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Neunzehntes Kapitel.

Die allgemeinen Wahlen sollten im Oktober stattfinden. Gegen Mitte September reiste der Bischof Rousselot plötzlich nach Paris, nachdem er eine lange Unterredung mit dem Abbé Faujas gehabt. Man sprach von einer ernsten Erkrankung seiner Schwester, die in Versailles wohnte. Nach fünf Tagen kehrte er zurück; er ließ sich in seinem Arbeitszimmer von dem Abbé Surin vorlesen. Zurückgelehnt in einem Sessel, fröstelnd und eingehüllt in eine Decke von violetter Seide, obwohl es draußen noch sehr warm war, hörte er lächelnd der weiblich klingenden Stimme des jungen Abbé zu, der Anakreontische Strophen skandierte.

Gut, gut, sagte er leise, Sie haben die Musik dieser schönen Sprache.

Dann sah er mit unruhiger Miene auf die Pendeluhr und fuhr fort:

Ist der Abbé Faujas schon heute morgen dagewesen? ... Ach, mein Kind, wieviel Lärm! Ich habe noch immer dieses schreckliche Getöse der Eisenbahn in den Ohren ... In Paris hat es die ganze Zeit geregnet. Ich mußte nach allen Ecken und Enden der Stadt und habe nur Schmutz gesehen.

Der Abbé Surin legte sein Buch auf die Ecke eines Tischchens.

Ist Ew. bischöfliche Gnaden mit dem Ergebnis der Reise zufrieden? fragte er in dem vertraulichen Tone eines verzogenen Kindes.

Ich weiß, was ich wissen wollte, erwiderte der Bischof wieder mit einem feinen Lächeln. Ich hätte Sie mitnehmen sollen. Sie hätten Dinge gelernt, die zu wissen nützlich sind, wenn man in Ihrem Alter ist und man durch Geburt und Verbindungen dazu bestimmt ist, Bischof zu werden.

Ich höre Ew. bischöfliche Gnaden, sagte der junge Priester mit bittender Miene.

Aber der Prälat schüttelte mit dem Kopfe.

Nein, nein, diese Sachen lassen sich nicht sagen ... Seien Sie ein Freund des Abbé Faujas, er kann für Sie eines Tages viel tun. Ich habe vollständige Erkundigungen eingezogen.

Der Abbé Surin faltete die Hände mit einer Gebärde von solch kindlicher Neugierde, daß der Bischof Rousselot fortfuhr:

Er hatte in Besançon Schwierigkeiten gehabt ... Er wohnte in Paris in sehr ärmlichen Verhältnissen in einer Pension und bot sich selbst an. Der Minister suchte gerade der Regierung ergebene Priester. Ich begreife, daß der Abbé Faujas mit seiner finsteren Miene und dem alten Talar ihn zuerst erschreckt hat. Er sandte ihn also aufs Geratewohl hierher. Der Minister war mir gegenüber sehr liebenswürdig.

Der Bischof vollendete seinen Satz durch ein leichtes Wiegen seiner Hand, indem er aus Furcht, zuviel sagen zu können, nach Worten suchte. Dann trug sein Wohlwollen zu seinem Sekretär den Sieg davon; er fügte lebhaft hinzu:

Kurz: glauben Sie mir, seien Sie dem Pfarrer von Saint-Saturnin nützlich; er braucht jeden; er scheint mir ein Mann zu sein, der weder eine Beleidigung noch eine Wohltat vergißt. Aber verbinden Sie sich nicht mit ihm. Er nimmt ein schlechtes Ende. Das ist so mein persönlicher Eindruck.

Er nimmt ein schlechtes Ende? wiederholte der junge Abbé überrascht.

In diesem Augenblicke ist er der Sieger ... Aber sein Gesicht beunruhigt mich, liebes Kind; er sieht schrecklich aus. Dieser Mann stirbt nicht in seinem Bette ... Kompromittieren Sie mich nicht; ich will nur ruhig leben, ich bedarf nur der Ruhe.

Der Abbé Surin nahm sein Buch wieder zur Hand, als der Abbé Faujas sich anmelden ließ. Der Bischof Rousselot ging ihm lächelnd entgegen, streckte ihm die Hände hin und nannte ihn »mein lieber Pfarrer«.

Lassen Sie uns allein, mein Kind, sagte er zu seinem Sekretär, der sich zurückzog.

Er sprach von seiner Reise. Seiner Schwester gehe es besser; er habe alten Freunden die Hände schütteln können.

Und haben Sie den Minister gesehen? fragte der Abbé Faujas, indem er ihn scharf ansah.

Ja, ich glaubte ihm meinen Besuch machen zu sollen, erwiderte der Bischof errötend. Er hat mir viel Gutes von Ihnen gesagt.

Dann zweifeln Sie nicht mehr, Sie trauen mir?

Vollkommen, mein lieber Pfarrer, übrigens verstehe ich nichts von Politik, ich lasse Sie gewähren.

Sie plauderten den ganzen Vormittag zusammen. Der Abbé Faujas erlangte von ihm, daß er eine Rundreise durch den Amtsbezirk mache; er werde ihn begleiten und ihm seine Reden einflüstern. Es sei außerdem notwendig, alle Dechanten zu benachrichtigen, damit die Pfarrer der kleinsten Gemeinden Verhaltungsmaßregeln empfangen. Das mache keine Schwierigkeit, der Klerus werde gehorchen. Die heikelste Aufgabe sei in Plassans selbst im Sankt-Markus-Viertel zu erledigen. Der Adel, der in seinen Häusern verschlossen lebe, entzog sich ganz der Einwirkung des Priesters; er hatte bis jetzt nur auf die ehrgeizigen Royalisten, wie Rastoil, Maffre und Bourdeu einwirken können. Der Bischof versprach ihm, gewisse Salons des Adelsviertel, wo er empfangen werde, auszuholen. Übrigens vereinigte der Adel, angenommen er stimme gegen die Regierung, nur eine lächerliche Minderheit für sich, wenn die klerikal gesinnte Bürgerschaft ihn im Stiche lasse.

Jetzt, sagte der Bischof und stand auf, wäre es vielleicht gut, wenn ich den Namen Ihres Kandidaten kenne, um ihn in allen Briefen zu empfehlen.

Der Abbé Faujas lächelte.

