Julius Wolff
Das schwarze Weib
Julius Wolff

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Sechzehntes Kapitel.

Graf Helfenstein wußte beim Beginn des Aufstandes nicht, ob er über die unerhörte Frechheit und Tollkühnheit der Bauern fluchen oder lachen sollte, und tat, je nach Stimmung, bald das eine, bald das andere. Statt jedoch in ratsamer Besonnenheit nun etwas mildere Saiten aufzuziehen, spannte er den schon sehr straffen Bogen seiner Tyrannei noch schärfer, erließ noch strengere Vorschriften und verhängte noch grausamere Strafen für die geringsten Übertretungen, um aller Welt zu zeigen, daß er vor der Büberei, wie die Bewegung von ihren Gegnern genannt wurde, keine Furcht habe, vielmehr gewillt sei, selber Furcht und Schrecken einzuflößen. Als er indessen von der immer weiteren Ausbreitung der Verschwörung und von den sich mehrenden Erfolgen des evangelischen Heeres und seiner einzelnen Haufen Kenntnis erhielt, wurde er doch nachdenklich und begann im stillen seine Vorbereitungen zu einem hartnäckigen Widerstande zu treffen. Er verstärkte durch Anwerbungen für hohen Sold die Besatzung seines Schlosses bedeutend, schaffte mehr Büchsen und große Mengen von Pulver, Stein und Blei heran und ließ die Vorratskammern mit allem Nötigen versehen, um auch für eine längere Belagerung gerüstet zu sein. Daneben sandte er bestochene Kundschafter im Lande umher, die ihm alle Vorgänge heimlich berichten mußten, und erfuhr auf diese Weise Dinge, die ihn mit Wut und Grausen erfüllten. Schon gegen fünfzig Schlösser waren erstürmt, nicht zu gedenken der vielen eingeäscherten Klöster. Eine Stadt nach der anderen fiel der Sache der Bauern zu; selbst die großen Reichsstädte Straßburg, Ulm und Nürnberg hatten die Empörer unterstützt, und der gesamte Adel des Odenwaldes hatte ihre Bedingungen angenommen. Diese Unterwerfung von Adligen unter den Trotz und die Aufsässigkeit des gemeinen Volkes, das bisher Nacken und Knie vor ihnen gebeugt hatte, empörte den Grafen auf's äußerste, und er begriff nicht, wie die dazu Gezwungenen diese schmachvolle Demütigung überleben konnten. Die Nachricht, daß Götz von Berlichingen oberster Feldhauptmann des Bauernheeres geworden war, nahm er mit Hohn und Ingrimm auf. Der gradsinnige, treuherzige Ritter mit der eisernen Hand, der Schützer und Helfer der Armen, als welcher sich Götz immer gezeigt hatte, war ohnehin nicht ein Edelmann nach des Grafen Geschmack, und so gab er ihn ohne Bedauern auf, ihn verachtend und verwünschend. Von all den bitteren Tropfen aber, die täglich seinen Trunk vergällten, war der bitterste die ihm anfangs ganz unglaubliche Kunde gewesen, daß sein ehemaliger Freund Florian Geyer von Geyersberg aus freien Stücken als Mitstreiter in das Heer der Bauern getreten war. Das hatte ihn wie ein vergifteter Pfeil verwundet und die alte Freundschaft augenblicks in einen tödlichen Haß gegen den Abtrünnigen verwandelt. Dabei war Florian Geyer ein viel beachtenswerterer Gegner als Götz von Berlichingen, denn er hatte das Kriegshandwerk unter tüchtigen Meistern wie Sickingen und Kronberg gelernt und verstand sich auf Schlagen und Stürmen. Heute früh hatte man dem Grafen Helfenstein die Nachricht von der Erstürmung und Verbrennung der Schlösser Neuenstein und Löwenstein durch Florian Geyer und Jäcklein Rohrbach hinterbracht, die ihm sehr naheging. Von Jäcklein Rohrbach erwartete er nichts anderes als ein schonungsloses, mörderisches Vorgehen; aber daß Florian Geyer der Waffenbruder dieses wüsten, blutdürstigen Bauernführers geworden war und mit ihm die Ritterschaft des Landes auf Leben und Tod bekämpfte, das war für den Grafen ein unüberwindlich harter Schlag. Auch daß bei der Erstürmung von Löwenstein Graf Friedrich gefallen war, wußte er und auch, von wessen Hand er gefallen war. Von Judikas Hand, derselben Judika, die hier auf dem Schlosse geboren, als seine Jugendgespielin mit ihm aufgewachsen und fast wie ein Fräulein erzogen und gehalten worden war. Die war also auch zur Schelmin und Verräterin geworden, die nichts von Dankbarkeit wußte und genossene Wohltaten mit offener Feindseligkeit vergalt. Oder wollte sie sich für seinen einstigen kühnen Angriff auf ihre Tugend rächen, der ihm jetzt in unheimlicher Weise ins Gedächtnis kam? Er hatte alle Ursache, sie zu scheuen und auf sie ergrimmt zu sein, denn ihr großer Einfluß im Bauernheere und ihr schwärmerisch eiferndes Anfeuern zur Vernichtung des Adels war überall bekannt.

