Julius Wolff
Das schwarze Weib
Julius Wolff

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Neuntes Kapitel.

Den durch seine Tapferkeit und Kriegführung bekannten Ritter für den Aufstand zu gewinnen, war der Zweck gewesen, den Jäcklein Rohrbach bei seinem Abstecher von Schüpf nach Giebelstadt oder wenigstens in dessen Nähe im Auge gehabt hatte. Er hatte ihn durch Florians Entgegenkommen über Erwarten leicht und schnell erreicht und konnte sich nun wieder westlich aus dem bayrischen ins badische Land wenden, um sich allmählich dem Kloster Schönthal zu nähern, das auf württembergischem Gebiete lag. Sein Zug ging über die Dörfer Allersheim, Gützingen, Wittighausen und Zimmern zunächst auf Grünsfeld zu. Die armen Bewohner dieser Dörfer teilten den Hungernden von ihrer geringen eßbaren Habe so viel mit, wie sie irgend entbehren konnten, aber durch das häufigere Einkehren entstand überall Aufenthalt, und so war im Wittigbachtale die Dämmerung schon tief herabgesunken, als der Haufen endlich vor den festen Mauern des Städtchens Grünsfeld anlangte, das ihm nach kurzen Verhandlungen und den friedlichen Versicherungen des Anführers vertrauend das schon geschlossene Tor zum Einzug öffnete.

Jäcklein entschied sich, die Nacht hierzubleiben, denn an einen Weitermarsch in der Dunkelheit über die bewaldeten Berge war nicht zu denken und der Weg über Lauda zu weit. Die Einwohner von Grünsfeld hießen den Haufen, dem sich noch viele Bauern aus den durchzogenen Dörfern angeschlossen hatten, zwar nicht gerade freudig willkommen, gewährten ihm aber doch gutwillig Speise und Trank und Herberge unter Dach und Fach für die Nacht. Jäcklein sorgte dafür, daß Judika ein besonderes gutes Unterkommen in einem der angesehensten Bürgerhäuser fand, und folgte dann selber der Aufforderung eines Ratsherrn, bei ihm zu wohnen, der sich ihm als einen aufrichtigen Freund der Volksbewegung zu erkennen gegeben hatte.

Judikas Wirt, namens Haberkorn, war ein Kaufmann, der mit allerhand einheimischen und ausländischen Waren Handel trieb und sich, seinem ganzen Hausstande nach zu urteilen, in guten Verhältnissen zu befinden schien. Seine Familie bestand aus einer verständigen, freundlichen Frau, einem fast zum Manne gereiften Sohn, der ihm in den Geschäften tätig zur Hand ging, und zwei blühenden Töchtern von zwanzig und achtzehn Jahren.

Mutter und Töchter, anfangs gleich allen übrigen Bewohnern über das Eindringen bewaffneter Scharen in die Stadt erschrocken, dann aber von deren friedlichen Absichten unterrichtet und beruhigt, waren darauf gefaßt gewesen, daß ihnen der Vater einen oder ein paar grobkörnige Bauern als Einquartierung ins Haus bringen würde, und waren nun nicht wenig erstaunt, als er mit einem hochgewachsenen weiblichen Wesen ankam, in dem sie im ersten Augenblick eine dem Zuge der Bauern folgende Landstreicherin vermuteten, dessen äußere Erscheinung in den Gesichtszügen sowohl wie in Haltung und Bewegung sie dann aber, bei näherer Betrachtung, mit den umherschweifenden, aufrührerischen Banden gar nicht in Einklang zu bringen wußten. Vollends nach der gegenseitigen Begrüßung, bei der Judika eine Sicherheit und Gewandtheit zeigte, die einen achtunggebietenden Eindruck auf ihre Wirte machte, ward es ihnen klar, daß dies nicht die Frau oder Tochter eines gewöhnlichen Bauern sein konnte, und Frau Ursala Haberkorn war geneigt, die Fremde für eine von den Bauern aufgegriffene vornehme Gefangene zu halten, die sie vielleicht als Geißel mit sich herumschleppten, bis Judika ihren langen Mantel ablegte und nun in dem schlichten schwarzen Kleide dastand, das ihre kräftige Gestalt eng anliegend umschloß und nichts ritterlich Prunkendes und Schmückendes hatte. Während sie von der jüngeren Tochter in eine reinliche Kammer geleitet wurde, wo sie ein gutes Bett und Waschgerät fand, berichtete der Mann seiner Frau und der älteren Tochter, was er in der Eile von Jäcklein Rohrbach über Judika erfahren hatte. Dann wurde der Abendtisch gedeckt, und als sich die Familie mit Judika daran niederlassen wollte, kam auch Vinzenz, der Sohn, nach Hause, der sich auf Markt und Gassen unter die Bauern gemischt und von ihnen Neuigkeiten zu erkunden gesucht hatte, die er nun den Seinigen hier mitteilen konnte.