Ein Name ist gefährlich, erwiderte er. In acht Tagen bliebe nicht ein Stück von unserem Kandidaten übrig, wenn wir ihn heute nennen würden ... Der Marquis Lagrifoul ist unmöglich geworden. Herr von Bordeu, der sein Nachfolger zu werden gedenkt, ist noch unmöglicher. Wir werden sie einander vernichten lassen und erst im letzten Augenblick eingreifen ... Sagen Sie einfach, daß eine rein politische Wahl bedauerlich sei, daß man im Interesse von Plassans einen Mann brauche, der außerhalb der Parteien gewählt, die Bedürfnisse der Stadt und des Kreises gründlich kenne. Lassen Sie durchblicken, daß dieser Mann gefunden sei; aber gehen Sie nicht weiter.

Jetzt lächelte der Bischof. Er hielt den Priester zurück in dem Augenblicke, als er sich verabschieden wollte.

Und der Abbé Fenil? fragte er ihn mit leiser Stimme. Fürchten Sie nicht, daß er Ihre Pläne durchkreuzen werde?

Der Abbé zuckte mit den Schultern.

Er hat sich nicht mehr gerührt, sagte er.

Gewiß, versetzte der Prälat, diese Ruhe macht mir Sorge. Ich kenne Fenil, er ist der gehässigste Priester meines Bezirkes. Er hat vielleicht den Plan aufgegeben, Sie auf dem politischen Gebiet zu schlagen, aber seien Sie sicher, daß er sich Mann gegen Mann rächen wird. Er muß Sie aus einem Hinterhalte belauern.

Bah, meinte der Abbé Faujas und zeigte seine weißen Zähne, er wird mich nicht lebendig fressen.

Der Abbé Surin war soeben eingetreten. Als der Pfarrer von Saint-Saturnin fort war, erheiterte er den Bischof Rousselot ungemein, indem er leise sagte:

Möchten sie doch einander auffressen wie die beiden Füchse, von denen nur die zwei Schwänze übrig blieben.

Die Wahlperiode wurde eröffnet. Plassans, das die politischen Fragen sonst ganz ruhig ließen, hatte einen Anfall von leichtem Fieber. Ein unsichtbarer Mund schien in die friedlichen Straßen Krieg hinein zu blasen. Der Marquis von Lagrifoul, der in La Palud, einem großen benachbarten Marktflecken wohnte, war seit vierzehn Tagen bei einem seiner Verwandten, dem Grafen von Valqueyras, abgestiegen, dessen Besitz ein ganzes Stück des Sankt-Markus-Viertels einnahm. Er ließ sich sehen, ging auf der Promenade Sauvaire spazieren, besuchte die Kirche Saint-Saturnin, grüßte die einflußreichen Personen, ohne aber aus seiner vornehmen Zurückhaltung herauszutreten. Aber alle diese erzwungene Liebenswürdigkeit, die ein erstes Mal genügt hatte, schien keinen großen Erfolg zu haben. Es waren Beschuldigungen im Umlaufe, die sich jeden Tag mehrten, und deren Quelle man nicht kannte: Mit einem anderen Vertreter als dem Marquis hätte Plassans schon längst eine Zweigbahn bekommen, die es mit der Linie nach Nizza verbinde; wenn ein Landsmann den Marquis in Paris besuchen wolle, müsse er drei- oder viermal vorsprechen, bevor er den geringsten Dienst erlange. Doch obwohl die Kandidatur des Deputierten durch diese Vorwürfe sehr kompromittiert war, war doch noch kein anderer Kandidat offen hervorgetreten. Man sprach vom Herr von Bourdeu, obwohl man erklärte, daß es schwer sein werde, eine Majorität auf den Namen des ehemaligen Präfekten Louis Philipps zu vereinigen, der nirgends einen festen Anhang hatte. Die Wahrheit war, daß ein unbekannter Einfluß in Plassans die Aussichten der verschiedenen Kandidaturen vollständig erschüttert hatte, indem er das Bündnis der Legitimisten und Republikaner sprengte. Es herrschte eine allgemeine Bestürzung, eine Verwirrung voll Überdruß, ein Bedürfnis, die Wahl so schnell wie möglich abzutun.

Die Mehrheit ist ins Wanken gebracht, sagten wiederholt die Politiker der Promenade Sauvaire. Die Frage ist, wie sie sich wieder festigt.

In diesem Fieber der Spaltung, das die Stadt durchdrang, wollten die Republikaner ihren Kandidaten haben. Sie wählten einen Hutmachermeister, einen gewissen Maurin, der in den Arbeiterkreisen sehr beliebt war. Trouche traf abends den Maurin in den Kaffeehäusern an in großer Aufregung; er schlug einen Geächteten aus den Dezembertagen vor, einen Wagner aus Tulettes, der verständig genug war, die Kandidatur auszuschlagen. Man muß sagen, daß Trouche sich auf einen der glühendsten Republikaner aufspielte. Er hätte sich, wie er sagte, selbst an die Spitze gestellt, wenn nicht sein Schwager Priester wäre; zu seinem großen Bedauern sehe er sich genötigt, das Brot der Betbrüder zu essen, was ihn zwinge, im Dunkel zu bleiben. Er war einer der ersten, die die bösen Gerüchte über den Marquis von Lagrifoul verbreitete; er riet zum Bruche mit den Legitimisten. Die Republikaner von Plassans, die wenig zahlreich waren, mußten geschlagen werden. Aber der Hauptschachzug des Trouche war, daß er die Gesellschaft der Unterpräfektur und die Rastoils beschuldigte, den armen Mouret aus dem Wege geräumt zu haben, um die demokratische Partei ihres ehrenwertesten Führers zu berauben. An dem Abende, wo er in einem Schnapsladen der Canquoin-Straße zum erstenmal diese Beschuldigung ausstieß, sahen sich die anwesenden Leute mit seltsamer Miene an. Die Klatschbasen des alten Viertels, die jetzt, wo der »Narr, der seine Frau schlug«, eingesperrt war, diesen bemitleideten, erzählten, daß der Abbé Faujas sich nur eines lästigen Ehemannes habe entledigen wollen. Dann wiederholte Trouche jeden Abend seine Geschichte und schlug dabei dermaßen überzeugt mit der Faust auf die Tische der Kaffeehäuser, daß er schließlich ein Märchen glauben machte, in dem Herr Péqueur des Saulaies eine höchst eigentümliche Rolle spielte. Die Meinung schlug zugunsten Mourets um. Er Wurde ein politisches Opfer, ein Mann, dessen Einfluß man so gefürchtet hatte, daß man ihn in eine Zelle von Tulettes steckte.

