Julius Wolff
Das schwarze Weib
Julius Wolff

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Sechstes Kapitel.

Erst am Abend war der reitende Bote zurückgekehrt und hatte Jäcklein befriedigende Nachricht gebracht. Nun ging der Zug am andern Morgen von Bütthard, dessen Bewohner, ohne Anlaß zu einer Klage zu haben, froh waren, mit den lieben evangelischen Brüdern noch so leidlich fertig und sie glücklich wieder los geworden zu sein, über Höttingen und Euerhausen und dann in gerader nördlicher Linie nach Giebelstadt zu. Der Haufen marschierte unterwegs weit auseinandergezogen; die Leute wußten jetzt das Ziel, waren auf Kampf und Erstürmung der Burg gefaßt und freuten sich schon auf Plündern und Beutemachen.

Mitten im Haufen, einsam und schweigsam, schritt Jäcklein Rohrbach, in tiefen Gedanken sich überlegend, ob er seine wenigen Vertrauten und Unterführer in das, was er hoffte und plante, einweihen oder ob er das Kommende still abwarten und je nach Gestaltung der Dinge seinen Entschluß fassen und sein Handeln einrichten sollte. Er zog das letztere vor, seiner Kraft und seiner Entschiedenheit vertrauend.

Mehrere Schritte hinter ihm, ebenso allein und schweigsam wie er, ging Judika, die bei der ihr dankbaren Schankwirtin wieder ein leider nur dürftiges und unbequemes Nachtlager gefunden hatte und deshalb von dem unruhigen, spärlichen Schlafe wenig erquickt war. Stirn und Antlitz waren ihr wie von Sorgen verschleiert; sie sah und hörte nichts um sich her; den starren Blick vor sich auf den Weg gerichtet, dachte sie nur an das, was die nächsten Stunden bringen würden und in welcher Weise sie dabei handelnd eingreifen konnte und sollte.

Jäcklein hatte auch ihr nicht gesagt, was er mit dem Ritter auf Burg Giebelstadt im Sinn hatte, ob Verhandlungen oder Kampf, und nach den wenigen Worten, die sie gestern morgen über Geyer von Geyersberg mit ihm gewechselt und wobei sie von Jäcklein keine bestimmte Antwort, sondern nur eine scharfe Zurechtweisung erhalten hatte, mochte sie ihn nicht danach fragen.

Wenn Jäcklein die Burg belagern und stürmen wollte, so hatte er dabei den ganzen Haufen hinter sich, dem es in Kampf und Raub gar nicht wild und toll genug hergehen konnte. Sollte sie als Weib dem allein die Stirn bieten? Das wäre viel gewagt, denn sie setzte damit ihren kaum gewonnenen Einfluß aufs Spiel und konnte ihn vielleicht für immer dabei verlieren. Freilich, wenn sie mit ihrem Willen gegen das Gelüst des ganzen Haufens obsiegte, so war sie mehr als Jäcklein die Herrin und Führerin, der man folgte und gehorchte; wenn sie aber unterlag, so war ihre Macht gebrochen und sie selbst dem Argwohn preisgegeben, daß sie zwar große Worte machen, aber wenn es sich um Taten handelte, ihren kühn ausgesprochenen Grundsätzen nach wechselnder Neigung und weibischer Laune treu bleiben oder abtrünnig werden könnte. Das machte sie sich beim einsamen Schreiten mitten in dem lärmenden Haufen vollkommen klar und kam trotz allem Überlegen doch nicht zu einem Entschluß, was sie tun oder lassen sollte. Aber die Entscheidung war, auch ohne ihr Dazutun, näher, als sie ahnte.

Als der Zug nicht weit mehr von dem Dorfe Herchsheim war, erhob sich an seiner Spitze plötzlich ein lautes, wüstes Geschrei. Ein Drängen und Laufen nach vorwärts entstand, und Rufe tönten: »Da vorn haben sie einen! einen Junker! kommt! kommt! der soll dran glauben!«

Jäcklein wandte sich nach Judika um und rief ihr zu: »Judika, – rasch!« Dann stürmte auch er vorwärts und war bald im Gewühl verschwunden.