Unter diesen Eindrücken und Erfahrungen, zu denen sich täglich neue gesellten, hatte sich des Grafen eine maßlose, für seine Umgebung geradezu gefährliche Reizbarkeit bemächtigt, die sich oft genug in aufbrausendem Zorn und unverantwortlichem Tun äußerte.

Heute morgen, nach Empfang der Nachricht von der Erstürmung der beiden Schlösser und dem Tode seines Freundes, des Grafen Friedrich von Löwenstein, war er in bösester Laune. Er befand sich mit seiner von Kummer und Sorgen verhärmten Gemahlin und seinen Gästen in dem großen, prächtig ausgestatteten Wohngemach und saß dort in einem stummen Brüten, worin ihn niemand zu stören wagte.

Jetzt trat die Kammerzofe herein, ging auf den in einem Lehnstuhl Sitzenden zu und meldete: »Draußen ist eine fremde Frau, die den Herrn Grafen zu sprechen wünscht, sie nennt sich Judika Hofmännin.«

Ein lautes Ah! der Überraschung entfuhr den Lippen einer der im Zimmer anwesenden Damen.

Der Graf aber, wie aus einem Traum durch die Meldung aufgeschreckt, starrte die Zofe erst eine Weile mit weit aufgerissenen Augen an, ehe er hervorbrachte: »Was? – was sagst du?«

»Eine Frau –«

»Den Namen noch einmal!« schrie Helfenstein.

»Judika Hofmännin.«

»Judika? Judika?! – groß? schwarz?«

»Ja, ganz schwarz und groß.«

»Achaz! träum' ich?« rief der Graf aufspringend. – »Herein mit ihr!«

Die Zofe ging, und durch die offen gebliebene Tür langsam hereinschreitend kam Judika, verneigte sich mit edlem Anstand und erhob dann frei das Haupt, einer Anrede gewärtig. Da bemerkte sie zu ihrem Verdruß, fast zu ihrer Bestürzung, daß außer dem gräflichen Ehepaar auch Achaz und Agathe von Rosenberg zugegen waren, und begegnete dabei einem triumphierenden haßgetränkten Blick Agathes, der ihr das Herz zusammenschnürte. Blitzschnell durchfuhr es sie: hier hast du deine Todfeindin dir gegenüber!

Mitten im Zimmer stand in einer roten, pelzverbrämten Damastschaube der Graf, eine schlanke, fast hagere, doch sehnige Gestalt mit einem ausdrucksvollen, etwas bleichen Gesicht, in das die Leidenschaften ihre Spuren gezeichnet hatten und in dem sich über der trotzig aufgeworfenen Lippe ein dunkler Schnurrbart kräuselte. Mit seinen stechenden braunen Augen blickte er stolz und finster auf Judika, die es eiskalt überlief, daß ihr der Boden unter den Füßen zu wanken schien.

Sekunden vergingen in bedrückendem Schweigen. Die Gräfin sah ängstlich und erwartungsvoll auf ihren Gatten, Achaz' Blick hing mehr neugierig als feindlich an Judikas hoher Gestalt; aber in Agathes Antlitz zuckte die Ungeduld, sich an der, wie sie glaubte, glücklichen Nebenbuhlerin um Florians Liebe nun rächen zu können.

