Julius Wolff
Das schwarze Weib
Julius Wolff

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Zehntes Kapitel.

Als Florian Geyer von Herchsheim her in den Hof seiner Burg einritt, fand er dort in seiner Abwesenheit eingetroffene Gäste, die, durch den Hornruf des Türmers von der Rückkehr des Burgherrn benachrichtigt, ihn schon hier, wo er vom Pferde stieg, zu seiner großen Überraschung begrüßten. Es war der Junker Achaz von Rosenberg mit seiner Schwester Agathe, also gute Freunde des Ritters. Aber der ihm allzeit willkommene Besuch war ihm zu dieser Stunde, da er sich soeben in den Bund der Bauern geschworen hatte, wenig erfreulich, weil die Rosenbergs zu den entschiedensten Gegnern des Aufruhrs gehörten.

Die Geschwister mochten wohl seine Verlegenheit bemerkt haben, denn als sie mit ihm, der sich in seiner Beklemmung dabei schweigend verhielt, die Treppe hinaufstiegen, sagte Achaz: »Wir kommen dir ungelegen; gesteh's nur!«

»O nein!« entgegnete er, »es ist mir lieb, daß ihr hier seid, besonders eurer selbst wegen.«

»Aha!« machte Achaz, »du warst wohl auf Kundschaft geritten? hast du etwas von dem Gesindel gesehen?«

»Jawohl!« versetzte Florian, »sie sind ganz in der Nähe hier.«

»Also wirklich!« sprach Agathe, »da ist es doch gut, daß wir bei Euch eingekehrt sind. Ich war dagegen und wollte mich dem Vorschlage meines Bruders erst nicht fügen.«

Das war gelogen; gerade sie, größere Angst vor den Bauern erheuchelnd, als sie empfand, hatte dem sorglosen Bruder gegenüber darauf gedrungen, auf Burg Giebelstadt Zuflucht zu suchen.

Inzwischen hatten alle drei Florians Wohngemach betreten, und als freundlicher Wirt sagte er nun: »Laßt es euch bei mir gefallen, als wäret ihr hier zu Hause, denn in den nächsten Tagen könnt ihr nicht von hinnen.«

Sie widersprachen nicht, denn er wußte wohl besser als sie, wie die Dinge in der Umgegend hier standen.

Achaz von Rosenberg, eine kernige, geschmeidige Gestalt von etwas über Mittelgröße, mit offenem, freiblickendem Gesicht und heiterem, lebhaftem Wesen, war Florians Freund und Waffenbruder aus den Sickingenschen Fehden. Sie hatten immer treu zusammengehalten in den Freuden der Geselligkeit und des edlen Weidwerks wie auch in Kampf und Gefahr, und Florian war auf dem Rosenbergischen Schlosse Boxberg ein häufiger und gern gesehener Gast der Eltern seines etwas jüngeren Freundes gewesen, die dort inmitten eines großen Grundbesitzes mit unbeschränkter herrschaftlicher Willkür hausten. Achaz selber war noch nicht einer der schlimmsten von den hochmütigen Junkern und hatte, vielleicht unter dem wohltätigen Einflusse Florians, manche Härten des alten Ritters, seines Vaters, gegen seine Hintersassen zu mildern gesucht. Aber von den innehabenden, in Brauch oder Mißbrauch stehenden Rechten und Vorrechten des adligen Besitzes sich etwas abdingen zu lassen, war auch er, der Sohn, mit nichten geneigt.

Viel hoffärtiger, anspruchsvoller und daher auch bei den Untergebenen verhaßter war seine Schwester Agathe. Sie war über die erste Jugendblüte hinaus, aber immer noch eine sehr anziehende Erscheinung von schlanker, etwas zarter Gestalt, mit wohlgeformtem Antlitz und hellblondem Haar. Ihr Gesicht hätte etwas Liebliches gehabt, wenn nicht die kalten, grauen Augen und ein spöttischer Zug um die feine Nase und den sonst so hübschen Mund gewesen wären. Bei aller Klugheit war sie launenhaft und gefallsüchtig, konnte sich aber in Gesellschaft von ihresgleichen mit vollendeter Anmut benehmen. Schon mehr als einen Bewerber um ihre Hand hatte sie, die eines reichen Erbes sicher war, zurückgewiesen, weil sie sich mit einer immer noch hoffnungsvollen, manchmal ihm gegenüber wenig verhohlenen Neigung zu Florian Geyer trug, die aber bis jetzt keine, wenigstens keine genügend starke Erwiderung seinerseits fand, um ihn zur Eingehung eines Ehebundes mit ihr zu veranlassen. Sie spürte, so viel sie konnte, eifersüchtig seinem Verkehr und seinen Verbindungen nach, um zu entdecken, ob ein und welches andere Bild dem ihrigen den Platz in seinem Herzen streitig machte. Wehe der Bevorzugten, wenn sie diese ausfindig gemacht hätte!

