Julius Wolff
Das schwarze Weib
Julius Wolff

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Zwölftes Kapitel.

Der volle Mond war über dem Wald emporgestiegen, ergoß in der lauen Frühlingsnacht sein friedliches Licht über die große klösterliche Ansiedlung und sandte es auch in die hochgewölbte Kirche hinein, in der überall steinerne und hölzerne Trümmer zerschlagener Bildwerke umherlagen. Auf einer Bank an der Wand, unter einem unbeschädigten Steinbilde, das, viereckig umrahmt und mit einer fortlaufenden Inschrift versehen, einen geharnischten Ritter in Lebensgröße darstellte, saß Judika und harrte dessen, der sie hierher bestellt hatte. Es war einem hohen, halb zerbrochenen Fenster gegenüber, durch das der Mond hereinschien; aber sein Licht traf Judika nicht, sondern glitt in einem breiten Streifen dicht an ihr vorbei und fiel auf die Flächen der Wand und des Fußbodens, so daß sie im Dämmer saß. Noch niemals war sie in einem so schönen Gotteshause gewesen, wie dieses war, dessen großartige bauliche Verhältnisse sie mit frommen Schauern erfüllten, wenn nur nicht durch die Stille von außen, manchmal lauter, manchmal gedämpfter, das wüste Lärmen der trinkenden Bauern zu der Einsamen hereingedrungen wäre und sie in der spannungsvoll gehobenen Stimmung, in der sie sich befand, widerlich gestört und verletzt hätte.

Was konnte Florian ihr zu sagen haben? Wollte er noch einmal versuchen, ihr von der ferneren Beteiligung am Kampfe abzuraten? Schwerlich; sie hatte es ihm deutlich genug gezeigt, daß das vergeblich wäre. Aber was konnte er sonst von ihr wollen? Sie mußte es in Geduld abwarten und am Ende war es nichts Wichtiges und Besonderes. Jedenfalls aber hatte sie etwas ihm zu sagen, etwas, das er wissen mußte um ihrer Ehre willen und um – ja, warum denn noch? Ein Seufzer hob ihre Brust; sie stand auf, stellte sich in den vollen Schein des Mondes und schaute eine Zeitlang gedankenvoll in die goldblanke Scheibe hinein. Aber das Licht des verschwiegenen Freundes der Nacht, des Mitwissers so vieler Geheimnisse, schien ihr zu hell, zu durchdringend; er blickte ihr zu tief in das klopfende Herz und weckte darin schlummernde, träumende Gefühle, die sie nicht zu nahrungverlangendem Lebendigwerden und eigenmächtigem Wachsen gebracht wissen wollte. Schnell trat sie in den Schatten zurück und nahm wieder Platz auf der Bank, den Arm auf die steinerne Seitenlehne und das sinnende Haupt auf die Hand stützend.

Ihr war dieses Stelldichein mit Florian, einen so abenteuerlichen, beinah verdächtigen Anstrich es immerhin hatte, herzlich willkommen. Sie fühlte sich unter allen den Tausenden hier völlig einsam; die wenigen gebildeten Männer unter ihnen, wie Wendel Hippler und Hans Berlin, waren ihr fremd, und sie war es ihnen. Florian Geyer war der einzige, der ihr geistesverwandt und zugleich von früherher bekannt war; gern hätte sie mit ihm die halbe Nacht durchplaudert, gern wüßte sie mehr von seinen Erlebnissen, seinen Hoffnungen und Plänen. O dürfte sie teilnehmen an allem, was seine Seele bewegte, dürfte sie dem Herrlichen etwas sein, ihm etwas geben, das den Inhalt flüchtiger Stunden überdauerte!

Plötzlich schreckte sie ein Geräusch aus sehnenden Gedanken auf. Wenn es nur nicht ein anderer, vielleicht gar ein Betrunkener war, der hereintaumelte, um seinen Rausch hier auszuschlafen! Sie rührte sich nicht, horchte und spähte. Vorsichtige Schritte, leise klirrend wie von Sporen, kamen näher und näher. Jetzt tauchte aus dem Dunkel eine hohe Gestalt; schon im gebrochenen Mondlicht glaubte sie ein Spiegeln und Blinken wie von einem Harnisch zu bemerken, und als er nun durch eine hell beleuchtete Stelle der Kirche schritt, erkannte sie ihn, den Erwarteten. Auch er entdeckte sie jetzt auf der Bank und wandte sich ihr zu; aber sie ging ihm nicht entgegen, erhob sich erst, als er ihr schon ganz nahe war.