Lassen Sie mich nur machen, sagte Trouche in vertraulichem Tone. Ich lasse die frommen Betschwestern im Stiche und erzähle schöne Geschichten von der Anstalt der heiligen Jungfrau ... Ein nettes Haus, wo diese Damen Stelldicheine geben!

Unterdessen vervielfachte sich der Abbé Faujas; man sah seit einiger Zeit nur ihn auf der Straße. Er hielt noch mehr auf sich und gab sich Mühe, stets liebenswürdig zu lächeln. Manchmal senkten sich seine Augenlider, um das unheimliche Feuer seines Blickes zu verbergen. Oft kehrte er, wenn seine Geduld zu Ende und er dieses elenden täglichen Kampfes überdrüssig war, mit geballten Fäusten, die Schultern von seiner unnützen Kraft geschwellt, in sein kahles Zimmer zurück und wünschte sich ein Ungeheuer, um es zu seiner Erleichterung erdrosseln zu können. Die alte Frau Rougon, die er noch immer im geheimen besuchte, war sein guter Schutzgeist; sie kanzelte ihn tüchtig herunter, hielt seinen großen Leib vor sich in einem niedrigen Stuhle festgebannt und wiederholte ihm, daß er gefallen müsse, daß er alles verderbe, wenn er törichterweise seine nackten Ringkämpferarme zeigen würde. Später, wenn er Herr sei, könne er Plassans bei der Kehle packen und es erwürgen, wenn ihm dies Erleichterung bringe. Gewiß war sie nicht zärtlich gegen Plassans gesinnt, gegen das sie einen Groll für vierzig Jahre des Elends hatte und das sie seit dem Staatsstreiche vor Ärger bersten machte.

Ich trage den Talar, sagte sie manchmal lächelnd zu ihm, Sie, mein lieber Pfarrer, treten wie ein Gendarm auf.

Der Priester zeigte sich sehr häufig in dem Lesesaale des Jugendklubs. Er hörte dort nachsichtig die jungen Leute von Politik sprechen, schüttelte den Kopf und erklärte wiederholt, daß die Ehrenhaftigkeit genüge. Seine Volkstümlichkeit wuchs. Er hatte eines Abends eingewilligt, Billard zu spielen, wobei er eine ziemliche Geschicklichkeit entwickelte; in kleinem Kreise rauchte er Zigaretten. Darum nahm der Klub seine Meinung in allen Dingen an. Vollends als duldsamen Mann stellte ihn die Gutmütigkeit hin, mit der er für die Aufnahme Wilhelm Porquiers eintrat, der sein Gesuch wieder eingebracht hatte.

Ich habe den jungen Mann gesehen, sagte er; er hat bei mir eine Generalbeichte abgelegt, und ich habe ihm die Absolution erteilt. Jedem Sünder wird verziehen ... Weil er in Plassans einige Schilder von den Kaufläden heruntergerissen und in Paris Schulden gemacht hat, braucht man ihn nicht wie einen Aussätzigen zu behandeln.

Als Wilhelm aufgenommen war, sagte er höhnisch zu den jungen Maffre:

Also, ihr schuldet mir zwei Flaschen Champagner ... Ihr seht, daß der Pfarrer alles tut, was ich will. Ich habe eine kleine Maschine, um ihn an einem empfindlichen Flecke zu kitzeln, und dann lacht er, Kinder, und kann mir nichts mehr abschlagen.

Er sieht mir aber nicht danach aus, als ob er dich sehr gern hätte, bemerkte Alphonse; er schaut dich recht von der Seite an.

Ich habe ihn vielleicht zu stark gekitzelt ... Ihr sollt sehen, daß wir bald die besten Freunde der Welt sind.

In der Tat schien der Abbe Faujas für den Sohn des Doktors eine Zuneigung zu fassen; er sagte, der arme junge Mann habe es nötig, von einer sehr milden Hand geführt zu werden. Wilhelm wurde binnen kurzem der Lustigmacher des Klubs; er erfand Spiele; gab das Rezept eines Kirschpunsches an und verführte die ganz jungen Leute, die eben erst das Gymnasium verlassen hatten. Seine liebenswürdigen Laster verliehen ihm einen großen Einfluß. Während die Orgel über dem Billardzimmer ertönte, trank er, umgeben von den Söhnen der besten Familien Plassans, seine Schoppen, indem er ihnen unanständige Sachen erzählte, worüber sie in helles Gelächter ausbrachen. Der Klub gab sich auf diese Weise den Zoten hin, die in den Winkeln blühten. Aber der Abbé Faujas hörte nichts. Wilhelm nannte ihn einen »feinen Kopf«, der sich mit großen Gedanken trage.

Der Abbé wird Bischof, wenn er will, erzählte er. Er hat schon eine Pfarre in Paris ausgeschlagen. Er will in Plassans bleiben, weil er die Stadt liebgewonnen hat ... Ich würde ihn als Kandidaten aufstellen. Er würde unsere Interessen in der Kammer vertreten; er ist zu bescheiden und nimmt nicht an ... Man kann ihn fragen, wenn die Wahlen kommen. Er läßt niemanden aufsitzen.

Lucian Delangre blieb der Ernste im Klub. Er zeigte eine große Verehrung für den Abbé und gewann ihm die Schar der studierenden jungen Leute. Oft begab er sich mit ihm in den Klub und unterhielt sich lebhaft mit ihm; doch schwieg er, sobald sie den großen Saal betraten.

Der Abbé begab sich regelmäßig von dem Kaffee unter der Minoritenkirche in die Anstalt der heiligen Jungfrau. Hier kam er während der Erholungspause an und zeigte sich lächelnd auf der Freitreppe. Dann liefen die Mädchen herbei und stritten sich um seine Taschen, aus denen sie Heiligenbilder, Rosenkränze und geweihte Münzen hervorzogen. Er hatte sich bei diesen großen Mädchen beliebt gemacht, indem er ihre Wange streichelte und ihnen empfahl, sehr brav zu sein, was auf ihren frechen Gesichtern immer ein verstohlenes Lächeln hervorrief. Oft führten die Nonnen bei ihm Klage: die ihrer Obhut anvertrauten Kinder seien nicht zu bändigen, sie rauften sich derart, daß sie sich die Haare herausrissen und täten noch schlimmere Dinge. Er sah alles nur für kleine Fehler an; er ermahnte die Unartigsten in der Kapelle, die sie demütig verließen. Manchmal nahm er ein ernsteres Vergehen zum Vorwande, um die Eltern rufen zu lassen, die stets gerührt über seine Gutmütigkeit wieder heimkehrten. So hatten die Zöglinge der Anstalt der heiligen Jungfrau ihm die Herzen der armen Familien von Plassans gewonnen. Wenn sie abends nach Hause gingen, erzählten sie außerordentliche Dinge über den Herrn Pfarrer. Es kam nicht selten vor, daß bei diesem Erzählen zwei daran waren, sich in den dunkeln Winkeln der Schanzen zu ohrfeigen, weil sie über die Frage in Streit geraten waren, welche von ihnen der Herr Pfarrer am liebsten habe.