Auch er stutzte, als er Judikas ansichtig wurde, und während er bei Tische das draußen Vernommene vortrug, haftete sein Blick unablässig an dem schönen, ausdrucksvollen Antlitz und dem herrlichen Wuchs der ihm gegenübersitzenden Jungfrau, die sich so taktvoll und schicklich benahm und mit ihrer tiefen, klangvollen Stimme so fesselnd sprach, wenn sie das, was er erzählte, bestätigte oder berichtigte und ergänzte. Ihr Wesen hatte allerdings etwas Unwiderstehliches an sich, das bestach, ohne daß sie bestechen wollte, denn sie war eine andere hier in der Gesellschaft wohlgesitteter Bürgersleute, als wenn sie unter freiem Himmel den tobenden Bauern Aufruhr und Rache predigte oder sich deren unbotmäßigem Treiben und wüsten Reden furchtlos und derb widersetzte.

Das Gespräch drehte sich anfangs hauptsächlich um das große Ereignis des Tages, um den Eintritt des Ritters Geyer von Geyersberg in den Bund der Bauern, und Judika mußte alle Einzelheiten des Vorganges, dessen Zeugin sie gewesen war, zum besten geben, wobei ihre Augen manchmal wunderbar aufleuchteten und ihre Stimme zuweilen leise bebte, als würde sie dabei unwillkürlich von einer inneren Bewegung ergriffen. Dann aber, auf eine dahin tastende Frage der Hausfrau, berichtete sie auch von ihrem bisherigen Leben und von ihrer auf dem Helfenstein'schen Grafenschlosse verbrachten Kindheit und Jugend so viel, wie ihr davon mitzuteilen gut deuchte. Ihre Beweggründe und ihren Entschluß, mit den Bauern in den Kampf um die Freiheit zu ziehen, tat sie mit kurzen Worten ab und deutete nur flüchtig an, daß sie ihre Zeit zu handeln und ihre wahre Aufgabe erst dann für recht gekommen erachte, wenn die einzelnen Haufen zu einem einzigen großen Heere unter tüchtiger Führung vereinigt sein würden. Man drang auch nicht in sie, sich darüber näher zu erklären und erschöpfte sich nicht im Auskramen von Schauergeschichten und von Beschwerden und Klagen. Doch vergaß Judika nicht, ihre völlige Unabhängigkeit zu betonen, um ihren ehrbaren Wirten zu verstehen zu geben, daß sie zu keinem der Bauern, auch nicht zu deren Anführer in einem unerlaubten Verhältnis stünde. »Aber alle nennen sie mich ihr schwarzes Weib, und mein Herz gehört doch keinem einzigen von ihnen,« schloß sie lächelnd und leerte dann mit hohem Schwunge ihren Zinnbecher, als tränke sie in Gedanken auf das Wohl eines Abwesenden.

Seit Jahren zum ersten Male wieder saß Judika hier in einem behäbig eingerichteten Zimmer, an einem appetitlich gedeckten, mit Speis' und Trank reichlich besetzten Tisch unter Menschen, mit denen sie in ihrer anerzogenen Sprache reden konnte und deren Augen teilnahmsvoll an den Lippen ihres ungebetenen und doch so freundlich aufgenommenen Gastes hingen.

