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Siebentes Kapitel.

Mouret schlief nicht und bestürmte noch an demselben Abend seine Frau mit Fragen, da er alles wissen wollte. Sie erwiderte, daß alles den gewohnten Weg gegangen sei und sie nichts Außerordentliches bemerkt habe. Sie fügte nur hinzu, daß der Abbé Faujas sie begleitet und unterwegs von gleichgültigen Dingen mit ihr gesprochen habe. Mouret war sehr enttäuscht und zog gegen die Gleichgültigkeit seiner Frau los.

Man hätte sich ruhig bei deiner Mutter morden können, meinte er und wälzte sich wütend auf seinem Kissen herum, du hättest mir auch nichts gesagt.

Als er am folgenden Tage zum Essen heimkam, rief er seiner Frau schon von weitem zu:

Ich wußte es ja, daß du keine Augen hattest... Wie genau ich dich kenne! Da sitzest du den ganzen Abend in einem Salon und weißt nicht, was um dich vorgeht... Die ganze Stadt spricht davon, und ich konnte keinen Schritt tun, ohne jemandem zu begegnen, der es mir erzählte.

Ja was denn? fragte sie erstaunt.

Von dem schönen Erfolge des Abbé Faujas! Man warf ihn ja förmlich aus dem grünen Salon hinaus.

Das ist gar nicht wahr; ich habe nichts davon gesehen.

Du siehst eben nichts!... Weißt du, was der Abbé in Besançon gemacht hat? Er hat einen Pfarrer erwürgt oder Fälschungen begangen; genaues kann man nicht angeben... Das macht auch nichts, man hat ihn jedenfalls kalt gestellt. Er ist ein abgetaner Mann.

Martha senkte den Kopf und ließ ihren Gatten über den Mißerfolg des Priesters triumphieren.

Ich halte meine erste Ansicht aufrecht, fuhr er fort. Deine Mutter hat mit ihm etwas vor; man erzählte mir, daß sie ihn besonders ausgezeichnet habe. Nicht wahr, sie hat den Abbé gebeten, dich zu begleiten? Warum hast du mir das nicht gesagt?

Sie zuckte leicht mit den Achseln, ohne etwas zu erwidern.

Du bist wunderlich! rief er. Alle diese Kleinigkeiten sind von großer Bedeutung... So hat mir Madame Paloque, der ich eben begegnet bin, erzählt, daß sie absichtlich mit einigen Damen zurückgeblieben sei, um zu sehen, wie der Abbé den Salon verlasse. Deine Mutter hat sich deiner bedient, um den Rückzug dieses Pfaffen zu decken. Du verstehst es eben nicht... Denke ein bißchen nach. Was hat er dir denn gesagt, als er dich begleitete?

Er setzte sich seiner Frau gegenüber und sah sie mit seinen kleinen Augen forschend an.

Mein Gott, erwiderte sie geduldig, er sprach von ganz geringfügigen Dingen, wie sie jeder sagt... Er sprach von der großen Kälte, der großen Ruhe der Stadt in der Nacht, dann, glaube ich, von dem schönen Abend, den er soeben zugebracht hatte.

Der Scheinheilige!... Er hat dich nicht nach deiner Mutter und den anderen Leuten gefragt?

Nein. Übrigens ist der Weg von der Banne-Straße bis hierher nicht weit, und wir legten ihn in drei Minuten zurück. Er ging neben mir, ohne mir den Arm zu reichen; dabei machte er so große Schritte, daß ich nur mit großer Mühe folgen konnte... Ich weiß gar nicht, warum man gegen ihn so erbittert ist. Er sieht gar nicht glücklich aus und zitterte vor Kälte in seinem dünnen Talar.

Mouret war nicht bösartig.

Das ist wahr, sagte er leise, warm wird ihm bei dieser Kälte nicht sein.

Wir haben keinen Grund, fuhr Martha fort, uns über ihn zu beklagen. Er zahlt pünktlich, verhält sich ruhig... Wo findest du einen besseren Mieter?

Nirgends, ich weiß es... Ich wollte dir mit allem nur sagen, wie wenig du acht gibst, wenn du irgendwo hingehst. Anderseits kenne ich die Bande viel zu gut, die deine Mutter empfängt, um lange dabei zu verweilen, was aus diesem berüchtigten grünen Salon kommt. Nichts als Flausen, Lügen und Aufschneidereien. Der Abbé hat ohne Zweifel niemanden erwürgt und noch weniger Bankerott gemacht... Ich sagte zu Madame Paloque: Bevor man andere Leute ausredet, soll man vor der eigenen Türe kehren.