»Dank, Judika, daß Ihr gekommen seid!« begrüßte er sie. »Wartet Ihr schon lange?«

»O nein!« erwiderte sie, ihre Hand in die seine legend.

Er brachte einen Becher, keinen silbernen, voll Wein mit und hielt ihn ihr hin: »Hier, zur Erquickung ein Trank, so herrlich, wie ihn meine Lippen und wohl auch die Eurigen noch niemals berührt haben.«

Ehe sie den Becher nahm, blickte sie den Darbietenden nachdenklich an. »Trinkt ohne Sorge!« sprach er lächelnd, »es ist kein anderer Zauber in dem Wein als der, den erst die Sonne und dann die läuternde Zeit darin ausgebrütet haben.«

»O Herr Ritter! daran dachte meine Seele nicht,« versicherte sie treuherzig, tat einen Zug – »Köstlich!« und gab ihm den Becher zurück.

»Das ist nur für Euch,« sagte er und stellte, nach einem Blick auf das Steinbild darüber, den Becher auf die Bank, auf die er sich nun selber niederließ, Judika mit einer Handbewegung an seine Seite ladend. »Was dachtet Ihr denn, als Ihr zu trinken zögertet?« frug er dann.

»Ich dachte daran,« entgegnete sie, »wie ich Euch auf Weinsberg einmal nach einem Ringelrennen einen Becher Wein bot, weil Ihr der Sieger waret.«

»Ich erinnere mich genau,« sprach er, »aber es war ein Glas, Judika! Ihr tranket nach mir die letzten Tropfen daraus und warft es dann gegen die Mauer. Warum tatet Ihr das?«

»Ein alter Brauch,« gab sie mit abgewandtem Gesicht verlegen zur Antwort, »wenn ein Wunsch in Erfüllung gehen soll, den man bei einem Trunke hegt. Aber ich wollte nicht, daß Ihr es sehen solltet.«

»Darf man den Wunsch wissen, den Ihr in jenem Augenblicke hegtet?«

»– Daß Ihr immer siegen möchtet, wo Ihr zu kämpfen haben würdet,« sprach sie leise.

»Ein guter Wunsch! nur daß er leider nicht immer in Erfüllung gegangen ist,« sagte Florian. »Geächtet und geschlagen habt Ihr mich einst heimkehren sehen aus vergeblichen Kämpfen. Wißt Ihr es noch?«

»Als wär' es gestern gewesen!« erwiderte sie lebhaft. »Und verwundet wart Ihr auch. – Auf daß wir diesmal die Sieger sind!« fügte sie mit leuchtendem Blick hinzu, trank und reichte ihm den Becher.

Er tat ihr Bescheid und fragte dann: »Wißt Ihr auch, wo wir hier sitzen? – Unter dem Grabstein eines Berlichingen. Ja! der Ritter hier über uns ist ein Vorfahr Herrn Götzens; sie haben seit alter Zeit ihre Ruhestätten in diesem Kloster; ich kenne hier jeden Winkel.«

»Da wird es unsern Feldhauptmann freuen, daß die Bauern das Bild seines Ahnes mit ihrer Zerstörungwut verschont haben,« sprach Judika.

»Unsern Feldhauptmann!« wiederholte Florian lächelnd. »Mit Eurem Willen ist er es nicht geworden, Judika! Ihr gabt Eure Stimme heut' einem anderen.«

»Meine Stimme?«

»Ja, Ihr wähltet – mich, Judika! ich hab' es wohl bemerkt.«

Sie erschrak. »Habt Ihr so scharfe Ohren?«

»Ich habe es mehr gesehen als gehört und freute mich, wie gehorsam Jäcklein Euch alles nachsprach, was Ihr ihm zuflüstertet. Ist er Euch in allen Dingen so willfährig?«

