Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreizehntes Kapitel.

Die Volkskanzlei und der Verfassungsausschuß zu Heilbronn am Neckar.

Es war eine ungeheure demokratisch-revolutionäre Masse, welche weit umher in Haufen und in Waffen dastand. Denen, welche tiefer sahen, entging es vornherein nicht, daß dieser Vielheit von Kräften das abging, was die Masse zum Heer, die Kräfte zur Macht erhebt, die Einheit des Geistes und des Planes, die Einheit der religiösen, politischen und militärischen Führung. Um eine religiöse Autorität für sich zu haben, hatten diese darum die zwölf Artikel an Luther geschickt, und seine Autorität dafür zu gewinnen gesucht. Um militärische Autoritäten zu erhalten, nicht bloß kriegskundige, sondern durch ihren altberühmten Namen und den altgewohnten Respekt vor 364ihnen dem gemeinen Mann Gehorsam und Subordination abnöthigende Führer, hatten diese von Anfang an den Adel für die Bewegung gewinnen wollen. Um eine politische Autorität an die Spitze zu bekommen, hielten diese, namentlich Weigand und seine Freunde, ihr Auge und ihre Hoffnung fest auf den Sachsenkurfürsten Friedrich den Weisen gerichtet.

Schon unter dem wilden Sprühfeuer der ersten Bewegungstage, in welchem nicht nur Mord und Brand, sondern auch der Eigenwille, die Selbstsucht und die Plünderungswuth weit über die ursprüngliche Absicht der Anfänger und Leiter der Bewegung hinaus hervortreten, war den Einsichtsvollen klar geworden, wie nachtheilig der Mangel an Autoritäten für die Sache wirkte. Manche Mißvergnügte, auf die sie gerechnet hatten, waren durch die Art und Weise, wie ganze Haufen oder einzelne Rotten verfuhren, zurückgestoßen oder abgeschreckt.

An der Revolution selbst hatten nicht nur verschiedene Menschen und Stände, sondern verschiedene Stämme und Nationalitäten sich betheiligt, und nicht nur Bildung und Sitten, Gewohnheiten und Neigungen waren verschieden, sondern in der Revolution überhaupt, und in jedem einzelnen Lager, fanden sich die schroffsten Gegensätze hart neben einander in dem, was gewollt und angestrebt wurde. Um so schwerer war es, dieses so verschiedenartige Durcheinander der Menschen, der Forderungen, der Bestrebungen und Wünsche zusammenzuhalten und zu leiten; zumal, da die geistigen Leiter der Bewegung im Hintergrunde sich hielten, und die meisten, im Vordergrunde stehenden Häupter und Führer von den Bauern, weil sie Ihresgleichen waren, auch nur als Ihresgleichen angesehen wurden und keine höhere Autorität in sich und für sich hatten. Was die Meisten an Ansehen besaßen, das ruhte einzig auf ihrer Popularität. Mit dieser Popularität stand und fiel ihr Ansehen, und sie waren darum bei der niederen Bildungsstufe des größten Theils der Masse nicht immer fähig, dumme Streiche, Ausschweifungen oder gar Verbrechen zu hindern, und, wenn sie solchen entgegentraten, büßten sie ihre Popularität und damit ihr Ansehen, nicht selten ihre Führerschaft ein.