Über den Köpfen der sich vorn immer dichter Ansammelnden erblickte Judika drei Reiter emporragen, einen Ritter mit zwei Knechten. Sofort erkannte sie ihn, – es war Florian Geyer von Geyersberg. Mit starren, weit aufgerissenen Augen stand sie wie angewurzelt, die Füße versagten ihr den Dienst. Da sah sie des Ritters Klinge über seinem Haupte blitzen, und nun stürzte sie ohne jedes Besinnen mitten in den Haufen hinein, um eilig zu dem Bedrohten vorzudringen.

Der Ritter war in schwieriger Lage. Die Bauern umtobten ihn, die Waffen schwingend, die Fäuste gegen ihn schüttelnd, und schrien durcheinander: »Herunter vom Gaul! stoßt ihn nieder! in die Gasse mit ihm! in die Spieße! Dein Blut her, du Blutsauger!« so daß er nicht zu Worte kommen konnte, weil seine Entgegnungen von dem gewaltigen Lärm verschlungen wurden. Zwei wilde Gesellen hatten dem Roß in die Zügel gegriffen, da holte er mit dem Schwert zum Schlage aus und rief: »Zügel los! oder –« doch er haute noch nicht zu, sondern ließ das Roß steigen, daß es mit den Vorderfüßen in der Luft schlug und die Bauern loslassen und zurückweichen mußten. Nun bekam er selber mit seinem Pferde zu tun, das scheu gewordene Tier zu beruhigen, und niemand wagte sich jetzt an ihn heran. Aber seine beiden Knechte wurden von den Pferden heruntergerissen, und in dem Raufen und Kämpfen floß auf beiden Seiten Blut, bis die Zwei von der Überzahl bewältigt und entwaffnet waren.

Jetzt kam Jäcklein und sprang dazwischen. Mit dem Schwertknauf rechts und links um sich schlagend, bahnte er sich den Weg, stellte sich, ihn deckend, vor den Ritter und schrie: »Zurück! es ist der Ritter Geyer von Geyersberg! wer ihn anrührt, ist des Todes!« Aber die Wütenden hörten nicht auf ihn, sie streckten die langen Spieße gegen ihn vor, daß er mit dem Schwert nichts gegen sie ausrichten konnte, und es kam zur offenen Empörung gegen den eigenen Führer. »Weg da!« schrien sie ihn an, »sonst spießen wir dich selbst! Willst du einen Junker beschützen? Verräter! nieder mit dem Junker! wir wollen sein Blut sehen!« Andere riefen dazwischen: »Halt! halt! noch nicht! laßt ihn in den Bund schwören!« und dann wieder: »Nein! nein! er muß sterben!« Einige wenige, die den Ritter kannten, stellten sich auf Jäckleins Seite, und nun kam es zum Ringen unter den Bauern selber. Jäcklein schlug blind um sich, und ein paar Angreifer wurden von seinen Streichen verwundet.

Da spornte der Ritter sein Roß in den Haufen hinein, daß alle mit lauten Flüchen und Verwünschungen zur Seite wichen; aber plötzlich riß er es jäh zurück, daß es sich noch einmal bäumte. Er hatte dicht vor sich in dem Knäuel ein Antlitz gesehen, dessen Erscheinen ihn aufs höchste überraschte: Judika unter den Bauern! Ihre Blicke hatten sich getroffen; erschrocken und streng war der seinige gewesen, angstvoll und verlegen der ihrige; sie war marmorbleich. In seinem Erstaunen hatte er auf nichts anderes geachtet und nicht bemerkt, wie ein Bauer auf ihn lossprang und heftig mit der Hellebarde nach ihm stach. Mit Blitzesschnelle aber und mit überweiblicher Kraft hatte Judika im Augenblick den Schaft des Spießes gepackt und mit einem Ruck aus seiner Richtung gerissen, so daß die Eisenspitze des Ritters ungepanzerte Brust nicht traf, sondern dicht daran vorüberfuhr.

