Julius Wolff
Das schwarze Weib
Julius Wolff

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel.

Es war ein ärmliches Lager, das Judika von ihrer gutmütigen Wirtin in einem engen Raume bereitet wurde, wo ein kleiner Herd stand, eine Küche konnte man's nicht nennen, denn außer einem schwarzberußten Kessel, der über dem Herde hing, war fast kein anderes Gerät darin zu sehen. Die Frau legte ihrem Gast einen spärlich gefüllten Strohsack auf den Lehmboden, gab ihr den alten Mantel ihres Mannes als Decke, wünschte ihr gute Nacht und ließ sie allein.

Judika streckte sich auf dem Strohsack aus, wickelte sich in ihren eigenen Mantel ein und breitete sich den des Bauern über die Füße, aber trotz der körperlichen Müdigkeit konnte sie nicht schlafen vor seelischer Erregung. Im Rauchfang über dem Herde summte der Wind, doch es war nicht das jubelnde Sturmlied des nahenden Frühlings, sondern eine langgezogene. schwermütige Weise, die manchmal wie das Weinen eines Kindes, manchmal wie das Stöhnen und Schluchzen eines Weibes klang, Töne, die zu der Stimmung der unwillkürlich Lauschenden besser paßten, als Lerchentriller und Nachtigallensang. Kalt zog es durch den Raum, daß es die auf dem harten Lager Ruhende fröstelte. Ach ja! sie hatte schon besser geruht, viel besser; aber daran mochte sie jetzt nicht denken, wie gut sie es bis zu ihrem zweiundzwanzigsten Lebensjahre gehabt hatte; sie grübelte auch nicht darüber, wie es jetzt mit ihr bestellt war, wo sie ganz allein in der Welt stand, ohne Vater und Mutter, ohne Freundschaft und Verwandtschaft, fast ohne Heimat. Ihr heiß klopfendes Herz durchstürmten ganz andere Gedanken und Gefühle.

Der heutige Tag hatte sie mit einem Schlage mitten in den mächtig anschwellenden Strom der Volksbewegung geworfen und sie hier im Schüpfergrunde auf einen erhöhten, weit sichtbaren Platz gestellt, wo all die Tausende dort auf sie geschaut, ihren Worten gelauscht hatten und nun etwas von ihr erwarteten, das mehr war, als Worte. Fühlte sie Beruf und Kraft genug in sich, das zu leisten? Sollte sie, das alleinstehende, jungfräuliche Weib, den um ihr Recht, ihre Freiheit und ihr Leben kämpfenden Scharen die Fahne des Aufruhrs vorantragen? Konnte sie mit dem Hauch ihres Mundes, nein, ihrer Seele wie mit Sturmesgewalt die Flammen zum ungeheuren Brande der Empörung anblasen, daß er sich, alles verheerend, das unterste zu oberst, das oberste zu unterst kehrend, von einem Ende des Reiches zum anderen wälzte? Ihr war zumute, als stünde, wie aus dem Boden getaucht, ihr künftiges Schicksal vor ihr als eine schwarz verhüllte Gestalt, wie sie selber gewesen war, ehe sie zu reden begann, und aus der Vermummung bohrte sich durch die Augenlöcher ein glühender, drohender Blick des unbekannten, geheimnisvollen Wesens in ihr Antlitz, daß sie innerlich davor erschauerte. Wie eine Eingebung von oben war es plötzlich über sie gekommen, zu dem versammelten Volke zu reden von dem, wovon ihr längst das Herz randvoll war, denn sie kannte die Not und das Elend, die Schmach und Schande des Volkes besser, als alle anderen, hatte beides nicht nur bei den Unterdrückten, sondern auch bei den Unterdrückern selber gesehen und erfahren.

Was war ihre Vergangenheit? wie hatte sich ihr Leben bisher gestaltet?