In jeder Landschaft, ja in jeder Stadt und in jedem Flecken der Aufgestandenen fanden sich Unterschiede 365der Ansicht, Unterschiede darin, was man wollte, und selbst unter denen, die das Gleiche wollten, war man nicht eins über die Arten und Wege, wie dieses gleiche Ziel gesucht werden solle, und darüber, wie weit man in diesem Ziele selbst vor, wie weit darüber hinausgehen müsse. Man würde diese Unterschiede mit heutigen Schlagwörtern in Bezug auf die politische Richtung so bezeichnen können: Es fanden sich neben einander im Revolutionsheer Conservative, solche, welche gezwungen dabei waren; Liberale, solche, welche die Reformen nur auf ein gewisses Maß ausdehnen wollten, auf das, was ihnen als das zunächst Mögliche erschien; Radikale, solche, welche das Bestehende von Grund aus umwandeln und Alles ganz neu bauen wollten; endlich Terroristen, solche, welche ausschließlich die äußersten Gewaltmittel angewandt wissen wollten, Schreckensmänner. In Bezug auf die religiöse Richtung könnte man die Unterschiede so bezeichnen: Es fanden sich zusammen und hart neben einander Münzerische und Lutherische; solche, welche die Kirche nur gereinigt haben wollten, und solche, welche ganz widerkirchlich waren; Fanatiker des völligen Unglaubens, eine Bezeichnung, die keinen Widerspruch in sich enthält, und worunter solche verstanden sind, welche mit derselben Wuth, mit welcher Andere für den Glauben und seine äußeren Symbole sonst auftreten, gegen jedes äußere Symbol des Göttlichen, gegen allen Glauben sich aussprachen und verfuhren; endlich Fanatiker des tausendjährigen Reiches, des excentrischen Glaubens. Beiderlei Fanatiker waren zugleich mehr oder minder Sozialisten und Communisten. Zählte auch der Communismus als religiöse Ansicht wenige, so zählte doch der Communismus als Praxis sehr viele Anhänger unter den Aufgestandenen. Wie die plötzliche Emanzipation aus der politischen Knechtschaft zu Ausschweifungen führte, so wurden Manche durch die plötzliche Emanzipation aus der religiösen Knechtschaft nicht nur den Aberglauben, sondern die Kirche, ja Gott selbst los, religiös und sittlich verwildert.

Nicht nur am Neckar und auf dem Schwarzwalde, auch im Salzburgischen und in Tyrol fanden sich diese Unterschiede, und bald waren die einen, bald die andern vorherrschend. Ein Wechsel von wenigen Tagen brachte oft die Minderheit zur Mehrheit, und umgekehrt. Die Geschichte aller Revolutionen aber lehrt Zweierlei: 366einmal, daß die, welche die blutigsten Worte machen, keineswegs immer die Blutigsten in den Thaten sind; und dann, daß man von Aeußerungen Einzelner, welche, weil sie stark markirt sind, in der Erinnerung und im Umlauf bleiben, noch nicht den Schluß ziehen darf, daß das die Meinung Vieler, geschweige der Mehrheit oder Aller gewesen sei. So war es mit der Redensart: »Wir brauchen keine Kirchen mehr;« so mit den Redensarten vom »Todtschlagen aller Pfaffen, aller Edelleute und Fürsten.« So verlautete im Elsaß unter einzelnen Bauernrotten, sie wollen auch an die Juden; und doch findet sich nirgends eine Spur, daß auch nur ein Jude oder Judenhaus im Elsaß geplündert wurde, ein paar Faß Wein ausgenommen. Es waren das nur Wünsche und Stimmen Einzelner gewesen, welche vor dem, was die Mehrheit wollte, sogleich zurücktreten mußten.

Im Gegentheil, es ist bemerkenswerth, die Juden haben im Bauernkrieg keinerlei Mißhandlung erfahren. Es ist das um so bemerkenswerther, da kurz vor dem Kriege sogar noch Verfolgungen der Juden auf mehreren Punkten Deutschlands vorgekommen waren, und selbst der Rottenburger Deuschlin und Hubmaier gegen sie gepredigt hatten. In keinem Berichte, durch ganz Deutschland hin, finde ich eine Spur, daß im Bauernkriege die Volksleidenschaft gegen diejenigen sich gerichtet habe, gegen welche durch's ganze Mittelalter hindurch sie so oft in unmenschlicher Weise aufgestachelt worden und ausgebrochen war, nämlich gegen die Juden. In den österreichischen Alpen-Landen war es nicht der Jude Salamanka, sondern der Graf und allmächtige Günstling, der übermüthige Finanzminister Salamanka, gegen welchen der Haß sich richtete. Diese überaus auffallende Thatsache möchte der mißachteten Angabe des Gothaer Canonicus Conrad Mutianus das Gewicht der Wahrheit geben, wenigstens in Bezug auf die Juden.

