mein Gott, fuhr der Bischof fort, wenn ich denken könnte, ihm durch Ihre Ernennung zum Pfarrer von Saint-Saturnin einen Gefallen zu erweisen, würde ich es einzurichten suchen ... Nur versichere ich Ihnen, Sie täuschen sich; Sie stehen nicht im Geruche der Heiligkeit.

Der Abbé machte eine heftige Gebärde und ließ sich in seiner Ungeduld gehen.

Nun, sagte er, vergessen Sie, daß über mich übles Gerede herumgeht und ich in Plassans mit einem zerrissenen Talar angekommen bin. Wenn man einen verlorenen Menschen auf einen gefährlichen Posten schickt, so verleugnet man ihn bis zu dem Tage seines Erfolges ... Helfen Sie mir zu meinem Erfolge, bischöfliche Gnaden, und Sie werden sehen, daß ich Freunde in Paris habe.

Als der Bischof, überrascht von diesem abenteuerlichen und energischen Gesichte, das sich soeben vor ihm aufrichtete, ihn weiter stumm ansah, wurde er wieder nachgiebig und fuhr fort:

Das sind Voraussetzungen; ich will sagen, daß ich mir vieles muß verzeihen lassen. Meine Freunde warten nur, bis meine Stellung sich befestigt hat, um Ihnen zu danken.

Der Bischof blieb noch einen Augenblick stumm. Er war ein sehr feiner Kopf, der das menschliche Laster aus den Büchern kennen gelernt hatte. Er war sich seiner großen Schwäche bewußt, er schämte sich ihrer sogar ein wenig; aber er tröstete sich, indem er die Menschen nach ihrem Werte beurteilte. In seinem Leben eines gelehrten Epikuräers gab es Augenblicke, wo er die Ehrgeizigen seiner Umgebung verspottete, die sich um die Fetzen seiner Macht stritten.

Nun, sagte er lächelnd, Sie sind ein zäher Mensch, lieber Herr Faujas. Ich habe Ihnen ein Versprechen gegeben und werde es halten. Vor einem halben Jahre, ich gestehe es, würde ich mich gefürchtet haben, ganz Plassans gegen mich aufzubringen; aber Sie haben sich beliebt zu machen gewußt, die Frauen der Stadt loben Sie oft vor mir. Wenn ich Ihnen die Pfarre von Saint-Saturnin gebe, zahle ich die Schuld für das Werk der heiligen Jungfrau ab.

Der Bischof hatte seine heitere Liebenswürdigkeit und sein ausgezeichnetes Benehmen als zuvorkommender Prälat wiedergefunden. Der Abbé Surin steckte in diesem Augenblicke seinen schönen Kopf durch die halb offene Türe.

Nein, nein, liebes Kind, sagte der Bischof, ich diktiere Ihnen den Brief nicht ... Ich brauche Sie nicht mehr. Sie können sich entfernen.

Der Abbé Fenil ist da, sagte der junge Priester.

Gut, er möge warten.

Der Bischof zitterte ein wenig; aber er machte eine entschlossene, fast gefällige Gebärde, sah den Abbé Faujas verständnisvoll an und sagte zu ihm:

Da, gehen Sie hier hinaus. Und er öffnete eine Türe, die ein Vorhang verdeckt hatte.

Er hielt ihn auf der Schwelle zurück und fuhr fort, ihn lächelnd anzusehen:

Fenil wird wütend sein ... Sie versprechen mir, mich gegen ihn zu verteidigen, wenn er zu sehr schreit? Sie sollen es künftig mit ihm zu tun haben. Ich rechne auch darauf, daß Sie den Marquis von Lagrifoul nicht mehr wählen lassen ... Bei Gott, jetzt stütze ich mich auf Sie, lieber Herr Faujas. Er grüßte ihn leicht mit dem Ende seiner weißen Hand, dann kehrte er nachlässig wieder in sein warmes Zimmer zurück. Der Abbé war gebückt stehen geblieben, voll Erstaunen über die weibliche Leichtigkeit, mit der der Bischof den Herrn wechselte und sich dem Stärkeren überlieferte. Dann erst fühlte er, daß der Bischof sich soeben über ihn lustig gemacht habe, wie er sich über den Abbé Fenil lustig machen mochte, in dem weichen Sessel sitzend, in dem er den Horaz übersetzte.