Um so besser, wenn sie es auf sich bezieht!

Mouret log, denn er hatte es Madame Paloque nicht gesagt. Aber die Milde Marthas flößte ihm eine gewisse Scham wegen seiner Schadenfreude über das Unglück des Abbé ein. In den folgenden Tagen stellte er sich entschieden auf die Seite des Priesters. Als er mehreren ihm unangenehmen Personen begegnete, wie Herrn v. Bourdeu, Herrn Delangre, dem Dr. Porquier, stimmte er über den Abbé eine Lobeshymne an, um einer entgegengesetzten Meinung wie jene zu sein und sie dadurch in Erstaunen zu setzen.

Der Abbé war, wenn man Mouret jetzt reden hörte, ein trefflicher Mann von vornehmer Gesinnung und großer Bescheidenheit in seiner Armut. Es gebe wirklich schlechte Leute. Er spielte dabei auf die Gäste der Rougons an – Heuchler, Angeber, Scheinheilige und eitle Toren, die den Sieg der wahren Tugend fürchten. So hatte er denn nach einiger Zeit den Kampf des Abbé zu dem seinigen gemacht und bediente sich seiner, um die Bande der Rastoil und der Unterpräfektur zu vernichten.

Ist das nicht, um Steine zu erweichen! sagte er manchmal zu seiner Frau, vergaß aber, daß sie ganz andere Worte von ihm gehört hatte, – wenn man sieht, wie Leute, die, man weiß nicht wo, ihr Vermögen gestohlen haben, über einen armen Menschen herfallen, der nicht einmal zwanzig Franken hat, um sich eine Fuhre Holz zu kaufen! ... So etwas muß mich empören! ... Ich kann für ihn einstehen! ... Ich weiß, was er tut, ich weiß, wie er ist, da er bei mir wohnt ... Darum halte ich denn auch mit der Wahrheit nicht zurück und behandle sie, wie sie es verdienen, wenn ich ihnen begegne ... Doch dabei bleibe ich nicht stehen... Der Abbé muß mein Freund werden. Ich werde mit ihm auf der Promenade Arm in Arm spazieren gehen, um zu zeigen, daß ich nicht fürchte, mit ihm gesehen zu werden, so ehrbar und so rechtschaffen ich auch bin. Vor allem aber empfehle ich dir, gegen die armen Leute recht liebenswürdig zu sein.

Martha lächelte für sich hin; sie war glücklich über die guten Absichten ihres Gatten betreffs der Mieter. Rosa erhielt den Befehl, sich gefällig zu zeigen. Wenn es des Morgens regnete, müsse sie für Madame Faujas einkaufen gehen, doch nahm letztere den Beistand der Köchin nie an. Aber wenigstens hatte sie nicht mehr die stumme Scheu wie in der ersten Zeit. Eines Tages traf Martha, die vom Boden kam, wo das Obst lag, mit Madame Faujas zusammen; letztere sprach zuerst und ging so weit, zwei prächtige Birnen anzunehmen. Diese Früchte boten die Gelegenheit, ein engeres Band zwischen den Frauen zu knüpfen.

Der Abbé Faujas ging jetzt auch nicht mehr so schnell die Treppe hinunter, und Mouret befand sich, sobald er den Talar sah, fast jeden Tag am Fuße der Treppe, überglücklich, wie er sagte, mit ihm ein kleines Stück Weges zu gehen. Er hatte sich bei ihm für den seiner Frau erwiesenen kleinen Dienst bedankt und fragte dann geschickt, ob er noch einmal die Rougons besuchen werde. Der Abbé lächelte bei dieser Frage und gestand ohne Verlegenheit ein, daß er für Gesellschaften nicht geschaffen sei. Mouret war darüber entzückt; er bildete sich ein, auch ein wenig dazu getan zu haben, diesen Entschluß seines Mieters herbeizuführen. Dann nahm er sich vor, ihn ganz von dem grünen Salon fernzuhalten und ihn für sich zu behalten. Auch in der Annahme der zwei Birnen von Seite der Madame Faujas sah er eine glückliche Förderung seiner Absichten.

Machen die Leute im zweiten Stock bei dieser Kälte wirklich kein Feuer? fragte er Rosa.

Bei Gott, gnädiger Herr, erwiderte die Köchin, die kaum begriff, daß sie gefragt werde, das ist schwer; ich habe noch nie Holz hinauftragen gesehen. Sie müßten denn ihre vier Stühle verbrennen oder Madame Faujas in ihrem Korbe Holz mitbringen.

Sie sollen diese armen Leute nicht verspotten, Rosa, sagte Martha; sie müssen in den großen Stuben erfrieren.