Von der Wucht des Stoßes war Judika zu Boden geworfen. Jäcklein sprang herzu, sie aufzuheben, aber viele, die den Vorgang nicht genau gesehen hatten, glaubten, sie wäre schwer verwundet oder gar getötet. Sie schrien unwillkürlich auf und umringten mit dem klagenden Ruf: »unser schwarzes Weib! unser schwarzes Weib!« die fast Bewußtlose, deren Brust in der furchtbarsten Erregung wogte. Jäcklein bemühte sich fast zärtlich um sie, aber sie wies mit einem Wink der Hand seine Sorge als unnötig ab, und er hatte jetzt nicht Zeit, sich länger mit ihr zu beschäftigen, denn die Bauern wandten sich aufs neue erbost gegen den Ritter, den sie mehr als den Angreifer, der den Stoß geführt hatte, für den Vorfall verantwortlich machten und an dem sie Judikas Verwundung auf der Stelle blutig rächen wollten.

Der äußerst Gefährdete aber hielt das Schwert hoch und rief laut in den wütenden Haufen hinein: »Gebt Frieden! ich gehöre zu euch und eurem Bunde!«

Da standen sie starr und stumm, keiner rührte sich, keine Waffe erhob sich mehr gegen ihn.

Er schwang sich vom Pferde, schritt auf Jäcklein zu, und ihm die Hand bietend sprach er halb zu ihm, halb zu den nächsten Umstehenden gewandt: »Ihr braucht seltsame Mittel, Bundesgenossen zu werben. Kennt ihr mich denn nicht? ihr habt keinen besseren Freund eurer Sache als mich, euren Bruder Florian Geyer!«

»Verzeiht, Herr!« erwiderte Jäcklein. »Ich hatte Euch gestern einen reitenden Boten gesandt, Ihr möchtet mich heut auf Eurer Burg erwarten. Ich hätte nicht stürmen lassen, sondern wäre zu Euch gekommen, mit Euch zu verhandeln, denn ungefähr wußte ich, wessen wir uns zu Euch zu versehen hatten.«

»Recht so, Jäcklein Rohrbach!« nickte der Ritter. »Ich wollte Euch auf halbem Wege entgegenkommen, und zu verhandeln brauchen wir nicht mehr. Hört mich, ihr Bauern!« fuhr er mit erhobener Stimme zum Haufen gewendet fort, »hier recke ich meine rechte Hand zum Himmel empor und schwöre mich auf die zwölf Artikel mit Leib und Leben in den evangelischen Bund, mit euch für die Freiheit unseres Volkes zu kämpfen, solange dieser Arm ein Schwert schwingen kann!«

Da jauchzten und johlten und brüllten ihm die rauhen Bauernkehlen zu, als hätten sie einen großen Sieg errungen, und Jäcklein Rohrbach schüttelte ihm kräftig die Hand. Manche aber, die sich schon auf die Plünderung seiner Burg gefreut hatten, blickten mißmutig und scheel zu dem Ritter hinüber und raunten sich zu: »Traut ihm nicht! er ist ein Junker wie alle; heute gelobt er sich uns, weil er nicht anders kann, um sich zu retten, und in ein paar Tagen wird er mit seinesgleichen über uns herfallen, wenn sie die Macht dazu haben.«

Florian Geyers Blicke schweiften umher, als suchten sie etwas, was sie nicht fanden. »Wo ist Eure Frau?« sprach er zu Jäcklein, »ich muß ihr danken.«

»Sie ist nicht meine Frau,« antwortete Jäcklein verlegen.

»Nicht Eure Frau?« – was denn? schwebte die Frage auf Florians Lippen, aber er sprach sie nicht aus, sondern schaute finster vor sich nieder.

Judika war wie in den Boden gesunken und nirgends zu finden. Sie hielt sich absichtlich verborgen, weil sie dem Ritter hier nicht vor Augen treten wollte, geleitet von einem Gefühl der Angst und Scheu, über dessen Ursachen sie sich keine Rechenschaft geben mochte.

