Julius Wolff
Das schwarze Weib
Julius Wolff

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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Die Begebenheiten drängten unverkennbar dem Ausgange des schrecklichen Kampfes zu, und nicht zugunsten der Bauern, die jetzt an allen Ecken und Enden die schwersten Niederlagen erlitten. Nicht mehr einzeln auf ihren Burgen versuchten die Ritter dem Andringen der Feinde standzuhalten, sondern sie vereinten ihre Streitkräfte und traten mit ihren reisigen Knechten in die von den Fürsten gebildeten und ausgerüsteten Heere, welche nun die im ganzen Reiche verstreuten Bauernhaufen in offener Feldschlacht angriffen und fast immer schlugen. Schien das Schicksal den Aufstand anfangs zu begünstigen, indem es den Bauern eine Reihe von teils schwer, teils leicht errungenen Erfolgen gönnte, so begann es nun mit doppelter Gewalt sich gegen die Empörer zu wenden. Die Unglücksfälle häuften sich für sie und bestanden nicht bloß in verlorenen Schlachten und Gefechten, sondern machten sich auch in fehlgeschlagenen Erwartungen und vereitelten Plänen schmerzlich fühlbar. Bedeutende Männer, hervorragende Geister der Nation, auf deren Bündnis und Schutz die Bauern gerechnet hatten, entschlossene und einflußreiche Führer, von deren Einsicht und Tatkraft mehr abhing als von der blind wütenden Tapferkeit ganzer Haufen, sanken, vom Tode ereilt, dahin oder wandten sich, das Nutzlose eines längeren Widerstandes gegen die wachsende Übermacht erkennend und seine Gefahren vielleicht für sich selber fürchtend, von der Sache des Volkes ab.

Luther hatte seinen Beistand von vornherein versagt und die Bauern streng und derb in die Schranken ihrer Untertänigkeit zurückgewiesen. Ein anderer, ein deutscher Fürst, von dessen Gerechtigkeit und Milde man ebenfalls viel erwartete, weil er es offen ausgesprochen hatte, daß man den armen Leuten, die mit gläubigem Gottvertrauen für ihres Lebens Notdurft kämpften, Ursache genug zum Aufruhr gegeben habe, – der Kurfürst von Sachsen, Friedrich der Weise, war still und friedlich zu Lochau gestorben und konnte nicht mehr vermitteln und begütigen. Götz von Berlichingen hatte in Würzburg den Oberbefehl über das Bauernheer unter einem nichtigen Vorwande niedergelegt und ihm treulos den Rücken gekehrt. Jäcklein Rohrbach war gefangengenommen und von der Feste Hohenasperg dem Truchseß ausgeliefert worden. der ihn bei Neckargartach an einen Pfahl binden und bei lebendigem Leibe langsam braten und verbrennen ließ. Mit ihm erlag einer der Anstifter und Eingeweihten der Verschwörung, ein Mann der rücksichtslosen Selbsthilfe, des rohesten Faustrechts, ein wilder Naturmensch, der mit eiserner Willenskraft fest zupackte und durchgriff und daher viele von den ärgsten Greueltaten der Bauern auf dem Gewissen hatte. Er war mehr gefürchtet als beliebt im Heere sowohl wie bei den Führern; sein qualvoller Tod ging jedoch manchem nahe. Auch Judika trauerte um den ehemaligen, treuen Gefährten, so viel Abstoßendes er auch für sie in seinem Wesen gehabt hatte. Aber bald nach seiner Auflösung zu verwehendem Staub war ein viel edleres Haupt gefallen.