Das glaube ich auch, meinte Mouret. Letzte Nacht waren zehn Grad Kälte, und man fürchtet schon für die Olivenbäume. Unser Wasserbehälter oben ist ganz zugefroren ... Hier ist das Zimmer klein und läßt sich gut heizen.

Das Speisezimmer war sorgfältig mit Fensterpolstern versehen, so daß nicht der geringste Luftzug durch die Fenster hereinkam; ein großer Kachelofen verbreitete eine Wärme wie in einem Badezimmer. Im Winter lasen und spielten die Kinder am Tische, während Mouret mit seiner Frau bis zum Schlafengehen Karten spielte, was für sie eine wahre Marter war. Lange hatte sie sich geweigert, eine Karte anzurühren, indem sie erklärte, sie kenne kein einziges Spiel; aber Mouret lehrte sie Piquet, und sie mußte sich fügen.

Weißt du, fuhr er fort, wir sollten die Faujas einladen, den Abend immer bei uns zuzubringen. Sie werden doch wenigstens zwei bis drei Stunden sich wärmen. Dann haben wir auch jemanden zur Unterhaltung und langweilen uns nicht ... Lade sie ein; sie geben dir keinen Korb.

Als Martha am folgenden Tage Madame Faujas auf dem Flur begegnete, richtete sie ihre Einladung aus. Die alte Frau nahm sie sofort im Namen ihres Sohnes an, ohne weiter zu zögern.

Es wundert mich, meinte Mouret, daß sie keine Ausflüchte suchte. Ich dachte immer, wir würden sie erst lange bitten müssen. Der Abbé beginnt einzusehen, daß er unrecht tut, so zurückgezogen zu leben.

Abends verlangte Mouret, daß der Tisch frühzeitig abgeräumt werde. Er hatte eine Flasche Wein abgezogen und einen Teller Gebäck kaufen lassen. Er war nicht freigebig, wollte aber zeigen, daß nicht allein die Rougons zu leben wissen. Gegen acht Uhr kamen die Mietsleute herunter. Der Abbé hatte einen neuen Talar an, worüber Mouret so überrascht war, daß er den Gruß des Priesters nur stotternd durch einige Worte erwidern konnte:

Wirklich, Herr Abbé, die Ehre ist ganz auf unserer Seite ... Kinder, bringt Stühle!

Man setzte sich um den Tisch. In dem Zimmer war es schon zu warm, denn Mouret hatte stark einheizen lassen, um zu zeigen, daß er nicht auf ein Scheit Holz zu sehen brauche. Der Abbé war heiter. Er sprach mit Desirée freundlich und erkundigte sich bei den Knaben nach ihren Studien. Martha strickte und sah zeitweilig von ihrer Arbeit auf, erstaunt über den sanften Tonfall dieser fremden Stimme, die sie in dem ruhigen Speisezimmer zu hören nicht gewohnt war. Sie sah dann dem Priester in das breite Gesicht mit den ausgeprägten Zügen und senkte von neuem den Kopf, ohne daß sie das Interesse zu verbergen suchte, das ihr dieser kräftig aussehende und freundliche Mann einflößte, von dem sie wußte, wie arm er sei.

Mouret verschlang den neuen Talar mit den Blicken und konnte nicht umhin zu bemerken:

Herr Abbé, es war nicht recht, unserethalben erst Toilette zu machen. Sie wissen ja, wir machen keine Umstände.

Martha errötete. Aber der Priester erzählte lächelnd, daß er den Talar im Laufe des Tages gekauft und gleich am Leibe behalten habe, um seiner Mutter zu gefallen, die ihn in der neuen Sutane prächtiger finde als einen König.

Nicht wahr, Mutter?

Die alte Frau nickte mit dem Kopfe, ohne ihren Sohn aus dem Auge zu lassen; sie saß ihm gegenüber und sah ihn in dem hellen Scheine der Lampe mit verklärter Freude an.

Dann unterhielt man sich über alle möglichen Dinge, und der Abbé schien seine kalte Zurückhaltung auf einmal verloren zu haben. Er blieb noch immer ernst, aber dieser Ernst paarte sich mit einer gewissen Gutmütigkeit. Er hörte Mouret zu, antwortete ihm auf die unbedeutendsten Fragen und schien sich für den kleinstädtischen Klatsch zu interessieren. Der Hausherr brachte schließlich die Rede auf die Abende.

Sehen Sie, sagte er, so verbringen wir immer die Abende; niemals eine Abwechslung. Wir laden niemanden ein, weil es im Familienkreise immer schöner ist. Jeden Abend spiele ich mit meiner Frau Karten; das ist eine alte Gewohnheit, daß ich anders gar nicht einschlafen könnte.