»Seht mir ins Gesicht, Herr Florian!« sagte Judika. »Eure Frage soll anders lauten, und ich will sie Euch beantworten, ehe Ihr selber sie richtig stellt. Ich stehe zu Jäcklein Rohrbach in keinem, in gar keinem anderen Verhältnis, als daß ich seine Mitstreiterin in unserem Kampf um die Freiheit bin. Als mutiger, zu jedem Wagnis entschlossener Kampfgenoß ist er mir wert und schätzbar, im übrigen aber als Mensch ist er mir seinem ganzen Gehaben nach widerlich und schier unerträglich. Euch dies bei unserem nächsten Wiedersehen so unumwunden zu erklären, wie ich es eben getan habe, war meine Absicht von dem Augenblick an, da wir in Herchsheim voneinander schieden.«

Sie hatte ziemlich erregt, aber mit fester Stimme gesprochen und fühlte sich nun so leicht, als wäre ihr mit diesem Bekenntnis eine Last vom Herzen herunter.

Dasselbe Gefühl hatte Florian; auch er atmete erleichtert auf, und in seiner Freude über das Gehörte scherzte er. »Nun sitzen wir doch hier wie im Beichtstuhl, nur daß ich Euch nicht zu absolvieren brauche von etwas, um derentwillen ich allerdings – ich will Euch nun auch beichten – ernste Sorge hatte. Ihr habt den Sinn meiner Frage richtig erraten; gerade das wollte ich von Euch wissen, darum wünschte ich Euch zu sprechen. Und nun dank' ich Euch herzlich, daß Ihr mich von der peinlichen Ungewißheit erlöst habt.« Und er nahm ihre Hand und hielt sie in der seinigen fest.

»Ich wußte, was Ihr argwöhntet, und war empört darüber,« erwiderte sie. »Wie konntet Ihr nur denken, daß ich mich einem Menschen wie Jäcklein Rohrbach ergeben hätte! Könntet Ihr mit ihm gut Freund sein?«

»Gut Freund? nein, wahrlich nicht!« lachte er.

»Nun seht Ihr! und doch drückt Ihr ihm die Hand wie jetzt mir. Und –«

»Nicht ganz so,« unterbrach er sie lächelnd.

»– und so geht es mir mit den meisten, mit denen ich auf Schritt und Tritt die gleichen Ziele verfolge.«

»Aber daß Ihr ihnen auf Schritt und Tritt folgt, das ist es, was mich wundert,« sagte er. »Ist Euer Verlangen, selber mitzukämpfen, so unbezwinglich groß, daß Ihr Eure Weiblichkeit darüber vergeßt und wie ein Mann die mordliche Waffe schwingen wollt?«

»Was Mann oder Weib!« entgegnete sie heftig, ihm ihre Hand entziehend, »im Kampf um die Freiheit macht das keinen Unterschied. Wenn ich die Kraft des Armes und die Kraft des Hasses in mir fühle, so vergesse ich, daß ich ein Weib bin.«

»Die Kraft des Hasses!« sprach er ihr mit leichtem Stirnrunzeln nach, »immer nur Haß und Rache! Kennt Ihr keine höheren Ziele in diesem Kampfe, als nur zu strafen und zu rächen?«

»O ja,« erwiderte sie erhobenen Hauptes, »aber den Weg zu ihnen müssen wir uns erst in blutiger Arbeit mit dem Schwerte bahnen, es müssen erst viele Tote rechts und links zur Seite liegen, ehe wir dahin gelangen, daß die zwölf Artikel nicht bloß geschriebene Wünsche, sondern gehandhabte Wahrheit und erfüllte Wirklichkeit werden.«

»In den zwölf Artikeln ist von Haß und Rache keine Rede,« warf Florian ein.

»Das nicht, aber ein haßgenährter Trieb, himmelschreiendes Unrecht zu beseitigen, hat denen die Feder geführt, die sie niedergeschrieben haben,« versetzte Judika. »Ihr seid in Euren Rechten nie gekränkt, Herr Ritter! Euch ist das Leben nie vergällt, das Herzblut nie vergiftet worden durch Hohn und Grausamkeit, durch Schmach und Schande, Ihr seid nie mit Füßen getreten wie wir! Jetzt sollen sie ernten, was sie gesät haben, die Schacher und Schelme, die das arme Volk viele Jahre lang ruchlos geknechtet und gepeinigt haben und es in Hunger und entsetzlichem Elend erbarmungslos verkommen lassen. Das wollen wir ihnen jetzt heimzahlen, Aug' um Auge, Zahn um Zahn. Am Boden liegen und bluten sehen will ich die Schuldigen; eher ruh' und rast' ich nicht!«