Endlich begann der Graf in äußerlich erzwungener Ruhe, jedoch in einer inneren Erregung, die denen nicht entging, die ihn jetzt wie mit eingerosteter Stimme fragen hörten: »Was suchst du hier auf Schloß Weinsberg?«

Judika mußte erst noch einmal Atem holen, bevor sie antwortete: »Als ich von Euch Abschied nahm, Herr Graf, sagtet Ihr mir, wenn ich einmal einen besonderen Wunsch hätte, so möchte ich zu Euch kommen.«

»Ich weiß,« erwiderte er kühl. »Hast du einen Wunsch?«

»Ja!«

»Du findest mich wenig geneigt, dir noch Wünsche zu erfüllen, doch sprich ihn aus!«

»Er betrifft nicht mich, Herr Graf, sondern Euch,« versetzte Judika. »Ich möchte Euch und die Eurigen vor dem sicheren Verderben retten.«

Der Graf war sichtlich überrascht und schien etwas anderes erwartet zu haben. Er blickte der vor ihm Stehenden mißtrauisch forschend ins Gesicht, als suchte er ihre Gedanken zu lesen. Dann sprach er mit Nachdruck: »Ist das wirklich dein Wunsch?«

»Ich stünde sonst nicht vor Euch,« sagte sie bestimmt.

»Und das sichere Verderben, das mir drohen soll, kommt von den Rebellen, den Bauern, nicht so?«

»Von niemand anders.«

»Das ist nicht wahr!« rief Agathe dazwischen. Eine Handbewegung und ein strenger Blick des Grafen geboten der Vorlauten Schweigen. Judika würdigte diese keiner Antwort.

»Ich glaube zwar nicht, daß mir das Verderben so nahe ist, wie du denkst, Judika,« sprach der Graf, »aber ich möchte doch wissen, wie du mich davor retten wolltest.«

»Dadurch, daß Ihr die zwölf Artikel annehmt und Euch in den evangelischen Bund schwört.«

»Unverschämt!« platzte Agathe wieder los, und wieder traf sie ein unwilliger Blick des Grafen. Aber diesmal ließ sie sich nicht einschüchtern, sondern fuhr, zu ihrem Bruder gewendet, fort: »Du weißt doch, Achaz, wer dasselbe von dir in Giebelstadt verlangte?«

»Ja, ja, sei nur still!« suchte Achaz die Aufgeregte zu beschwichtigen.

»Mische dich nicht in unser Gespräch, Agathe!« ließ sie der Graf nun hart an, indem es ihm selber schwer wurde, der ihm von Judika gestellten Zumutung gegenüber die Selbstbeherrschung zu bewahren. Aber noch hielt er an sich, deutete sogar mit der Hand nach einem Stuhl und sagte zu Judika: »Setze dich und laß uns offen miteinander reden.«

Aber Judika blieb stehen, während der Graf wieder in seinem Lehnstuhl Platz nahm und ein Bein über das andere legte. Ihr schien sein zur Schau getragener Gleichmut und seine unerwartete Höflichkeit gegen sie verdächtig; sie fürchtete darunter eine Schlinge und nahm sich vor, sich zwar nichts zu vergeben, aber doch auf ihrer Hut zu sein und nicht unbedacht seinen verhaltenen Zorn gegen sie herauszufordern, den schon ihre hinterlistige Feindin dort nach Kräften schüren würde.

»Denke nicht, daß ich dich ausforschen will,« begann der Graf nun, sich gemächlich zurücklehnend. »Ich bin über die Heldentaten eures zusammengelaufenen evangelischen Heeres besser unterrichtet, als du es sein kannst. Aber ein paar Fragen habe ich doch zu stellen, auf die mir eine aufrichtige Antwort erwünscht wäre.«

»Fragt nur, Herr Graf!« erwiderte sie, »ich habe nichts zu verheimlichen.«

»Ich will nicht fragen,« sprach er, »was dich, nach deiner Vergangenheit, bewogen hat, mit den Bauern gegen den Adel zu kämpfen und sie mit Worten und Taten zu einer wahren Vernichtungswut aufzuhetzen. Das will ich deinem Gewissen überlassen.«

Ein bitter spöttischer Zug glitt um Judikas schön geschweifte, rote Lippen, als der Mann da vor ihr von einem Gewissen sprach. Er bemerkte es und verstand auch die Bedeutung, denn er furchte die Stirn.