Aber wir wollen Sie davon nicht abhalten, rief der Abbé aus. Ich bitte Sie sehr, sich um unseretwillen keinen Zwang anzutun.

Aber nein, ich bin nicht von Sinnen; einmal ist keinmal.

Doch der Priester beharrte bei seinem Wunsche. Als er aber sah, daß Martha sich noch mehr als ihr Gatte dagegen sträubte, wandte er sich seiner Mutter zu, die schweigend da saß, die Hände vor sich gekreuzt:

Mutter, spiele doch du eine Partie Piquet mit Herrn Mouret.

Sie sah ihrem Sohn in die Augen. Mouret sträubte sich noch immer und erklärte, er wolle den Abend nicht stören. Als ihm aber der Priester sagte, daß seine Mutter sehr gut spiele, da gab er nach:

Wirklich? ... Also wenn die Dame will und es niemanden stört ...

Nun, Mutter, so mache doch eine Partie, sagte der Abbé in entschiedenem Tone.

Gut, erwiderte diese endlich, es wird mir ein Vergnügen sein ... Nur muß ich den Platz wechseln.

Gott, das macht ja nichts, meinte Mouret entzückt. Sie können mit Ihrem Sohne tauschen ... Bitte, Herr Abbé, haben Sie die Güte, sich neben meine Frau zu setzen; Frau Faujas wird sich neben mich setzen ... So ist es recht!

Der Priester, der zuerst Martha gegenüber an dem anderen Ende des Tisches gesessen, befand sich jetzt neben Frau Mouret; beide saßen förmlich allein beisammen, weil die Spieler ihre Stühle zusammengerückt hatten, um den Kampf zu beginnen. Octave und Serge waren in ihr Zimmer hinaufgegangen, und Desirée schlief, wie gewöhnlich, auf dem Tische. Als es zehn Uhr schlug, wollte Mouret, der eben eine Partie verloren hatte, noch nicht schlafen gehen und verlangte eine Revanchepartie. Frau Faujas sah ihren Sohn fragend an; dann mischte sie ruhig die Karten. Unterdessen tauschte der Abbé kaum einige Worte mit Martha. An diesem ersten Abend sprach er von gleichgültigen Sachen, von der Wirtschaft, dem Preise der Lebensmittel in Plassans, den Sorgen, die man mit Kindern hat. Martha antwortete verbindlich, sah von Zeit zu Zeit mit ihrem klaren Blick auf und verlieh der Unterhaltung ein wenig von ihrer bedächtigen Langsamkeit.

Es war fast elf Uhr, als Mouret seine Karten fast ärgerlich hinwarf:

Wieder verloren! sagte er. Heute hatte ich keine gute Karte; vielleicht habe ich morgen mehr Glück ... Also auf morgen, nicht wahr, Madame?

Als der Abbé sich entschuldigte und meinte, daß sie die Familie doch nicht jeden Tag stören könnten, rief Mouret aus:

Aber Sie stören uns gar nicht! Sie machen uns nur eine Freude! ... übrigens habe ich verloren und Madame kann mir eine Revanchepartie nicht abschlagen.

Als sie zugesagt hatten und wieder gegangen waren, brummte Mouret und führte alle möglichen Entschuldigungen an, daß er verloren habe; er war wütend.

Die Alte spielt weit schlechter als ich, das weiß ich bestimmt. Nur hat sie scharfe Augen! Ich glaube, sie betrügt ... Morgen muß. ich es herausbekommen.

Von da an kamen die Faujas jeden Abend herunter.

Zwischen der alten Frau und ihrem Hausherrn hatte sich eine förmliche Schlacht entwickelt. Sie schien ihn zum besten zu halten, denn zuerst ließ sie ihn gewinnen, um ihn nicht zu entmutigen, was ihn in eine stumme Wut versetzte, weil er sich einbildete, ein sehr tüchtiger Spieler zu sein. Er hatte geglaubt, daß er sie Wochen hindurch schlagen werde, ohne sie eine einzige Partie gewinnen zu lassen. Sie bewahrte eine erstaunliche Kaltblütigkeit: In ihrem viereckigen Bauerngesichte zeigte sich nicht die geringste Unruhe, und ihre dicken Hände legten die Karten kräftig und regelmäßig wie eine Maschine hin. Schlag acht Uhr saßen sie beisammen an dem Tische, vertieft in ihrem Spiele, ohne sich zu rühren.