Am 25. April 1525, also zur Zeit, da ringsum der Aufstand aufgelodert war, schrieb Mutianus, der selbst durch den Aufstand sein Vermögen verloren hatte, an seinen Gönner, den Kurfürsten Friedrich von Sachsen, er habe aus Briefen und aus mündlichen Mittheilungen einsichtsvollster Männer die Ueberzeugung gewonnen, daß die Reichsstädte durch geheime Umtriebe und Ränke die Bauern unter dem Scheine des Evangeliums aufhetzen, nicht nur um die 367geistlichen Fürstenthümer und Herren, sondern um die Fürsten überhaupt zu beseitigen, als Tyrannen, und Deutschland zur Republik zu machen. Dazu helfen ihnen die Juden.

Es ist gar nicht unwahrscheinlich, eben weil die Juden überall und ganz unangetastet blieben, daß die Letzteren in einer Beziehung zu der Bewegung und ihren Leitern standen, welche ihnen Sicherheit ihrer Habe und Person gewährleistete; daß sie ihre Reichthümer öffneten, um entweder schon die Einleitung der Bewegung oder wenigstens die bereits ausgebrochene Bewegung mit ihren Geldern zu unterstützen. Das Erstere ist das Wahrscheinlichere; sie waren selbst die Unterdrücktesten von Allen, und dabei hatten sie stets die Gabe, Kommendes vorauszuwittern, und die Klugheit, sich darnach zu richten.

Mit den Fuggern und Welsern zu theilen, hörte man Bauerngelüste sich aussprechen, aber nicht mit den Juden, so sehr das Theilenwollen weit herum ansteckte. Nicht nur unter den Franken vor Würzburg konnte man sagen hören, da sie allesammt Brüder seien, so sei es billig, daß es ganz gleich zugehe, und daß der Reiche mit den Armen theile; besonders solche Leute sollten das thun, die ihr Gut durch Wucher und Uebernehmen im Handel den armen Menschen abgenommen haben. Aehnliches verlautete aller Orten, besonders aus dem Munde heruntergekommener Städtebürger, aber auch aus dem Munde von Prädikanten, ja wirklichen Geistlichen, deren einige selbst aus religiösem Fanatismus die Ansicht durchgängiger Gleichheit und der Gütergemeinschaft hatten, andere es als Lockspeise aushingen, daß es jetzt über die Herren und Pfaffen gehe, man ihre Güter und den Gemeindebesitz unter einander theilen und es den Armen so viel als den Reichen treffen werde. Mancher hoffte, durch die Bewegung aus einem armen ein reicher Mann zu werden. Auf diesen blutigen Communismus hin wurde später an manchen Orten mit der Folter inquirirt, namentlich in den Städten von der siegreichen Aristokratie und von der Geistlichkeit, und die Aussagen der so gefragten Gefangenen müssen mit Vorsicht aufgenommen werden, da ihnen die Fragen in den Mund gelegt, und sie gepeinigt wurden, bis sie dieselben bejahten, damit man sie zum Tode bringen konnte.

368

Grausig liest es sich und hört es sich an, wenn von den Salzburgern gesagt wird, »sie seien des Willens gewesen und haben geredet, sie wollen nicht abstehen, bis der Cardinal Matthäus geschunden und gekocht sei, damit man sagen könne, die Salzburger haben ihren Herrn gefressen.« Was ein Bramarbas beim Weine geredet, wurde genommen und ausgebreitet als Rede des salzburgischen Volkes. Und doch verlangte die große Mehrheit im Salzburgischen gar nichts Anderes, als was die Tyroler auch verlangten, daß es »bei dem alten Herkommen bleibe;« Bericht der bairischen Räthe vom 25. Juni 1525. »daß hinfür keine neue Satzung ohne Rath und Zustimmung des gemeinen Mannes aufgerichtet werde; daß ein Herr von Salzburg nicht mehr allein, sondern mit Vorwissen und gutem Willen einer Gemeine regiere und handle.« Sendschreiben der Bauern aus Hallein vom 11. Juni 1525. Sie wollten die Behauptung ihrer uralten Rechte, und eine Volksvertretung neben dem Fürsten.