Florian saß mit seinen beiden Gästen in dem schlicht und einfach gehaltenen Gemach, und Achaz erklärte nun dem Freunde: »Ich war mit meiner Schwester einige Zeit in Würzburg, und nun sind wir auf der Heimreise nach Boxberg. Aber unterwegs machte mir ein mir bekannter Wirt die warnende Mitteilung, daß es hier in der Gegend nicht recht geheuer wäre, und darum sind wir bei dir eingeritten, um von dir Näheres über die Sicherheit der Straße zu hören.«

»Und habt recht daran getan,« sprach Florian, »ihr kommt nicht durch nach Boxberg, denn ringsum wimmelt es von Bauernhaufen, die euch nicht unangefochten eures Weges ziehen lassen würden?«

»Weißt du das gewiß?« frug Achaz, »und glaubst du, daß sie uns aufgreifen würden?«

»Sicherlich! kaum mit dem Leben kämet ihr davon,« erwiderte Florian. »Mich hätten sie heute, vor ein paar Stunden erst, um ein Haar vom Pferde gestochen, wenn nicht eines mutigen Weibes Hand den tödlichen Hellebardenstoß von meiner Brust abgelenkt hätte.«

»Eines Weibes Hand?« frug Agathe gespannt.

»Ja, denkt Euch,« sprach Florian, »die schöne Judika, die bei den Helfensteinern auf Weinsberg war, ist unter den Bauern, in dem Haufen, den Jäcklein Rohrbach aus Böckingen führt.«

»Das schwarze Ding?« höhnte Agathe. »Ja, freilich, wenn ich der in die Klauen fiele –!«

»Das schwarze Weib heißt sie jetzt in ihrem Haufen und nicht bloß in ihrem.«

»Und die hat Euch das Leben gerettet, Herr Ritter?«

Florian nickte.

»Nun, sie ist Euch ja Dank genug schuldig,« spottete Agathe weiter. »Ihr habt Euch in Weinsberg oft genug sehr ritterlich ihrer angenommen; mich zu lieben hat sie weniger Ursach'.«

Florian antwortete darauf nicht, und Achaz frug: »Wie sind dir denn die Schufte so nahegekommen? konntest du ihnen denn nicht entreiten?«

»Das wollt' ich gar nicht, bin ihnen geraden Weges entgegengeritten,« erwiderte Florian.

»Viel gewagt, Freund!« sprach Achaz.

»Tollkühn, ganz tollkühn!« fügte Agathe erregt hinzu.

»Und wie hast du dich denn von der Bande gelöst? durch allerhand schöne Versprechungen, nicht wahr?« lachte Achaz übermütig.

»Wie man' s nehmen will,« versetzte Florian, erhob sich und sagte mit ruhigem Ernst: »Achaz, – ich habe mich in den evangelischen Bund geschworen.«

Stumm, mit starren Mienen und weit aufgerissenen Augen saßen sie da wie bei einer Botschaft, die sie weder glaubten noch begriffen. Agathe fand zuerst wieder Worte und sagte: »Aber Ihr denkt doch natürlich nicht daran, den mit Gewalt erpreßten Eid zu halten?«

»Er ist nicht erpreßt, und ich gedenke ihn zu halten, Fräulein Agathe!« erwiderte Florian sehr bestimmt.

Da sprang Achaz auf und stieß unwillig heraus: »Florian, laß den schlechten Spaß mit diesen Dingen! wir reden hier ernsthaft miteinander.«

»Sehe ich so aus, als wenn ich meinen Spaß mit euch triebe?«

»Du? – du hast dich in den Bund der Bauern gelobt? Du willst mit den Bauern gehen, unseren Todfeinden?« schrie Achaz.

