Julius Wolff
Das schwarze Weib
Julius Wolff

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Zwanzigstes Kapitel.

Ehe Florian Geyer seine schwarze Schar zum Sturme gegen das Schloß führte, nahm er drei zuverlässige Rottmeister der Landsknechte beiseite, teilte ihnen mit, daß Judika dort oben gefangen säße, beschrieb ihnen genau die ihm wohlbekannte Örtlichkeit ihres Gefängnisses und befahl ihnen, die Eingesperrte so schnell wie möglich zu befreien, falls ihm beim Stürmen etwas Menschliches begegnen sollte. Käme er jedoch lebend hinauf, so sollten sie das Werk der Rettung ihm selber überlassen. Dann traf er kurz und bündig seine Anordnungen für das Vorgehen und Verhalten der einzelnen Fähnleinführer während und nach der Eroberung des Schlosses und schritt voll heißer Kampfbegier zum vernichtenden Angriff auf die Burg seines ehemaligen Freundes.

Es war ein gefahrvoller Sturm. Schon beim Ersteigen der Anhöhe, so schnell es auch von den sturmerprobten Leuten ausgeführt wurde, sanken viele von ihnen, von den auf sie herabfliegenden Geschossen getroffen, danieder. Aber es gab kein Zaudern und kein Wanken in ihren Reihen, unerschrockenen Mutes eilten sie vorwärts, ihres ritterlichen Führers fortreißendes Beispiel vor Augen und seine stets anfeuernde Stimme durch all das Getöse vernehmend, in das sich noch der betäubende Lärm des Kampfes um die Stadt dort unter ihnen mischte. Bald waren sie an Tor und Mauern angelangt, die Leitern wurden angelegt, der Graben mit Reisig, Erde, Steinen und allerhand Rüstzeug ausgefüllt, und dann donnerten die Sturmböcke gegen Brücke und Tor. Schwierig war es, die hier äußerst gefährdet Arbeitenden vor den schweren Steinen und dem siedenden Pech zu decken, womit man sie von Turm und Mauern herab zu stören und zu verderben suchte. Aber den todeskühnen Anstrengungen, deren Gewalt die Gefühle der Erbitterung und Wut über die zugefügten Verluste erhöhten, gelang es endlich, das Tor einzurennen, und mit einem lauten Siegesgeschrei drangen die Stürmenden in das innere der Burg hinein, als einer der vordersten Florian Geyer.

Am Eingange zum Burghof, wo es ein heftiges Ringen Mann gegen Mann gab, trat ihm Achaz von Rosenberg in den Weg und rief, das blanke Schwert ihm schnurgerade auf seine Brust entgegenstreckend, mit toddrohendem Blick: »Weiter als bis hierher kommst du nicht, Florian Geyer!«

»Achaz! Widerstand ist ja unmöglich. Ich flehe dich an, ergib dich mir! ich verbürge dir Leib und Leben mit meinem eigenen!« sprach Florian.

»Leg' aus! ich oder du!« schrie Achaz.

»Achaz, gib Raum!«

»Lebendig nicht!«

»So möge das entscheiden zwischen dir und mir!« rief Florian und schlug den ersten Hieb.

Also war es wirklich dahin gekommen: die zwei Freunde fochten miteinander auf Leben und Tod. Streich um Streich blitzten und klirrten die Schwerter der gewandten Fechter aufeinander, wobei Florian mehr auf seine Deckung und auf Entwaffnung des Gegners bedacht war als auf dessen Tötung. Dazwischen fiel Frage und Antwort.

»Lebt Judika?«

»Ja!«

»Wo ist Helfenstein?«

»Unten in der Stadt.«

Und weiter schwirrten und sausten die Klingen ohne Ruh und Rast. Plötzlich hörte Florian hinter sich den Ruf: »Das Schloß brennt! schnell hinein!« Und blitzschnell schoß ihm der Gedanke durch den Kopf: Herr Gott. im Himmel, wenn Judika in den Flammen umkäme! da gab er, um keine Zeit mehr zu verlieren, die Schonung des Freundes auf, focht mit doppelter Kraft und Kunst, und ein wuchtiger Hieb traf Achaz' rechten Arm so schwer, daß er ihn lähmte.