Während im Fortgang der Bewegung die Aeußersten zum Theil einlenkten, zum Theil noch erhitzter wurden, gewannen die Gemäßigten immer mehr Boden. Die Schreckensmänner schwanden zu einer kleinen Minderheit, und die Radikalen, welche Einsicht in die Sachen, wie sie lagen, hatten, näherten und verbanden sich mit der vermittelnden Partei. Hatte sich zuvor weitum eine Anschauung hören lassen, welche dem Adel bitterlich feind war, so wandte sich das im Fortgang. Unter den brennenden und zusammenstürzenden Burgen hatte man aus Bauernmund zu Neumarkt im Baierischen sagen gehört, »wer doch den ersten Fürsten oder Edelmann gemacht habe? und ob ein Bauer nicht sowohl fünf Finger an der Hand habe, als ein Fürst oder Edelmann?« – Aber bald kam die Mehrheit von der Ausreutung der Fürsten und des Adels ab, und vom Verbrennen der Schlösser. Wendel Hipler, Weigand und ihre Gesinnungsgenossen, unterstützt durch die Ereignisse und den Gang der Bewegung, drangen durch und gewannen die Mehrheit auch unter denjenigen Führern, welche Bauern waren, dafür, daß der Adel gewonnen werden müsse und die Fürsten, welche dem Evangelium zugethan seien.

Hipler, Weigand und die Ihren wollten dem Adel auf 369deutschem Boden eine Stellung anweisen, ähnlich derjenigen, welche später dem Adel in England durch die Revolution wurde. Und nicht nur die der neuen Lehre zugethanen Fürsten wollten sie bestehen lassen, sondern sogar die großen geistlichen Fürsten und die Bischöfe. Schon um die Mitte des Mai drang Weigand in Schreiben an den Rath der vereinigten fränkisch-schwäbischen Bauerschaft darauf, daß so schnell als möglich die Kurfürsten von Köln und Trier und die anderen geistlichen Fürsten zu der Annahme der zwölf Artikel gezwungen werden sollen, ehe die geistlichen Fürsten mit den weltlichen Fürsten sich verbänden und fremde Nationen auf den deutschen Boden herüberzögen, zur Bekämpfung der christlichen Verbrüderung. Statt mit der Belagerung des Würzburger Schlosses die Zeit zu verlieren, müsse man sich der geistlichen Fürsten versichern, und dann die weltlichen Fürsten, Grafen und Ritter in die »Vereinigung zur Reichsreformation« bringen.

Dem Adel wollte Weigand durch Dreierlei Vergütung für seine Verluste gegeben wissen, durch Umwandlung aller bisher von der Geistlichkeit zu Lehen getragenen Güter in Eigengüter des Adels, durch vorzugsweise Berücksichtigung des Adels bei den Richterstellen, und durch Geldentschädigungen, welche aus den eingezogenen weltlichen Besitzungen der Geistlichkeit genommen werden könnten, wie auch aus eben denselben die ganze neue Ordnung des Reiches zu bestreiten wäre. Im Reichskammergericht und in den vier Hofgerichten dagegen sollten vorzüglich die Städte und die Landgemeinden dadurch berücksichtigt werden, daß die Städte und die Landgemeinden darin je vier Stimmen mehr hätten, als die Fürsten und der Adel. Auch die Fürsten und die Städte sollten aus den eingezogenen geistlichen Gütern entschädigt werden.