Nach einer großen Entscheidungsschlacht bei Frankenhausen in Thüringen war Thomas Münzer in Mühlhausen gefangengenommen und nach ausgestandener Folter hingerichtet worden. Der Untergang dieses Mannes war einer der härtesten Schläge für die Sache der Freiheit, denn in seinem kühnen Geiste voll Vaterlandsliebe, voll großartiger, alle bestehende Ordnung umwälzender Entwürfe und auch voll Ehrgeiz offenbarte sich das eigentliche Element der Revolution, die er mit seinen zündenden Reden und aufrührerischen Schriften geschürt hatte wie kein anderer. Er lebte und starb einzig seiner Überzeugung, wenn er auch in seinem schwärmerischen Feuereifer weit über die erreichbaren und heilsamen Ziele der Erhebung hinausschoß, wie er denn überhaupt als Politiker mit seinem Denken und Wagen seiner Zeit und seinem Volke voraus war, in denen er sich ebenso irrte, wie sich Luther in den Fürsten getäuscht hatte. Obwohl der neuen Lehre mit ganzer Seele zugetan, war er doch mehr ein Gegner als ein Anhänger Martin Luthers und wollte das evangelische Bekenntnis, das die Bauern immer und überall hochhielten, mit gewaltsameren Mitteln verbreiten und durchsetzen als der, der es der Welt zuerst verkündigt hatte. Thomas Münzer war kein Kriegsmann und hätte den Niedergang der Bewegung nicht aufhalten können; hätte er ihn aber überlebt, so würde er nimmer geruht und gerastet haben, sie zu frischem Brande zu entfachen, so lange noch Odem in ihm war. Lange noch schwebte sein Bild im Glorienschein eines Blutzeugen, neue Hoffnungen weckend, um die von Trauer und Sorgen erfüllten Hütten der Armut, und heute noch gehen seine tollkühnen Umsturzgedanken, wenn auch unter anderen Namen und in anderen Gleisen, in den aufgewühlten und verhetzten Massen unseres Volkes um wie damals in den wüsten Bauernhaufen unter Georg Metzler und Jäcklein Rohrbach. Aber jene hatten auch noch andere Führer, Männer mit klarem, kühlem Kopfe und ehrlichem, entschlossenem Willen, wie Wendel Hippler als Diplomat und Florian Geyer als Feldhauptmann. Nur daß sich das Schicksal gegen sie kehrte und ihnen die Macht zum Vollbringen aus den Händen wand.

Aus allen Gauen des deutschen Reiches kam eine Schreckensbotschaft nach der anderen, die von vollständigen Niederlagen, schauerlichen Folterungen und zahlreichen Hinrichtungen Kunde brachte. Die gemordeten Edelleute, die gestürmten Burgen und verbrannten Klöster wurden mit Strömen von Bauernblut gerächt. In Ober- und Niederschwaben, im Elsaß, am Rhein, an der Donau, in Thüringen und Sachsen war die Macht der Aufständischen gebrochen, und nur das fränkische Heer stand noch unbesiegt um Würzburg, mit der schwierigen und langwierigen Belagerung des Frauenberges beschäftigt.

Die Bürgerschaft Würzburgs, die den nach Heidelberg entwichenen Bischof haßte, nahm die Bauern mit Jubel auf und beteiligte sich gern an den Angriffen gegen die Festung. Diese stand unter dem Befehl Sebastians von Rotenhan und war stark besetzt, unter ihren Verteidigern war auch eine Anzahl von Rittern. Bald wurde fleißig hinauf- und hinabgeschossen, Laufgräben und Minen angelegt, auch dann und wann ein vergeblicher Sturmversuch unternommen, und bald wurden wieder mit den Insassen der Feste über die Übergabe und die Annahme der zwölf Artikel Verhandlungen gepflogen, die viel Zeit kosteten, weil man stets die Entscheidung des entfernten Bischofs einzuholen und bis zu deren Eintreffen Waffenstillstand verlangte. Diese Verzögerung benutzten die Bauern dazu, schweres Belagerungsgeschütz herbeizuschaffen, und die Ritter in der Festung trösteten sich in der Zwischenzeit mit der Hoffnung auf das baldige Anrücken des schwäbischen Heeres unter dem Truchseß Georg von Waldburg, einem ebenso erfahrenen wie erbarmungslosen Kriegsmann. Der in Würzburg unter Wendel Hippler versammelte Bauernrat hielt sowohl unter sich wie mit den einflußreichsten Bürgern viele Sitzungen, durch welche die Einnahme des Frauenberges jedoch keinen Schritt vorwärtskam. Die beiden tüchtigsten Führer und Kriegsleute, die mit den langen, fruchtlosen Verhandlungen und der keinen Erfolg versprechenden Angriffsweise sehr unzufrieden waren, fehlten bei diesen Beratungen. Götz von Berlichingen war verdrossen von dannen geritten, und Florian Geyer war vom Bauernrate, dem der ihm an Geist und Kenntnis überlegene Ritter unbequem geworden war, nach Rothenburg geschickt, um die Stadt in die Verbrüderung zu bringen. Aber auch Wendel Hippler, der wie ein Sehender unter Blinden saß, drang mit seinen entschiedenen Vorschlägen nicht durch und reiste nun in Eilritten durch das Land, die Entmutigten aufzurichten und die Verstreuten zu sammeln und zur letzten höchsten Anstrengung der Gegenwehr zu bewegen.