»Ja, Freund, das will ich, und ich hoffe, du tust es auch.«

»Agathe, komm! er hat den Verstand verloren.«

»Das schwarze Weib hat ihn behext,« murmelte Agathe.

»Kennst du die zwölf Artikel?« frug Achaz.

»Ja!« sagte Florian.

»Und die willst du unterschreiben?«

»Ich habe sie beschworen.«

»Florian! Florian! – ach, es ist nicht möglich, oder du bist von Sinnen!« rief Achaz. »Was würden unsere einstigen edlen Waffenbrüder, Franz von Sickingen, Ulrich von Hutten, Dietrich von Kronberg und mancher andere dazu sagen, wenn sie noch lebten und das von dir hörten!«

»Auf sie gerade berufe ich mich als meine leuchtenden Vorbilder,« sprach Florian. »O daß sie noch lebten! sie würden mit uns gehen und uns zum Siege führen. Ein Funke von ihrem Geist und Willen lebt und webt in mir, in ihrem großen Sinne handle ich, als wär's ein mir von ihnen übernommenes heiliges Vermächtnis. ›Wach' auf, du edle Freiheit!‹ schrieb Hutten an Luther. ›Mut, Mut, ihr Deutschen, hindurch! es lebe die Freiheit!‹ Achaz, wir haben unter Sickingen für unsere Unabhängigkeit von den Fürsten gekämpft; willst du's den Bauern verdenken, wenn auch sie danach trachten, sich von dem unsäglichen Drucke zu lösen, unter dem sie elend verkommen? Hast du kein Herz im Leibe, daß du das mit ansehen kannst, ohne vor dir selber schamrot zu werden und ohne zum Schwerte zu greifen und die Ketten durchzuhauen, mit denen unsere Mitmenschen grausamer gefesselt sind als das Vieh in unseren Ställen?«

»Es hat jeder seine Plag und seine Sorge. Sie haben kein Recht, sich zu empören. Selbst Luther hat ihnen abgesagt.«

»Traurig genug! darum müssen wir ihnen helfen.«

»Was wollen sie nicht alles? Freiheit und Gleichheit! so geht das wüste Geschrei hier und dort und überall im Lande um. Freiheit und Gleichheit, hohle, blöde Worte, die keinen Sinn haben und gar keinen Eindruck auf mich machen. Frei sein, das heißt keine Frone mehr tun, keinen Zehnten mehr geben, das Weidwerk wollen sie uns nehmen, das edle Wild in den Forsten soll nicht mehr unser sein, sondern ihnen gehören; die Herren wollen sie spielen und faulenzen.«

»Nein, sie wollen eben auch leben, haben Hunger und Durst wie wir, sind Gottes Geschöpfe wie wir, auch für sie scheint die Sonne am Himmel, auch für sie wächst das Korn auf dem Felde. Richtet den Bauer zugrunde, und ihr seid selber verloren!«

Achaz schwieg ein Weilchen nachdenklich; dann begann er etwas ruhiger, aber sich schnell wieder in die Hitze hineinredend: »Ich sehe mit Staunen und Betrübnis, wie du schon von dem fressenden Gift der Büberei angesteckt und durchtränkt bist, das Menschen wie der verrückte Schwarmgeist und Lügenprophet Thomas Münzer und der hinterlistige, heimtückische Verräter Wendel Hippler, der bei den Hohenlohe in Brot und Amt und Würden stand, ausgestreut haben wie der böse Feind das Unkraut unter den Weizen. Man kennt sie ja, die Wühler und Hetzer, die Führer und Verführer, die bald von allgemeiner, sogenannter christlicher Menschenliebe faseln, bald nach blutiger Rache schreien und Freiheit und Gleichheit bald mit der mißverstandenen Bibel, bald mit Feuer und Schwert herstellen wollen. Und zu diesen gehörst du nun auch! Ich sehe dich schon mit Metzler und Jäcklein Rohrbach den geraubten Klosterwein aus einem Glase trinken, sehe dich schon mit der brüllenden, lechzenden Meute von Mordbrennern und Kirchenschändern die Burgen deiner einstigen Freunde stürmen und die der Übermacht Erliegenden in die Spießgasse der rasenden Bauern stoßen. Auch nach dem Boxberg werdet ihr kommen und ihn berennen; da weißt du ja gut Bescheid, kennst Wall und Wehr und Turm und Tor! Florian, ich frage dich: wie willst du mir ins Auge sehen, wenn wir in diesem Kampf auf Tod und Leben unsere Klingen kreuzen?«

»Das wolle Gott verhüten!« sprach Florian dumpf und düster.