Die Wangen glühten, die Augen rollten ihr, wie sie, mit dem Gesicht ihm nahe zugewandt, so neben ihm saß und ihren heiß aufwallenden Gefühlen Worte lieh. Halb graute ihm fast vor dem rachsüchtigen Weibe, halb war er hingerissen und bezwungen von dem seltsam bestrickenden Wesen der leidenschaftlichen Jungfrau, die ihm hier in dem geisterhaften Lichte des Mondes schöner, größer, gewaltiger vorkam, als er sie je gesehen hatte.

Ein Weilchen schwiegen beide. Er nahm wieder ihre Hand, in der ihre innere Bewegung noch nachzitterte, in seine beiden Hände, um die tief Erregte zu besänftigen.

»Judika,« begann er dann milde, »steigt Euch in Eurer gegenwärtigen Lage, in der auch Euch die gemeine Not der Armut umsponnen hält, nicht manchmal bange Sorge um Eure Zukunft auf? Habt Ihr keine Aussicht, keine Hoffnung, Euch ein freundlicheres Dasein zu verschaffen?«

Langsam schüttelte sie das Haupt und sagte schwermütig: »Keine Hoffnung! Mein Leben ist ein verfehltes, und je früher es endet, desto lieber ist mir's, wenn es dann nur kein ganz vergebliches war für die Sache, deren Dienst allein ich es noch geweiht habe.«

»Ihr seid zu jung, um allem Glück zu entsagen.«

»Glück?« lächelte sie bitter, »ich erwarte kein Glück mehr. Woher sollte mir's kommen?«

»Judika!« rief er mit dem wärmsten Klange seiner Stimme, »Ihr seid zu stolz, um das Geringste von mir anzunehmen, was Euch das Leben behaglicher und erträglicher machen könnte, aber Ihr habt einen ehrlichen Freund an mir, der Euch nicht in Not und Elend untergehen lassen wird, des seid versichert! Hätte ich Einfluß auf Euch, so würde ich Euch aus diesem wüsten Kriegsgetümmel entfernen so weit, daß Ihr nichts mehr davon zu sehen und zu hören bekämet.«

»Das Kriegsgetümmel ist ja meine Rettung,« erwiderte sie eifrig, »meine Rettung vor trüben, verzweifelten Gedanken. Daheim im Dorfe verkümmere ich, wenn ich mich auch notdürftig durchschlage und nicht verhungere. Aber das Herz verdorrt in lechzendem Durste nach allem, was zu leben verlohnt. Hier klopft es noch lebendig und laut für etwas, das wenigstens einen freien Tod wert ist.«

»Glaubt Ihr unerschütterlich fest an den Sieg dessen, wofür Ihr das Leben einsetzt?«

»Unerschütterlich!« sprach sie. »Und das weiß ich: nur als Siegerin werde ich diesen Kampf überleben; in das Elend zurück, aus dem ich komme, gehe ich nun und nimmermehr!«

Florian nickte still vor sich hin. »Auch ich bin einsam. Der anhänglichste Freund, den ich hatte, ist im Groll von mir geschieden. Schlimmer als damals unter der Reichsacht, die ich mit vielen teilte, werde ich jetzt von allen meinen Standesgenossen verdammt, die es mir nie verzeihen werden, daß ich gegen sie kämpfte. Mein Los wird einst kein glücklicheres sein, als Eures, Judika.«

»Einem Manne, zumal einem Ritter sieht die Welt offen, er ist seines Glückes Schmied,« sagte Judika.