In Jäcklein wühlte ein unbändiger Grimm über die im Haufen gegen ihn ausgebrochene Empörung während des Streites um den Ritter. Er wollte ein abschreckendes Gericht halten. »Stricke her! an die Bäume mit den Schuften!« rief er wütend, »ich kenne sie, ich finde sie heraus, die niederträchtigen, die verlotterten Gesellen!« Die Unterführer und einige ältere Bauern boten alles auf, ihn zu besänftigen und ihm zu raten, die Strenge nicht bis zum alleräußersten zu treiben; die Leute hätten den Ritter nicht gekannt und nicht gewußt, daß er mit ihnen gemeine Sache machen wolle. »Was da!« rief Jäcklein, »wer es wagt, sich mir zu widersetzen, wer mir den Gehorsam weigert, der hat das Leben verwirkt.« Florian Geyer legte sich ins Mittel und suchte den Aufgeregten zur Milde zu bestimmen. »Ich möchte meinetwegen keinen gehenkt sehen,« sprach er, »jagt die Meuterer von dannen, und damit laßt es gut sein.«

»Das ist das wenigste, und nur Euch zu Gefallen!« erwiderte er heftig, drängte sich ungestüm in den Haufen hinein, suchte sich mit rachefunkelnden Augen die Übeltäter heraus, packte diesen und jenen am Kragen und im Genick und trieb sie, einen auf den anderen stoßend, mit Püffen und Fußtritten vor sich her. »Weg mit euch Schandbuben! fort aus dem Haufen!« schrie er, »und daß mir keiner von euch noch einmal begegne!«

Nicht einer von den Ausgestoßenen wagte es, sich dem in seinem Jähzorn Furchtbaren tätlich zu widersetzen, zumal sie merkten, daß sie keinen Beistand von den anderen zu erhoffen hatten. Ihrer Zwanzig etwa nahmen den Spieß auf die Achsel und zogen brummend, höhnend und fluchend ab, dem Walde zu, eine Räuberbande auf eigene Faust bildend, – wehe dem Hof und Herd, wo sie einfielen!

»So! nun beruhigt Euch!« sprach Florian Geyer zu Jäcklein, als sich dieser, immer noch sehr erregt, wieder zu dem Ritter gesellte. »Kommt in das Dorf! für einen Trunk habe ich dort gesorgt, denn in meiner Burg ist nicht Platz für euch alle; bin auch ein lediger Mann und habe keine Hausfrau, die euch bewirten könnte.«

Das Wort von einem Trunk hörten alle gern, die es vernommen hatten, und der Zug wandte sich nun dem Dorfe Herchsheim zu. Einer von des Ritters Knechten führte dessen Pferd am Zügel, und Florian schritt an Jäckleins Seite dem Haufen voran.

Florian Geyer von Geyersberg, ein Mann ungefähr in der Mitte der Dreißig, war eine stattliche, echt ritterliche Erscheinung, von hoher, kräftiger Gestalt mit klar und fest blickenden Augen in dem freien, offenen Antlitz, das von hellbraunem Haar und kurzgehaltenem Bart umgeben war. Über seine linke Schläfe lief eine Narbe, die er aus einem Gefecht unter Franz von Sickingen davongetragen hatte. Aber diese Narbe war nur das äußere Denkzeichen seiner ehemaligen Verbindung mit dem bedeutenden Manne, denn tiefinnere seelische Beziehungen hielten beide miteinander verknüpft. Florian war öfter Gast auf der Ebernburg gewesen, wo Sickingen, den man, wie Kaiser Max den letzten Ritter, den letzten wahren deutschen Freiherrn nannte, einen mit großem Reichtum geführten, geradezu fürstlichen Hof hielt und viele der neuen Geistesrichtung angehörende Gelehrte um sich versammelte. Von den dort geführten religiösen und philosophischen Gesprächen, denen er zwar nicht überall folgen konnte, mächtig angeregt, von Sickingens hochfliegenden Plänen zur nationalen Wiedergeburt des deutschen Reiches hingerissen und von Huttens glühender, poetischer Begeisterung für dieselben Ziele berauscht, hatte Florian Geyer die Ideen in sich eingesogen, die ihn jetzt zu einem ehrlichen und entschlossenen Mitkämpfer für die geistige und wirtschaftliche Befreiung seines Volkes machten.