Welch ein Lichtstrahl war dies gegen die Dunkelheit ihres kümmerlichen Unterkriechens in den letzt vergangenen Tagen und ihres armseligen Daseins im Dorfe Böckingen! Ein warm anheimelndes, lange nicht mehr gekanntes Gefühl von Behaglichkeit und Lebensfreude durchströmte sie und ließ sie fast vergessen, daß sie zu den Unterdrückten gehörte, die mit hungrigem Neid das Wohlleben der Besitzenden sahen und ihnen die Vorrechte des Genießens mit rücksichtsloser Gewalt nehmen wollten. Diese einträchtige Familie hier wohnte sorgenfrei und zufrieden am eigenen Herde, unberührt von der Not des Lebens und unangefochten von den Händeln der Parteien, sich ihrer Liebe und ihres Glückes freuend und nach besserem Lose nicht verlangend. Wenn Judika nun auf ihre trauliche Umgebung hier und in die frohmutigen Gesichter blickte, so fühlte sie doch wieder den schweren Druck, der auf ihrer Seele lastete, und fragte sich im stillen: warum können es nicht alle so gut haben wie diese hier? oder wenigstens warum haben nicht alle ihr bescheidenes, genügendes Auskommen als Lohn für ihre Müh und Arbeit? ja, warum? Dann stieg der Haß wieder in ihr auf und wühlte und bohrte in ihrem Innern, und der Vergleich ihres eigenen Schicksals mit dem ihrer friedfertigen Wirte drängte sich ihr unabweislich auf. Seit länger als einer Woche zog sie mit den Bauern und zum Teil recht rohen Gesellen rastlos und unstet umher, harten Anstrengungen und Entbehrungen unterworfen, allerlei schmählichen Verdächtigungen und Spottreden ausgesetzt, die ihr an die Ehre gingen, und das alles bis jetzt noch ruhmlos und erfolglos. Wenn sie sich aber erinnerte, wofür sie das tat, mit welchen Hoffnungen und zu welchen Zwecken, – daß es geschah, um der Freiheit den Sieg zu erringen und das Los der Armen zu erleichtern und zu verschönern, dann schlug ihr das Herz wieder höher in der Brust, und sie gelobte sich, nicht abzulassen von dem, was sie freiwillig auf sich genommen, sondern sich mit freudiger Hingebung und unermüdlicher Tatkraft bis zum letzten Atemzuge der heiligen Sache zu weihen.

So wechselten während des Mahles, das sich unter lebhaften Gesprächen bis in die Nacht ausdehnte, die Stimmungen in Judika und mit den Stimmungen, denen sie manchmal zornsprühende, manchmal hoffnungsvolle, begeisterte Worte lieh, wechselte auch der Ausdruck ihres Gesichtes und der Klang ihrer Stimme. Oft flammten ihre Augen, oft bebten ihre Lippen, und das glänzende, rabenschwarze Haar wallte ihr in starken Ringeln ums Haupt, daß sie schön und herrlich aussah in ihrer jugendlich stolzen Kraft und Entschlossenheit, womit sie alle hier in dem kleinen Kreise bannte und bezauberte.

Zuweilen jedoch, wenn sie sich unbedacht und von den Gefühlen des in ihr gärenden Hasses überwältigt, gehen ließ, kam das Verwegene und Abenteuerliche, das ihrem Wesen von der Gewöhnung ihres Zusammenlebens mit den Bauern anhaftete, in einer erschreckenden Weise zum Vorschein und ein paarmal selbst eine ungezügelte Wildheit in ihr zum Ausbruch, die ihren Wirten ein heimliches Grauen vor ihr einflößten. Aber diese fast dämonische Leidenschaftlichkeit hatte etwas Naturwüchsiges, das ihre Hörer mit fortriß und zugleich mit ihrer herausfordernden Kühnheit versöhnte, so daß sich alle sagen mußten: Ja, der werden die streitbaren Männer folgen, wohin dieses wunderbare Weib voranschreitend sie führt!