»Mein festes Haus ist mir das Liebste von der Welt,« erwiderte er. »Ich habe genug gekämpft, und wenn mir das Mitleid mit meinem Volke nicht das Schwert in die Hand drückte, so blieb' ich daheim, bestellte mein Stückchen Land in Ruh' und Eintracht mit meinen Lehnsleuten und lebte den Segnungen des Friedens. Und wenn ich ein treues Herz fände, das solch' einfaches glanzloses Leben gern und traulich mit mir teilte, so wüßt' ich auch ihm wohl ein bescheidenes Glück zu schmieden.«

Sie erwiderte nichts darauf. Schmerzlich heiße Empfindungen bemächtigten sich ihrer bei seinen Worten, wirbelten ihr ungestüm durch Herz und Hirn und brachten sie in Verwirrung. Weshalb sagte er ihr das? konnte er an sie dabei denken? er, der Edelgeborene, an sie, die – – Ach! nicht die Niedrigkeit ihres Standes, vielmehr der Makel ihrer Abkunft war der Fluch, der ihr das Leben verdarb und zerstörte und ihr vor die Eingangspforte zum Himmel auf Erden einen unlöslichen Riegel schob. O wäre sie echt und recht geboren, wenn auch kein Ritterfräulein oder Geschlechterkind, nur ehrlich und ehelich! Dann dürfte sie die Augen zu dem erheben, der dann wenigstens durch nichts Unübersteigliches von ihr getrennt war und, wenn er sie liebte, sie auch aus ihrer Hütte in seinen Armen zu sich emporziehen könnte. Aber er hatte gewiß nicht an sie gedacht bei der freundlichen Vorstellung geteilten Glückes am heimischen Herde, er durfte seinen ritterlichen Schild nicht beflecken mit einer Verbindung, die Vornehm und Gering verdammen und verspotten würden. Zu trostlos grauem Nebel zerfloß die zauberschöne Luftspiegelung eines blütenreichen Paradieses, die einen Augenblick sinnberückend vor ihr aufgetaucht war.

Um aber doch etwas zu sagen, damit Florian ihr Schweigen nicht mißdeute, sprach sie mit erzwungener Kälte, in die sich unwillkürlich ein Tropfen Bitterkeit mischte: »Euch hindert ja nichts, Euch diesen Wunsch zu erfüllen. Die zwölf Artikel habt Ihr angenommen; man würde also Euren Burgfrieden nicht stören.«

»Meinen Burgfrieden nicht stören, – wie Ihr das sagt, Judika!« versetzte er, von ihrer scheinbaren Gleichgültigkeit unangenehm berührt. »Mein Herz und meine Ehre gebieten mir, als Mann und Ritter für das einzustehen, was ich als recht und wahr erkannt habe, und ich werde nicht zögern, Gewalt und Strenge zu gebrauchen, wo sie nötig sind. Von Euch aber erwartet niemand, daß Ihr den Spieß nehmt und mit den Männern ins Feld zieht. Die Frauen haben schönere, edlere Pflichten und Aufgaben im Leben, Pflichten, die den Beweis hingebender Liebe fordern. Und wenn Euch die gegenwärtigen Verhältnisse daran hindern, sie freudig und würdig zu erfüllen, so überlaßt es uns Männern, bessere Zustände zu schaffen, und hoffet und harret in Geduld, bis wir das vollbracht haben. So tut auch Ihr, Judika. Besinnt Euch auf Euch selbst und auf das Gute, Reine, Hohe, das in Euch lebt und webt, und denkt an Eure Zukunft! Auch Ihr werdet Wünsche haben, werdet Euch sehnen –«

Weiter ließ sie ihn nicht kommen; mit zuckendem Munde, zitternd im Aufruhr der Gefühle, hatte sie ihm bis hierher zugehört und unterbrach ihn nun in überströmender Glut: »Wünsche? ach! nur nichts denken, nichts wünschen! vergessen will ich im Kampfe, nicht mich besinnen! Ich bin froh, wenn mich mein törichtes Herz mit Wünschen in Ruhe läßt. Bei den Bauern verschont es mich damit; mit ihnen will ich hassen, mit ihnen will ich kämpfen, ihre Kriegsfurie will ich sein, wie Ihr in Herchsheim sagtet, dazu allein bin ich noch gut genug.«

»Nein! Ihr seid zu etwas Besserem geschaffen,« sprach er entschieden. »Ihr seid noch jung, seid gesund und schön und liebenswert und werdet einst das Glück der Liebe in den schirmenden Armen –«

»Schweigt!« rief sie bebend aus. »Hier innen haust etwas, das schwer zu bändigen ist und das ich nicht gern herauslassen möchte!« Dabei drückte sie die Hand fest auf die hoch schwellende Brust.