An dem anderen Ende des Tisches zu beiden Seiten des Ofens saßen Martha und der Abbé gleichsam allein. Faujas verachtete als Mann und Priester die Frau, die er wie ein beschämendes und unwürdiges Hindernis der Starken beiseite schob. Diese Meinung kam oft gegen seinen Willen in einem harten Worte zum Durchbruche. Martha wieder überfiel eine eigentümliche Angst, und furchtsam sah sie zeitweilig auf, als wenn sie hinter sich einen verborgenen Feind erblicke, der sie ergreifen wolle. Dann wieder hielt sie plötzlich im Lachen inne, wenn sie seinen Talar erblickte. Sie war verlegen, erstaunt, daß sie mit einem Manne spreche, der nicht so war wie die anderen. Es dauerte lange, bis sie vertraulicher wurden.

Nie fragte Faujas sie über ihren Gatten, ihre Kinder und ihr Haus aus. Aber allmählich drang er in die kleinsten Einzelheiten ihrer Geschichte und Lebensweise ein. Jeden Abend, wenn Mouret und seine Mutter wütend ihren Kampf ausfochten, hörte er etwas Neues. Einst machte er die Bemerkung, daß Martha ihrem Gatten sehr ähnlich sehe.

Ja, erwiderte diese lächelnd, als wir zwanzig Jahre alt waren, hielt man uns für Geschwister, was uns wirklich etwas bestimmt hat, uns zu heiraten. Man scherzte, stellte uns immer nebeneinander und meinte, wir würden ein schönes Paar abgeben. Wir sahen uns so ähnlich, daß der hochwürdige Herr Compan, der uns kannte, zögerte, uns zu trauen.

Aber Sie sind Geschwisterkinder? fragte der Priester.

Ja, erwiderte Martha, ein wenig errötend, mein Gatte ist ein Macquart, und ich bin eine Rougon.

Sie schwieg einen Augenblick, weil sie erriet, daß der Priester die Geschichte ihrer Familie kenne, die ja in Plassans bekannt war. Die Macquarts waren ein Bastardzweig der Rougons.

Das Sonderbarste dabei ist, meinte sie, um ihre Verlegenheit zu verbergen, daß wir beide unserer Großmutter ähneln.

Mein Mann hatte diese Ähnlichkeit von seiner Mutter, während sie bei mir verspätet zum Vorschein kam. Man könnte sagen, sie sei über meinen Vater hinweggesprungen.

Hierauf führte der Abbé ein ähnliches Beispiel aus seiner Familie an. Er hatte eine Schwester, die ganz wie der Großvater seiner Mutter aussah, so daß die Ähnlichkeit zwei Geschlechter übersprungen hatte. Dabei hatte seine Schwester ganz den Charakter und die Gewohnheiten des Großvaters; sogar dieselben Gebärden und die gleiche Stimme.

Ganz wie ich, erwiderte Martha, als ich jung war ... »Die ganze Tante Dide« – hörte ich immer sagen. Heute ist die arme Frau in Tulettes; sie hat nie einen recht gescheiten Kopf gehabt ... Mit den Jahren bin auch ich ruhiger und gesünder geworden; aber mit zwanzig Jahren war ich, wie ich mich erinnern kann, nicht sehr kräftig, litt an Schwindel und hatte sonderbare Gedanken. Ich muß noch heute darüber lachen, welch sonderbares Mädchen ich war.

Und Ihr Gatte?

Oh, der gleicht seinem Vater, einem Hutmacher, und ist eine vorsichtige, berechnende Natur. Wir sahen uns im Gesichte ähnlich, aber im Innern war dem nicht so ... Doch mit der Länge der Zeit wurden wir einander ganz gleich. Wie ruhig lebten wir in unserem Laden zu Marseille! Ich verbrachte dort fünfzehn Jahre, die mich das Glück in meinem Hause unter meinen Kindern zu finden gelehrt haben.

Sooft der Abbé dem Gespräche diese Richtung gab, glaubte er aus den Worten der Frau eine gewisse Bitterkeit herauszuhören. Sie war gewiß glücklich, wie sie es sagte; aber er ahnte, daß diese nervöse Natur, die jetzt nahe den Vierzig ruhiger geworden war, früher harte Kämpfe zu bestehen hatte. Er konnte sich dieses eheliche Drama lebhaft vorstellen: Zwei Gatten, die sich ähnlich sahen, denen alle ihre Bekannten immer gesagt haben, daß sie füreinander bestimmt seien, während in ihrem Innern der Gärungsstoff der Abart, der Kampf des gemischten, immer in Aufruhr befindlichen Blutes, der Gegensatz zweier so verschiedener Charaktere sich gegen eine solche Verbindung auflehnten. Dann stellte er sich den wirkungsvollen Einfluß eines geregelten Lebens, die Abschleifung dieser Charakter durch die täglichen Geschäftssorgen und das Insichaufgehen der beiden Naturen vor, die sich binnen fünfzehn Jahren ein Vermögen erworben hatten, das sie bescheiden in einem einsamen Winkel einer Kleinstadt verzehrten. Heute schien in den beiden, obgleich sie noch jung waren, nur mehr die Asche des einstigen Feuers zu schlummern. Der Abbé suchte auf geschickte Weise zu erfahren, ob Martha ruhig sei, und fand sie sehr vernünftig.

