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Viertes Kapitel.

Als Mouret im zweiten Stocke ankam, war er verlegener als ein Student, der zum ersten Male das Zimmer einer Frau betritt. Die unerwartete Erfüllung eines langgehegten Wunsches und die Hoffnung, etwas ganz Außerordentliches zu sehen, raubte ihm fast den Atem. Unterdessen steckte der Abbé den Schlüssel in das Schloß, und die Türe öffnete sich so geräuschlos, als drehe sie sich in samtenen Angeln. Der Priester bat den Hausherrn durch eine Gebärde einzutreten.

Die Leinwandvorhänge an den beiden Fenstern waren so dicht, daß das Zimmer wie in das Zwielicht einer Klosterzelle gehüllt war. Das Zimmer war sehr groß und hoch mit einer reinlichen, aber verblaßten Papiertapete beklebt. Mouret ging rasch hinein und schritt auf den spiegelblanken Fliesen weiter, deren Kälte er unter den Sohlen zu fühlen glaubte. Verstohlen ließ er seine Blicke im Zimmer umherschweifen. Das eiserne Bett hatte keine Vorhänge, und die Decke war so straff gespannt, daß man das Bett für eine weiße Steinbank im Winkel hätte halten können. Die Kommode auf der anderen Seite, ein kleiner Tisch in der Mitte, zwei Stühle, vor jedem Fenster einer: das war die ganze Einrichtung. Nirgends lag oder hing etwas; weder auf dem Tische, noch auf der Kommode, noch an der Wand. Kein Papier, kein Kleidungsstück, kein sonstiger Gegenstand war zu sehen. Nur über der Kommode hing ein großer Christus aus schwarzem Holze, die einzige Abwechslung in der düsteren Öde dieses Zimmers.

Hier, mein Herr, sagte der Abbé, ist der Fleck an der Decke.

Aber Mouret ließ sich Zeit; er genoß. Obwohl er nichts Außerordentliches sah, wie er gehofft hatte, so hatte das Zimmer doch für ihn viel Anziehendes, einen eigentümlichen Geruch. Es riecht da nach Priester, dachte er; es riecht nach einem Menschen, der ganz anders ist wie die übrigen, der das Licht auslöscht, wenn er das Hemd wechselt und der weder Strümpfe noch Rasierzeug herumliegen läßt. Es ärgerte ihn, daß er weder auf den Möbeln noch in den Ecken etwas herumliegen sah, was ihn auf weitere Vermutungen hätte führen können. Das Zimmer war ganz so wie dieser seltsame Mensch: stumm, kalt, höflich, undurchdringlich. Die größte Überraschung empfand er darüber, daß er nirgends eine Spur von Dürftigkeit sah; er hatte im Gegenteil einen Eindruck, wie ehemals, als er den sehr reich möblierten Salon eines Präfekten in Marseille betrat. Der große Christus dort an der Wand schien diesen Raum mit seinen schwarzen Armen ganz auszufüllen.

Mouret mußte aber dem Abbé in jene Ecke folgen, wo sich der nasse Fleck an der Decke gezeigt hatte.

Sehen Sie da oben den Fleck? sagte dieser. Er ist freilich seit gestern etwas kleiner geworden.

Mouret stellte sich auf die Fußspitzen, zwinkerte mit den Augen, konnte aber nichts sehen. Da zog der Priester die Vorhänge auf, so daß er wirklich einen gelben Fleck sah.

Es ist nicht so arg, sagte er leise.

Freilich nicht; aber ich hielt es doch für notwendig, Sie darauf aufmerksam zu machen ... Es muß am Rande des Daches hereingeregnet haben.

Ja, Sie haben recht, am Rande des Daches.

Mouret schwieg und ließ seine Blicke in dem durch das Tageslicht erhellten Zimmer herumschweifen. Es nahm sich jetzt weniger feierlich aus, aber es lag in voller Ruhe da; nicht ein Staubkörnchen verriet etwas aus dem Leben des Abbé.

Wir könnten es vielleicht durch das Fenster sehen, sagte der Abbé, indem er dieses öffnete.

Aber Mouret erklärte, daß er ihn nicht länger stören wolle; es sei eine Kleinigkeit, und die Arbeiter würden das Loch schon finden.