Weil man allwärts fühlte, daß es durchaus anders werden müsse, so hatte man seit Jahrzehnten darüber gedacht, davon gesprochen und Entwürfe gemacht, was für eine neue Verfassung für das Reich die beste wäre, wenn es Allen dabei wohl werden solle. Daher erklärt sich, warum im Fortgang der Volksbewegung man überall bald genug von den ersten materiellen Forderungen aufstieg zu den schon Höheres in sich schließenden zwölf Artikeln, und ebenso bald von diesen fortschritt bis zu eigentlichen politischen 370Verfassungsplanen; und wie Reichsreformentwürfe am Main und Neckar, eine Landesordnung in Tyrol schnell auftauchten, und zwar da wie dort so durchdacht, die wunden Flecke und die richtigen Heilmittel dafür so treffend, daß noch heute Staatsmänner sehr verschiedener Farbe ihnen ihre Anerkennung und ihre Bewunderung zollen, Manches davon in das deutsche Verfassungsleben der Neuzeit eingeführt worden ist, Manches eingeführt werden wollte, und für Manches die Einführung in das deutsche Leben von der Zukunft gehofft wird. So sehr bilden die Gedanken und Entwürfe, welche aus dem Mittelpunkt der Bewegung, am Neckar, und auch an der Etsch, hervortraten, einen der merkwürdigsten Entwicklungsabschnitte in der Geschichte der bäuerlichen und gewerblichen Verhältnisse, des Privat- und Staatsrechtes, des politischen und religiösen Fortschrittes. Im Tyrol, und zwar im Bauernkriege, war es, wo man zuerst auf den Gedanken kam, daß die Rechtspflege nicht nur im neueren Sinne des Worts unabhängig sein, sondern ganz außerhalb der Staatsgewalt stehen solle, und daß die Regierung, der Fürst eines Landes, nur die Verwaltungsbeamten zu ernennen, die Richter aber weder zu wählen noch zu bestätigen habe; daß die Verwaltungsbeamten in Gerichtssachen nichts zu sagen, das Volk dagegen, in einer noch näher zu bestimmenden Form, selbst alle zu den Gerichten gehörenden Personen zu wählen habe, vom Richter bis zum Frohnboten. Es liegt außerhalb des Raumes dieses Buches, auf die Bedeutung der Gedanken, die in allen vorhin angegebenen Hinsichten in der Bauernrevolution hervortraten, bis ins Einzelne einzugehen.

Unter den Materialien, welche als Vorarbeit für eine zu berathende und durchzuführende Reichsverfassung dienen konnten, mußte sich neben den uralten Volksrechten, neben Schriften von Ulrich Hutten, Luther, Eberlin von Günzburg und Anderen, vorzugsweise eine Schrift bemerklich machen, welche unter dem Titel »Reformation Kaiser Friedrich's des Dritten« erschienen war. Da sich bis jetzt in keinem Archiv eine Handschrift oder ein Druck dieser merkwürdigen politischen Arbeit aufgefunden hat, älter, als aus den ersten zwanziger Jahren des sechzehnten Jahrhunderts, so ist daraus und aus dem Inhalt zu vermuthen, daß sie erst kurz vor Sickingens und 371Huttens Entwurf auf Deutschland verfaßt wurde. Wenn Wendel Hipler mit dieser Schrift namentlich, in seinen Gedanken zu einer Reichsverfassung, mehrfach übereinstimmte, so folgt daraus nicht, daß er seine Gedanken daraus nahm, sondern es liegt die Wahrscheinlichkeit näher, daß dieser »feine Kopf, so geschickt als nur einer im Reich«, wie ihn Göz von Berlichingen genannt hat, der Abfassung jener Schrift nicht fremd war. Es ist eine andere Feder, als die Ulrich Huttens, von der sie geschrieben ist, und es dürfte eher die Feder Hiplers oder Weigand's sein. Weigand war ein Beamter des Mainzer Hofes, an welchem in die Sickingen'sche Bewegung Eingeweihte genug saßen; Hipler hatte seine Güter hart neben dem Hornberg, der Burg des Göz von Berlichingen, und beide Köpfe standen wohl Hutten und seinen Freunden viel näher, als man jetzt weiß. Weil die Lage eine andere geworden war, mußten einzelne Gedanken jener Schrift umgeschmolzen, mußte Neues dazu gethan, weiter gegangen werden, als damals, wo die deutschgesinnten Männer des geistigen, religiösen und nationalen Fortschritts, wie Weigand, Hipler, Ulrich Hutten, Bucer, die Grundzüge jener Flugschrift unter sich besprachen, von Einer Feder sie ausarbeiten und in Umlauf setzen ließen.

Jetzt galt es nicht, die Ritterschaft an die Leitung zu bringen, sondern Fürsten, Adel und Städte mit der Revolution auszusöhnen, und die letztere dennoch im Siege zu erhalten, durch eine solche Verfassung, welche den Ersteren wenigstens annehmlich wäre.

