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Sechstes Kapitel.

Sturz des Stadtadels zu Mühlhausen durch Pfeifer und Münzer.

Es war am 13. Dezember 1524, als Pfeifer in seine thüringische Heimath und in seine Stadt Mühlhausen zurückkehrte. Michael Koch, der Wollweber in der Leichengasse, der mit dem Weimarer Hof im Verkehr war; der Goldschmied Weißmehler, der reiche Gerber Kreuter und andere Freunde Pfeifers, die durch ihn in den Achterausschuß gekommen waren, hatten seiner Rückkehr vorgearbeitet, seine Zurückberufung ausgewirkt.

Der schwärmerische Kürschner Rothe, um den sich der Anhang Thomas Münzers in der Stadt sammelte, hatte mit seinen Freunden in gleicher Weise für die Rückkehr Münzers gearbeitet. Dieser aber kam erst gegen das Frühjahr. Der Ruf der Seinen konnte ihn auch nicht wohl gleich auffinden, da es Winter war, und er hin und her webte in den oberen Landen und an der Donau hinab.

Pfeifer und die Seinen sahen immer deutlicher, daß in Mühlhausen noch durchgreifendere Umwandlungen nöthig seien. Der Rath der Stadt in alter Verfassung, mit den alten Rechten des Stadtadels einerseits, und Pfeifer mit seinen Bestrebungen andererseits, konnten nicht neben einander fortbestehen; vollends nicht, als endlich Münzer selbst auch angekommen war.

Mit welchen Gefühlen, mit welchen Hoffnungen mag Thomas Münzer aus der Heimkehr von Oberschwaben das mittlere Deutschland durcheilt haben! Wie geschäftig zu lauschen auf das Wort, auf den Athemzug des gemeinen Mannes, zu lesen in den Gesichtszügen der Städte und der Dörfer, anzuknüpfen bei den Gleichgesinnten, den Geistesverwandten; anzuzünden, wo er es anzündbar fand, zu schüren, wo es schon brannte!

Im Fuldaischen, wo er den Bauern predigte, und wo seine 273kurze Anwesenheit sogleich Aufregung nach sich zog, wurde er verhaftet; aber nicht erkannt, und nach wenigen Tagen wieder freigelassen. Er eilte in die Reichsstadt Mühlhausen.

Münzer fand für sein Auftreten als Prediger an dem Rathe den entschiedensten Gegner. Aber Rothe und sein Anhang, verstärkt durch die Partei Pfeifers, den Kern der Bürgerschaft, namentlich die Gerber, Bräuer und Branntweinbrenner erzwangen es, daß der Rath ihn predigen lassen mußte. Münzer predigte vorzugsweise auf dem Lande, draußen in den Vorstädten und in den Dörfern. In allen seinen Volksreden forderte er unumwunden zum allgemeinen christlichen Bunde wider Fürsten und Herren auf. Zuletzt sprach er ebenso in der Stadt, und begehrte von dem Rathe, daß auch er dem christlichen Bund beitrete. Auf das verbot der Rath ihm, ferner zu predigen. Münzer aber fuhr fort, trotz des Verbots, zum Volke zu sprechen. Die ganze Stadt wurde wie kriegsbewegt, und draußen von den Dörfern herein strömte es der Stadt zu. Der Rath ließ die Thore besetzen und sperren. Aber nicht mehr vermochte er dem Sturme zu wehren, der sich jetzt innerhalb der Stadt darin austobte, daß die Bilder in allen Kirchen niedergeschlagen wurden.

In eben diesen Tagen kam der Bürgermeister Perlet Probst, welchen der Rath an den kaiserlichen Statthalter um Hülfe geschickt hatte, mit der trostlosen Nachricht zurück, er finde den Erzherzog Ferdinand nicht im deutschen Lande. Die altverbundenen Städte Erfurt, Goslar, Nordhausen, sandten Schreiben voll aufrichtiger Theilnahme für den Rath und Warnungen an die Bürgerschaft herein, aber keine Hülfe. Von den benachbarten Fürsten kam dem Rathe weder Theilnahme, noch Warnung, noch Hülfe. Münzer und Pfeifer, welche von ihrem Standpunkt aus alle Ursache zum Mißtrauen gegen den Rath hatten, gingen darauf aus, die Sitzungen desselben unschädlich für ihre Sache zu machen, dadurch, daß sie für sich erlangen, jeder Rathssitzung persönlich anwohnen zu dürfen, Pfeifer als Pfarrer zu Sankt Nikolai, Münzer als Pfarrer an der Marienkirche. Dieses Begehren schlug der Rath ab.