»Nehmt ihn gefangen!« rief Florian den nächsten seiner Leute zu. Das war schnell geschehen. »Ihr zwei bleibt bei ihm und bewacht ihn! er ist mein Gefangener allein, und kein Leid soll ihm geschehen, bei Todesstrafe! Achaz, ich konnte nicht anders!«

Dann stürmte er weiter zum Schloß hinan, das noch mit zäher Ausdauer verteidigt wurde, obwohl es, von den Rotenburgern auf der anderen Seite angezündet, bereits brannte und dort schon die aufgepflanzten Siegeszeichen wehten. Nachdem er sich jedoch mit kundigem Blick überzeugt hatte, daß auch hier und auch ohne seine Hilfe die letzte Arbeit bald getan sein würde, eilte er dahin, wohin sein Herz ihn trieb. –

In ihrem Gefängnis eingeschlossen, irrte Judika hin und her, vom Fenster zur Tür, von der Tür zum Fenster und horchte in atemloser Spannung auf den Lärm des Kampfes oben und unten, von dem sie nichts sehen konnte. Seit seinem Beginne schon hatte sie oft an der Tür gelauscht, ob Helfenstein oder seine Mordgesellen nun kämen, um sie zu töten, aber in ihrer Nähe blieb alles still. Das Gefängnis befand sich in einem weit zurückliegenden Seitengebäude, und nur aus der Entfernung hörte die gänzlich Verlassene und Vergessene das schreckliche Getöse, nicht wissend, wie der Kampf stand, wie lange sich die Entscheidung noch hinziehen würde, und ob Florian unter den Stürmenden war. Jetzt sah sie, aus dem Fenster blickend, eine dunkle Rauchwolke sich über das Tal hinwälzen, die nur vom Schlosse kommen konnte. Es war also erobert und brannte, und sie konnte nicht hinaus, kein Retter nahte! sollte sie hier lebendigen Leibes verbrennen? Sie glaubte die Flammen rauschen und knistern zu hören und den Brandgeruch zu spüren, sie schrie, rüttelte mit der Kraft der Todesangst an Tür und Fenstergitter, – alles umsonst, sie war hilflos verloren. Da, in ihrer furchtbaren Erregung, kam ihr der Traum von der brennenden Burg ins Gedächtnis, den sie in Unterschüpf geträumt hatte. Alle Vorbedeutungen hatten sie bis jetzt betrogen, warum drängte sich nun der Traum in ihre von Entsetzen verstörten Sinne? Plötzlich klang der Riegel ihres Gefängnisses, und Judika glaubte nun ihre Stunde gekommen. Die Tür öffnete sich, und mit haßverzerrtem Gesicht kam Agathe hereingeschlüpft, zog schnell aus den Falten ihres Kleides ein blitzendes Jagdmesser und stürzte sich damit auf Judika. Diese fing den nach ihrer Brust stoßenden Arm auf und suchte der Rasenden das Messer zu entwinden. Da hörte sie von fern Florians Stimme: »Judika! Judika!« und von diesem Ruf zur höchsten Anstrengung gespornt, schmetterte sie ihre Feindin mit solcher Gewalt zu Boden, daß diese stöhnend und ächzend liegen blieb. Dann eilte sie hinaus, warf die Tür hinter sich zu und schob den Riegel vor, daß Agathe gefangen war, lief den Gang dahin und sank im nächsten Augenblick in Florians umfangende Arme.

Er mußte die an allen Gliedern Zitternde stützen und heben. Sie wußte kaum von sich selber, wußte nicht, was sie tat und was ihr geschah, fühlte nur, bis zum Herzensgrund erschauernd, wie sich auf ihre Lippen zwei andere Lippen legten und in langem, langem Kusse darauf glühten. Dann barg sie das Haupt an seiner Schulter, und außer dieser Stätte gab es zur Stunde keine Welt für sie. »O Judika!« sprach er leise. Langsam wandte sie ihm das Antlitz wie im Traume mit gesenkten Wimpern zu, und wieder ruhte Mund auf Mund. – Dann zog er sie sanft und wollte mit ihr hinaus. Sie aber sah ihm nun liebelächelnd, sprachlos glückberauscht tief in die Augen, umschlang ihn, preßte ihn an sich und ließ ihn nicht los, als wollte sie unter seinen Küssen vergehen.

Draußen war Toben und Lärmen und wüstes Geschrei. Dumpf drang das Geräusch des Kampfes von der Stadt herauf, Schüsse krachten im Tal, und hier oben war ein beständiges Dröhnen und Prasseln und lautes Stimmengewirr, wildes Rennen und Rufen, Rumoren und Streiten.

»Komm!« sprach Florian.