Aber Judika sprach nun ernst und unverzagt: »Wenn Ihr mich auch nicht danach fragt, so will ich es Euch doch freiwillig sagen. Mich jammert die schreckliche Not des armen Volkes, und ihr ein Ende zu machen will ich helfen, so viel ich kann und so lang' ich lebe.«

»Du wirst nicht erwarten, daß ich darüber mit dir streite,« erwiderte er abweisend. »Ich bin über mein Tun und Lassen keinem Menschen in der Welt Rechenschaft schuldig, dir am wenigsten.«

»Der Allmächtige wird sie einst von Euch fordern.«

»Prädikantenweisheit!« lachte der Graf hochmütig. »Aber noch einmal: lassen wir das beiseite! Du kommst von Löwenstein?«

»Ja!«

»Zu dem einzigen Zwecke, mir den Rat zu geben, daß ich mich, um mich zu retten, in den Bundschuh schwören soll?«

»Ja!«

»Tust du das allein aus eigenem Antrieb?«

Sie zögerte einen Augenblick mit der Antwort, dann sprach sie entschieden: »Nein! ich tu' es auf Wunsch und im Auftrage des Ritters Florian Geyer von Geyersberg.«

Der Graf fuhr wie von einer Natter gebissen aus seiner bequemen Stellung auf und rief zornig: »Nenne den Namen dieses Menschen nicht vor meinen Ohren! Keinen von euch allen hasse ich so wie den.«

»Sehr mit Unrecht, Herr Graf!« sprach Judika. »Er ist der einzige, der Euch wohl will und Euch retten möchte; er ist es ja, der durch mich Euch warnen läßt.«

»Und wenn ich Euren klugen Rat nicht befolge?«

»Dann bleibt Euch als einziger Weg zur Rettung nur die schleunige Flucht,« erwiderte Judika nachdrücklich.

»Flucht vor euch, vor den Bauern?« herrschte der Graf empört sie an. »Wann wollen sie denn kommen, sich blutige Köpfe zu holen?«

»Blutige Köpfe haben sie sich schon viele geholt,« entgegnete sie gereizt, »aber es waren meist die von Rittern und Junkern. Und wann sie kommen werden, fragt Ihr? Morgen können sie hier sein.«

»Wer? Jäcklein Rohrbach? und – der andere? der Geyer?«

»Der andere nicht, Florian Geyer wird Schloß Weinsberg nicht stürmen helfen.«

»Also stürmen wollen sie?«

»Sie schonen keinen, der sich nicht in den Bund schwört.«

»Der Rat, den mir der Verhaßte durch dich geben läßt, ist so ehrlos wie er selber, aber seinen Überbringer hat er gut gewählt,« sprach der Graf, »denn hätte er einen Mann damit zu mir geschickt, so würden sie ihn morgen an der Mauer hängen sehen und könnten nach ihm schießen.«

»Ich weiß auch einen Rat, Ludwig!« sagte jetzt Agathe mit einem wahren Tigerblick. »Laß dieses schwarze Weib hier während des Angriffs immer auf die Stelle der Mauer bringen und dort festbinden, wohin die meisten Kugeln fliegen. Vielleicht stellen sie dann das Schießen ein.«

»Agathe!« entfuhr es erschrocken den Lippen des eigenen Bruders der Grausamen.

Der Graf aber sprach mit einem bösen Lächeln: »Wie gefällt dir der Vorschlag, Judika? Das wäre vielleicht auch ein Mittel, mich und das Schloß zu retten. Und –,« fuhr er wie schwankend und überlegend fort, »ich hätte nicht übel Lust es anzuwenden.«

Judika sah ihn starr an und schwieg.

In Agathes beweglichen Zügen spielte sich schon das Frohlocken ihres tückischen, rachsüchtigen Herzens. »Tu's Ludwig! tu's!« zischte die Schlange.