Die kleinen Dirnen geben zwei- bis dreitausend Stimmen, dachte Trouche, wenn er aus dem Fenster seiner Kanzlei die Liebenswürdigkeit des Abbé Faujas betrachtete.

Er hatte sich angeboten, »diese kleinen Herzen«, wie er die Mädchen nannte, zu erobern; aber der Priester, den seine leuchtenden Blicke beunruhigten, hatte ihm ausdrücklich untersagt, den Hof zu betreten. Er begnügte sich, sobald die Nonnen den Rücken kehrten, den »kleinen Herzen« Leckerbissen zuzuwerfen, wie man den Sperlingen Brotkrümchen zuwirft. Er füllte besonders mit Zuckerwerk die Schürze einer großen Blondine, der Tochter eines Gerbers, die mit dreizehn Jahren die Schultern einer entwickelten Frau hatte.

Das Tagewerk des Abbé Faujas war damit nicht beendigt; er machte noch den Damen der Gesellschaft kurze Besuche. Frau Rastoil, Frau Delangre empfingen ihn voll Entzücken; sie wiederholten seine unbedeutendsten Worte und sammelten bei ihm Gesprächsstoff für eine ganze Woche. Aber seine beste Freundin war Frau von Condamin. Diese bewahrte eine lächelnde Vertraulichkeit, das Siegesbewußtsein der schönen Frau, die sich allmächtig weiß. Ihre leise Unterhaltung, ihre Blicke und ihr sonderbares Lächeln zeigten, daß ein geheimes Bündnis zwischen ihnen bestand. Wenn der Priester sich bei ihr melden ließ, wies sie ihrem Manne mit einem Blicke die Türe. »Die Regierung hält Sitzung«, scherzte dann der Forstinspektor und bestieg mit philosophischer Ruhe sein Pferd. Frau Rougon war es, die den Priester auf Frau von Condamin aufmerksam gemacht hatte.

Sie ist von der Gesellschaft noch nicht völlig aufgenommen, erklärte sie ihm. Sie ist eine sehr schlaue Frau, wenngleich sie ganz hübsch die Kokette spielt. Sie können sich ihr ganz anvertrauen; sie wird in Ihrem Triumphe ein Mittel, sich völlig festzusetzen, erblicken. Sie wird Ihnen von großem Nutzen sein, wenn Sie Stellen und Orden zu verteilen haben ... Sie hat einen guten Freund in Paris, der ihr rote Bänder schickt, soviel sie will.

Da Frau Rougon sich durch ein geschicktes Manöver abseits hielt, so wurde auf diese Weise die schöne Octavia die tätigste Bundesgenossin des Abbé Faujas. Sie gewann ihm ihre Freunde und die Freunde ihrer Freunde. Jeden Morgen eröffnete sie ihren Feldzug und machte mittelst kleiner Grüße, die sie mit den Spitzen ihrer behandschuhten Finger hinwarf, erstaunliche Propaganda. Sie warb besonders unter den Bürgern, sie verzehnfachte den weiblichen Einfluß, dessen unbedingte Notwendigkeit der Priester seit dem ersten Tage seines Eintrittes in die kleine Welt von Plassans erkannt hatte. Sie stopfte den Paloques den Mund, die über das Haus der Mouret herfielen: sie warf diesen zwei Ungeheuern einen Honigkuchen hin.

Sie zürnen uns also, hebe Frau, sagte sie zu der Gattin des Richters, der sie begegnete. Sie tun sehr unrecht daran; Ihre Freunde vergessen Sie nicht, sie beschäftigen sich mit Ihnen und bereiten Ihnen eine Überraschung vor.

Eine schöne Überraschung! Irgendeinen Hinterhalt! rief Frau Paloque bitter. Man soll sich nicht mehr über uns lustig machen; ich habe geschworen, in meinem Winkel zu bleiben.

Frau von Condarain lächelte.

Was würden Sie sagen, fragte sie, wenn Herr Paloque einen Orden bekäme?

Die Frau des Richters war sprachlos. Das Blut schoß ihr in das Gesicht und machte es scheußlich.

Sie scherzen, stammelte sie; das ist ein neuer Anschlag gegen uns. Wenn es nicht wahr wäre, würde ich es Ihnen in meinem Leben nicht verzeihen.

Die schöne Octavia mußte ihr schwören, daß nichts wahrer sei. Die Ernennung sei sicher, nur werde sie im »Moniteur« erst nach den Wahlen erscheinen, weil die Regierung nicht den Anschein erwecken wolle, als wenn sie die Stimmen des Richterstandes erkaufe. Sie ließ durchblicken, daß der Abbé Faujas dieser seit so langer Zeit erwarteten Belohnung nicht fern stehe; er habe darüber mit dem Unterpräfekten gesprochen.

Dann hatte mein Mann recht, sagte Frau Paloque bestürzt. Seit langem schon macht er mir schreckliche Auftritte, daß ich den Abbé um Entschuldigung bitten soll. Ich bin eigensinnig und hätte mich eher töten lassen ... Aber sobald der Abbé den ersten Schritt tut ... Gewiß, wir wollen in Frieden mit jedermann leben. Morgen gehen wir auf die Unterpräfektur.

Am folgenden Tage waren die Paloques sehr demütig. Die Frau sagte über den Abbé Fenil alles Schlimme. Mit größter Unerschrockenheit erzählte sie sogar, daß sie ihn eines Tages besucht habe; er habe in ihrer Anwesenheit erklärt, daß er den »ganzen Anhang des Abbé Faujas« zu den Toren von Plassans hinausjagen werde.