Am folgenden Donnerstag gegen zehn Uhr erschien in dem Augenblicke, als die vornehme Gesellschaft von Plassans sich in dem grünen Salon der Rougons drängte, der Abbé Faujas auf der Schwelle. Er sah prächtig, groß und blühend aus und trug einen feinen Talar, der wie Seide glänzte.

Er blieb ernst, mit einem leichten Lächeln, einer liebenswürdigen Falte um seine Lippen, gerade nur soviel, um sein strenges Gesicht mit einem Strahle der Güte zu erhellen.

Ei, das ist ja der liebe Pfarrer! rief Frau von Condamin fröhlich aus.

Aber die Frau des Hauses stürzte ihm entgegen; sie ergriff mit beiden Händen eine Hand des Abbé und führte ihn in die Mitte des Salons, sah ihn zärtlich an und schüttelte den Kopf.

Welche Überraschung! Welche schöne Überraschung! wiederholte sie. Man hat Sie ja seit einem Jahrhundert nicht gesehen! Das Glück muß also sich bei Ihnen einstellen, damit Sie sich Ihrer Freunde erinnern?

Er grüßte wohlgefällig. Um ihn her entstand eine schmeichelhafte Begrüßung, ein Zischeln entzückter Frauen. Madame Delangre und Madame Rastoil warteten nicht, bis er kam, um sie zu grüßen; sie eilten ihm entgegen, um ihn zu seiner Ernennung zu beglückwünschen, die seit heute morgen veröffentlicht war. Der Bürgermeister, der Bezirksrichter, selbst Herr von Bourdeu schüttelten ihm kräftig die Hände.

Ein ganzer Kerl, nicht wahr? sagte Herr von Condamin dem Dr. Porquier ins Ohr. Er wird es weit bringen. Ich habe es ihm gleich am ersten Tage angesehen ... Sie müssen wissen: sie lügen wie die Zahnbrecher, die alte Rougon und er. Ich habe ihn mehr als zehnmal bei Einbruch der Nacht hierher schleichen gesehen. Die beiden mögen schöne Geschichten miteinander haben.

Aber der Dr. Porquier hatte eine fürchterliche Angst, daß Herr von Condamin ihn kompromittieren könne; er beeilte sich wie die anderen, dem Abbé Faujas die Hand zu schütteln, obwohl er nie mit ihm ein Wort gesprochen hatte.

Dieser siegreiche Einzug war das große Ereignis des Abends. Der Abbé hatte sich gesetzt, und ein dreifacher Kreis von Weiberröcken umgab ihn. Er plauderte mit einer reizenden Gutmütigkeit, sprach von allen Dingen und vermied sorgfältig, auf Anspielungen zu antworten. Felicité hatte ihn rundheraus gefragt, und er erwiderte nur, daß er nicht im Pfarrhofe wohnen werde, sondern die Wohnung vorziehe, wo er seit drei Jahren so ruhig lebe. Martha befand sich auch unter den Damen, zurückhaltend wie immer. Sie hatte bloß dem Abbé zugelächelt, als sie ihn von weitem erblickte; sie war ein wenig blaß, und ihr Gesicht zeigte Abspannung und Unruhe. Aber als er seine Absicht kundgab, die Balande-Straße nicht zu verlassen, da errötete sie tief und stand auf, um in den kleinen Salon zu gehen, als wenn die Hitze sie ersticke. Frau Paloque, neben die sich Herr von Condamin gesetzt hatte, lächelte höhnisch, während sie laut genug zu ihm sagte, um gehört zu werden:

Eine saubere Geschichte, nicht wahr? ... Sie sollte ihm doch wenigstens hier kein Stelldichein geben, da sie den ganzen Tag für sich zu Hause haben.

Nur Herr von Condamin begann zu lachen; die anderen blieben ernst. Frau Paloque, die einsah, daß sie sich geschadet hatte, versuchte die Sache ins Spaßige zu ziehen. Unterdessen plauderte man in den Winkeln von dem Abbé Fenil. Man war sehr neugierig, ob er kommen werde. Herr von Bourdeu, einer der Freunde des Großvikars, erzählte mit vielsagender Miene, daß dieser leidend sei. Die Nachricht von diesem Unwohlsein wurde mit verstecktem Lächeln entgegengenommen. Jedermann wußte von der Umwälzung, die in der bischöflichen Residenz stattgefunden hatte. Der Abbé Surin gab den Damen alle Einzelheiten über die furchtbare Szene zwischen dem Bischof und dem Großvikar zum besten. Letzterer, der durch den Bischof geschlagen wurde, ließ verbreiten, daß ihn ein Gichtanfall an das Zimmer fessele. Aber das war keine Lösung und der Abbé fügte hinzu: »daß man wohl noch ganz andere Dinge sehen werde.« All dies wurde mit leisen Ausrufen, Kopfschütteln und überraschten und zweifelnden Mienen weitererzählt. Für den Augenblick wenigstens trug der Abbé Faujas den Sieg davon. Die schönen Betschwestern sonnten sich denn auch in dem aufgehenden Gestirn.