In seinem Arme, sich im Schreiten an ihn lehnend, ließ sie sich von ihm den einsamen Gang entlang führen zu einer Geschirrkammer in demselben Gebäude, das bis jetzt vom Feuer noch verschont war.

»Nun laßt uns voneinander scheiden,« sprach sie dort mit dem Tone schmerzlicher Entsagung und nach der gewaltigen Erschütterung mit ihrer Kraft fast zu Ende.

»Voneinander scheiden?« erwiderte er verwundert, »Judika! denkst du, ich lasse dich wieder? Du bist mein, und ich bin dein; voneinander scheiden kann uns nur der Tod!«

Sie sah ihn betroffen an: »Florian, was soll daraus werden?«

»Mein Weib! was sonst?!« rief er jauchzend.

»Dein – – dein – Weib!?« schrie sie auf. Die Augen traten ihr fast aus den Höhlen, und ihr Busen flog in stürmisch lauten Atemzügen. So stand sie starr und regungslos gleich einer Verzückten vor dem Geliebten im Begriff, an seine Brust zu stürzen. Plötzlich aber bog sie sich weit zurück, schlug die Hände vors Gesicht: »O ich Unglückselige!!« und brach in heftiges Schluchzen und Weinen aus.

»Judika, was ist?« sprach Florian erschrocken.

Sie konnte lange nicht antworten vor strömenden Tränen. Endlich stieß sie jammernd heraus: »Nie, – nie kann ich dein Weib werden!«

»Warum denn nicht?« frug er, jedes Wort betonend und sie in seinen Armen haltend.

Sie nahm alle Kraft zusammen, um sich zu fassen und noch oft vom Schluchzen unterbrochen, sprach sie erst stockend, dann immer leidenschaftlicher: »Auf meinem Leben liegt unauslöschliche Schande, – ehrlos bin ich geboren, – an meiner Mutter ist das Verbrechen begangen, an mir ist es versucht, – hier, hier auf dem Schlosse! von den Helfensteins, Vater und Sohn. Daher mein Haß, meine Rachgier, meine Verzweiflung! Darum sucht' ich den Tod, weil ich dich liebte, – und keine, keine Hoffnung, – – ach! – ich kann dein Weib nicht werden!«

»Also daher deine Rachsucht? ja, jetzt versteh' ich sie,« sprach Florian, »o Judika! noch höher halt' ich dich nun in meiner Liebe. Komm her, du Schuldlose! ich entsühne dich.« Er drückte sie an seine Brust und küßte sie heiß auf den bebenden Mund. »Judika! mit diesem Kusse schwör' ich dir: du wirst mein Weib! Es kommen andere Zeiten herauf, wir schaffen sie, schaffen sie auch für uns. Mit dem alten Recht und Unrecht wird aufgeräumt, neue Ordnungen und Zustände treten an seine Stelle, und wenn die Leiber der Menschen frei werden von den drückenden Fesseln, sollen es die Herzen nicht? Das ist auch eine Freiheit, daß das Herz nach Liebe wählt und nicht nach Rang und Stand. Wir zwei sind eins; was könnte uns noch trennen und scheiden? Fortan kämpfen wir vereint für die Freiheit und für unsere Liebe, und wenn der Sieg errungen ist, dann – dann gehören wir uns mit Leib und Seele!«

»Mit Seele und Leib!« jubelte sie und umschlang ihn und küßte ihn mit verzehrender Glut. »Dein Weib! dein Weib!« hauchte und stammelte sie wieder und wieder an seinem Halse im Überschwang von Glück und Seligkeit. –

Sie konnten sich noch nicht entschließen, das Gebäude zu verlassen. Denn hier in diesen vier Wänden gehörten sie allein sich selber an. Wenn sie diese Schwelle überschritten und sich unter die da draußen Tobenden und Lärmenden mischten, so mußten sie fremd tun gegeneinander und sich beherrschen und hüten, das ihre Herzen ganz erfüllende und berauschende Geheimnis ihrer Liebe nicht durch Wort oder Blick zu verraten. Auf einer Bank saßen sie nun Seite an Seite, unbekümmert um das, was um sie her brannte und brauste. Er hatte den rechten Arm um ihre Schulter gelegt, und sie schmiegte sich an ihn in dem stummen Wonnegefühl des in eins zusammenfließenden Mein und Dein. Florian war der Gegenwart entrückt, die Zeit stand still für ihn. Das Schloß war erobert, die Besatzung überwältigt, was weiter geschah, war ihm gleichgültig. Jetzt wollte er nur der Befreiten, der Geliebten gehören, und nichts anderes sollte in dieser Stunde höchsten Glückes den geringsten Anspruch an ihn erheben. Ihr war zumut, als wiegte sie ein berückender Traum von gestillter Sehnsucht und trüge sie über Jammer und Elend des Erdendaseins weit hinweg in das Gefilde der Seligen, in das Reich unendlicher, untrennbarer Liebe.