»Ach was!« gab er ihr streng zurück, »ein rechter Mann wird schon bändigen, was in Euch tobt.«

Wütend sprang sie auf. »Herr Ritter! – das war nicht ritterlich gesprochen!«

»Judika!!« – Auch er war aufgestanden. Das volle Mondlicht beleuchtete jetzt sein Haupt, und so sah sie seinen großen, erstaunten Blick, der vorwurfsvoll und doch mit inniger Teilnahme auf ihr ruhte. Vor diesem Blick zerschmolz sogleich ihr Trotz.

»Verzeiht! verzeiht mir!« keuchte sie, griff mit beiden Händen nach seiner Rechten und machte eine Bewegung, als wollte sie sie küssen. Aber sie bezwang sich noch. »Ich wollt' Euch nicht kränken, von allen Menschen auf Erden keinen so wenig wie Euch. Ich hab' Euch falsch verstanden und nicht bedacht, was ich sagte. O könntet Ihr einen Blick in mein Herz tun! – da sieht es traurig aus.«

Wie er sie nun so gänzlich außer Fassung sah, wußte er sie nicht anders zu beruhigen, als daß er sie schweigend an die kalte Stahlbrust seines Panzers zog. Sie ließ es willenlos geschehen und lag eine Minute lang mit geschlossenen Augen, in heftiger Erregung nach Atem ringend, an seine Schulter gelehnt. Dann hatte sie ihre Selbstbeherrschung wieder. »Laßt uns scheiden!« sagte sie wie mit gebrochener Stimme, »wir ziehen ja nun zusammen weiter; im Kampfe sollt Ihr mich wiederfinden als die, die ich bin und sein will. Ihr sollt Euch meiner nicht zu schämen haben.«

»Gewiß nicht, meine tapfere Waffenschwester!« sprach er freundlich ernst, tief ergriffen von dem Gespräch, das ihm Judikas Denken und Fühlen in so rückhaltloser Weise enthüllt hatte. Überraschend und unbegreiflich war ihm, daß die Löwenmutige, die mit tatkräftiger Entschlossenheit das Los ihrer Mitmenschen verbessern wollte, so mutlos und verzagt, so ganz entsagend und verzweifelnd ihrem eigenen Schicksal gegenüber war. Welche Gründe konnte sie haben für den völligen Verzicht auch auf alle künftige Lebensfreude?

Doch er wollte nicht weiter in sie dringen. Er sah ein, daß er sie weder bekehren noch trösten noch von dem rachgierigen Vorwärtsstürmen auf der betretenen Bahn zurückhalten konnte. Darum brach er mit ihr auf und fragte nur noch: »Habt Ihr ein sicheres Unterkommen für die Nacht? und erlaubt Ihr, daß ich Euch dahin geleite? Es könnte trunkenes Bauernvolk umherschwärmen.«

»Gern nehme ich den Ritterdienst von Euch an,« erwiderte sie. »Ich weiß, wo Klaus Hornschuh meiner wartet, denn ich habe ihm gesagt, daß ich eine Unterredung mit Euch haben würde. Er schläft nachher wie ein treuer Hund vor der Tür der Zelle, die mir für die Nacht eingeräumt ist.«

»So kommt denn!«

Sie gingen zusammen aus der Kirche. Aber kaum waren sie ins Freie getreten, als sie laute Stimmen hörten und sich nähernde Schritte. Sie verbargen sich in dem Säulenschatten des Kirchenportals und sahen nun im Mondschein drei Bauern daherkommen, die einen gebundenen Mönch an einem Stricke mit sich führten. Einer sagte mit von Trunkenheit schwerer Zunge. »Hilft dir a–lles nichts, gehängt, gehängt, gehä–hängt wirst du, du – Glatzkopf, verdammter Be–Becherdieb!«

»Um Gott! das ist Jäcklein!« flüsterte Judika erschrocken.

»Still!« machte Florian.

»Schenkt mir das Leben,« jammerte der Gebundene, »und ich zeige euch, wo noch ein paar Fäßlein eingemauert sind vom allerbesten Wein.«

»So? noch – noch besseren?« lallte Jäcklein stehenbleibend, aber auf unsicheren Beinen schwankend. »Sag's! sag's! wo sind sie eingem–?«

»Erst bindet mich los und schwört mir das Leben zu!« sagte der Mönch.