Da erhob sich die Gräfin Helfenstein, trat einen Schritt vor, und mit dem Finger erst auf ihre Brust und dann auf Judika zeigend, sprach sie entschlossen: »Dann stelle ich mich auf der Mauer an Judikas Seite.«

»Oho!« machte der Graf, »dabei red' ich wohl auch noch mit, Margarethe! – Achaz, was tätest du?«

»Ich würde mich für den Rat, die zwölf Artikel anzunehmen, dadurch bedanken, daß ich der Überbringerin kurzerhand die Tür wiese,« erwiderte der Befragte.

»Sie laufen lassen? das wäre die größte Torheit, die ihr begehen könntet,« rief Agathe. »Hört einen andern Vorschlag, wenn ihr meinem ersten nicht folgen wollt. Wir sperren sie ein und behalten sie als Geißel. Ich weiß einen, der Urfehde schwört, um das schwarze Weib zu retten, – für sich zu retten. Laß Florian Geyer sagen, du ließest Judika beim ersten Angriff der Rebellen den Kopf abschlagen, und Schloß Weinsberg wird nicht berannt!«

Eine kurze atemlose Stille folgte diesen schrecklichen Worten. Dann sprach Judika mit fester Stimme und in selbstbewußter Haltung: »Herr Graf, Florian Geyer läßt Euch sagen, sein Schwert wachte über meiner Sicherheit.«

»Aha!« machte Agathe.

»So! läßt er mir sagen!« wandte sich der Graf mit blitzenden Augen zu Judika. »Ei sieh da! so hoch also stehst du in seiner Gunst, so nahe seinem Herzen! das wußt' ich noch nicht. Dann Agathe, ist dein Gedanke gut, den Rat befolg' ich.«

»Das ist eine unwürdige Drohung, an deren Ausführung Florian so wenig glauben wird, wie ich daran glaube,« sprach Achaz mit aller Entschiedenheit, indem er aufsprang und sowohl dem Grafen wie seiner Schwester einen zornsprühenden Blick zuschleuderte.

»Ludwig,« legte sich auch die Gräfin wieder ins Mittel, »Judika ist in vollem Vertrauen auf ihre Sicherheit und mit der guten Absicht gekommen, dich zu warnen. Laß sie in Frieden ihres Weges ziehen.«

»Daß ich ein Narr wäre!« brauste Helfenstein auf. »Judika als meine Gefangene hier oben ist mehr wert als ein kugelfester Harnisch. Seht ihr das denn nicht ein?«

»Das Gastrecht sollte dir heilig sein, wie es einem Ritter geziemt, und bis jetzt war es das auch. Willst du es einer Frau gegenüber verletzen, die sich zu dir wagt, um dich zu retten? Hast du kein Mitleid mit der Schutzlosen?« sprach die Gräfin erregt.

Achaz nickte der edlen Fürsprecherin beifällig zu und wartete gespannt auf die Antwort des Freundes.