»Das wird er nicht verhüten!« rief Achaz. »Du kannst es nicht vermeiden, deine alten Freunde niederzuschlagen oder dich von ihnen niederschlagen zu lassen. Und wenn du Einwendungen erhebst, von Schonung und Gnade sprichst, wenn du zauderst, nur mit einer Wimper zuckst, so wirst du verdächtig, sie schelten dich Verräter und reißen dich in Stücke, dich, den Führer, zuallererst. Denn du wirst ja wohl der Feldhauptmann des großen evangelischen Heeres werden.«

»Ich nicht,« erwiderte Florian, »eine andere, eine eiserne Hand wird es führen.«

»Götz? Götz von Berlichingen?! Das sieht ihm ähnlich, dem kecksten aller Buschklepper und Schnapphähne! Das Handwerk auf der Straße und hinter der Hecke versteht er, aber eine Burg hat er noch nie gestürmt, eine Feldschlacht nie geschlagen. Das wird ein lustiger Tanz mit dem schwäbischen Bunde werden!«

»Bist du nun endlich fertig?« wallte Florian zornig auf. »Glaubst du mit all den vielen Worten mich von meinem fest gefaßten Entschluß abzubringen, mit dem ich wochenlang Tag und Nacht gerungen habe? Ich kann die Menschenschinderei nicht mehr mit ansehen, ohne mit der Faust dreinzuschlagen.«

»Das ist nicht deine Sache,« entgegnete ihm Achaz streng. »Laß sie ihre Beschwerden an den Reichstag oder vor den Kaiser bringen.«

»Der Kaiser! der Kaiser!« lachte Florian bitter auf, »als ob der sich um Wohl und Wehe der deutschen Nation bekümmerte, als wenn der auch nur das leiseste Gefühl und Verständnis dafür hätte! Und der Reichstag? Ach du lieber Himmel! da kann noch viel Donauwasser an Regensburg vorüberfließen, ehe der Reichstag eine Reformation des deutschen Reiches zustande bringt. Das alte Herkommen, der Väter geheiligter Brauch ist längst mit schnöder List und erbarmungsloser Gewalt abgetan, mit dem römischen Recht der bestochenen Advokaten kommt der gemeine Mann nicht durch. Gegen Bitten und Vorstellungen bleibt der Adel taub oder antwortet darauf mit noch größeren Härten und Grausamkeiten. Was bleibt den Bauern übrig? Niemand hilft ihnen, wenn sie sich nicht selber helfen und Leute wie ich und Götz und andere, die offene Augen und ein warmes Herz für die Not des armen Volkes haben. Keinem Ritter und keinem Junker wird ein Haar gekrümmt werden, der sich ehrlich zu den zwölf Artikeln bekennt, und sie sind eine brauchbare Grundlage, über die sich verhandeln und auf der sich weiterbauen läßt. Man wird die Forderungen der Bauern in Ruhe sichten und ordnen und auf das nötige, beiderseits ersprießliche Maß beschränken, obwohl sie kein ungerechtes und übermäßiges Begehren enthalten. Wir können sie vorläufig annehmen und damit Frieden machen.«

»Niemals! niemals, solang' ich das Leben habe, bringst du mich dahin!« schrie Achaz zornrot.

»Achaz, bei unserer alten Freundschaft beschwör' ich dich –«

»Du hast sie gebrochen durch deinen Eid, den du den Empörern schwurst und mit dem du zum Verräter an den Privilegien unseres Standes wirst.«

»Ruhig, ruhig, Freund!« mahnte Florian, die Hand erhebend. »Überleg' es dir, du hast hier Zeit genug dazu.«

»Nicht eine Nacht bleib' ich unter deinem Dache!«

»Du wirst wohl müssen,« erwiderte Florian, »denn ihr kommt jetzt nirgend durch nach dem Boxberg.«

Aber Achaz hörte nicht mehr auf ihn, sondern rannte in höchster Erregung im Zimmer auf und nieder. Florian stellte sich ans Fenster und starrte sinnend in das Tal hinab, wo der erwachende Frühling mit Wehen und Weben, mit Wachsen und Knospen im lachenden Sonnenschein sein Wesen trieb, unbekümmert um alles das, wozu in seiner fröhlichen Auferstehungszeit die Menschen sich rüsteten, und ob es Krieg oder Frieden gab in der Welt. Niemand sprach, und außer dem Geräusch von Achaz' dröhnenden Schritten war es jetzt ganz still im Gemache.