Endlich erhob man sich vom Tische und begab sich zur Ruhe. Die beiden jungen Mädchen geleiteten Judika in ihr sauberes Stübchen, wünschten ihr eine gute Nacht und ließen sie allein. O mit welch unsagbar wohligem Gefühl streckte sie sich zwischen den weißen Linnen ihres Bettes aus, das ihr köstlicher deuchte, als das, in dem sie so lange Jahre auf Schloß Weinsberg geschlafen hatte! Nach den letzten unruhig verbrachten Nächten und dem heutigen anstrengenden Marsche verlangte die Natur ihr Recht und versenkte die Müde schnell in einen tiefen, erquickenden Schlummer, der bis an den lichten Morgen währte.

Als sie vom Schlafe erwachte und um sich schaute, mußte sie sich erst besinnen, wo sie sich denn eigentlich befände und wie sie hierhergekommen wäre. In den nächsten Augenblicken aber wurde sie sich über alles klar, dehnte und reckte den Körper und die Glieder in den wonnigen Empfindungen der genossenen Ruhe und der gesammelten Lebenskraft und lächelte glückselig vor sich hin wie in der süßen Erinnerung an einen soeben gehabten entzückenden Traum. Da es noch ganz still im Hause war, rückte sie sich noch einmal recht bequem und schmiegsam auf dem warmen Lager zurecht und durchdachte die Erlebnisse des vorangegangenen Tages.

Da trat vor ihre geschlossenen Lider, alles andere verdeckend und verdrängend, eine hohe, männlich blühende Gestalt, von der sie den inneren Blick nicht wenden konnte. Es war Florian Geyer, den sie gestern vor tödlichem Stoße geschützt und der ihr zum Dank dafür den Rat gegeben hatte, nach Hause zu gehen und dem großen Kampfe fernzubleiben. Sie sann jetzt nicht darüber nach, warum er ihr diesen Rat erteilt hatte, ob er sie wirklich für zu gut hielt, wie er sagte, oder ob er sie als Weib für zu schwach ansah, das Höchste zu wagen. Jedem anderen Rat aus seinem Munde hätte sie vielleicht ein williges Ohr geliehen, nur diesem nicht. Nimmer und nimmer wollte sie von dem Kampfe lassen, und nun er selber, der Ritter, mit der Wucht seines Schwertes und seines Namens mit in ihn hineinging, – nun erst recht nicht! An seiner Seite zu kämpfen schien ihr das schönste Los, das ihr auf Erden zuteil werden könnte. Etwas, nein vieles an ihm zog sie mächtig an, und wenn sie sich auch noch hart dagegen sträubte, so fühlte sie doch, ahnte sie wenigstens, leise davor erschauernd, einen kommenden Einfluß von ihm auf sie und ihr Tun und Denken, dem sich zu entziehen sie vielleicht nicht lange mehr die genügende Kraft haben würde. Eines bereute sie tief aus ihrem gestrigen Gespräch mit ihm: daß sie seinen Verdacht, als stünde sie in einem vertrauten Verhältnis zu Jäcklein, nicht sogleich mit entschiedenen Worten beseitigt hatte. Immer noch klang ihr sein mitleidiges »Schade, schade um Euch, Judika!« vorwurfsvoll in den Ohren. Es empörte sie jetzt noch, und sie beschloß, seinen sie verletzenden Irrtum bei der nächsten Begegnung aufzuklären. Er sollte wie ihren Mut und ihre Kraft so auch ihr reines, unbezwungenes Herz kennen lernen, sollte ebensoviel Respekt vor ihr haben, wie sie vor ihm hatte.

Nach diesem Entschlusse kam wieder eine ruhigere Stimmung über sie, und das Bild des ritterlichen Mannes schwebte nun wieder mit freundlicheren Zügen vor ihrer Seele, bald näher, bald ferner, als sähe sie ihn wieder wie gestern langsam von dannen reiten. Sie hatte seinen sie vom Sattel aus vergeblich suchenden Blick wohl bemerkt und sich dadurch still beglückt gefühlt, und auch sie hatte von ihrem Versteck aus ihm gedankenvoll, beinah sehnsüchtig nachgeschaut, ohne daß er es ahnte. Zum Vollmond in Schönthal sollte sie ihn wiedersehen; – wird er bis dahin wohl auch einmal an sie denken wie sie jetzt an ihn?