Das Gefühl des Mitleids kannte der Graf nicht. Wenn man ihn aber bei der ritterlichen Ehre faßte, so blieb es nie ganz ohne Eindruck auf ihn, und so überlegte er jetzt nur, was in diesem Falle, bei möglichster Wahrung der rein äußerlichen Ehre, zu tun ihm am nützlichsten sein könnte, Judika großmütig freizulassen oder sie festzuhalten und sich der über eine große Gefolgschaft verfügenden Ruferin im Streite als Geißel zu bedienen. Aber dabei erwachten auch noch andere Regungen in ihm: die Rachsucht, Judika für ihren Abfall zu bestrafen, das Gelüst, Florian Geyer ins Herz zu treffen, wenn er ihn der Geliebten, für die er Judika nun hielt, beraubte, und nicht zuletzt das wieder in ihm aufsteigende Verlangen nach dem Besitz des jugendschönen Weibes, das sein Begehren einmal so schnöde zurückgewiesen hatte und das er ja nun vor die Wahl stellen konnte, zu sterben oder sich ihm zu ergeben. In Ansehung dieses Zieles seiner Wünsche schwankte er, ob er dazu mit beängstigenden Drohungen oder mit schmeichelnder Verführungskunst gegen die in seine Macht Gegebene vorgehen sollte. Vor Jahren hatte freilich weder das eine noch das andere Mittel bei ihr verfangen, aber heute lag die Sache ganz anders. Es leuchtete ihm plötzlich ein, daß Judika mit ihrem heimlichen Besuch auf Schloß Weinsberg ihren Mitverschworenen eigentlich einen gewagten Streich spielte. Jäcklein Rohrbach und die Bauern wußten sicher nichts von dem, hinter ihrem Rücken getanen, eigenmächtigen Schritt ihrer Prophetin, und es mußte dieser außerordentlich peinlich sein, konnte ihr vielleicht sogar gefährlich werden, wenn jene davon Kenntnis erhielten. Dem stets auf seinen Vorteil Bedachten ward es sofort klar, daß sich diese Unvorsichtigkeit Judikas zu seinen Gunsten verwerten ließe. Daß die Ausbeutung der Gutmütigkeit seiner einstigen Jugendfreundin der schnödeste Undank gegen diese wäre, daran dachte er überhaupt nicht oder hielt sich für quitt mit ihr und glaubte, Undank nun auch mit Undank lohnen zu können.

Judika merkte, daß der Graf während seines längeren Schweigens mit Entschlüssen rang, von denen sie nichts Gutes für sich zu erhoffen hatte. Da sie der Überzeugung war, daß er ihrer Warnung keine Folge geben würde, so sah sie in ihm einen dem Tode rettungslos verfallenen Mann, der aber, so lange er lebte und sie in seiner Gewalt hatte, ihr noch viel Böses antun konnte. Es galt also, so schnell wie möglich von dannen zu kommen. Und sie hub an: »Mein Auftrag ist erledigt, Herr Graf, und –«

»Und das auf den Leim gegangene Vöglein möchte nun wieder frei davon fliegen, meinst du,« unterbrach er sie hämisch. »Das ist aber meine Meinung ganz und gar nicht. Wo steht Jäcklein Rohrbach mit seinem Haufen?«

»Soviel ich weiß, im Kloster Lichtenstern,« erwiderte sie.

»Den Nonnen macht er seine Aufwartung? o weh! da wird es wild hergehen; den Jüngferlein werden lustige Messen gelesen werden,« lachte der Graf. »Höre, Judika,« fuhr er ernsthafter fort, »ich möchte Jäcklein wissen lassen, daß du hier bist und warum du hier bist.«

Er gedachte sie damit zu schrecken und gefügig zu machen, aber ruhig gab sie ihm zur Antwort: »Die Mühe könnt Ihr Euch sparen, Herr Graf, denn das weiß er jetzt schon.«

»So!« machte der Graf enttäuscht, »weiß er schon. Nun, dann etwas anderes! Du hast ja hier auf dem Schlosse schreiben gelernt. Ich könnte dich auf der Burg herumführen, dir die Stärke meiner Verteidigungsmittel zeigen, und du könntest Jäcklein dann brieflich mitteilen, daß er sich keine Hoffnung auf Eroberung des Schlosses machen sollte, denn so lange, bis der Truchseß von Waldburg mit dem Heere des schwäbischen Bundes zum Entsatz heranrückte, hielte ich die Belagerung sicher aus.«

»Auch das würde nichts nützen, Herr Graf,« sprach Judika, »denn ich verstehe nichts von Belagerung und Verteidigung, und Jäcklein würde auf mein Urteil wenig Wert legen.«

»Damit könntest du recht haben,« sagte Helfenstein. »Bliebe nur noch der Rat von Fräulein Agathe übrig, daß ich Florian Geyer benachrichtige, ich hielte dich hier oben gefangen, und beim ersten Sturm, der auf das Schloß gewagt würde –, nun, du hast ja mit eigenen Ohren gehört, was dann mit dir geschehen sollte.«