Wenn Sie wollen, sagte sie zu dem Priester und nahm ihn beiseite, so gebe ich Ihnen das Manuskript einer Notiz, die der Großvikar diktiert hat. Es ist darin von Ihnen die Rede. Es sind, wie ich glaube, abscheuliche Geschichten darin, die er in dem »Anzeiger von Plassans« veröffentlichen will.

Wie ist denn dieses Schriftstück in Ihre Hände gekommen? fragte der Abbé.

Ich habe es, und das genügt, erwiderte sie, ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen.

Dann lächelte sie.

Ich habe es gefunden, fuhr sie fort. Und ich erinnere mich jetzt, daß über einer durchgestrichenen Stelle zwei oder drei Worte von der Hand des Großvikars selbst geschrieben stehen ... Ich vertraue alles Ihrer Ehre an, nicht wahr? Wir sind anständige Leute und wollen nicht kompromittiert sein.

Bevor sie ihm das Schriftstück brachte, heuchelte sie drei Tage lang Gewissensbisse. Frau von Condamin mußte ihr besonders schwören, daß die Pensionierung des Herrn Rastoil demnächst verlangt werde, so daß ihr Gatte endlich die Präsidentschaft antreten könne. Dann lieferte sie das Papier aus. Der Abbé Faujas wollte es nicht behalten; er brachte es Frau Rougon und beauftragte sie, davon Gebrauch zu machen und sich ganz abseits zu halten, wenn der Großvikar sich nur im geringsten in die Wahlen mischen sollte.

Frau von Condamin ließ auch Maffre gegenüber durchblicken, der Kaiser gedenke, ihn zu dekorieren, und versprach dem Doktor Porquier, daß sich für seinen leichtsinnigen Sohn wohl eine Stelle finden lasse. Besonders war sie von großer Zuvorkommenheit bei den intimen Zusammenkünften am Nachmittag in den Gärten. Der Sommer neigte sich seinem Ende zu; sie erschien in leichter Toilette, um, trotzdem sie ein wenig fröstelte und einen Schnupfen riskierte, ihre nackten Arme zu zeigen und die letzten Bedenken der Gesellschaft Rastoil zu beseitigen. So wurde tatsächlich die Wahl in der Laube Mourets entschieden.

Nun, Herr Unterpräfekt, sagte der Abbé Faujas eines Tages lächelnd, als die beiden Gesellschaften beisammen waren, die große Schlacht naht.

In eingeweihten Kreisen lachte man über die politischen Kämpfe. Man drückte sich hinter den Häusern, in den Gärten die Hände, während man vor ihnen sich gegenseitig auffressen wollte.

Frau von Condamin warf einen lebhaften Blick auf Herrn Péqueur des Saulaies, der sich mit seiner gewohnten tadellosen Haltung verbeugte und in einem Zuge sagte:

Ich werde unter meinem Zelte bleiben, Herr Pfarrer. Ich habe mich glücklich geschätzt, Se. Exzellenz wissen zu lassen, daß die Regierung im unmittelbaren Interesse Plassans sich jeden Einflusses enthalten müsse. Es wird kein Regierungskandidat aufgestellt.

Herr von Bourdeu wurde bleich. Seine Augenlider senkten sich, seine Hände zitterten vor Freude.

Kein offizieller Kandidat? wiederholte Herr Rastoil, durch diese unerwartete Nachricht sehr erregt und trat danach aus seiner Zurückhaltung heraus, in der er sich bis dahin gehalten hatte.

Nein, versetzte Herr Péqueur des Saulaies, die Stadt zählt genug ehrenhafte Männer und ist mündig, um sich selbst ihren Vertreter zu wählen.

Er neigte sich leicht nach Herrn von Bourdeu hinüber, der sich erhob und stammelte:

Ohne Zweifel, ohne Zweifel.

Unterdessen hatte der Abbé Surin ein Spiel »Es brennt!« begonnen. Die Fräulein Rastoil, die jungen Maffre und Severin waren gerade daran, »die Fackel« zu suchen, nämlich das zu einem Knäuel zusammengerollte Taschentuch des Abbé, das er eben versteckt hatte. Die jungen Leute liefen um die Gruppe der ernsten Personen herum, während der Priester mit seiner Fistelstimme rief:

Es brennt! Es brennt!

Angelika fand die Fackel in der gähnenden Tasche des Doktor Porquier, wohin der Abbé Surin sie geschickt praktiziert hatte. Man lachte sehr, man sah die Wahl dieses Versteckes als einen sehr geistreichen Scherz an.

Bourdeu hat jetzt Aussichten, sagte Herr Rastoil und nahm den Abbé Faujas beiseite. Das ist sehr ärgerlich. Ich kann es ihm nicht sagen, aber wir stimmen nicht für ihn; er ist als Orleanist zu sehr kompromittiert.

Sehen Sie doch Ihren Sohn Severin, rief Frau von Condamin aus und unterbrach das Gespräch. Welch großes Kind! Er hat das Sacktuch unter den Hut des Abbé Bourrette gesteckt.

Dann sagte sie leise:

Richtig, ich beglückwünsche Sie, Herr Rastoil. Ich habe einen Brief aus Paris erhalten, in dem man mir anzeigt, daß man den Namen Ihres Sohnes auf einer Liste des Justizministers gesehen habe; er wird, glaube ich, zum Vertreter in Faverolles ernannt.

Der Präsident verneigte sich errötend. Das Ministerium hatte ihm die Wahl des Marquis von Lagrifoul niemals verziehen. Seit der Zeit hatte er wie durch ein verhängnisvolles Geschick weder seinen Sohn unterbringen, noch seine Töchter verheiraten können. Er klagte nicht darüber, aber der bittere Zug um seine Lippen sagte genug.

Ich bemerkte also, fuhr er fort, um seine Bewegung zu verbergen, daß Bourdeu gefährlich ist; andererseits ist er nicht von Plassans und kennt nicht unsere Bedürfnisse. Ebenso gut könnte man den Marquis wiederwählen.

Wenn Herr von Bourdeu seine Kandidatur aufrechterhält, erklärte der Abbé Faujas, werden die Republikaner eine stattliche Minderheit zusammenbringen, was noch abscheulicher wäre.