Sie war die natürliche Halbschwester des Grafen Ludwig von Helfenstein auf Schloß Weinsberg. Ihre Mutter war die bevorzugte Gürtelmagd der Gräfin Mutter gewesen, deren Gemahl, Graf Helferich, die hübsche Zofe verführt hatte, so daß sie eines Töchterleins genas. Die Gräfin aber, eine Frau von mildem Herzen, nicht wissend und nicht wissen wollend, wer der Verführer war, und an die gewandten Dienste der vertrauten Kammerfrau gewöhnt, behielt Mutter und Kind bei sich, und die kleine Judika wuchs mit den gräflichen Kindern als deren Gespielin auf, wurde mit ihnen erzogen, vom Burgkaplan unterrichtet und ihnen in jeder Beziehung fast gleich gehalten. Selbst bei Gesellschaften und Festlichkeiten auf dem Schlosse durfte sie, zierlich gekleidet, mit zugegen sein, und wenn sie bei solchen Gelegenheiten in einer halb dienenden Stellung den Trunk umreichte, so ruhte manches Junkers Auge wohlgefällig und begehrlich auf der reizvollen Gestalt und der auffallend schwarzhaarigen und dunkeläugigen Schönheit des geistig und körperlich früh entwickelten Mädchens. So genoß sie in ihrer Kindheit und Jugend ein reiches und üppiges Leben und wurde noch obenein verwöhnt durch manches Schmeichelwort, manche offene oder versteckte Huldigung von denen, die wohl ahnen mochten, daß sie ein gräflicher Bastard war. Jedoch die alte Gräfin sowohl wie Judikas Mutter hielten ein wachsames Auge auf sie und ließen es an leisen Mahnungen, Tugend und Sitte zu wahren, nicht fehlen, und so blieb sie rein und unberührt von den gefährlichen Lockungen, denen sie in der leichtlebigen Umgebung ausgesetzt war. Aber sie lernte auf dem Schlosse und in den nächsten Dörfern, in die sie kam, auch Dinge kennen, die sie mit Trauer, ja mit Schauder und Schrecken erfüllten. Das war die unmenschliche Härte und Grausamkeit, mit der die Grafen Helfenstein, Vater und Sohn, die Bauern behandelten. Und nicht genug, daß sie dies mit eigenen Augen sah, sie mußte es auch oft genug mit anhören, in welch höhnischem und wegwerfendem Tone der Graf und seine vornehmen Gäste von ihren Dienstleuten und Hörigen sprachen und einander mit haarsträubenden Erzählungen und Prahlereien überboten, in welcher ausgesuchten, erfinderischen Weise sie mit List und Gewalt die Armen zur äußersten Ausbeutung ihrer Arbeitskraft und Zahlungsfähigkeit plagten und schröpften. Da wuchs in ihrem Herzen ein starker Widerwille gegen alles adlige Wesen und Treiben, der durch ein schreckliches Ereignis neue Nahrung finden sollte.

Sie hatte noch ein viel jüngeres Brüderchen, – der gleichen Abstammung wie sie selber – mit dem sie eines Tages, als sie zwölf Jahre alt war, sich auf einem Anger unterhalb des Schlosses spielend erging. Da kam der Graf geritten und sagte: »Gib mal her den Jungen! er soll mit mir reiten.« Er nahm das Kind vor sich in den Sattel und galoppierte mit ihm um Judika im Kreise herum. Dann rief er ihr vom Pferde aus zu: »Jetzt paß auf! – fang!« und den Kleinen am Kamisol packend, schleuderte er ihn der Schwester in hohem Bogen zu. Aber wie schnell auch Judika herzusprang, sie konnte das vierjährige Brüderchen nicht mit den Armen auffangen. Es fiel hart zu Boden, überschlug sich und brach das Genick. Der Graf ritt laut lachend davon ohne sich darum zu kümmern, wie die Sache abgelaufen war. Judika trug ihr totes Brüderchen zum Schlosse hinauf und erzählte weinend der Mutter die Ursache des Todes. Vor dem Grafen Helferich empfand sie seitdem ein unüberwindliches Grauen, und lange Zeit konnte sie das gräßliche Bild des im Bogen auf sie zufliegenden und sich dann überstürzenden Kindes nicht aus dem Gedächtnis verbannen.