Einem alten adligen Geschlecht entstammend, war er für den ritterlichen Kriegsdienst erzogen worden und hatte sich in ihm von Jugend auf geübt und bewährt. Eine Zeitlang hatte er unter Georg von Frundsberg ein Fähnlein Landsknechte befehligt, die für ihren jugendlichen Führer durch Feuer und Flammen gingen. Dann hatte er sich freudigen Mutes an dem von Sickingen angestifteten und geleiteten Aufstande der Ritter gegen die Reichsfürsten beteiligt und alle die schweren Kämpfe mitbestanden, deren Ende die Niederlage der Ritterschaft und der Heldentod Sickingens sowohl wie der in Elend und Siechtum verlöschende Hingang Huttens gewesen war. Verwundet und geächtet hatte er sich danach auf seine feste Burg Giebelstadt zurückgezogen, hatte mit Schonung und Milde gegen seine Untertanen sein ererbtes Gut verwaltet, immer wieder die packenden Schriften Huttens und die zahllosen kleinen Druckwerke Luthers gelesen, ohne jemals die Hoffnung auf eine gründliche Besserung der gegenwärtigen Verhältnisse und den Plan zu eigener tatkräftiger Mitwirkung daran aufzugeben.

Nachdem er den vergeblichen Versuch der Fürsten, die Befugnisse des Kaisers zu beschränken, erlebt hatte und selber mit den anderen Rittern der Übermacht der Fürsten unterlegen war, erkannte er nun auch die Natürlichkeit in der die Ketten zerreißenden, sich mit elementarer Gewalt aufschwingenden Empörung des Volkes, deren dumpfes Rollen gleich dem unterirdischen Donner eines vulkanischen Ausbruches er schon längst zu hören glaubte. Und als der Sturm endlich aufbrauste und die Blitze aus dem Boden hervorzuckten, da erhob sich der für die Freiheit begeisterte Held, der Schüler Sickingens, der Freund Huttens, warf den Rittermantel von sich, stieg herab von seiner Burg, ritt den Bauern entgegen und reichte dem gewalttätigsten, blutdürstigsten ihrer Führer, Jäcklein Rohrbach, die Hand zum Bunde.

Leicht war es ihm nicht geworden, sich innerlich und äußerlich von denen loszusagen, zu denen er nach Geburt und Erziehung gehörte, und unter denen er ehedem manch einen fröhlichen Kumpan hatte, dem im Kampf auf Leben und Tod gegenüberzustehen er gern vermeiden würde.

Nun aber saß er hier mit Jäcklein Rohrbach unter einer breitästigen Linde im Dorfe Herchsheim, während ringsumher die Bauern lagerten und sich an dem Trunke labten, den ihnen der Bruder Ritter auf seine Kosten darbieten ließ.

Welch ein Gegensatz, diese beiden Männer! so verschieden in Aussehen, in Haltung und Bewegung und noch mehr in Bildung und Gesinnung, und doch vereinigt und verbrüdert in einer Sache, für deren nationale Bedeutung und verheißungsvollen Fortgang eben diese seltsame Verbrüderung beredtes Zeugnis ablegte. Jäcklein hütete sich, seinem neuen Bundesgenossen gegenüber die geringste Unterordnung oder gar Unterwürfigkeit durchblicken zu lassen. Dennoch fühlte er sich durch Florians vornehmes Wesen innerlich bedrückt, obwohl dieser dem Manne des Volkes seine Überlegenheit in der äußeren Lebensstellung, im Denken und Empfinden so viel wie möglich zu verbergen suchte. Er forschte ihn in zutraulichem Gespräch über seine nächsten Pläne und vorhabenden Unternehmungen aus, und diese fanden bei dem kriegskundigen Ritter nur geringen Beifall. Es waren auch eigentlich keine anderen Pläne, als der Überfall und die Zerstörung und Plünderung einzelner Ritterburgen und Klöster, also nicht viel anderes als die Befriedigung lange gehegter Rachegelüste und unter dem mißbrauchten Symbol der Freiheit beabsichtigte Greueltaten eines halbwegs organisierten Räuberwesens.