In der Masse der Bauernhaufen war vom alten Hasse gegen den Adel noch viel zurück, und kaum hatte etwas davon verlautet, welche Weisungen die mit der Vorbereitung der Reichsverfassung Beauftragten empfangen haben, so fanden Stimmen Anklang, wie sie ein »Aufruf an die Versammlung gemeiner Bauerschaf« hören ließ, Stimmen, die zum Mißtrauen gegen den Adel reizten und den Bauern riethen, nur Ihresgleichen zu Aemtern zu wählen, »denn es wolle sich nicht reimen, daß man Wolfshaar unter die Schafwolle zu verschleichen beabsichtige; die eingepflanzte Natur lasse sich den Habicht mit der Taube niemals vereinigen.« Die abkühlende Zeit aber und der gemäßigte Sinn der oberländischen Bauern, die als Freie von Anfang an sich nur auf ihre alte Freiheit, nicht auf die christliche 372Freiheit und Gleichheit der Prädikanten, beriefen, ließen hoffen, daß der so bearbeitete Verfassungsentwurf am Ende die große Mehrheit des Reiches für sich erhalten werde.

Seit dem 9 Mai saß ein Ausschuß der Bauern in des Reiches Stadt Heilbronn am Neckar, »um die allgemeine Reichsreform,« auf welche alle Artikel und alle Verträge zurückwiesen, »zu berathen.«

Wendel Hipler war nicht der Mann, stille zu stehen, und vor Festungen müßig zu liegen. Es war hoch noth, etwas Festes, Entscheidendes für die Eintracht, für das Zusammenwirken, zur allgemeinen Befriedigung der sich kreuzenden Interessen, zur Feststellung der schwankenden unsichern Verhältnisse vorzunehmen.

Schon zu Amorbach war die Einberufung eines Ausschusses aller Haufen, ein Congreß aller Bauerschaften, beschlossen, und mit Hans Berlin Heilbronn als natürlicher Mittelpunkt angenommen worden. Hier sollte die allgemeine »Kanzlei« sein; hier sollten die » vorberathenden Sitzungen der gelehrten Bauernräthe,« hier dann seiner Zeit »die allgemeine, vom Volke zu eröffnende Nationalversammlung« stattfinden, um »die Reichsreform zu berathen und anzunehmen

Im Namen der vereinigten Haufen vor Würzburg saßen zu Heilbronn Wendel Hipler der Kanzler, und als Räthe mit ihm Peter Locher aus Külsheim und Hans Schickner aus Weißlensburg.

Schon von Amorbach aus war an alle Haufen in Oberschwaben, Elsaß und Franken Botschaft geschickt worden, »aufs Schnellste Bevollmächtigte zu dem Congreß nach Heilbronn zu senden.« Friedrich Weigand saß nicht persönlich in ihrem Rath, aber sein Geist war zugegen: von ihm waren merkwürdige Concepte »in Betreff der Reichsreform« eingelaufen. Auch Entwürfe aus früherer Zeit, z. B. einen von Frankfurt, ließen sie kommen; und ohne auf das Eintreffen derer von den andern Haufen zu warten, gingen die Drei an die Arbeit.