Trotzdem schloß sie sich nun dem jungen Grafen Ludwig, der nur wenige Jahre älter war als sie und zu dem sie schon von kleinauf eine schwesterliche Zuneigung gefaßt hatte, noch enger an. Auch er fühlte sich zu der schönen, allzeit fröhlichen Gesellin, die in ihrem ganzen Wesen etwas Außergewöhnliches hatte, so hingezogen, daß sie bald tagsüber gar nicht mehr voneinander lassen konnten. Er tummelte sich mit ihr im Schlosse, in Burghof und Baumgarten, schweifte und ritt mit ihr durch Wald und Berg und Tal, und auch in den regnerischen und kalten Jahreszeiten waren sie fast untrennbar beisammen. Die gräflichen Eltern sahen das keineswegs ungern, denn mehr als jeder andere hatte sie Einfluß auf den wilden, verzogenen Jungen und wußte seinen schnell aufflammenden Jähzorn mit ein paar Worten zu beschwichtigen. Zur Jungfrau herangewachsen, wurde sie zurückhaltender, und er gewöhnte sich ihr gegenüber an eine gewisse neckisch höfliche Artigkeit, in der er jedoch die Grenzen des Gefälligen und Erlaubten nicht immer streng innehielt. Nach seiner frühzeitigen Verheiratung übernahm sie bei seiner jungen Gemahlin dasselbe Amt, das ihre Mutter bei der alten Gräfin innehatte, und zeigte sich auf ihrem leichten Posten, der mehr eine Vertrauensstellung als ein Dienst war, ebenso gewandt und zuverlässig wie jene.

Als aber Graf Helferich gestorben, auch seine Gemahlin ihm bald nachgefolgt und der junge Graf Ludwig nun Alleinherrscher in dem alten Welfenschlosse und den dazu gehörigen Ländereien war, kam seine tyrannische, zur Grausamkeit geneigte Sinnesart in einer wahrhaft erschreckenden Weise zum Vorschein. Er fing an, seine Untertanen noch mehr zu quälen und zu mißhandeln, als sein Vater getan hatte, und wurde bald im weitesten Umkreise als der erbarmungsloseste Bauernschinder verrufen, gefürchtet und gehaßt.

Auch seine junge Gemahlin hatte viel von ihm zu leiden, weil er sich immer barscher und rücksichtsloser gegen sie benahm und sich einer verletzenden Ungebundenheit in seinen Sitten ergab. Und einmal hatte Judika selber eine unverzeihliche Kränkung ihrer Ehre von ihm erfahren. Er war eines Nachts in ihre Kammer gekommen, hatte sie heiß umschlungen, ihre Hingebung erst leidenschaftlich flehend, dann trotzig fordernd von ihr begehrt und endlich mit roher Gewalt erzwingen wollen, so daß sie sich kaum hatte seiner erwehren können und ihm beinahe zum Opfer gefallen wäre. Von Stund an war sie vom tiefsten Abscheu gegen ihn erfüllt, wich ihm aus, wo sie konnte, und würdigte ihn keines Wortes und keines Blickes mehr.

Bald darauf fiel ihre Mutter in eine schwere Krankheit, und es ging rasch mit ihr zu Ende. Auf dem Sterbebette enthüllte sie der Tochter das Geheimnis ihrer Abkunft, dessen Offenbarung Judika mächtig erschütterte. Und als die Mutter ihr Bekenntnis mit den Worten schloß: »Nicht durch Verführung und Liebe hat er mich gewonnen, sondern gezwungen hat er mich gegen meinen Willen, weil er mein Herr und Gebieter und ich seine Leibeigene war, mit der er machen konnte, was er Lust hatte,« da krampfte sich Judikas Herz vor Schreck zusammen. O Schimpf und Schande! Was der Vater an ihrer Mutter verbrochen, das hatte der Sohn auch bei der Tochter versucht, die seine Schwester war, was der Verruchte vielleicht gar wußte! Das brachte die Schale ihres Zornes zum Überlaufen, und sich gegen die Stimme des Blutes verschließend, die ihr zuraunte, daß sie dem verstorbenen Grafen ihr Dasein verdankte und der gegenwärtige ihr Bruder war, faßte sie einen tödlichen Haß gegen die Helfensteiner und gegen alles, was Ritter und Junker hieß.