Nein, sagte sie, mein Haus und meine Kinder genügen mir vollkommen. Ich bin nie sehr lustig gewesen. Ich langweilte mich ein wenig, das ist alles; es hätte eben einer geistigen Beschäftigung bedurft, die ich aber nicht gefunden habe ... Aber wozu auch? Vielleicht hätte ich mir damit den Kopf wirr gemacht. Kann ich doch nicht einmal einen Roman lesen, ohne die heftigsten Kopfschmerzen zu bekommen. Drei Nächte lang tanzten mir alle Personen des Romanes vor den Augen herum ... Nur das Nähen hat mich nie ermüdet. Ich bleibe gern zu Hause, um all den Lärm da draußen zu vermeiden, dieses Geklatsche und all das dumme Zeug.

Sie hielt manchmal inne und sah auf Desirée, die auf dem Tische schlief und im Schlafe unschuldsvoll lächelte.

Armes Kind, sagte sie leise, es kann noch nicht einmal nähen, weil es gleich den Schwindel bekommt ... Es hat nur die Tiere gern ... Wenn sie einen Monat bei ihrer ehemaligen Amme zubringt, hält sie sich nur in dem Hühnerhofe auf und kommt mit roten Backen und in voller Gesundheit wieder nach Hause.

Oft sprach sie von Tulettes, aber mit einer stummen Furcht vor dem Wahnsinne, so daß der Abbé fühlte, es liege eine stete Angst auf diesem friedlichen Hause. Martha liebte gewiß ihren Gatten aufrichtig, nur fürchtete sie sich immer vor den Scherzen und Neckereien. Auch seine Selbstsucht verletzte sie, wie sie ihm auch gram war, daß er sie immer so allein ließ. Sie trug es ihm stets nach, daß er um sie eine gar so große Stille geschaffen. Wenn sie von ihrem Gatten sprach, sagte sie immer:

Er ist sehr gut zu uns ... Manchmal werden Sie ihn zwar auch zanken hören, denn er liebt die Ordnung, daß es oft ins Lächerliche geht. So ärgert er sich über einen Blumentopf, der im Garten anders steht, als er soll, oder über ein Spielzeug, das auf dem Boden herumliegt ... Andererseits hat er das Recht, nur nach seinem Kopfe zu handeln. Ich weiß, daß man ihn nicht leiden kann, weil er sich etwas Geld sammelt und von Zeit zu Zeit auch noch etwas verdient, wobei er sich aus dem Gerede nichts macht ... Man witzelt auch über ihn wegen meiner Person. Man sagt ihm nach, er sei geizig, lasse mich nicht ausgehen und kaufe mir nicht einmal ein Paar Schuhe. Das ist aber nicht wahr, ich bin vollständig frei. Freilich hat er es lieber, wenn er mich bei seiner Heimkehr zu Hause findet, als wenn er mich auf der Gasse herumschlendern oder Besuche machen sieht. Übrigens kennt er meinen Geschmack. Was habe ich auch draußen zu suchen?

Wenn sie Mouret gegen das dumme Gerede von Plassans in Schutz nahm, wurden ihre Worte lebhafter, als finde sie es notwendig, ihn zugleich auch gegen jene geheimen Anklagen in Schutz zu nehmen, die in ihrem Innern aufstiegen. Immer wieder kam sie mit einer nervösen Unruhe auf das Außenleben zu sprechen. Es schien, als flüchte sie sich in das enge Speisezimmer, in den alten Garten mit dem großen Gebüsche aus Furcht vor etwas Unbekanntem, wobei sie ihrer Kraft mißtraute und stets irgendeine Katastrophe fürchtete. Dann mußte sie wieder über diese kindische Furcht lachen; sie zuckte mit den Achseln und strickte entweder ihren Strumpf weiter oder nähte an einem alten Hemde. Dann hatte der Abbé vor sich nur eine kalte Bürgersfrau mit schläfrigem Gesichte, fahlen Augen, die in dem Hause einen Geruch von frischer Wäsche oder den eines im Schatten gepflückten Blumenstraußes verbreitete.