Sie stören mich gar nicht, erwiderte der Abbé in der liebenswürdigsten Weise. Ich weiß, daß die Hauseigentümer gern alles selbst untersuchen ... Ich bitte Sie, nur alles zu besichtigen ... Das Haus gehört völlig Ihnen.

Bei den letzten Worten lächelte er, was sehr selten vorkam.

Als sich Mouret zum Fenster hinausbeugte und mit beiden Augen zu der Dachrinne emporsah, ließ er sich in allerlei baulichen Mutmaßungen darüber aus, auf welche Weise der nasse Fleck mochte entstanden sein.

Ich glaube, es haben einige Ziegel nachgegeben, oder vielleicht ist einer von ihnen geborsten, wenn es nicht jener Riß dort ist, den Sie am Karnies sehen und der längs der Stützmauer verläuft.

Das ist leicht möglich, erwiderte Mouret. Aufrichtig gestanden, Herr Abbé, ich verstehe von der ganzen Sache nichts. Der Maurer wird sich schon auskennen.

Da sprach der Priester nichts mehr von Ausbesserungen und sah schweigend auf die Gärten hinab. Mouret, der neben ihm am Fenster lehnte, wollte aus Anstand nicht sofort das Zimmer verlassen. Er war völlig gewonnen, als der Mieter nach kurzem Stillschweigen zu ihm sagte:

Sie haben einen sehr schönen Garten.

Ein gewöhnlicher Hausgarten, erwiderte Mouret. Ich mußte einige sehr schöne Bäume fällen lassen, weil nichts in ihrem Schatten gedieh. Ja, man muß immer praktisch, sein. Der Winkel genügt uns; er liefert uns für den ganzen Sommer Gemüse.

Der Abbé war erstaunt und ließ sich die Einzelheiten beschreiben. Es war ein alter Garten, wie man sie in der Provinz findet, von Lauben umgeben, durch große Gebüsche in vier regelmäßige Vierecke geteilt. In der Mitte befand sich ein wasserloses Becken. Ein einziges Viereck war mit Blumen bepflanzt, während in den übrigen Teilen Obstbäume standen und prächtiger Kohl und Salat gediehen. Die mit gelbem Sande bestreuten Wege waren spießbürgerlich sauber gehalten.

Es ist ein kleines Paradies, sagte der Abbé nochmals.

Es sind doch viel Unannehmlichkeiten dabei, erwiderte Mouret, der seinen Besitz nicht so gelobt haben wollte. Sie müssen zunächst bedenken, daß wir auf einem Abhange wohnen, auf dem die Gärten staffelförmig liegen. So ist der Garten des Herrn Rastoil niedriger als der meinige und dieser liegt wieder tiefer als der des Unterpräfekten, weshalb der Regen oft großen Schaden anrichtet. Eine weitere Unannehmlichkeit ist, daß die Leute der Unterpräfektur zu mir herübersehen können, besonders wenn sie auf der Terrasse sind, die meine Mauer beherrscht. Freilich kann ich wieder zu Herrn Rastoil hinübersehen. Aber das ist nur eine geringe Schadloshaltung; denn ich versichere, es gehen mich die anderen Leute sehr wenig an.

Der Priester schien aus Gefälligkeit zuzuhören; er nickte mit dem Kopfe, stellte aber keine Frage und folgte nur mit den Augen den Erläuterungen, die sein Hauseigentümer mit der Hand machte.

Noch etwas ist unangenehm, fuhr letzterer fort, indem er auf ein Gäßchen wies, das sich hinter dem Garten dahinzog. Sehen Sie diesen Weg dort zwischen den beiden Mauern? Das ist die Sackgasse Chevilottes, die in ein Einfahrtstor ausläuft, das auf die Felder der Unterpräfektur geht. Alle benachbarten Gründe haben ein Ausgangspförtchen auf diese Sackgasse, so daß dort ein fortwährendes geheimnisvolles Gehen und Kommen herrscht ... Ich habe Kinder und ließ daher meine Türe dort hinaus vernageln.