Nach dem Tode der Mutter hielt Judika nichts mehr auf dem Schlosse zurück; der Aufenthalt hier war ihr durch die Vorgänge und Erfahrungen der letzten Zeit, hinter denen die frohen Erinnerungen langer Jahre verblaßten, gründlich verleidet. Obwohl sie nichts, gar nichts besaß und mit klarem Blicke das Elend nun auch über sich selber hereinbrechen sah, um dessentwillen sie oft andere tief bemitleidet hatte, nahm sie doch Abschied von der Gräfin und dem Grafen, dankte ihnen für alles genossene Gute und ließ sich durch kein Zureden zum Bleiben bewegen. Des Grafen letzte Worte zu ihr waren: »Judika, wenn du einmal einen besonderen Wunsch hast oder einmal in Not geraten solltest, so komm hierher zu mir; du sollst immer mein Ohr und meine Hand für dich offen finden.« Auch dafür dankte sie ihm, fügte aber mit schlecht verhehltem Stolz hinzu, sie wünsche und hoffe, niemals in die Lage zu kommen, von dieser gnädigen Erlaubnis Gebrauch machen zu müssen. Dann ging sie auf Nimmerwiederkehr aus dem Tore der Burg hinaus, in der sie ihre sorgenfreie Jugend verlebt hatte.

Sie suchte und fand Zuflucht in dem nahegelegenen Böckingen, dem Heimatsdorf ihrer Mutter, und mühte sich redlich, ihren bescheidenen Lebensunterhalt durch allerlei Dienste zu erwerben, besonders durch fleißige Hilfleistung in der Acker- und Weinwirtschaft von Jäcklein Rohrbachs Mutter, die schon seit Jahren Witwe war.

Anfangs wurde sie von den Dorfbewohnern scheel angesehen und gemieden, weil sie aus einem Ritterschlosse kam, wo sie sich ein üppiges Leben hatte gefallen lassen, an dessen Wohltaten und Freuden der Schweiß der Armen klebte. Schweigend ertrug sie die Abgeschiedenheit und die Mißgunst, die sie zuerst kränkte, die sie aber bald begriff und den sich von ihr Fernhaltenden nachfühlen konnte, denn jetzt stand sie ja selber mit beiden Füßen mitten drin in der allgemeinen Not, die ihr nun auch an den eigenen Leib ging, und konnte jetzt den Vergleich des bäuerlichen Daseins mit dem ritterlichen anstellen. Sie sah die Angst und den Jammer der Friedlosen in der unendlichen Drangsal des täglichen Lebens, sah die Leere und den Schmutz der Hütten, das Elend der Krankheiten, die Schrecken des Winters und lernte, was hungern und darben heißt. Aber sie hungerte nicht nur mit den anderen Hungerleidern, sondern half ihnen, wo sie wußte und konnte, mit ihrer Hände Arbeit, auch ohne Entgelt, und brachte ihnen obenein den Segen des Evangeliums. Sie besaß ein Neues Testament, verdeutscht von Dr. Martin Luther, das ihr die junge Gräfin Helfenstein zum Andenken geschenkt hatte. Damit ging sie umher im Dorfe, las den Leuten abends daraus vor und suchte, die an der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit des Allgütigen Verzweifelnden damit aufzurichten. Fromm und ehrfürchtig klangen dann die Worte des Erlösers von ihren Lippen: »Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.« Oder der Spruch aus der Bergpredigt: »Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.« Wenn sie dann aber weiterlas: »Liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen, betet für die, so euch beleidigen und verfolgen,« und »So dir jemand einen Streich gibt auf den rechten Backen, so biete den anderen auch noch dar,« so konnte sie dabei in ihrem Herzen nicht mehr mitkommen. Sie konnte die nur hassen, konnte denen nur fluchen, die dieses schaudervolle Elend verschuldeten. Viel geneigter war sie, einen empfangenen Schlag doppelt und dreifach zurückzugeben, als noch einen zweiten zu erdulden, und das drohende Wort »Auge um Auge, Zahn um Zahn!« gefiel ihr weit besser, als die sanftmütige Mahnung: »Liebet eure Feinde!« –

So hatte Judika, halb ritterliches, halb bäuerliches Blut in den Adern, ritterliche Erziehung und Bildung besitzend und nun allen Genüssen, die ihr früher daraus erblüht waren, in der Dumpfheit und Beschränktheit der sie hier umgebenden Verhältnisse entsagen müssend, jetzt drei Jahre lang unter denen, die nur äußerlich, nicht innerlich ihresgleichen waren, dahingelebt, freudlos, wunschlos, hoffnungslos.