Florian machte den Bauernführer auf den verderbenbringenden Mangel einer erfahrenen strategischen Leitung aufmerksam und daß solche einzelnen, verstreuten und verzettelten Haufen wie der seinige wohl hie und da das Land verwüsten könnten, aber gegen eine geschlossene Kriegsmacht der Ritter und vollends der Fürsten nichts ausrichten würden, was zu dem erstrebten Ziele der allgemeinen Befreiung von drückenden Lasten und verdammenswerten Übelständen führen könnte.

Der Berechtigung dieses Einwurfes konnte sich auch Jäcklein nicht verschließen und teilte nun dem Ritter mit, daß eine unbeschränkte, bewaffnete Bauernversammlung zum nächsten Vollmond nach Kloster Schöntal einberufen wäre, um eine große, gemeinsame Unternehmung unter einem dort zu wählenden kriegsverständigen Feldhauptmann zu beraten und ins Werk zu setzen, mit welchem Verfahren sich Florian Geyer vollkommen einverstanden erklärte, indem er zugleich sein Erscheinen an Ort und Stelle und seine Mithilfe dabei zusagte.

Die um die Bierfäßchen herumliegenden Bauern unterhielten sich in einzelnen Gruppen, in denen der Krug von Mund zu Munde ging, über das alle überraschende Ereignis, einen Ritter durch freiwilligen Eintritt in ihren Bund gewonnen zu haben. Rat und Bürgerschaft mehrerer Städte hatten sich der Sache der Bauern bereits angeschlossen, wenigstens mit Versprechungen und zeitweiligen Unterstützungen, indem sie anderswo schweifenden Haufen Zufuhr von Lebensmitteln und Lieferung von Waffen gewährt hatten, vielleicht aus Angst vor Brandschatzung und Plünderung, aber es war doch geschehen und den Aufständischen eine willkommene Hilfe gewesen. Einen Ritter aber konnten sie noch nicht zu ihren Bundesgenossen zählen, und daß gerade Geyer von Geyersberg, von dem sie wußten, daß er mit der übrigen Ritterschaft unter dem stolzesten und mächtigsten aller Burgherren gegen die Fürsten für junkerliche Unabhängigkeit und Vorrechte gekämpft hatte, der erste sein würde, der sich mit ihnen verband, daran hatten sie wahrlich nicht gedacht.

Sie hatten ihre Hoffnung von Anfang an auf einen anderen gesetzt, auf den tapferen Ritter Götz von Berlichingen, der auf Burg Hornberg am Neckar saß und weit und breit im Lande bekannt war. Er galt zwar für einen der gefährlichsten Raubritter und stand mit Städtern und Prälaten auf nichts weniger als gutem Fuße, aber dem kleinen Manne tat er nichts und nahm er nichts, und es ging das Gerücht von ihm, daß er jedem Armen hülfe, wie er wüßte und könnte. Ja, wenn sich der Ritter mit der eisernen Hand und dem goldenen Herzen an die Spitze des großen evangelischen Heeres stellen wollte, dann hätte es an ihm einen obersten Feldhauptmann, unter dem es getrost den heiligen Kampf um die Freiheit wagen könnte.

Nun war Herr Florian Geyer von Geyersberg, dessen Burg sie hatten stürmen wollen und den sie, als er ihnen entgegengeritten kam, um ein Haar ermordet hätten der Ihre geworden durch einen Eidschwur, den sie staunend mit eigenen Ohren gehört hatten.