Aus dem halbwachen Dahinträumen, in das sie schmeichelnde Wahngebilde sanft eingewiegt hatten, weckte sie Geräusch im Hause. Schnell verscheuchte sie die flitternden Hirngespinste und kehrte mit klaren Sinnen zu Gegenwart und Wirklichkeit zurück. Dann kleidete sie sich an und ging hinab ins Wohngemach.

Die Familie war hier bereits vollzählig versammelt, und als Judika erschien, allseitig begrüßt und nach ihrer nächtlichen Ruhe befragt war, kamen auch zwei Gehilfen des Kaufmanns und die Dienstboten herein, um nach altem, gutem Brauch am Morgenimbiß teilzunehmen. Alle reihten sich um den Tisch, und der Hausherr sprach ein Gebet, dem sie stehend mit gesenktem Haupt und gefaltenen Händen zuhörten. So tat auch Judika. Als Haberkorn aber am Schlusse seines Gebetes mit einigen besonderen Worten ihrer gedachte und in ihrem gefahrvollen Unternehmen den Schutz des Höchsten für sie erflehte, hob sie das Haupt mit einem dankbaren Blick zu dem Redenden. Dann setzte man sich und sprach dem einfachen Frühmahle wacker zu. Judika war, während sie aß und trank, meist still und in sich gekehrt; auf ihrem Antlitz lagerte ein tiefer Ernst, und sie schien mit ihren Gedanken weit ab zu sein von diesem häuslichen Kreise, aus dem sie nun wieder scheiden sollte. Die Familienglieder begriffen dieses Schweigen und ehrten es. Mußte doch die unerschrockene, kampfmutige Jungfrau, die unter diesem Dache nur eine Nacht den Schutz und behaglichen Frieden des Hauses genossen hatte, nun wieder hinaus in feindliches Treiben, inmitten einer wüsten Gesellschaft tausend unberechenbaren Zufälligkeiten, Widerwärtigkeiten und Gefahren preisgegeben. Allein es war ihr Wille und fester Entschluß, für den sie erglühte, und mochte sie sich auch fragen: wann wirst du einmal wieder eine so Leib und Seele erquickende Aufnahme finden wie hier? so war doch das Endziel all ihres Wagens kein anderes, als den Dürftigen, den hart Entbehrenden ein annähernd so freies, friedliches und wohliges Dasein zu verschaffen, wie sie es in so hoch erfreulicher Weise in diesem Hause hier gesehen hatte.

Das Gesinde hatte längst das Zimmer wieder verlassen, und die Familie saß noch in ruhiger, öfters stockender Unterhaltung, als der schrille Ton einer Querpfeife durch die Gassen tönte und die Bauern zum Sammeln und zum Aufbruch rief. Mit warmen Dankesworten verabschiedete sich Judika von ihren gütigen Wirten, doch Vater und Sohn ließen es sich nicht nehmen, sie zum Sammelplatz zu geleiten.

Es war heut ein kühler, trüber Tag. Dunkle Wolken jagten am Himmel dahin; durch die engen Gassen, um Dächer und Giebel brauste der Wind, daß die Wetterfahnen auf ihnen knarrten und kreischten.

Auf dem Marktplatz war schon ein krauses Durcheinander und lautes Streiten. Jäcklein Rohrbach hatte es beim Rate der Stadt nach heftigen Auftritten und zornigen Erklärungen durchgesetzt, daß ihm aller Vorrat an Pulver, Blei und Steinen, alle Waffen und alles sonstige Rüstzeug, das die Bürgerschaft besaß, ausgeliefert werden mußte. Das wurde nun widerwillig herbeigeschafft. Jäcklein aber war wenig zufrieden mit der gemachten Beute, die er sich größer gedacht hatte, argwöhnte, daß man ihnen noch vieles heimlich vorenthielte, und drohte, die Häuser nach Waffen durchsuchen zu lassen, wenn man ihm nicht alles herausgäbe, was er sich beim Rate ausbedungen, und was ihm dieser teils aus Furcht, teils in stiller Anhängerschaft an die Sache der Bauern auch zugesagt hatte. Da wurde nun noch manches an Waffen und Rüstung herbeigeschleppt, und es begann die Verteilung an die Bauern, die nicht ohne Hadern, Schelten und Streiten abging, so daß Jäcklein oft mit aller Strenge gegen die Unzufriedenen einschreiten mußte. Mit Spießen, Schwertern, Hakenbüchsen, mit einzelnen Brustharnischen und Sturmhauben wurden sie versehen, die sie nun prüften und anlegten und sich gleich noch einmal so kriegstüchtig damit vorkamen, sich demgemäß prahlerisch gebärdend. Das wichtigste, was man erwischt hatte, waren zwei Feldschlangen und ein paar Karren mit Pulver und Steinen nebst sechs Pferden als Bespannung, die von der Stadt zwangsweise gestellt werden mußten, ein Gewinn, auf den Jäcklein besonders stolz war.