Bei diesen mit kalter, entschlossener Ruhe gesprochenen Worten des Grafen erbleichte Judika, denn sie traute dem gewissenlosen Menschen zu, daß er mit seiner schauderhaften Drohung am Ende Ernst machen könnte. Doch sie wollte ihm keine Furcht zeigen und sprach daher gelassen: »Damit, Herr Graf, würdet Ihr das Gegenteil von dem herbeiführen, was Ihr bezwecktet. Ihr würdet Euch dadurch nur noch einen Feind mehr auf den Hals ziehen, denn Florian Geyer würde mich mit seiner schwarzen Schar, den Landsknechten, befreien oder meinen Tod an Euch selber blutig rächen. Aber« – ein guter Gedanke kam ihr jetzt – »wollt Ihr diesen Weg einschlagen, so will ich Euch sagen, wie und wo Ihr am sichersten Florian Geyer eine Botschaft zukommen lassen könnt. Schickt sie an die Witwe Christine Kranz in Erlenbach; die wird sie dem Ritter übermitteln.«

»Ich werde mir den Namen des Weibes merken, das mit Euch unter einer Decke steckt,« erwiderte der Graf in aufwallendem Zorne.

»Sie steht der Bewegung durchaus fern,« versicherte Judika. »Ich spreche nicht für mich, aber für Euch wäre es das Beste, wenn Ihr mich jetzt entließet. Bin ich frei, so kann ich Euch nützen, kann mit den Befehlshabern unterhandeln, Euch Aufschub erwirken –«

»Du mir nützen?« fragte Helfenstein geringschätzig.

»Und wäre es nur Eurer Gemahlin und Eures Kindes wegen, die Ihr mit in das Verderben zieht, wenn Ihr nicht nachgebt,« fuhr Judika eindringlich fort, ohne die höhnische Zwischenfrage des Grafen zu beachten.

Dieser erhob sich, warf einen scheuen, besorgten Blick auf seine Gattin und ging dann mit hastigen Schritten unruhig im Zimmer auf und ab, finstere Gedanken im Kopfe wälzend.

Die Gräfin stand mit Achaz flüsternd in einer Fensternische. Er zuckte mehrmals mit den Achseln, gewiß in dem Sinne, daß er gegen den unbeugsamen Willen ihres Gemahls nichts ausrichten könne.

Agathe beobachtete die beiden aufmerksam und bemühte sich, den Inhalt ihres Gespräches zu erlauschen.

Jetzt trat Achaz auf den Grafen zu und sagte: »Ludwig, höre einen Vorschlag, der wohl der Überlegung wert ist. Laß Judika frei und beauftrage sie, mit Florian Geyer zu verhandeln. Er wird deinen Wünschen entgegenkommen, so weit er kann, und vielleicht gelingt es seinem Einfluß, dir günstigere Bedingungen zu erwirken in der Weise, daß du die zwölf Artikel nicht wörtlich anzunehmen brauchst, sondern mit den Bauern auf gütlichem Wege ein besonderes Abkommen triffst, das dir unbeschadet deiner Ehre die Möglichkeit gewährt, der unabweislich drohenden Gefahr zu entrinnen. Ich will dir treulich dabei zur Seite stehen.«

»Der Vorschlag ist gut, Ludwig! weise ihn nicht zurück, denk' auch ein wenig an uns Frauen und an unseren Sohn!« flehte die Gräfin.»Du gewinnst durch die Verhandlungen Zeit, und kommt Zeit, kommt Rat.«

»Ich soll mit den Rebellen paktieren?« frug der Graf stirnrunzelnd.

»Und irgend etwas der Gnade Florian Gebers verdanken?« fügte Agathe bissig hinzu. »Das tät' ich nun und nimmermehr!«

»Es handelt sich hier nicht darum, was du tun würdest, Agathe,« erwiderte Achaz streng, »sondern um das, was Ludwig in seiner äußerst schwierigen Lage beschließt, denn für ihn steht alles auf dem Spiele. Und was glaubst du nebenbei wohl, was dein Los sein würde, wenn du den zügellosen Bauern in die Hände fielest?«

»Ich falle ihnen nicht lebendig in die Hände,« antwortete sie kurz und hart.