Seltsames Verhängnis! In diesem furchtbaren Kriege, der aus dem Hasse der Geknechteten gegen die Gebietenden wie ein gewaltsamer Ausbruch lang eingedämmter Lavamassen aus dem im Grund erschütterten Boden emporgestiegen war, hatten sich gerade die zwei Menschen in Liebe gefunden, deren Herzen von allen, die ihn mitkämpften, am lautesten und reinsten für seine großen Ziele schlugen, und deren Geister diese Ziele deutlicher und klarer erkannten als all die vielen Tausende, deren hochgeschwungene Waffen die Wege dazu bahnten. Und nun kam für die beiden, den heldenmütigen Ritter und das leidenschaftliche Weib aus dem Volke, noch ein anderes, köstliches Ziel dazu, das ihnen von der Höhe des endlichen Sieges wie eine im hellen Sonnenschein flatternde Fahne vor Augen wehte und ihnen mit goldschimmernden Hoffnungen winkte. Die mächtigsten und zugleich edelsten Gefühle, die Menschenbrust erfüllen und Menschenkraft zum Tun, zum höchsten Wetten und Wagen bewegen können, der Drang nach Freiheit und die Allgewalt der Liebe, sie lebten und webten in Florian und Judika. Einer entflammte sich an der Kampfglut des anderen, und jeder sah in dem anderen den herrlichsten Preis des Sieges, den zu erringen, wenn es das Schicksal wollte, ihnen die Liebe schärfere Schwerter in die Hände gab, als all der Haß, der im ganzen Bauernheer die Klingen wetzte.

Wie sie nun, alles andere um sich her vergessend und des Gelärms und Getümmels jenseits ihrer Schwelle nicht achtend, in vermeintlicher Sicherheit vor Störung und Gefahr hier beieinander saßen, steckte plötzlich einer der von Florian mit der Rettung Judikas beauftragt gewesenen Rottmeister seinen grauen Kopf zur Tür herein und machte dabei ein so unsagbar verschmitztes Gesicht, daß Judika unwillkürlich erröten und Florian von Herzen lachen mußte, denn beide errieten sofort die argen Gedanken des schlauen Landsknechts, ehe dieser noch ein Wort gesprochen hatte. Er schwenkte höflich den ungeheueren Hut mit der wallenden Feder und sagte mit schelmisch zwinkernden Äuglein: »Verzeiht, Herr, wenn ich hier störe! aber ich muß Euch raten, dies stille Plätzchen aufzugeben; das Feuer kommt schon ein bißchen nahe heran.«

»Danke, Schellenschmidt!« sprach Florian. »Wenn du es sagst, wird es wohl Zeit sein, das Schloß zu räumen. Sind noch Leute darin?«

»Nein, Herr! ihr zwei seid die letzten, aber ich hab' Euch draußen bewacht, damit Ihr hier –«

»Schon gut!« unterbrach ihn Florian lachend. »So kommt denn, Judika!« wandte er sich zu dieser, »daß wir uns hier nicht Haut und Haar versengen.«

Und sie verließen endlich das nun auch schon vom Feuer ergriffene Gebäude.

»Wie bist du denn aus dem Gefängnis frei geworden?« fragte Florian draußen.

»Herr des Himmels! Agathe!« rief Judika voll Schrecken aus, »sie ist darin!«

»Agathe?«

»Ja, ja! sie kam herein zu mir, um mich zu erdolchen; ich warf sie nieder und sperrte sie ein. Schnell! nur schnell, sonst ist sie verloren!«

Sie eilten zurück, um Agathe zu retten, – zu spät! Die Räume dort standen schon in heller Glut; es war unmöglich, noch einzudringen. Sie horchten, riefen, – keine Antwort, alles still; nur die Flammen loderten und rauschten.

»Sie ist verbrannt, verbrannt durch meine Schuld! ich hatte sie vergessen,« stöhnte Judika.

»Sei ruhig!« sprach Florian, »die Mörderin hat den Hexentod verdient, den sie einst dir bereiten wollte.«


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