Um die Mitte des Abends trat der Abbé Bourrette ein. Die Unterhaltung stockte, man sah ihn neugierig an. Jedermann wußte, daß er noch den Tag vorher auf die Pfarre von Saint-Saturnin gerechnet hatte; er hatte den Abbé Compan während seiner langen Krankheit vertreten, die Stelle gehörte ihm. Er blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen, ohne die Bewegung zu bemerken, die seine Ankunft hervorrief; er war ein wenig ermüdet, die Augenlider hingen schlaff herunter. Als er den Abbé Faujas bemerkte, eilte er auf ihn zu, schüttelte ihm herzlich die Hände und sagte:

Ach, mein lieber Freund, lassen Sie mich Ihnen Glück wünschen ... Ich komme von Ihnen, wo ich von Ihrer Mutter erfuhr, daß Sie hier seien ... Ich bin überglücklich, Sie anzutreffen.

Der Abbé war trotz seiner Kaltblütigkeit aufgestanden, überrascht von der Freundlichkeit, die er nicht erwartete.

Ja, sagte er leise, ich mußte die Stelle annehmen trotz meiner geringen Verdienste ... Ich hatte sie zuerst ausgeschlagen, indem ich Sr. bischöflichen Gnaden würdigere Priester nannte, so z. B. Sie.

Der Abbé Bourrette zwinkerte mit den Augen; er führte ihn beiseite und sagte leise zu ihm:

Der Bischof hat mir alles erzählt ... Es scheint, daß Fenil durchaus nicht von mir wollte reden hören. Er hätte das Kirchspiel in Brand gesteckt, wenn ich ernannt wäre. Das sind seine eigenen Worte. Mein Verbrechen ist, daß ich dem armen Compan die Augen zugedrückt habe ... Er verlangte, wie Sie wissen, die Ernennung des Abbé Chardon. Ein frommer Mann ohne Zweifel, aber von einer bekannten Unfähigkeit. Der Großvikar hoffte, unter seinem Namen in Saint-Saturnin zu regieren ... Jetzt hat der Bischof die Stelle Ihnen gegeben, um ihm zu entrinnen und ihm eins am Zeuge zu flicken. Das rächt mich. Ich bin entzückt, mein lieber Freund! ... Wußten Sie dies alles?

Nein, nicht so genau.

Es verhält sich wirklich so. Ich habe es aus dem Munde des Bischofs selbst ... Unter uns gesagt, er hat mir eine schöne Entschädigung in Aussicht gestellt. Der zweite Großvikar, der Abbé Vial, hat seit langem den Wunsch, sich in Rom niederzulassen; der Platz wäre frei. Aber Stillschweigen darüber ... Ich würde meinen heutigen Tag nicht um vieles Geld hergeben.

Wieder schüttelte er dem Abbé Faujas die Hände, während sein Gesicht vor Freude strahlte. Die Damen sahen sich erstaunt und lächelnd an. Aber die Freude des wackeren Mannes war so aufrichtig, daß sie schließlich auf den ganzen grünen Salon überging, wo die dem neuen Pfarrer dargebrachte Beglückwünschung einen mehr intimen und rührenden Charakter annahm. Die Frauen näherten sich wieder; man sprach von der Orgel der Kathedrale, die eine Ausbesserung sehr nötig hatte; Frau von Condamin versprach einen prächtigen Altar für die nächste Fronleichnamsprozession.

Der Abbé Bourrette nahm an dem Triumphe auch seinen Teil, als Frau Paloque, ihr scheußliches Gesicht vorstreckend, seine Schulter berührte und ihn leise fragte:

Nun, Herr Abbé, morgen hören Sie nicht in der Kapelle Saint-Michel Beichte?

Der Priester hatte, seitdem er den Abbé Compan vertrat, immer in dem Beichtstuhle der Kapelle Saint-Michel, dem größten und bequemsten der Kirche, der für den Pfarrer bestimmt war, Beichte gehört. Er verstand sie nicht sogleich, zwinkerte mit den Augen und sah Madame Paloque an.