Er schielte dabei auf den Abbé, indem er hoffte, daß dieser ihn fragen werde, was für ein geheimnisvolles Gehen und Kommen es sei. Aber der Priester tat nicht den Mund auf und ließ ohne weitere Neugierde seine Blicke von dieser Sackgasse wieder nach dem Garten Mourets schweifen. Unten auf der Terrasse saß wie gewöhnlich Martha und säumte Servietten ein. Sie hatte zuerst erstaunt emporgeblickt, als sie oben Stimmen vernahm; zu ihrer großen Verwunderung sah sie ihren Gatten mit dem Priester im Gespräch und beugte sich wieder über die Arbeit. Mouret sprach in unbewußter Prahlerei jetzt lauter, um seiner Frau zu zeigen, daß es ihm endlich gelungen sei, in diese so fest verschlossene Wohnung einzudringen, während der Priester von Zeit zu Zeit auf die Frau sah, von der er nur den Nacken und den dichten, schwarzen Haarknoten erblicken konnte.

Wieder schwiegen beide; doch schien der Abbé Faujas noch immer nicht geneigt, das Fenster zu verlassen. Er schien jetzt den Garten des Nachbars zu studieren, der mit seinen kleinen Baumgängen, Beeten und Rasenflächen in englischem Geschmacke angelegt war. Im Hintergrunde stand eine Gruppe von Bäumen, zwischen denen ein Tisch und mehrere Gartenstühle sichtbar waren.

Herr Rastoil ist sehr reich, hub Mouret wieder an, indem er den Blicken des Abbé folgte. Dieser Garten kostet ihm viel Geld. Der Wasserfall dort drüben hinter den Bäumen kommt ihm auf dreihundert Franken zu stehen. Dabei wächst nirgends Gemüse, überall nur Blumen. Einige Zeit trugen sich die Damen auch mit der Absicht, die Obstbäume fällen zu lassen, was einem Morde gleichbedeutend gewesen wäre, denn die Birnbäume da drüben sind herrlich! Aber er hat das Recht, sich seinen Garten nach seinem Geschmack herzurichten. Hat er ja die Mittel dazu!

Da der Abbé noch immer schwieg, fuhr er fort:

Nicht wahr, Sie kennen den Herrn Rastoil? Er geht jeden Morgen zwischen acht und neun Uhr unter seinen Bäumen spazieren. Er ist ein dicker, kahler, bartloser Mann mit kugelrundem Kopfe. Ich glaube, im August ward er sechzig Jahre alt. Seit zwanzig Jahren ist er schon Gerichtspräsident, doch verkehre ich nicht mit ihm. Wir grüßen uns, das ist alles.

Er schwieg, denn aus dem Nachbarhause kamen einige Personen über die Gartentreppe auf die Baumgruppe zu.

Richtig, heute ist ja Dienstag, sagte Mouret leise ... Da ist bei Rastoil Tischgesellschaft.

Der Abbé konnte eine gewisse Bewegung nicht verbergen; er neigte sich vor, um besser zu sehen. Zwei Priester, die er neben zwei großen Mädchen herunterkommen sah, interessierten ihn besonders.

Sie kennen diese Herren? fragte Mouret.

Faujas verneinte es.

Sie gingen über die Balande-Straße, als wir uns begegneten ... Der Große, der Junge, der zwischen den beiden Fräuleins Rastoil geht, ist der Abbé Surin, der Sekretär unseres Bischofs. Ein liebenswürdiger Mann, wie man sagt. Im vergangenen Sommer sah ich ihn mit den Damen Drachen spielen. Der Ältere, der ein wenig zurück geht, ist einer unserer Großvikare, Abbé Fenil. Er ist der Leiter des Seminars. Ein schrecklicher Mensch, unbedeutend und spitzig wie ein Säbel. Schade, daß er sich nicht umdreht; da könnten Sie seine Augen sehen! ... Es wundert mich, daß Sie diese Herren nicht kennen.

Ich gehe wenig aus, erwiderte der Abbé, und besuche niemanden in der Stadt.

Das ist nicht recht! Da müssen Sie sich oft langweilen. Herr Abbé, das muß man gestehen, neugierig sind Sie nicht. Sie sind seit einem Monat hier und wissen noch nicht, daß jeden Dienstag bei Rastoil Gesellschaft ist? Aber das müssen Sie doch alles von Ihrem Fenster sehen!

Mouret lachte. Dann fuhr er vertraulich fort:

Sehen Sie, jener alte Herr mit dem großen Hute, der Madame Rastoil begleitet, das ist Herr Bourdeu, ehemals Präfekt von Drome, der aber durch die Revolution von 1848 gestürzt wurde. Ich wette, den Folgenden kennen Sie auch nicht ... Es ist der Friedensrichter, namens Maffre. Der Herr mit den schneeweißen Haaren und den großen, vorspringenden Augen, der zuletzt kommt, ist Herr Rastoil. Den sollten Sie aber doch kennen! Er ist Ehrendomherr von Saint-Saturnin! ... Unter uns: man sagt ihm nach, daß er seine Frau durch harte Behandlung und seinen Geiz ins Grab gebracht hat.