Als Judika mit ihren Begleitern kam, trat ihr Jäcklein entgegen und reichte ihr einen Spieß mit schlanker, stahlblitzender Klinge und eiserner Spitze am Fußende, der leicht und doch fest war und ihren Scheitel mehr als eine Spanne lang überragte. »Da! hier hast du einen schönen Spieß, mit dem du dich deiner Haut wehren kannst, wenn es darauf ankommt!« sprach er lachend.

Sie wog den Spieß in der Hand, schwang ihn mit kräftigem Arm und entschied: »Gut, der gefällt mir!«

»Und hier,« fuhr er fort, einem jungen Bauern ein Kettenhemd aus der Hand nehmend, »hast du auch einen Panzer, zieh ihn einmal an, ob er dir paßt und – vorn um das stolze Gewölbe hier weit genug ist.«

Sie warf den Mantel ab und ließ sich den Panzer anlegen. Er verschönte ihre schlanke Gestalt keineswegs, saß aber gut, nur daß er ihr über der Brust allerdings zu eng war. Sie zog und zerrte daran herum und sprach dann: »Nein, den trag' ich nicht, ich kann nicht atmen darin.« Und ihn schnell wieder abtuend und zurückgebend, fügte sie hinzu: »Ich brauche auch keinen Panzer, mich schützen höhere Mächte.«

»Die liebe Eitelkeit steckt doch in jedem Weibe,« spottete Jäcklein. »Hier ist doch kein Spiegel, der dir das Stahlhemd verleiden könnte? Nun, wie du willst! ich habe nicht Zeit, dir lange zuzureden.« Damit wandte er sich ab.

Einer der umstehenden Bauern flüsterte dem anderen zu: »Hast du's gehört, was sie sagte, Fritz Fischediek? Mich schützen höhere Mächte!«

»Ja, ja,« erwiderte der Angeredete, »die weiß mehr als unsereins, Barthel Klughammer! ich wette, was du willst: das schwarze Weib steht mit Geistern im Bunde, die sie fest und gefroren machen.«

Die Rotten waren zum Abmarsch bereit, und auf das gegebene Zeichen setzten sie sich in Bewegung. Nach einem nochmaligen kurzen Abschied von den beiden Haberkorns schloß sich Judika dem Haufen an. Frank und frei, erhobenen Hauptes schritt sie dahin, den Speer in der Hand, eine siegessichere Göttin des Krieges. Der Wind spielte mit ihrem Haar, daß es ihr anmutig um Stirn und Schläfen flatterte; ihr Antlitz aber hatte einen unnahbar strengen, entschiedenen Ausdruck, als hätte sie in ihrem Innern mit etwas abgeschlossen, das hinter ihr lag und ihr den steten, scharfen Blick auf das Kommende nicht mit rührenden Erinnerungen oder blendenden Hoffnungen verschleiern sollte.

Der Zug ging zu einem anderen Tore hinaus, als durch welches er gekommen war, auf der Straße nach Lauda zu; an seinem Ende, unter Bedeckung, rasselten die beiden Feldschlangen mit den Stein- und Pulverkarren.

Die Haberkorns folgten Judika mit den Blicken, solange sie sie sehen konnten. »Ein tüchtig Weib!« sprach der Vater, »die hat das Herz auf dem rechten Flecke!«

»Ja, Vater!« erwiderte der Sohn, »hätte sie zu mir gesagt: komm mit! – ich wäre mit ihr gezogen bis an das Ende der Welt!«


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