Indessen wirkte das Anschwellen der Volksbewegung, zumal das Geschrei der Münzerischen, entmuthigend auf den Stadtadel; die Münzerischen schwärmten Nachts in der Stadt um, und forderten 274Einige des Adels mit Namensruf zum Tode heraus. Einige der reichsten Familien verließen am frühen Morgen die Stadt nach dieser Nacht.

Andere aus den Rathsgeschlechtern, wie die Baumgarten, und einzelne einflußreiche Rathsherren, wie Reinhard Lamhardt, schloßen sich der Volkspartei an. Der Syndicus von Ottera trat mit dem Stadthauptmann offen auf Seite der Bürgerschaft.

Auf der Wendwehr sammelten sich die Bürger in Waffen, zur Wehrmusterung. Bei dieser Gelegenheit hielt Münzer eine Volksrede, welche Alle mit fortriß. Von da ging es zu einer großen Volksversammlung in der Marienkirche. Pfeifer und Ottera saßen dieser Versammlung vor. Unter ihrer Leitung erfolgte die Abstimmung der einzelnen Bürger über Sein und Nichtsein des alten Raths. Derselbe hatte bisher aus vier wechselnden Collegien bestanden. Dieser alte Rath wurde abgesetzt. Der greise regierende Bürgermeister Baumgarten stimmte selbst für die Absetzung; er wußte, daß sein Sohn sein Nachfolger werden würde.

Die Wahl des neuen Rathes geschah ganz in Pfeifers Sinn. Es war nicht eine Volkswahl, eine Wahl aller Bürger, sondern Wahl durch den Ausschuß. Dem neuen Rathe gab Pfeifer den Namen »ewiger Rath«. Diese Benennung sollte ausdrücken, daß dieser Rath nicht aus vier wechselnden Collegien bestehe, sondern als ein einziges Collegium ohne Wechsel regieren solle; ein Fortschritt in der Verwaltung, der einleuchtet. Die Statuten dieses ewigen Rathes sind verloren gegangen. Ob er auf ein Jahr oder auf mehrere Jahre gewählt wurde, weiß man bis jetzt nicht; lebenslänglich, wie die alten Rathsherren es waren, waren die neuen es nicht.

Während die Versammlung in der Marienkirche beisammen war, »ein ganz neu Regiment, ein christlich Regiment aufzurichten,« ließen sich Stimmen hören, man müsse den alten Rath erwürgen. Die Glieder des alten Rathes traten in Unterhandlungen mit dem Ausschuß der Achter, und als das Volk das Rathhaus umwogte und zu stürmen drohte, dankten sie ab. Dem neuen Rathe mußte nicht nur jeder Bürger, sondern selbst das Gesinde den Eid der Treue leisten. Mit dem alten Rathe war der letzte Halt des alten Glaubens 275in Mühlhausen gefallen. Die Bewegung innerhalb der Stadt war damit an ihr Ziel gelangt; am 17. März 1525. Wie unwahr, neben unverkennbarer Gehässigkeit, wie oberflächlich, wie behaglich falsch in Dingen, die für ihn in nächster Nähe so leicht zu ermitteln gewesen wären, Melanchthon in seiner Historie Thomä Münzers erzählt, dafür vorerst nur das Eine: Wie ein großer Herr habe Münzer über ein Jahr lang im Johanniterhof zu Mühlhausen sein Wesen gehabt, sagt Melanchthon, und ihm schrieben es alle nach. Urkundlich war Münzer acht Wochen in Mühlhausen vom 12. März bis zu Anfang Mai.

Auf den neuen Rath, wie auf den Bürgerausschuß der Achter hatten und übten Pfeifer und Münzer Einfluß; aber weder Pfeifer noch Münzer haben, was Melanchthon fälschlich berichtet, den Vorsitz in dem Rathe gehabt; sie haben sich weder zu Bürgermeistern noch zu Rathsherren in Mühlhausen gemacht. Pfeifer blieb Pfarrer an Sankt Nicolai, Münzer Pfarrer an der Marienkirche: sie hatten nichts für sich genommen, als das Recht, den Rathssitzungen anwohnen zu dürfen. Münzer ging wie Pfeifer fast in jede Rathssitzung, und wenn Recht gesprochen wurde, so wurde im ewigen Rathe das christliche Recht zur Grundlage genommen, jene Grundsätze, welche die heilige Schrift als Richtschnur dessen an die Hand gibt, was für Christen recht und billig sei. Münzers Richtung gemäß, stand dem Buchstaben der Schrift die innere Offenbarung zur Seite und deren Auslegung.

Pfeifer blieb für das Innere der Stadt thätig und für das Stadtgebiet; Münzer fühlte sich getrieben, Mühlhausen nur als den Punkt anzusehen, von dem aus in die Ferne, ins Weite und Allgemeine, gewirkt werden müsse; er blieb in lebhafter Verbindung mit Franken und Schwaben, während er zugleich ganz Thüringen bewegte.



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