Er hielt inne, sah den Abbé an und sagte dann plötzlich:

Verzeihung, aber ich bin nicht frommgläubig.

Der Abbé machte neuerdings eine abwehrende Handbewegung, die ihn der Notwendigkeit enthob, zu antworten. Doch Mouret sagte nochmals spöttisch:

Nein, ich bin nicht frommgläubig. Es muß doch jeder seine Freiheit haben? ... Bei den Rastoil ist man fromm. Mutter und Töchter sind immer in der Kirche ... Die armen Mädchen! Die ältere, Angeline, ist schon sechsundzwanzig Jahre alt, die jüngere, Aurelie, wird vierundzwanzig. Dabei sind sie gar nicht schön! Das Schlimme ist noch, daß die Ältere zuerst heiraten muß ... Freilich, schließlich finden sie doch noch einen Mann, weil sie reich sind ... Ihre Mutter, diese kleine dicke Frau dort, die sanft wie ein Hammel einhergeht, hat den armen Rastoil schöne Dinge erleben lassen.

Er zwinkerte mit den Augen, was er immer tat, wenn er einen gewagten Scherz machte. Der Abbé hatte die Augen niedergeschlagen und wartete, was kommen werde; da aber Mouret schwieg, sah er wieder zur Gesellschaft hinüber, die sich an dem runden Tische niederließ.

Sie bleiben im Garten bis zum Essen, um frische Luft zu schöpfen, fuhr Mouret fort. So ist es jeden Dienstag ... Dieser Abbé Surin hat viel Glück. Sehen Sie nur, wie er mit Fräulein Aurelie lacht! ... Ei, der Großvikar hat uns bemerkt! Was sagen Sie zu seinen Augen? Er ist nicht gut auf mich zu sprechen, weil ich einmal einen Streit mit einem seiner Verwandten hatte ... Aber wo ist denn der Abbé Bourrette? Nicht wahr, wir haben ihn nicht gesehen? Das ist auffallend, denn er fehlt keinen Dienstag bei den Rastoil. Er muß unwohl sein ... Sie kennen ihn ja; ein sehr würdiger Mann! Ein wahrer Heilandskopf!

Aber Faujas hörte nicht mehr zu, denn seine Blicke kreuzten sich fortwährend mit denen des Abbé Fenil. Er beobachtete ihn mit scharfen Augen, die größer geworden zu sein schienen.

Jetzt kommen die jungen Leute, fuhr Mouret fort, als er drei junge Männer ankommen sah. Der ältere, der Sohn Rastoils, wurde vor kurzer Zeit Advokat, die zwei anderen sind die Söhne des Friedensrichters, die aber noch studieren ... Ja, warum sind denn meine Söhne noch nicht zu Hause?

In diesem Augenblicke traten Octave und Serge auf die Terrasse; sie lehnten sich an die Brüstung und neckten Desiree, die sich soeben zu ihrer Mutter gesetzt hatte. Als sie ihren Vater oben bemerkten, sprachen sie leiser, kicherten aber fortwährend.

Meine ganze kleine Familie ist beisammen, sagte Mouret leise. Wir bleiben lieber allein; unser Garten ist ein geschlossenes Paradies, in das der Teufel sich nicht wagen darf, um uns zu versuchen.

Er lachte dazu, denn im Grunde genommen machte er sich auf Kosten des Abbé lustig. Dieser ließ langsam seine Blicke auf die Familie seines Hausherrn schweifen, die unter seinem Fenster eine Gruppe bildete, sah dann auf den alten Garten mit seinen von Buchshecken umgebenen Gemüsebeeten, dann in den Garten des Herrn Rastoil, und schließlich auch in den der Unterpräfektur, als wolle er einen Plan dieser Orte aufnehmen. In dem letzteren Garten befand sich nur ein breiter Rasenplatz in der Mitte, ein in weichen Linien gezogener Rasenteppich; reichbelaubte Sträucher bildeten Dickichte; hohe Kastanien mit dichtem Laubwerke verwandelten diesen zwischen den benachbarten Häusern eingeklemmten Erdstreifen in einen Park.