War er auch keiner von den Gewaltigen und Reichbegüterten, so hatte man doch auch nie Böses, nie Klagen über ihn vernommen. Viele von denen, die vor einer Stunde mit todfeindlicher Absicht auf ihn eingedrungen waren, knüpften jetzt schon mancherlei Hoffnungen an ihn. Zunächst die, daß er sie aus eigenen Mitteln und, durch seinen Einfluß auf andere seines Standes mit Karthaunen, mit Pulver und Stein versehen und ihnen mit wohlgerüsteten Knechten eine wertvolle Unterstützung zuführen könnte, denn eine der vielen Schwächen des Bauernheeres war besonders auch der Mangel an Reiterei und Geschützen.

Trotzdem war im Haufen das Mißtrauen gegen den Neueingeschworenen keineswegs schon ganz geschwunden. Manche der näher Liegenden beobachteten scharf, wie der ritterliche Mann mit den vornehmen, klugen Gesichtszügen neben dem bäurisch protzigen Jäcklein dort unter der Linde saß und den Heißblütigen, der immer das Herz auf der Zunge hatte, über seine Pläne auszuforschen schien. »Mit den paar Fäßle Bier denkt er sein Leben und seine Burg von uns losgekauft zu haben,« meinten sie. »Aber nun lauert er dem Jäcklein Weg und Steg ab und spinnt List und Verrat, wie er mit anderen seines Gelichters über uns herkommen mag.« Mit List und Verrat von Rittern und Fürsten hatten die Bauern allerdings schon üble Erfahrungen gemacht, und die blutigen Tücken des tyrannischen Herzogs von Württemberg waren noch in aller schauderndem Gedächtnis.

»Säße wenigstens unser schwarzes Weib mit bei ihnen dort!« sprach einer. »Wie würde sie dem feinen Herren auftrumpfen gegen sein Kundschaften und Schmeicheln und Schöntun!«

»Wer weiß!« sagte ein anderer. »Ohne ihr Dazwischentreten lebte der Sporenträger jetzt nicht mehr.«

»Und daß sie die Kraft hatte, dem starken Luz seinen Speerstoß aufzuhalten!« meinte ein dritter.

»Die Kraft, Martin? O die Schwarze versteht sich selber gut auf Hilpartsgriffe,« lachte ein Landsmann Judikas. »Hört zu, was ich mit eigenen Augen in Böckingen von ihr gesehen habe! In Peter Keidel seinen Acker war nachts öfter eine Wildsau aus dem Forste gekommen und hatte gewühlt. Wir beschlossen, dem Biest aufzulauern, und Judika, die überall hilft, wo sie helfen kann, wollte durchaus mit dabeisein. Eines Nachts trafen wir die Sau und umstellten sie. Peter Keidel ging auf sie los, aber sie nahm ihn wütend an, und er wäre verloren gewesen, wenn nicht Judika zugesprungen wäre und das Untier mit ihrem kurzen Spieße abgestochen hätte. Keiner von uns Männern hätte das so mit einem Stoße fertig gebracht. Oh die hat Kraft in den Armen, sag' ich euch!«

»Wo sie nur stecken mag?« fragte wieder einer. »Sie ist nirgends zu sehen. Schämt sie sich vor uns, einem Ritter beigestanden zu haben?«

»Ja, ja, sterben muß alles, was nach einem Rittersporn schmeckt! waren ihre Worte, und dem ersten, dem wir begegnen, rettet sie das Leben! sonderbar! höchst sonderbar!« höhnte ein anderer.

»Sie muß gewußt haben, daß er sich zu uns schlagen wollte.«

»Oder sie steckt unter einer Decke mit ihm. Ich fing einen Blick auf, der danach aussah, als verstünden sich die beiden.«

»Sachte, sachte! die Schwarze ist keine Verräterin; da kenn' ich sie besser. Wartet's ab, ehe ihr sie anklagt!« sagte der Böckinger.

So ging unter den Bauern das Gespräch hin und her über Judika, und manch einem war sie durch ihre heutige kühne Tat verdächtig geworden.


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