Agathe hatte in einem hölzernen Armstuhl den heftigen Auseinandersetzungen der beiden Männer schweigend zugehört, aber auf ihrem Antlitz spiegelten sich die wechselnden Eindrücke, die sie davon empfing. Bald hingen ihre Augen mit angstvoller Spannung an Florians Lippen, bald blickte sie finster vor sich hin und schüttelte, den Freund nicht begreifend oder seine Aussprüche mißbilligend, das Haupt. Ihr Herz krampfte sich dabei zusammen, und die Hoffnung auf den einstigen Besitz des heimlich Geliebten, die noch darin lebte, sank tiefer und tiefer, je mehr sie einsah, wie weit er sich von allem ritterlichen Empfinden, nach ihren Begriffen, abkehrte und sich dadurch der Rechte und Vorzüge seines Standes verlustig machte. Und einem Abtrünnigen, einem Empörer, einem Feinde des Adels konnte sie niemals angehören. Er war für sie verloren, mochte er nun als Sieger oder als Besiegter aus dem großen Kampfe hervorgehen, wenn er ihn überlebte. Bittere Gefühle überkamen sie, nicht das einer aufopfernden Entsagung, sondern der harte Trotz und der nagende Grimm verschmähter Liebe, die sich so leicht in Haß, wenn auch nur in eingebildeten, sich selber eingeredeten Haß verwandelt. Denn hätte Florian sie geliebt, so hätte er – meinte sie – ihr das nicht angetan, zu den aufrührerischen, mordbrennerischen Bauern überzugehen. Was zog ihn hin zu diesen? nur das Mitleid? war nichts anderes im Spiele? nicht etwan ein Weib? ha! das schwarze – das schwarze Weib, die Judika, die er auf Weinsberg so auffallend bevorzugte! hatte die ihn gefangen und gefesselt? das mußte sie wissen!

Und mit hochmütigem, spöttischem Tone begann sie: »Sagt doch, Herr Florian, das Weib, das Euch heute vor dem Tode beschützt hat, – wie sah sie denn aus, Eure Retterin?«

Wie von einer Feder geschnellt, fuhr Florian an seinem Fenster herum, denn seine Gedanken weilten eben bei der, nach der Agathe ihn fragte. Seine Überraschung und Verwirrung mit Mühe bekämpfend antwortete er: »Wie sie aussah, fragt Ihr? Nun, etwas bleich, aber schön und stolz, wie ich sie früher nie gesehen habe. Ihre dunklen Augen leuchteten im Feuer der Begeisterung für die von ihr erwählte Sache. Sie erschien mir wie das schön verkörperte Siegesbewußtsein einer heldenmutigen Frauenseele.«

»Oh! oh! Herr Ritter! Ihr geratet ja selber ganz in Begeisterung für das schwarze Weib,« versetzte Agathe bissig. »Wer ist denn ihr – ihr Beschützer? oder hat sie deren mehrere, vielleicht viele im Haufen?«

Um Florians Brauen zuckte es, und auf den Lippen schwebte ihm eine scharfe Entgegnung. Er bezwang sich indessen und sprach mit ruhiger Entschiedenheit: »Alle sind sie ihre Beschützer, doch kein einziger kann sich einer Gunst von ihr rühmen. Aber sie folgen ihr, wohin sie sie führt, und tun, was sie ihnen gebeut, denn sie hat eine unbegrenzte Gewalt über die Geister, der niemand widerstehen kann.«

»Der niemand widerstehen kann!« wiederholte Agathe, auf jedes Wort einen Druck legend. Dann erhob sie sich und machte ein paar hastige Schritte auf und ab; ihr Atem flog, und der spöttische Zug um den Mund prägte sich deutlich aus. »Man sollte einen Preis auf ihren Kopf setzen!« sprach sie wie zu sich selbst, jedoch hörbar.