Die Gärten sind wunderhübsch, meinte der Abbé leise, nachdem er die Kastanienbäume lange betrachtet hatte. Dort links sind auch Leute.

Mouret sah hinüber.

Jeden Nachmittag kommen die Bekannten des Herrn Péqueur des Saulaies, des Unterpräfekten, dort zusammen. Im Sommer halten sie sich gewöhnlich dort links bei dem Bassin auf ... Ei, Herr von Condamin ist auch zurück. Der schöne Greis mit dem rötlichen Gesichte ist unser Forstinspektor. Ein strammer Herr, den man oft zu Pferde trifft, mit knappen Hosen, fein behandschuht. Und ein Prahlhans! Er ist nicht von hier. Erst neulich heiratete er ein junges Mädchen ... Das geht mich eigentlich nichts an.

Er schaute neuerdings auf die Terrasse hinunter, wo Desirée mit Serge spielte und hell auflachte. Der Abbé, dessen Gesicht sich leicht gerötet hatte, sagte plötzlich:

Ist der Herr dort mit der weißen Krawatte der Unterpräfekt?

Diese Frage belustigte Mouret außerordentlich.

Nein, erwiderte er lächelnd. Man sieht, daß Sie Herrn Péqueur des Saulaies nicht kennen. Er ist noch nicht vierzig Jahre alt, ein hübscher, vornehmer Mann. Der dicke Herr da ist der Dr. Porquier, der Arzt der besseren Gesellschaftskreise unserer Stadt. Ein sehr glücklicher Mann. Er hat nur einen Kummer, nämlich wegen seines Sohnes Wilhelm ... Die zwei Personen, die sich dort auf die Bank gesetzt haben, sind der Richter Paloque und seine Frau. Ein häßliches Paar! Man weiß nicht, wer von beiden scheußlicher ist: der Mann oder die Frau. Ein Glück, daß sie keine Kinder haben!

Mouret lachte hell auf. Er ward allmählich wärmer und schlug mit der Hand auf die Fensterbrüstung.

Nein, wenn ich die beiden Gesellschaften da drüben sehe, muß ich immer lachen ... (Dabei zeigte er mit einer doppelten Bewegung des Kinns nach dem Garten des Herrn Rastoil und nach dem der Unterpräfektur.) Sie kümmern sich wahrscheinlich nicht um Politik, Herr Abbé, denn sonst würden Sie auch lachen. Denken Sie sich, – mag es so sein oder nicht – ich gelte für einen Republikaner. Ich reise in meinem Geschäfte sehr viel auf dem Lande herum, bin ein Freund der Bauern, und man wollte mich sogar in den Generalrat wählen ... Kurz, mein Name ist bekannt ... Nun, rechts da bei den Rastoils habe ich die Blüte der Legitimisten und links bei dem Unterpräfekten die Stützen des Kaiserreiches. Ist das nicht drollig? Mein armer, alter, ruhiger Garten, dieser glückliche Winkel zwischen den beiden feindlichen Lagern! Ich fürchte immer, sie werden sich einmal über meine Mauer hinweg mit Steinen bewerfen und die könnten in meinen Garten fallen.

Dieser Scherz stimmte Mouret sehr heiter. Er näherte sich dem Abbé noch mehr und sagte ihm in vertraulichem Tone:

Plassans ist in politischer Hinsicht eine interessante Stadt. Der Staatsstreich hat hier Erfolg gehabt, weil die Stadt konservativ ist. Aber vor allem ist sie legitimistisch und orleanistisch, so daß sie dem Kaiserreiche Vorschriften machen wollte. Da diese nicht gehört wurden, ward sie ärgerlich und ging zur Opposition über. Ja, Herr Abbé, zur Opposition. Vergangenes Jahr haben wir den Marquis Lagrifoul zum Abgeordneten gewählt, worüber sich die Unterpräfektur nicht wenig ärgerte ... Sehen Sie, das dort ist Herr Péqueur des Saulaies; er spricht jetzt gerade mit dem Bürgermeister, Herrn Delangre.