Es war zu spät. Die einzelnen Haufen, besonders die der Odenwälder und Neckarthaler, waren bereits in der Auflösung begriffen, viele Bauern waren in ihre Dörfer zurückgekehrt, hatten sich vom evangelischen Bunde losgesagt und ihren alten Herren neu gehuldigt. Doch waren immer noch achttausend Mann unter Georg Metzlers Oberbefehl beisammen, die den ersten Anprall des schwäbischen Bundesheeres aushalten sollten. Und der Truchseß, nachdem er die Stadt Heilbronn für die Duldung der geheimen Bauernkanzlei in ihren Mauern und ihren unter dem Regiment der Zünfte bewirkten Abfall hart und blutig bestraft und Weinsberg, das nach Helfensteins Tod ebenfalls zu den Bauern übergegangen war, zu Schutt und Asche verbrannt hatte, rückte heran und lieferte den Bauern eine diese vernichtende Schlacht bei Königshofen. Keine Hilfe kam zu ihrer Rettung, weder vom fränkischen Heere um Würzburg noch von Florian Geyers schwarzer Schar. Wendel Hippler, Georg Metzler und einige andere der obersten Führer entkamen durch die Schnelligkeit ihrer Pferde; noch während der Verfolgung wurden nahe an dreitausend versprengte und fliehende Bauern niedergemacht; das Städtchen Königshofen verlor alle seine Bürger bis auf fünfzehn.

Florian Geyer war mit seiner schwarzen Schar in Rothenburg und wußte nichts von der Schlacht bei Königshofen. Er hatte in der Stadt »um Friedens willen, den Bösen zur Strafe, den Guten zum Schirm« einen Galgen aufrichten lassen, denn Rat und Bürger bereiteten ihm wegen ihres völligen Eintritts in den Bund ernste Schwierigkeiten, weil sie beim gegenwärtigen Stande der Dinge in fortwährendem Schwanken waren, auf welcher Seite der größte Vorteil für sie lag. Rotenburg mit seinen hohen, starken Mauern und seiner vorzüglichen Ausrüstung an Waffen und Verteidigungsmitteln war ein wichtiger Platz, um dessen Besitz sich sowohl die Bauern wie ihre fürstlichen und ritterlichen Gegner eifrigst bemühten.

Judika war mit in Rothenburg; sie wich nicht mehr von Florians Seite. Auf beiden lasteten schwere Sorgen, die sie sich manchmal mit allen Erwägungen des Für und Wider unverhohlen aussprachen, wobei dann einer den anderen zu ermutigen und zu trösten suchte, ohne selber noch viel Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang des Kampfes zu haben. Oft aber verschwiegen sie sich ihre Bangigkeit. Dann schauten sie sich wohl tief und stumm in die Augen, als früge einer den anderen: glaubst du noch an den Sieg? und was denkst du von unserer Zukunft? Und noch etwas anderes schwebte zwischen ihnen, ein keusches Geheimnis ihrer Herzen und ihrer Wünsche, das jeder von ihnen in sich selber barg und im anderen erriet. Mit der Ahnung ihres baldigen Endes tauchte in beiden die Sehnsucht auf, doch einmal vor dem Tode einander in schrankenloser Liebe Leib und Seele zu weihen. Keiner wagte es auszusprechen oder auch nur anzudeuten; aber wäre dies geschehen, so hätte jeder dem anderen freudig gewährt, was jeder innig begehrte.