So flossen zwei Monate dahin. Der Abbé Faujas und seine Mutter hatten sich ganz an die Mourets gewöhnt. Abends hatte jeder seinen bestimmten Platz an dem Tische, die Lampe stand immer auf demselben Platze, die Spieler warfen immer dieselben Worte in die leise geführte Unterhaltung Marthas und des Priesters. Und wenn Madame Faujas den Hausherrn im Spiele nicht allzustark geschlagen, fand letzterer, daß die Partie »sehr anständig« sei.

Seine ganze Neugierde eines unbeschäftigten Spießbürgers war in den Sorgen um die abendlichen Partien verschwunden. Er spionierte nicht mehr um den Abbé herum, sondern erklärte, daß er ihn jetzt sehr gut kenne und ihn für einen sehr braven Menschen halte.

So laßt mich doch in Ruh', rief er denen zu, die den Abbé in seiner Anwesenheit angriffen. Ihr macht Geschichten zusammen und greift im Finstern herum, obwohl es doch so leicht ist, diese Dinge zu erklären ... Zum Teufel, ich kenne ihn bis zur kleinen Zehe! Er erweist mir die Ehre, jeden Abend in meiner Familie zuzubringen ... Er schenkt nicht jedem seine Freundschaft! Deshalb ist man ihm eben gram und hält ihn für stolz.

Mouret freute sich, in Plassans der einzige Mensch zu sein, der sich rühmen konnte, den Abbé ganz zu kennen; er trieb damit sogar ein wenig Mißbrauch. Sooft er der Madame Rougon begegnete, spielte er ihr gegenüber den Sieger und gab ihr zu verstehen, daß er ihr einen Gast weggenommen habe. Diese lächelte nur. In intimen Bekanntenkreisen ging Mouret noch weiter: Er flüsterte, daß diese vertrackten Priester alles anders machen, als die übrigen Menschen; und dann erzählte er alle Einzelheiten aus dem Leben des Abbé: Wie er trinke, wie er mit den Frauen spreche, wie er immer die Knie auseinanderspreize und nie die Beine übereinander lege; Anekdoten, in denen seine Beklemmung als Freidenker gegenüber dem geheimnisvollen Talar zum Ausdrucke kam, der seinem Gaste stets bis zu den Fersen herabwallte.

So waren die ersten Februartage gekommen. Der Abbé schien bei den abendlichen Zusammenkünften absichtlich jeder religiösen Frage aus dem Wege zu gehen. Martha hatte einmal in heiterem Tone zu ihm gesagt:

Ich bin nicht fromm, Herr Abbé und komme selten in die Kirche ... Wie konnte es auch anders sein? In Marseille hatte ich viel zu tun, und jetzt bin ich zu träge zum Ausgehen. Auch muß ich Ihnen gestehen, daß ich nicht religiös erzogen worden bin. Meine Mutter sagte, daß der liebe Gott schon zu uns komme.

Der Priester verneigte sich, ohne zu antworten, womit er sagen wollte, daß er unter solchen Umständen nicht gern über solche Dinge spreche. Aber eines Abends entwarf er doch ein Bild von den Tröstungen, die die leidenden Menschen in der Religion finden. Es war die Rede auf eine arme Frau gekommen, die das Unglück in den Tod getrieben hatte.

Sie hatte unrecht zu verzweifeln, sagte der Priester mit seiner tiefen Stimme. Sie kannte gewiß nicht den Trost des Gebetes. Ich habe oft Weinende und ganz Gebrochene zu mir kommen sehen, die mit einer anderswo vergeblich gesuchten Ergebenheit und frischem Lebensmute mich verließen. Sie hatten sich in einem Winkel der Kirche niedergekniet und das Glück der Erniedrigung genossen. Sie waren dem Leben wiedergegeben und vergaßen alles, denn sie gehörten Gott an.

Martha hörte diesen Worten, die in einem Ton übermenschlichen Glückes verklangen, wie im Traume zu.

Ja, das muß ein Glück sein, sagte sie leise wie zu sich selbst; ich habe manchmal daran gedacht, aber mich immer davor gefürchtet.

Der Abbé berührte nur sehr selten dieses Thema; oft aber sprach er vom Wohltun. Martha hatte ein mitleidiges Herz, und sofort kamen ihr die Tränen in die Augen, wenn sie von einem Unglücke hörte. Er wieder fand großes Gefallen an ihrem Mitgefühl und erzählte ihr jeden Abend irgendeine rührende Geschichte, so daß er sie in steter Teilnahme erhielt. Sie ließ ihre Arbeit fallen, faltete die Hände und sah ihn mit teilnahmvollem Gesichte an, während er die schrecklichen Leiden der Armen schilderte, die vor Hunger sterben, oder durch das Elend zum Verbrechen getrieben werden. In solchen Augenblicken gehörte sie ihm an und er hätte mit ihr anfangen können, was er wollte; oft erhob sich unterdessen am anderen Ende des Tisches ein Streit zwischen Mouret und Madame Faujas wegen eines unrichtigen Stiches.