Niemand konnte ihr etwas Übles nachsagen. Sie hielt sich still und tapfer in Arbeit, Zucht und Sitte und gewann allmählich in der ganzen Umgegend Achtung, Liebe und Vertrauen. Die Leute merkten, daß in der hochgewachsenen, ernsten Jungfrau eine mitleidvolle, aber in sich gefestete Seele von dem stolzen Grafenschlosse in ihr ärmliches Dorf herabgestiegen war, um ihre drückende Not und ihren glühenden Haß mit ihnen zu teilen. Wie es in ihrem Herzen sonst noch aussah, das wußte außer ihr kein Mensch auf Erden.

Einer bewarb sich um ihre Gunst, – Jäcklein Rohrbach. Sie hatte manchen Tag von früh bis spät neben ihm zu schaffen und zu wirtschaften, und da fanden sich in gelegentlichen Gesprächen der Unabhängigkeitsdrang des Mannes und das Gefühl der aufgezwungenen Erniedrigung des Weibes auf dem gemeinsamen Boden der Erbitterung und Auflehnung gegen Unfreiheit und Knechtschaft, gegen das Demütigende, Vergewaltigende der schmachvollen Zeit. Judika selber war es, die Jäcklein unaufhörlich zum Aufruhr reizte und schürte durch die Schilderung dessen, was sie in Weinsberg gesehen und gehört hatte. Ihre Entrüstung darüber gab sie als einzigen Grund ihres Wegganges vom Schlosse an und behauptete auf Jäckleins Frage, wer ihr Vater sei, dies nicht zu wissen. Aus ihren Reden schloß er jedoch, daß sie noch eine besondere Ursache zu Groll und Verwünschung gegen die Helfensteiner haben müsse, die sie ihm verschwieg.

Allmählich gestaltete sich zwischen beiden ein freundschaftliches Verhältnis, aus dem auf seiner Seite bald eine leidenschaftliche Zuneigung zu dem hochgemuten und schönen Mädchen erwuchs. Sie aber wich jeder vertraulicheren Annäherung, die er wiederholt versuchte, behutsam und beharrlich aus und ließ sich auch nicht bewegen, eine Unterstützung oder einen höheren Lohn anzunehmen, als für ihre Dienstleistung ausbedungen war.

Als es aber zur eigenmächtigen Erhebung und zum allgemeinen Aufgebot des Landvolkes kam, um an den verhaßten Unterdrückern blutige Rache zu nehmen, trat sie vor ihn hin und sagte: »Jäcklein, es läßt mir keine Ruh; ich ziehe mit und werde meinen Mann im Kampfe stehen trotz einem von euch!« Er war hoch erfreut über ihren Entschluß, von dem auch alle Vorstellungen seiner Mutter sie nicht abzubringen vermochten.

Nun war sie mit ihm und seinem Haufen aus dem Neckartale nach dem Schüpfergrunde gezogen, und als sie dort das Gespräch zwischen ihm und Metzler hörte, in dem von einem Unternehmen gegen Giebelstadt die Rede war, hatte sie sich schnell eingemischt und in einem unwillkürlichen Drange ihres Herzens gebeten: »Laß mich reden, ich halte sie!« Warum sie das gerade in dem Augenblicke getan hatte, – das mußte sie sich jetzt auf ihrem elenden Lager hier selber fragen. Und erschöpft und müde wie sie war, mußte sie sich mit schon halb unklaren und verworrenen Begriffen eingestehen, daß es eigentlich und zunächst nur geschehen war, um die beiden von dem möglichen Beschlusse eines nächtlichen Überfalles des Schlosses Giebelstadt abzubringen, weil – weil dort – auf der Burg – einer saß – einer, der . . .

Die Gedanken schwanden ihr, sie konnte sich auf nichts mehr besinnen, und in einen wohltätigen Schlummer sinkend verlor sie Erinnerung und Bewußtsein.


 << zurück weiter >>