Wo waren nun die stolzen und die süßen Hoffnungen auf eine sonnenhelle Zukunft? Mit der erliegenden Freiheit versanken auch die goldgewobenen Träume einstigen, wonnigen Besitzes. Und nicht mit einem Schlage, wie ein Blitz den wipfelhohen Baum zerschmettert, sondern mit den langsamen Qualen einer ihnen immer deutlicher werdenden Hoffnungslosigkeit sahen die Liebenden ihr heiß ersehntes Glück in Trümmer gehen, dem verglimmenden Herdfeuer gleich, dessen lustig flackernde Flammen kleiner und kleiner werden und in sich zusammensinken, bis auch der letzte Funke sacht erstirbt und von der freundlichen, glänzenden, wärmenden Erscheinung nichts mehr übrig ist als ein Häuflein grauer Asche.

Es war am Abend vor Pfingsten. Judika saß einsam und allein am Herde ihres Wirtes in der Stadt Rothenburg ob der Tauber und starrte mit todtraurigen Gedanken in das schon so weit herabgesunkene Feuer, daß es um sie her fast völlig dunkel war. Sie mußte an das mächtige Feuer denken, das im Schüpfergrunde auf dem Hügel ihre hohe Gestalt neben der Stange mit dem Bundschuh beleuchtet hatte, als sie voll leidenschaftlichen Hasses gegen den Adel zu den versammelten Bauern redete und sie zu heldenmütiger Begeisterung hinriß mit der Losung: Nichts denn die Gerechtigkeit Gottes! Damals hatte sie fest an den Sieg der Freiheit geglaubt, aber von Florians kommender Liebe zu ihr nichts geahnt. Und nun? – die Freiheit schwand ihr vor den Augen dahin, aber die Liebe blieb ihr treu bis in den Tod, dessen Nähe ihr nicht mehr zweifelhaft war. Ach, nur einmal erst ganz selig sein in den Armen des Geliebten!

Ein wohlbekannter Schritt weckte sie aus ihrem glutvollen Sinnen und Brüten. Florian war es. Sie sprang auf, warf sich an seine Brust, und – »Florian! ach, mein Florian!« flüsterte sie, in allen Lebenstiefen erschauernd.

Er aber hörte nicht, erkannte nicht den Ton liebeflehender, hingebender Sehnsucht. »Judika,« sprach er, sich von ihr losmachend, eilig und erregt, »wir haben keine Minute zu verlieren. Der Truchseß zieht auf Würzburg; wir müssen sofort aufbrechen und die Nacht durch marschieren, um morgen im Lager von Heidingsfeld zu sein.«

Verwirrt und beschämt trat sie von ihm zurück; sie hatte an ein berauschendes Glück gedacht in dem Augenblick, wo das Schicksal sie zum entscheidenden Kampfe rief. Ein tiefer Seufzer entrang sich ihrem klopfenden Herzen, und klanglos kam es ihr von zuckenden Lippen: »Ich bin bereit.«

Durch die Stille der Nacht wirbelten die Trommeln, und eine Viertelstunde später ritten Florian und Judika an der Spitze der schwarzen Schar aus dem Tore von Rothenburg.