Der Abbé sah mit großem Interesse hinüber. Der Unterpräfekt, ein brauner Mann, lächelte eben unter seinem gewichsten Barte; seine Haltung war tadellos und hatte etwas vom strammen Offizier und liebenswürdigen Diplomaten. Neben ihm führte der Bürgermeister das große Wort, wobei er komisch mit den Händen heftig gestikulierte. Er schien klein, mit breiten Schultern, verwittertem Gesichte, und erinnerte an einen Hanswurst.

Herr Péqueur des Saulaies, fuhr Mouret fort, wäre beinahe krank geworden, weil der Kandidat der Regierung durchfiel. Er hatte seine Wahl für sicher gehalten. Ich habe mich dabei köstlich unterhalten. Am Abende der Wahl war der Garten der Unterpräfektur finster wie ein Kirchhof, während bei den Rastoils unter den Bäumen überall Lichter herumhuschten und frohes Siegesgelächter erscholl. Auf der Straße läßt man nichts merken; aber in den Gärten hält man sich nicht zurück ... Ja, ich sehe da sonderbare Dinge, ohne viel zu sagen.

Er hielt einen Augenblick inne, als wolle er nicht weiter erzählen, aber der Drang zu reden war in ihm viel zu groß.

Jetzt stelle ich mir nur die Frage, fuhr er fort, was sie auf der Unterpräfektur anfangen, denn sie bringen nie mehr Kandidaten durch. Sie kennen die örtlichen Verhältnisse nicht und sind auch nicht stark genug. Man erzählte mir, daß der Unterpräfekt zum Präfekten aufrücken soll, wenn der Regierungskandidat durchgedrungen ist. Da können sie lange warten! Der bleibt Unterpräfekt! ... Was werden sie ersinnen, um den Marquis zu stürzen? Denn daß sie etwas ersinnen, daß sie versuchen, Plassans auf die eine oder andere Weise zu erobern, ist sicher.

Er sah den Abbé an und hielt sofort inne. Die Augen des Priesters ruhten mit gespannter Aufmerksamkeit auf ihm, seine Ohren waren wie zum Horchen gespreizt, so daß Mouret, in dem die spießbürgerliche Vorsicht erwachte, das Gefühl hatte, schon zu viel gesagt zu haben. Er trachtete es wieder gutzumachen, indem er ärgerlich erklärte:

Übrigens weiß ich nichts. Man spricht so viel spaßiges Zeug. Ich wünsche nur, daß man mich in meinem Hause in Ruhe läßt.

Er wäre jetzt gerne vom Fenster weggegangen, doch wagte er es nicht gleich zu tun, nachdem er so viel mit dem Priester geplaudert hatte. Er fühlte, wenn sich einer über den anderen lustig gemacht hatte, daß er gewiß keine schöne Rolle gespielt hatte. Der Abbé sah unterdessen ruhig bald in den einen Garten hinüber, bald in den anderen, und machte nicht den geringsten Versuch, Mouret zum Weitererzählen aufzufordern. Dieser wünschte sehr, daß seine Frau oder eines seiner Kinder den guten Einfall habe, ihn zu rufen, und fühlte sich erleichtert, als er Rosa auf die Terrasse treten sah.

Gnädiger Herr! rief sie hinauf. Sie wollen wohl heute nicht essen? ... Die Suppe steht schon seit einer Viertelstunde auf dem Tische.

Ja, ja, Rosa, ich komme gleich, erwiderte er.

Er trat jetzt vom Fenster zurück und entschuldigte sich. Die Kälte des Zimmers, die er ganz hinter sich vergessen hatte, verwirrte ihn vollends; es kam ihm mit dem furchtbaren, schwarzen Christus, der alles gehört haben mußte, wie ein großer Beichtstuhl vor. Da sich der Abbé mit einem Gruß empfahl, konnte er das lange Gespräch nicht so jäh abbrechen und sagte mit einem Blick zur Decke:

Also in jener Ecke ist es?

Was denn? fragte der Abbé überrascht.

Der Fleck.

Der Abbé mußte unwillkürlich lächeln und zeigte dem Hausherrn noch einmal den Fleck.

Oh, jetzt sehe ich ihn sehr gut, erwiderte dieser. Also abgemacht, morgen kommen die Arbeiter.

Dann ging er hinaus, und die Türe schloß sich geräuschlos hinter ihm. Die Ruhe, die auf der Treppe herrschte, machte ihn betroffen und er sagte sich leise:

Ein vertrackter Mann! Er fragt nichts und doch sagt man ihm alles!


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