Gegen Mitte Februar brachte ein beklagenswertes Ereignis ganz Plassans in Aufruhr. Man entdeckte nämlich, daß eine Anzahl ganz junger Mädchen, fast Kinder, auf den Straßen der Schande in die Arme gefallen waren, und zwar spielte sich dies nicht allein zwischen Kindern gleichen Alters ab, sondern es ging das Gerücht, daß auch Herren aus den besten Ständen dadurch kompromittiert seien. Acht Tage lang war Martha über diesen Vorfall, der ungeheueres Aufsehen machte, sehr aufgeregt. Kannte sie doch eine der Unglücklichen selbst, eine Blondine, die Nichte der Köchin Rosa, die sie oft geherzt hatte! Sie konnte, wie sie selbst sagte, nicht mehr an das Mädchen denken, ohne daß ein Schaudern sie überlief.

Es ist bedauerlich, sagte eines Abends der Abbé zu ihr, daß in Plassans nicht auch eine mildtätige Anstalt existiert wie in Besançon.

Auf ihre dringenden Fragen erklärte er ihr, daß dies eine Art Bewahranstalt sei, in der sich die Mädchen der Arbeiter, Kinder im Alter von acht bis fünfzehn Jahren aufhalten, während ihre Eltern bei der Arbeit sind. Man beschäftige sie dort tagsüber mit Handarbeiten; wenn ihre Eltern heimkommen, übergebe man sie ihnen wieder. Auf diese Weise wachsen die armen Kindern fern vom Laster auf inmitten der besten Beispiele. Martha fand diese Einrichtung ungemein edel. Allmählich erwärmte sie sich dafür derart, daß sie bald von nichts anderem sprach, als von der Notwendigkeit, eine ähnliche Anstalt in Plassans zu errichten.

Man würde sie dem Schutze der heiligen Jungfrau weihen, flüsterte der Abbé. Aber wie viele Schwierigkeiten sind da zu überwinden! Sie wissen nicht, wie viele Mühe das geringste gute Werk kostet! Zu einem solchen Werke ist ein warmes, hingebendes Mutterherz unentbehrlich.

Martha senkte den Kopf, sah auf die schlafende Desirée und fühlte Tränen in den Augen. Dann fragte sie nach den notwendigen Schritten, den beiläufigen Kosten und den jährlichen Ausgaben.

Wollen Sie mich dabei unterstützen? fragte sie eines Abends plötzlich den Priester.

Der Abbé nahm ernst eine ihrer Hände, die er einen Augenblick in der seinigen hielt, und sagte leise, daß sie das edelste Herz habe. Er sagte zu, doch rechne er sicher auf sie; denn er allein könne sehr wenig tun. Sie werde in der Stadt Damen finden, die den Ausschuß bilden sollten, sie werde die Sammlungen einleiten, kurz alle die heiklen und mühseligen Einzelheiten eines Aufrufes an das Publikum übernehmen. Zugleich ersuchte er sie, am folgenden Tage in die Kirche Saint-Saturnin zu kommen, wo er ihr nach einer Rücksprache mit dem Baumeister des Kirchspiels genau sagen werde, wie hoch sich die Kosten belaufen würden.

Als Mouret an diesem Abend schlafen ging, war er ungemein heiter, denn er hatte Madame Faujas nicht eine Partie gewinnen lassen.

Du siehst ja heute so glücklich aus, meine Liebe, sagte er zu seiner Frau. Hast du gesehen, wie ich ihr eine Quinte verdarb? Die Alte war ganz außer sich!

Als Martha ein Seidenkleid aus dem Schranke nahm, fragte er sie überrascht, ob sie denn am nächsten Tage ausgehen wolle. Er hatte gar nichts von dem Gespräche der beiden gehört.

Ja, erwiderte sie, ich treffe morgen mit dem Abbé Faujas in der Kirche zusammen; die Gründe erzähle ich dir schon.

Er schaute sie starr an, um zu sehen, ob sie sich nicht über ihn lustig mache. Dann sagte er in scherzhaftem Tone:

Ei, ei, davon habe ich ja gar nichts gemerkt. Du bist unter die Betschwestern gegangen!


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