Ich frage Sie, hub sie wieder an, ob Sie morgen in Ihrem alten Beichtstuhle in der Engel-Kapelle sitzen werden?

Er erblaßte leicht und schwieg noch immer. Er schlug die Augen zu Boden und fühlte einen leichten Schmerz im Nacken, als habe er von rückwärts einen Schlag erhalten. Dann stotterte er, da er fühlte, daß Frau Paloque ihn scharf beobachte:

Gewiß benutze ich meinen alten Beichtstuhl wieder ... Kommen Sie in die Engel-Kapelle, die letzte links, auf der Klosterseite ... Sie ist sehr feucht. Ziehen Sie sich gut an, Madame, ziehen Sie sich gut an.

Er hatte Tränen an den Augenwimpern hängen. Er war in den schönen Beichtstuhl der Kapelle Saint-Michel ganz verliebt, da die Sonne am Nachmittag gerade zu der Stunde der Beichte hineinschien. Bis jetzt hatte er nicht bedauert, die Kathedrale dem Abbé Faujas übergeben zu müssen; aber dieser geringfügige Umstand, dieses Abtreten einer Kapelle an einen anderen war ihm sehr peinlich; es schien ihm, als sei sein ganzes Leben verfehlt. Madame Paloque machte die laute Bemerkung, daß er plötzlich traurig geworden sei; aber er wehrte sich und versuchte wieder zu lächeln. Er verließ frühzeitig den Salon.

Der Abbé Faujas blieb bis zuletzt. Rougon beglückwünschte ihn auch und sprach ernst mit ihm, indem beide auf einem Sofa sich niederließen. Sie redeten von der Notwendigkeit der religiösen Gefühle in einem weise regierten Staate; während dieses Gespräches verbeugte sich jede Dame, die sich zurückzog, tief vor ihnen.

Herr Abbé, sagte Felicité huldvoll, Sie wissen, daß Sie der Ritter meiner Tochter sind.

Er erhob sich. Martha erwartete ihn an der Türe. Die Nacht war sehr finster. In den Straßen waren sie durch die Finsternis wie geblendet. Sie gingen über den Präfekturplatz, ohne ein Wort zu sprechen; aber in der Balande-Straße vor dem Hause berührte Martha, als er gerade den Schlüssel in das Schloß stecken wollte, seinen Arm.

Ich bin sehr glücklich über die Ehre, die Ihnen zuteil wird, sagte sie mit zitternder Stimme zu ihm ... Seien Sie heute gütig und erweisen Sie mir die Gnade, die Sie mir bis jetzt abgeschlagen haben. Ich versichere Ihnen, der Abbé Bourrette versteht mich nicht. Sie allein können mich lenken und retten.

Er schob sie mit einer Handbewegung beiseite. Als er dann die Türe geöffnet und eine kleine Lampe angezündet hatte, die Rosa am Fuße der Stiege hingestellt, ging er hinauf, indem er ruhig sagte:

Sie haben mir versprochen, vernünftig zu sein ... Ich werde über Ihre Bitte nachdenken. Wir sprechen noch darüber.

Sie hätte ihm gerne die Hände geküßt. Sie ging erst in ihre Wohnung, als sie oben die Türe schließen hörte. Während sie sich entkleidete und zu Bett ging, hörte sie nicht auf Mouret, der halb im Schlummer lag und ihr weitläufig die Klatschereien erzählte, die die Runde in der Stadt machten. Er war in seinem Klub gewesen, in dem Kaufmannsklub, wohin er nur selten kam.

Der Abbé Faujas hat den Abbé Bourrette besiegt, wiederholte er zum zehntenmal, indem er langsam den Kopf auf dem Kissen hin und her drehte. Der arme Abbé Bourrette! Es bleibt doch ein Vergnügen zu sehen, wie sich die Pfaffen untereinander auffressen. Neulich – du erinnerst dich, als sie im Garten sich umarmten; man hätte sie für zwei Brüder gehalten. Ach ja, sie bestehlen einander bis auf die Beichtkinder ... Warum antwortest du nicht? Du glaubst, daß das nicht wahr ist? ... Du schläfst, nicht wahr? Nun, dann gute Nacht, bis morgen.

Er schlief wieder ein, indem er noch einzelne Worte brummte. Martha sah mit offenen Augen in die Luft und horchte noch nach der Decke hinauf, die durch die Nachtlampe beleuchtet war, wie der Abbé Faujas mit den Pantoffeln schlürfend sich zu Bette begab.


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