Von Würzburg aus waren ihnen mehrere Fragen, die bloß auf Fortführung des Krieges sich bezogen, zur Begutachtung mitgegeben: Was von jedem Haufen noch zu erobern sei? Welchen Widerstand er dabei finden, welche Hülfe ihm nöthig sein könnte? Welcher Haufe, falls gegen den schwäbischen Bund in Schwaben Beistand nöthig wäre, zur Hülfe ziehen solle? Wie gegen Pfalz, Brandenburg und 373Baden, die baierischen Fürsten und Hessen zu handeln wäre, gütlich oder mit Ernst? Wie man den fremden Adel in andern Landen in die Vereinigung bringen könnte? Ob die weltlichen Fürsten und Herren für ihre Verluste und Nachlässe aus dem geistlichen Gut zu entschädigen seien? Ob man bei ausländischen Fürsten, z. B. bei Sachsen, dessen Churfürst der Bereinigung milder gesinnt sei, Beistand suchen solle? Aus welchen Haufen das Kriegsheer gegen Trier und Köln zu bilden sei? Was zu thun wäre, wenn der Kaiser fremdes Kriegsvolk brächte? oder andere Fürsten fremde Söldner wärben? Wie man sich gegen den Kaiser zu verantworten habe, oder ob man ihm zuvor schreiben wolle? Wann und wo die Reformation vorzunehmen, wer dazu zu erfordern wäre: Gelehrte, Bürger, Bauern? und wie viele? Wer für den gemeinen Mann seine Beschwerden vortragen solle? Wie viele Räthe von Fürsten und Adel zuzulassen, um ihre Sache zu führen? Wie und von wem die Kosten derer, die vortragen, und derer, die zur Entscheidung verordnet würden, aufzubringen wären? Auch eine Vergleichung und Besserung der verschiedenen Heerordnungen solle vorgenommen, von jedem Haufen seine bisherigen Eroberungen und seine weiteren Vorhaben dargelegt werden. Ebenso sollen sie berathen, ob, wenn Gott so viel Glück gäbe, daß man die Haufen zum Theil vermindern, und der gemeine Mann heim gehen könnte, eine gewisse Zahl versammelt bleiben sollte, für alle Unfälle, und um das Recht zu handhaben u. s. w.

Ehe der Ausschuß daran ging, arbeitete er aus eigenen und fremden Gedanken einen Reformationsentwurf in vierzehn Artikeln aus, einen Entwurf, »welcher Maaßen eine Ordnung und Reformation zu Nutz, Frommen und Wohlfahrt aller christlichen Länder aufzurichten wäre.«

1) Alle Geweihten, hohen und niedern Standes und Namens werden reformirt, und erhalten ziemliche Nothdurft; ihre Güter fallen zu gemeinem Nutzen.

2) Alle weltlichen Herren werden reformirt, damit der arme Mann nicht über christliche Freiheit von ihnen beschwert werde: gleiches schleuniges Recht dem Höchsten wie dem Geringsten. Fürsten und Edle sollen die Armen schützen und sich brüderlich halten, gegen ein ehrliches Einkommen.

374

3) Alle Städte und Gemeinden werden zu göttlichen und natürlichen Rechten nach christlicher Freiheit reformirt. Keine alte oder neue menschliche Erdichtung mehr. Alle Bodenzinse sind ablösbar.

4) Kein Doktor des römischen Rechts kann zu einem Gericht oder in eines Fürsten Rath zugelassen werden. Nur drei Doktoren des kaiserlichen Rechts auf jeder Universität, um sie in vorkommenden Fällen um ihren Rath zu befragen.

5) Kein Geweihter, hohen oder niedern Standes, kann in des Reiches Rath sitzen, oder als anderer Fürsten und Communen Rath gebraucht werden; keiner kann ein weltliches Amt bekleiden.

6) Alles weltliche Recht im Reich, das bisher gebraucht wurde, ist ab und todt, und es gilt das göttliche und natürliche Recht, damit der arme Mann so viel Zugang zum Recht habe, als der Oberste oder Reichste. Es sind 64 Freigerichte im Reich mit Beisitzern aus allen Ständen, auch aus dem Bauernstand; 16 Landgerichte, 4 Hofgerichte, 1 kaiserliches Kammergericht deutscher Nation, auch diese mit Beisitzern aus allen vier Ständen; doch so, daß das Volk in jedem vier Stimmen mehr hat. Von jedem Gericht ist Appellation an das andere.

7) Alle Zölle, alle Geleite hören auf, außer den Zöllen, die zu Brücken, Wegen und Stegen nothwendig sind.

8) Alle Straßen sind frei, alles Umgeld ist ab.

9) Keine Steuer, als alle zehn Jahr einmal die Kaisersteuer (Matthäi 22).

10) Nur eine Münze in deutscher Nation.

11) Gleiches Maß und Gewicht überall.

12) Beschränkung des Wuchers der großen Wechselhäuser, die alles Geld in ihre Hände ziehen, und Arm und Reich ihres Gefallens beschätzen und beschweren.

13) Freiheit des Adels von jedem geistlichen Lehenverband.