Frau von Condamin lächelte. Sie behauptete, von der Politik nichts zu verstehen und entfernte sich, während der Abbé den Präsidenten in die Laube führte, wo er die Unterhaltung mit leiser Stimme fortsetzte. Als sie langsam zurückkamen, erwiderte Herr Rastoil:

Sie haben recht, das wäre ein passender Kandidat; er gehört keiner Partei an, und es ließe sich auf seinen Namen eine Einigung erzielen ... Ich kann das Kaiserreich ebensowenig leiden wie Sie, nicht wahr? Aber es wird schließlich kindisch, in die Kammer Abgeordnete zu schicken, die nur das Mandat zum Ärgern der Regierung haben. Plassans leidet darunter; es braucht einen Geschäftsmann, einen Sohn der Gegend, der fähig ist, die Interessen seiner Heimat wahrzunehmen.

Es brennt! Es brennt! rief die Flötenstimme Aureliens.

Der Abbé Surin, der die Schar anführte, schritt prüfend durch die Laube.

Kalt! Kalt! rief jetzt das Fräulein voll Freude über sein vergebliches Suchen.

Doch einer der Söhne Maffres hatte einen Blumentopf aufgehoben und fand das zusammengefaltete Taschentuch darunter.

Die lange Aurelia hätte sich das Taschentuch in den Mund stecken können, sagte Frau Paloque; dort hat es Platz, und niemand hätte es dort gesucht.

Ihr Gatte hieß sie mit einem wütenden Blicke schweigen. Er duldete von ihr nicht das geringste bittere Wort mehr. Da er fürchtete, daß Frau von Condamin es gehört habe, sagte er leise:

Welch schöne Jugend!

Lieber Herr, sagte der Forstinspektor zu Herrn von Bourdeu, Ihr Erfolg ist sicher; nur seien Sie vorsichtig, wenn Sie in Paris sind. Ich weiß aus guter Quelle, daß die Regierung zu einem Gewaltstreich entschlossen ist, wenn die Opposition ihr Hindernisse in den Weg legen sollte.

Der ehemalige Präfekt sah ihn unruhig an und fragte sich, ob er sich über ihn lustig mache. Herr Péqueur des Saulaies lächelte nur, während er seinen Schnurrbart strich. Dann wurde die Unterhaltung allgemein und Herr von Bourdeu glaubte zu bemerken, daß alle ihn zu seinem nahen Triumphe mit taktvoller Zurückhaltung beglückwünschten. Er genoß eine Stunde köstlicher Volkstümlichkeit.

Es ist erstaunlich, wie der Wein in der Sonne schneller reift, bemerkte der Abbé Bourrette, der sich nicht von seinem Stuhle gerührt hatte und auf die Laube sah.

Im Norden, erklärte Doktor Porquier, wird der Wein oft nur reif, wenn man die Trauben von den umgebenden Blättern befreit.

Es entstand darüber ein Streit, als Severin ausrief:

Es brennt! Es brennt!

Aber er hatte das Taschentuch so einfältig hinter die Tür des Gartens aufgehängt, daß der Abbé Surin es sofort fand. Als letzterer es versteckt hatte, suchte die Schar fast eine halbe Stunde nutzlos in dem Garten umher. Alle Mühe war vergeblich. Dann zeigte ihnen der Abbé das Taschentuch in der Mitte eines Beetes, wo es so geschickt zusammengerollt lag, daß es einem weißen Steine glich. Das war der schönste Augenblick an diesem Nachmittag.

Die Nachricht, daß die Regierung darauf verzichte, einen Kandidaten zu unterstützen, durchlief die Stadt und brachte eine große Aufregung hervor. Die Zurückhaltung hatte zur Folge, daß die verschiedenen politischen Parteien, die auf eine Stimmenzersplitterung infolge einer offiziellen Kandidatur rechneten, um den Sieg davonzutragen, in Unruhe gerieten. Der Marquis von Lagrifoul, Herr von Bourdeu, der Hutmacher Maurin schienen fast, zu drei gleichen Teilen die Stimmen auf sich zu vereinigen; es werde gewiß zur Stichwahl kommen, und Gott weiß, wer aus der zweiten Wahl hervorgehen werde. In Wahrheit sprach man von einem vierten Kandidaten, dessen Namen niemand genau anzugeben wußte, einem Mann von gutem Willen, der vielleicht einwillige, alle unter einen Hut zu bringen. Die Wähler von Plassans, die sich fürchteten, seitdem ihnen der Strick um den Hals lag, verlangten nichts Besseres, als über die Wahl eines Kandidaten, der allen Parteien angenehm sei, sich zu verständigen.

Die Regierung hat unrecht, uns wie ungeratene Kinder zu behandeln, sagten die schlauen Politiker des Handelsklubs ärgerlich. Man möchte glauben, die Stadt sei ein Revolutionsherd. Wenn die Verwaltung das Geschick gehabt hätte, einen möglichen Kandidaten aufzustellen, so würden wir alle für ihn gestimmt haben. Der Unterpräfekt hat von einer Lehre gesprochen. Wir nehmen die Lehre nicht an. Wir wissen unseren Kandidaten selbst zu finden und zeigen ihnen, daß Plassans eine vernünftige und wahrhaft freie Stadt ist.

Und man suchte. Aber die Namen, die von Freunden oder Interessierten genannt wurden, verdoppelten nur die Verwirrung. Plassans hatte in einer Woche mehr als zwanzig Kandidaten. Frau Rougon wurde unruhig und eilte, da sie sich nicht mehr auskannte, zu dem Abbé Faujas, wütend über den Unterpräfekten. Péqueur sei ein Esel, ein Schönling, ein dummer Mensch, nur dazu gut, einen offiziellen Salon zu zieren; er habe schon die Regierung schlagen lassen und schädige sie vollends durch eine Haltung lächerlicher Gleichgültigkeit.

Beruhigen Sie sich, sagte der Priester lächelnd; diesmal begnügt sich Herr Péqueur des Saulaies damit, daß er gehorcht ... Der Sieg ist sicher.

Ja, aber Sie haben keinen Kandidaten! rief sie aus. Wo ist Ihr Kandidat?

Hierauf entwickelte er seinen Plan. Sie billigte ihn als einsichtige Frau, nahm aber den Namen, den er ihr vertraute, mit der größten Überraschung entgegen.

Wie! sagte sie, den haben Sie gewählt? ... Ich versichere Ihnen, niemand denkt an ihn.

Das glaube ich, fuhr der Priester lächelnd fort. Aber wir brauchen einen Kandidaten, an den niemand dachte, so daß ihn jedermann annehmen kann, ohne sich für kompromittiert zu halten.