Florian blickte die Erboste fest an. »Von Eurem Standpunkt aus ist der Vorschlag nicht übel erdacht,« sprach er mit unverkennbarem Hohn; »denn wenn man die Judika so sieht und hört, so sollte man allerdings beinahe glauben, sie wäre das Haupt der Verschwörung.«

»Würdet auch Ihr sie schützen?«

»Mit Leib und Leben!«

»S–o!« machte Agathe gedehnt, »also hat sie's auch Euch angetan mit der Unwiderstehlichkeit ihrer dunkle Augen, die schwarze – Hexe. Auf den Scheiterhaufen mit ihr!« fügte sie wutbebend hinzu.

»Es soll auch blonde Hexen geben, Fräulein Agathe! doch hält man ihren Zauber für weniger wirksam,« sagte Florian gereizt.

Nur ein giftiger Blick aus den kalten, grauen Augen war ihre Antwort. Nicht unbemerkt von Florian preßte sie die geballte Faust auf die Brust wie zu einem geheimen Racheschwur.

Jetzt trat Achaz auf Florian zu, legte ihm beide Hände auf die Schultern und sprach: »Florian, höre noch ein letztes Wort von mir! Kehr' um, bleib, wo du bist und wo du nach Geburt und Stand hingehörst; sage dich los von den Rebellen, bei deiner ritterlichen Ehre fordere ich es von dir! vergiß nicht, was du dir und uns allen schuldig bist!«

Aber Florian schüttelte langsam das Haupt und erwiderte: »Spare die Mühe, Freund! mein Herz gehört dem Volke, du wendest es ihm nicht wieder ab. Ehre und Gewissen habe ich ernster und strenger gefragt, als du mich fragen kannst. Auf der Seite der Bauern werde ich in diesem Kampfe stehen oder fallen, – mich bringt nichts in der Welt mehr zum Schwanken. Aber laß mich noch einen Sturm auf dein Herz wagen. Achaz, Achaz! komm herüber zu uns, geh mit uns –«

»Halt! nicht weiter!« unterbrach ihn der Freund. »Laß unsere Pferde satteln und dann –fahrewohl für immer!«

»Die Pferde satteln?« frug Florian, »du willst wirklich fort? Aber ihr könnt ja nicht, alle Wege sind euch verlegt, ihr rennt in euer Verderben; du darfst deine Schwester nicht den Gefahren aussetzen –«

»O sorgt Euch nicht um mich, Herr Ritter!« warf Agathe bitter ein, »ich rechne nicht auf Euren Schutz, Hexen helfen sich selbst.«

»Laß satteln!« mahnte Achaz noch einmal kurz und bündig. »Wenn wir nicht nach dem Boxberg können, so gehen wir nach Weinsberg zu Ludwig von Helfenstein, und wenn wir nur des Nachts reisen sollten.«

»Zu Helfenstein? und da glaubt ihr sicher zu sein, bei dem Verhaßtesten von allen?«

»Dort sind wir wenigstens bei unsersgleichen,« gab ihm Achaz barsch zur Antwort.

Da ging Florian hinaus und gab den Befehl zum Satteln.

Keinen Imbiß, den ihnen Florian anbot, keinen Becher Wein nahmen die Geschwister von dem Abtrünnigen noch an. In düsterem, peinlichem Schweigen vergingen die Minuten, bis gemeldet wurde, daß die Pferde gesattelt im Burghof ständen. »Gib mir die Hand, Achaz!« bat Florian.

»Hier hast du sie! – lebewohl!«

»Auf Wiedersehen, Achaz!«

Der schüttelte das Haupt und kehrte sich ab.

»Wie wird Ludwig von Helfenstein lachen, wenn ich ihm von Euch und Eurer Schwarzen erzähle!« war die letzte Bemerkung, die Agathe, fast erstickend vor Bosheit, dem ins Gesicht warf, auf dessen Liebe sie Jahre lang gehofft hatte.

Florian begleitete die Scheidenden in den Burghof hinab. Dort stiegen sie mit ihren Knechten zu Pferde und ritten schweigend in der Richtung gen Ochsenfurt ab. Florian blickte ihnen unter dem Burgtor nach; sie wandten sich aber nicht mehr nach ihm um.


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