14) Aufhebung aller Bündnisse, der Fürsten, Herren und Städte: überall nur Schirm und Schutz des Kaisers. Der Reformationsentwurf findet sich abgedruckt bei Walchner, Oechsle, Bensen.

Wahrlich Ideen, großartig und originell, praktisch und gemeinnützig. Seit Jahrhunderten hatte man das Bedürfniß nach solcher 375Reform gefühlt: Kaiser, Fürsten, Ritter und Städte hatten wohl diesen und jenen Punkt auf Reichstagen in Anregung gebracht, aber alle zusammen haben nicht dieses Umfassende, Treffliche ausgedacht und entworfen, was die Leiter der Bauern entwarfen und ausführen wollten.

Mehrere der besten Gedanken des Entwurfes sind wörtlich aus Friedrich Weigands Conzepten herüber genommen, die andern gehören dem Geiste Wendel Hiplers.

Dadurch, daß der Geistlichkeit, Fürsten und Adel die Hauptquellen ihres bisherigen Einkommens abgeschnitten wurden, mußte es bald um ihre Macht, um sie selbst gethan sein. Die Prälaten sanken zu Predigern, die Fürsten und Herren zu größeren und kleineren Grundbesitzern herab: unter einem Haupt, dem Kaiser, lauter Freie, Gleiche auf deutscher Erde. Die demokratische Spitze des Entwurfs jedoch, an der geistliche und weltliche Aristokratie sich verbluten sollte, ist klug und kunstvoll unter Worten und Wendungen versteckt. Bensen hat dies zuerst bemerkt.

Derjenige Fürst, auf den sie sich stützen wollten, war indessen nicht mehr. »Herzog Friedrich von Sachsen, schrieb Weigand, er, der ein Vater aller Evangelischen gewesen, ist Todes verschieden. Mit ihm ist meines Erachtens ein großer Trost unsers Theils gefallen.«

Am 5. Mai war der weise Churfürst gestorben. In seinem Sterbezimmer zu Lochau stand sein Gesinde um ihn her. »Liebe Kindlein, sagte er beim Abschied von ihnen, habe ich einen von euch beleidigt, so bitte ich ihn, mir es um Gotteswillen zu vergeben. Wir Fürsten thun den armen Leuten Manches, das nicht taugt.« So entschlief er sanft, gleichsam in den Armen seines Volkes, das unter ihm eine gute Zeit erlebt, und das er nicht mit dem Schwert, sondern mit Vernunft, Weisheit und Gottesfurcht regiert hatte; in einem Augenblicke, wo alle Fürsten vor ihren Unterthanen zitterten, floßen ihm Thänen der Liebe, selbst von Denen, die den Sturm heraufbeschworen, der draußen im Reiche brauste. Nie hatte er bewogen werden können, sich den Fürsten anzuschließen, die das Schwert gegen die Bauern brauchen wollten. Er wollte Alles Gott überlassen, bat diesen um Vergebung seiner Sünden, und rieth den andern 376Fürsten, des Volkes Lasten zu erleichtern, das Joch von den Unterthanen zu nehmen, und sie dadurch zum Gehorsam zurückzuführen. Ist es beschlossen, sprach er, daß das Volk zur Herrschaft kommt, so wird Niemand widerstehen können: ist es Gottes Wille nicht, und suchen sie nicht Gottes Ehre, so werden diese Stürme nicht lange dauern.

Die Eichen, in deren Schatten der deutsche Geist wuchs, und stark ward, die Eichen der Reformation, haben das Grab dessen verdeckt und dem Blick entzogen, unter dessen Schutz sie groß gewachsen. Beugen wir ihr verschattendes Laubwerk zurück, schauen wir auf Friedrich des Weisen Grab! Hier ruht ein Menschenherz im Fürstenmantel, ein Herz für's Volk, ein Herz ohne Vorurtheil des Glaubens und des Herkommens: Gottes Wort – gereinigter, freier, vernunftheller, als sein Luther es ihn lehren konnte, mit schönerer Stimme, sprach es in seiner Brust. Leuchte vor und weithin, du unter den Fürsten seltener Stern!



 << zurück weiter >>