Dann fuhr er fort mit der Hingebung eines klugen Mannes, der sein Benehmen zu erklären einwilligt:

Ich habe Ihnen sehr zu danken, Sie haben mich vor sehr vielen Fehlern bewahrt. Ich schaute auf das Ziel und bemerkte nicht die ausgespannten Fäden, die vielleicht genügt hätten, mir die Glieder zu brechen. Gott sei Dank! Dieser ganze kindische Krieg ist beendet; ich kann mich wieder frei bewegen ... Meine Wahl ist gut, seien Sie überzeugt. Seit dem Tage meiner Ankunft in Plassans habe ich einen Mann gesucht und nur diesen gefunden. Er ist geschmeidig, sehr tüchtig und sehr tätig; er hat bisher mit jedem auszukommen gewußt, was gewiß nicht von einem gewöhnlichen Ehrgeize zeugt. Ich weiß, daß Sie nicht zu seinen Freundinnen gehören, deshalb habe ich Sie nicht in das Vertrauen gezogen. Aber Sie tun unrecht, Sie sollen sehen, daß er seinen Weg macht, wenn er erst den Fuß im Steigbügel hat; er stirbt im Frack eines Senators ... Für ihn entschieden haben mich die Geschichten, die man mir von seinem Vermögen erzählt hat. Er hat dreimal seine Frau, die er auf frischer Tat erwischt hatte, wieder zu sich genommen, nachdem er sich jedesmal von seinem Schwiegervater hat hunderttausend Franken auszahlen lassen. Wenn er wirklich auf solche Weise sich Geld gemacht hat, ist er ein Schlaukopf, der in Paris für gewisse Geschäfte sehr nützlich sein kann ... Sie sollen lange suchen! Wenn Sie ihn beiseitestellen, bleiben nur Dummköpfe in Plassans.

Dann machen Sie also der Regierung ein Geschenk, erwiderte Felicité lachend.

Sie ließ sich überzeugen. Am nächsten Tage ging der Name Delangre von einem Ende der Stadt zum anderen. Freunde hätten, sagte man, mit Gewalt ihn dazu bestimmt, die Kandidatur anzunehmen. Er habe sich lange geweigert, weil er sich für unwürdig hielt und wiederholt erklärte, daß er kein Politiker sei, daß vielmehr die Herren Lagrifoul oder von Bourdeu eine lange Erfahrung im Staatsdienste für sich hätten. Da man ihm versicherte, daß Plassans gerade einen Abgeordneten brauche, der über den Parteien stehe, habe er sich bestimmen lassen und ein sehr klares, politisches Glaubensbekenntnis abgelegt. Es sei natürlich selbstverständlich, daß er nicht in die Kammer gehe, um die Regierung zu ärgern, noch auch um durch dick und dünn mit ihr zu gehen; daß er sich nur als der Vertreter der Interessen der Stadt betrachte; er werde übrigens immer für die Freiheit in der Ordnung und für die Ordnung in der Freiheit stimmen; endlich bleibe er Bürgermeister von Plassans, um zu zeigen, daß es eine völlig versöhnliche, durchaus administrative Rolle sei, die er übernehme.

Solche Worte schienen besonders klug. Die schlauen Politiker des Handelsklubs wiederholten noch an demselben Abend um die Wette:

Ich habe es immer gesagt, Delangre ist der Mann, den wir brauchen ... Ich bin neugierig, was der Unterpräfekt antworten kann, wenn der Name des Bürgermeisters aus der Urne hervorgeht. Man soll uns nicht beschuldigen, daß wir als trotzige Schüler gestimmt haben; auch soll man uns nicht vorwerfen, daß wir uns vor der Regierung auf die Knie geworfen haben. Wenn das Kaiserreich einige solche Lehren erhielte, würden die Sachen besser stehen.

Es war wie ein Lauffeuer. Die Mine war bereit, ein Funke hatte genügt. Auf einmal wurde in allen Teilen der drei Stadtviertel, in jedem Hause, in jeder Familie der Name des Herrn Delangre bis in den Himmel gelobt. Er war der ersehnte Messias, der Retter, am vorhergehenden Tage unbekannt, am Morgen entdeckt und am Abend angebetet.

In den Sakristeien, in den Beichtstühlen wurde der Name des Herrn Delangre gestammelt; er widerhallte im Echo der Kirchenschiffe, ertönte von den Kanzeln der Kirchen im Weichbilde der Stadt, ging wie ein Sakrament von Ohr zu Ohr und verbreitete sich bis in die letzten frommen Häuser. Die Priester trugen ihn in den Falten ihres Talars; der Abbé Bourrette lieh ihm die achtenswerte Behäbigkeit seines Bauches; der Abbé Surin die Huld seines Lächelns, der Bischof Rousselot den ganzen weiblichen Reiz seines Hirtensegens. Die feinen Damen ermüdeten nicht, von Herrn Delangre zu sprechen; sie fanden an ihm einen so schönen Charakter, ein so feines, so geistreiches Gesicht! Frau Rastoil errötete noch immer; Frau Paloque war in ihrer Begeisterung fast schön; Frau von Condamin hätte sich auf Fächer für ihn geschlagen, sie gewann ihm die Herzen durch die Art und Weise, wie sie zärtlich den Wählern die Hand drückte, die ihm ihre Stimmen versprachen. Endlich gewann sich Herr Delangre den Jugendklub, indem Severin ihn als Helden hinstellte, während Wilhelm und die jungen Maffre ihm die Teilnahme in den übel beleumdeten Stätten des Ortes eroberten. Das erstreckte sich bis auf die jungen Gassenmädchen der Anstalt der heiligen Jungfrau, die in den Gäßchen der Schanzen mit den Gerberlehrlingen des Viertels würfelten, wobei sie die Verdienste des Herrn Delangre feierten.

Am Tage der Wahl war die Mehrheit vernichtend. Die ganze Stadt war mitschuldig. Der Marquis von Lagrifoul und Herr von Bourdeu waren wütend und schrien: Verrat! Sie hatten ihre Kandidaturen zurückgezogen. Herr Delangre stand daher allein dem Hutmacher Maurin gegenüber. Letzterer erhielt die eintausendfünfhundert Stimmen der unversöhnlichen Republikaner der Vorstadt. Der Bürgermeister hatte für sich die Landgemeinden, die bonapartistische Kolonie, die klerikal gesinnten Bürger der Neustadt, die feigen Krämer der Altstadt und sogar einige einfältige Royalisten des Sankt-Markus-Viertels, dessen adlige Bewohner sich der Wahl enthalten hatten. Er erhielt auf diese Weise dreiunddreißigtausend Stimmen. Die Sache verlief so glatt, der errungene Erfolg war so vollständig, daß am Abend der Wahl Plassans ganz überrascht war, einen so einhelligen Willen gehabt zu haben. Die Stadt glaubte, daß sie soeben einen heldenmütigen Traum erlebt, daß eine mächtige Hand aus dem Boden diese dreiunddreißigtausend Wähler herausgestampft habe, dieses schier erschreckende Heer, dessen Wucht bisher niemand geahnt hatte. Die Politiker des Handelsklubs sahen sich bestürzt an wie Menschen, die der Sieg verwirrt.