»Soll ich ihn losbinden?« frug einer der Bauern. »Ich ha–habe noch Durst.«

»Ich auch, furcht–furchtbaren Durst,« stotterte der andere. »Wir binden ihn los.«

»Nicht rühr' an, ihr Schafsköpfe! er lügt! b–baumeln soll er, der D–Dickwanst!« lachte Jäcklein.

»Ja, er lügt, er lügt, er soll baumeln,« sagte nun der erste wieder.

»Na ja, dann hängen wir ihn lieber – lieber erst auf,« stimmte der zweite in seinem Rausche zu. Dann packten sie den Mönch an den Schultern und schoben ihn vorwärts.

Florian wollte auf sie los.

Schnell umspannte Judika seinen Arm, preßte ihn an sich und flehte: »Um Gotteswillen! es sind ihrer drei!«

»Ich hab' ein Schwert, und sie können nicht fest auf den Füßen stehen,« erwiderte Florian.

»So helf' ich Euch.«

»Nein! bedenkt, wenn uns Jäcklein hier beide zusammen fände!«

Das leuchtete ihr ein. Sie ließ Florian los, und dieser hatte mit wenigen Schritten die kleine Gruppe eingeholt. »Was geht hier vor?« herrschte er die Bauern an.

»Was? wer ist da?« frug Jäcklein verdutzt. »Ei! ei, sieh da! Bruder Florian Geyer! Bruder, wir haben hier einen, den wir hängen müssen. Er hat mir meinen silbernen – silbernen Becher gestohlen.«

»Es war meiner, aber ich hab' ihn nicht und weiß nicht, wo er geblieben ist,« beteuerte der Mönch.

»Hier wird niemand gehängt ohne Befehl des Feldhauptmanns,« sagte Florian streng.

»Du – du bist doch aber nicht der Feld–Feldhauptmann, Bruder Florian!« stammelte Jäcklein.

»Bindet ihn los!« befahl Florian.

»Nein! nein! nicht – nicht losbinden! hängen! hängen! widersprach Jäcklein und trat dazwischen. Aber Florian gab ihm einen Stoß vor die Brust, daß er zurückflog. »Bruder Florian, du stehst einer Glatze bei? das–das–«

»Losgebunden! oder es setzt Hiebe!« donnerte Florian die zögernden Bauern an und zog das Schwert.

Da banden sie den Mönch los, der, so schnell er laufen konnte, davonlief.

»Bringt ihn zur Ruhe!« befahl Florian.

Die beiden Bauern nahmen Jäcklein in die Mitte und zogen den Widerstrebenden, der seiner Kraft und Besinnung noch mehr beraubt war als sie, mit sich fort. Als ihre Schritte verhallt waren, kehrte Florian zu Judika zurück. »Der Elende!« sprach sie schaudernd.

»Laßt uns von ihm nicht sprechen,« erwiderte Florian. Sie gingen nun um die Kirche herum und kamen in einen Hof, wo sich in einer Mauer eine durch Gesträuch halbverdeckte Vertiefung mit einer verschlossenen Tür befand. Hier trat ihnen eine männliche Gestalt entgegen. »Seid Ihr's, Klaus?« fragte Judika.

»Bin's,« antwortete der Mann.

»Klaus Hornschuh nennst du dich?« sprach Florian.

»Ja, Herr!«

»Behüte Judika gut, und wenn ihr die geringste Gefahr droht, so meld' es mir sofort!«

»Ja, Herr! das will ich tun,« erwiderte Klaus Hornschuh.

Florian reichte Judika die Hand: »Gute Nacht, – liebe Judika!«

»Gute Nacht, Herr Florian!« sagte sie und sah ihn an mit Augen, aus denen aller Schmerz und Jammer hoffnungsloser, verzweifelnder Liebe sprach.

So schieden sie voneinander. Florian blieb noch stehen und schaute sinnend den sich Entfernenden nach, bis sie seinem Blick entschwunden waren.

Judika schritt stumm neben ihrem Beschützer dahin. Ihr schlug das Herz bis zum Hals hinan. Und er – er ahnte nichts von dem, was in ihr schluchzte und schrie! Ach! mochten die andern, die Männer, die Rache vollstrecken, auch die für ihre Pein und ihre Schmach! sie glaubte vor Leid nicht mehr leben zu können.


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