Es war eine sternklare Frühsommernacht, ringsum Blühen und Duften in den Feldern und Gesträuchen, und morgen war Pfingsten. Florian und Judika ritten lange Zeit schweigend nebeneinander. Da lenkte Judika ihr Pferd dicht an das Florians heran und begann: »Florian, ich hatte einst einen seltsamen Traum. Ich stürmte mit den Bauern eine schon brennende Burg, und als das Tor erbrochen war und wir eindrangen, trafen wir im Burghof den Ritter, der um sein Leben focht. Ich stürzte mich auf ihn, um ihn niederzustoßen. Da erkannte ich dich, die Waffe entsank meinen Händen, ich warf mich in deine Arme, die mich auffingen, und dann schlugen die Flammen über uns zusammen.«

»Dein Traum wird in Erfüllung gehen, Judika,« sprach er. »Die Flammen schlagen über uns zusammen, und dann sind wir frei.«

Darauf ritten sie wieder stumm ihres Weges weiter, und auch die Landsknechte zogen still hinter ihnen drein, wohl ahnend, mit welcher blutigen Feier der Tod das Pfingstfest in ihren Reihen begehen würde. In der Morgenfrühe kamen sie bei Florians Burg Giebelstadt vorüber, deren Zinnen von den Strahlen der aufgehenden Sonne beglänzt wurden. Die beiden sahen hinauf und blickten sich wehmütig an. Dort oben wollten sie miteinander selig werden! Ohne ein Wort zu wechseln setzten sie gleichzeitig ihre Pferde in Galopp und ritten schnell vorüber, dem Haufen eine Strecke voraus, um ihren Gedanken zu entrinnen, die doch fest hinter ihnen im Sattel saßen und von verlorenem Liebesglücke raunten.

Im Lager von Heidingsfeld fand Florian noch etwa viertausend Mann zu dem bevorstehenden Kampf bereit. Die übrigen lagen vor dem Frauenberge, viele waren in der Nacht heimlich entwichen.

Die Schlacht begann. Zuerst brachen die feindlichen Rennfahnen in die Bauern, zersprengten sie und trieben sie hie und da in die Flucht, und dann kam der Truchseß selbst mit dem Fußvolk und zahlreichem Geschütz. Florian aber floh nicht, und seine schwarze Schar, ihrer sechshundert noch, hielt treu und tapfer bei ihm aus. Judika sprach laut Gebet und Segen über sie und blieb im Kampf an Florians Seite, den beide zu Fuß bestanden. Noch einmal stritten sie mit fast übermenschlicher Kraft, das Höchste zu wagen und das Höchste zu erringen, – um Florians blinkenden Helm und Judikas flatterndes Haar die Kränze des Sieges und der Liebe.

Es war vergeblich. Das kleine Häuflein mußte den immer wieder neuen Angriffen der großen Überzahl von feindlichen Reisigen endlich weichen und zog sich in guter Ordnung auf das Dorf Ingolstadt zurück, wo es sich in den Ruinen des früher schon von den Bauern verbrannten Schlosses festsetzte. Um dieses Schloß entspann sich nun ein so hartnäckiger und verzweifelter Kampf, wie sich vielleicht im ganzen Bauernkriege nicht weiter abgespielt hat. Es wurde von außen scharf beschossen, von innen Schritt für Schritt bis in die Keller hinein verteidigt und seine versuchte Erstürmung zweimal zurückgewiesen. Die Hälfte der Landsknechte waren schon in seinen Räumen gefallen, als nun erst die Geschütze Tod und Verderben hineinschleuderten. Da mußte auch Florian heraus, und es gelang ihm, sich mit seinen letzten Zweihundert nach einem Gehölz durchzuschlagen, Judika mit ihm.