Judikas Augen hatten bei Achaz' Vorschlag hell aufgeleuchtet, und von Hoffnung freudig bewegt, nahm sie das Wort. »Versprechen kann ich nichts, Herr Graf, aber auch ich glaube, daß der von Herrn von Rosenberg Euch angeratene Schritt zu einem guten Ziele führen wird. Florian Geyer wird zu Euren Gunsten alles tun, was in seiner Macht steht. Und auch ich, Herr Graf, ich weiß bei den Bauern mehr durchzusetzen, als Ihr mir vielleicht zutraut, und ich will mein ganzes Ansehen bei ihnen aufbieten, Euch zu retten.«

»Welch ein edles Paar von Rettungsengeln Hand in Hand, diese beiden, Florian Geyer und das schwarze Weib!« höhnte Agathe.

Der Graf stand, die Arme über der Brust verschränkt, in düsterem Sinnen und regte sich nicht. Endlich sagte er zögernd, zu Judika gewandt. »Deine Hilfe würde ich allenfalls annehmen, aber nimmermehr –«

»Sie will doch nur in Florians Arme zurück; merkst du das denn nicht?« unterbrach ihn Agathe schnell.

Da ließ sich Judika, im Innersten empört, zu dem Ausruf hinreißen. »Euch stehen sie freilich nicht offen, und das ist all Euer Grimm und Groll!«

»Ludwig! läßt du mich von dieser Dirne hier beleidigen?« kreischte Agathe aufspringend, in fassungsloser Wut.

Helfenstein schwieg. Aber seine Brust arbeitete; er nagte an der Lippe, und mit einem unheimlichen Glanze haftete sein Blick an Judika, die stolz und schön in glühender Erregung vor ihm stand und seinen Blick furchtlos aushielt.

»Mach' ein Ende, Ludwig!« mahnte Achaz ungeduldig. »Willst du tun, was ich riet?«

Noch ein kurzes, regungsloses Besinnen, dann stampfte der Graf heftig mit dem Fuß auf, und aus seinem Munde kam ein lautes, trotziges: »Nein!!«

»Was willst du denn?«

Er zeigte auf Judika: »Die einsperren und mich gegen die Rebellen wehren bis zum letzten Blutstropfen!«

»Ah! endlich!« machte Agathe tief aufatmend. Dann schritt sie triumphierend im Zimmer auf und ab und fächelte sich mit dem Taschentuche Kühlung zu.

Die Gräfin sank verzweifelnd in einen Sessel und verhüllte das Gesicht.

Achaz kehrte dem störrischen Freunde den Rücken und murmelte: » Quid sit futurum cras, fuge quaerere!»

Judika starrte schreckensbleich zu Boden und sagte: »So behält Christine Recht, als sie mich warnte: Traue dem Grafen nicht! es ist niemand sicher bei ihm.«

»So! nun hast du dein Teil auch!« lachte Agathe dem Grafen zu.

Dieser klingelte und sprach zur eintretenden Zofe: »Markwald soll kommen!«

Bis der Burgvogt erschien, blieb alles still im Gemach. Der Graf ging mit großen Schritten darin auf und nieder, die anderen saßen stumm an den Wänden umher, und auch Judika hatte sich auf dem nächsten Stuhle niedergelassen, denn ihr zitterten die Knie.

Als Markwald erschien, befahl ihm der Graf: »Sperre die ein! – in das mildeste Gefängnis, – und sie soll gut verpflegt werden!«

Da erhob sich Judika wieder, stellte sich hoch aufgereckt vor den Grafen hin und sprach mit zornbebender Stimme: »Ehrlos nanntet Ihr vorhin den edlen Mann, der Euch durch mich Rat und Warnung sendet. Schändlich, feige, nichtswürdig nenn' ich es, seine Botin einzukerkern und mit dem Tode zu bedrohen! Wenn ich einmal in Not wäre, sollt' ich zu Euch kommen, sagtet Ihr mir einst. Jetzt seid Ihr in Not, ich komme, Euch zu retten, und Ihr seid erbärmlich genug, die wehrlos in Eure Hand Gegebene einzusperren. Bisher hab' ich Euch ein wenig gefürchtet und sehr gehaßt, von heut an – veracht' ich Euch!« Damit wandte sie ihm den Rücken und schritt, von Markwald gefolgt, stolz erhobenen Hauptes hinaus.


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