Am Abende vereinigte sich die Gesellschaft des Herrn Rastoil mit der des Herrn Péqueur des Saulaies, um sich verschwiegen in einem kleinen Salon der Unterpräfektur, der auf die Gärten hinausging, zu unterhalten. Man trank Tee. Der große Triumph des Tages machte die Verschmelzung der beiden Gruppen zu einer vollständigen. Alle Stammgäste waren anwesend.

Ich habe mich keiner Regierung grundsätzlich entgegengestellt, erklärte schließlich Herr Rastoil, indem er kleines Backwerk annahm, daß ihm Herr Péqueur des Saulaies reichte. Der Richterstand soll sich nicht in politische Kämpfe mischen. Ich gestehe sogar gern, daß das Kaiserreich schon Großes geleistet hat und zu noch Größerem berufen ist, wenn es auf dem Wege der Gerechtigkeit und der Freiheit ausharrt.

Der Unterpräfekt verneigte sich, als seien diese Lobreden an ihn persönlich gerichtet. Den Tag vorher hatte Herr Rastoil in dem »Moniteur« die Ernennung seines Sohnes Severin zum Vertreter zu Faverolles gelesen. Man sprach auch viel von einer Heirat zwischen Lucien Delangre und dem älteren Fräulein Rastoil.

Ja, es ist eine abgemachte Sache, sagte Herr von Condamin ganz leise zu Frau Ploque, die ihn soeben danach gefragt hatte. Er hat Angeline gewählt. Ich glaube, er hätte Aurelia vorgezogen. Aber man hat ihm begreiflich gemacht, daß man nicht die Jüngere vor der Älteren verheiraten könne.

Angeline, wissen Sie das bestimmt? murmelte boshaft Frau Paloque; ich glaubte, daß Angeline eine Ähnlichkeit habe mit ...

Der Forstinspektor legte lächelnd einen Finger an seine Lippen.

Schließlich versucht man's auf gut Glück, nicht wahr? fuhr sie fort. Die Bande zwischen den beiden Familien werden dadurch um so fester ... Man steht jetzt auf gutem Fuße. Paloque erwartet das Kreuz der Ehrenlegion. Es nimmt alles ein gutes Ende.

Herr Delangre kam sehr spät. Man bereitete ihm eine wirkliche Siegesfeier. Frau von Condamin hatte dem Doktor Porquier soeben mitgeteilt, daß sein Sohn zum Postsekretär ernannt sei. Sie teilte überallhin gute Nachrichten aus: Sie sagte, der Abbé Bourrette werde im nächsten Jahre Großvikar des Bischofs sein, gab dem Abbé Surin einen Bischofsstuhl vor dem vierzigsten Lebensjahre und verlieh Herrn Maffre das Kreuz der Ehrenlegion.

Dieser arme Bourdeu, sagte Herr Rastoil mit einem letzten Bedauern.

Er ist nicht zu beklagen, rief sie lustig aus. Ich nehme es auf mich, ihn zu trösten. Die Kammer war nicht seine Sache. Ihm tut eine Präfektur not ... Sagen Sie ihm, daß man schließlich für ihn eine Präfektur findet.

Die Fröhlichkeit steigerte sich. Die liebenswürdige Laune der schönen Octavia, die Sorgfalt, mit der sie jedermann zufrieden stellte, entzückten die Gesellschaft. Sie spielte tatsächlich die Rolle der Herrin. Sie gab scherzend dem Herrn Delangre die praktischsten Ratschläge über die Stellung, die er im gesetzgebenden Körper einnehmen solle. Sie nahm ihn beiseite und bot ihm an, ihn bei einflußreichen Personen einzuführen, was er mit Dank annahm. Gegen elf Uhr sprach Herr von Condamin davon, den Garten zu illuminieren. Aber sie dämpfte die Begeisterung der Herren, indem sie sagte, daß es sich nicht schicke, weil es den Anschein habe, als wolle man sich über die Stadt lustig machen.

Und der Abbé Fenil? fragte sie plötzlich den Abbé Faujas, den sie in eine Fensternische führte. Ich denke jetzt an ihn ... Er hat sich also nicht gerührt?

Der Abbé Fenil ist ein kluger Mann, erwiderte der Priester mit einem feinen Lächeln. Man hat ihm zu verstehen gegeben, daß es von ihm unrecht sei, sich künftighin mit Politik zu beschäftigen.

Der Abbé Faujas blieb inmitten der Siegesfreude ernst. Er war rauh in seinem Siege. Das Geplauder der Frau von Condamin ermüdete ihn; die Zufriedenheit dieser gewöhnlichen Ehrgeizigen erfüllte ihn mit Verachtung. Er stand an den Kamin gelehnt und schien zu träumen, die Augen irrten in die Ferne. Er war der Herr; er brauchte sich nicht mehr zu verstellen; er konnte die Hand ausstrecken, die Stadt fassen und sie erzittern lassen. Dieses stolze, unheimliche Gesicht erfüllte den Salon. Allmählich wurden die Sessel näher gerückt, man bildete einen Kreis um ihn. Die Männer warteten, bis er ein Wort der Befriedigung ausspreche, die Frauen flehten ihn mit Blicken untergebener Sklavinnen an. Aber er durchbrach schroff den Kreis und ging als erster fort, indem er sich kurz verabschiedete.

Als er in das Haus der Mourets durch die Sackgasse Coevillottes und den Garten kam, traf er Martha allein in dem Speisezimmer, die nachdenklich und blaß auf einem Stuhle an der Wand saß und mit starrem Äuge in die verlöschende Lampe sah. Oben hatte Trouche Gäste und sang einen Gassenhauer, den Olympia und die übrigen mit den Messergriffen an die Gläser schlagend begleiteten.


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