Aber die Feinde setzten ihnen nach, holten sie ein und umstellten die in einem letzten, hoffnungslosen Kampf sich immer noch Wehrenden. Sie waren verloren und sahen es, man bot ihnen keine Gnade an, und sie verlangten auch keine. Während Florian und Judika todesmutig und todverachtend nebeneinander fochten, suchte jeder von ihnen, mehr auf den anderen als auf sich selber achtend, diesen vor Streich und Stoß der auf sie eindringenden Feinde zu schützen. Aber ihre letzte Stunde war gekommen. Florians eigener Schwager, Wilhelm von Grumbach, war es, der den Herrlichen fällte in dem Augenblick, als dieser einen Reisigen, der auf Judika losstürmte, niederschlug und dabei der eigenen Deckung vergaß. Ein wilder Schrei, als wäre sie selber getroffen, drang aus Judikas Munde beim Sturze des Geliebten, und mit dem schallenden Rufe: »Frei will ich sein!« warf sie sich mit ausgebreiteten Armen in die ihr entgegengestreckten Spieße, die ihre hochwallende Brust durchbohrten. Lautlos brach sie zusammen. Florian sah es noch mit erstarrendem Blick; sein letzter Hauch war: »Judika!« –

So war der edelste Held des großen Kampfes dahingesunken, hochherzig in seiner Gesinnung, sicher und klar in seinen Zielen, selbstlos und rein in seinen Handlungen und Absichten wie kein anderer von allen denen, die in diesem Kriege kämpften und bluteten. Der Sprößling eines alten Adelsgeschlechts hatte sein unerschrockenes Herz und seinen tapferen Arm der Sache des armen, unterdrückten Volkes geweiht und war, am Leibe getötet, aber in seinem Wünschen und Wollen doch ungebeugt und unbesiegt, mit allen Ehren im offenen Kampfe für die Freiheit gefallen, deren sehnsüchtig erstrebtes, schönes Phantom mit dem letzten Strahl der kühn und treu blickenden Augen ihres Ritters zerrann wie ein am Himmel erbleichender Stern, auf dessen geheimnisvoll wirkende Kraft gläubige, vertrauende Menschen all ihre Hoffnung setzten. Seine Zeitgenossen haben seine volle Größe nie erkannt, haben nicht gewußt, was er ihnen war und was er ihnen erst hätte sein können, wenn damals im Kloster Schönthal die Wahl zum obersten Feldhauptmann statt auf Götz von Berlichingen auf den gefallen wäre, dessen Namen der Mund schüchterner Liebe flüsterte.

Und mit dem Helden sank auch die Heldin. Auch in ihr, dem schwarzen Weibe mit der Seele voll Glut und Leidenschaft, ging eine hochgemute Vorkämpferin der Freiheit zugrunde, der vielleicht irgendwo in Franken oder am Neckar ein Denkmal stünde, wenn ihre Sache gesiegt hätte. Auf einem Schlosse geboren und in Wohlleben erzogen, dann in einer Hütte von Gram verbittert, von Haß gespeist, von Rache getränkt, unter den zuchtlosen Bauern halb verwildert und mit ihrer ungefesselten Willensmacht über die Grenzen zurückhaltender Weiblichkeit hinausgewachsen, war sie zum führenden, segnenden Schutzgeist der Bauern und zum schreckenverbreitenden Dämon für ihre Gegner geworden. Des Lebens schönste Blüte, das volle, höchste Glück beseligender Liebe, hat ihr das Schicksal nicht vergönnt, aber ihr die Schmach erspart, lebend in die Hände ihrer Feinde zu fallen und unter dem Streiche des Henkers zu enden oder den Flammentod einer Hexe zu erleiden wie eine andere heldenkühne Jungfrau hundert Jahre vor ihr in Frankreich, die auch für die Freiheit ihres Vaterlandes stritt und starb. Ihr war das tröstliche Los beschieden, den einzig Geliebten nicht überleben zu müssen; der Tod vereinte beide und machte sie frei.

Mit Florian Geyer und der schwarzen Judika sank auch die so hoch getragene Fahne des Bundschuhes in den Staub. Die Sieger triumphierten mit erbarmungsloser Gewalt und grausiger Vergeltung, und die geschichtlichen Ereignisse gingen wie sturmgetriebene Wogen über die erträumten und heiß, aber vergeblich umstrittenen Hoffnungen und Wünsche des Volkes, sie verschlingend und begrabend, brausend dahin.


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