Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

X

Es war längst dunkle Nacht, als Ifinger nach Hause kam. Er hatte den ganzen Weg einsam zu Fuß gemacht; vom Hunger gemahnt, hatte er in einer Wirtschaft in Nußdorf sich ein wenig gestärkt, dann war er in der Finsternis vollends heimgewandert. Unten im Terrassenzimmer sah er Licht; die Läden der Glastür, die ins Freie führte, waren noch nicht geschlossen, die Lampe, die drinnen auf dem Tische stand, warf ihren Schein den Gartenweg hinab, auf dem er hinaufging. Geräuschlos trat er ins Haus. Niemand bemerkte ihn. Die Tür vom Terrassenzimmer zum Eckzimmer links stand offen: dort hörte er süße kleine Stimmen, die ihn auf einmal ins Leben zurückriefen. Sie schienen zu Christel zu sprechen. Er horchte eine Weile; gern hätte er noch lange so zugehört, ohne sich zu zeigen, ohne selbst zu reden. Gern hätte er sie auch gesehn, diese drei, die »sein Leben« waren; aber wenn er näher trat, war er selbst entdeckt. Er blieb stehn und regte sich nicht. Die kleine Grete hatte jetzt das große Wort; sie plapperte vom Weihnachtsfest, das schon vor der Tür stand, sie zählte ihre Wünsche auf, es nahm kein Ende.

»Hör' auf! hör' auf!« sagte Christel endlich. »Wenn du so fortmachst, wünschst du dir zuletzt noch die ganze Welt!«

»Nein, das tut die Grete nicht«, sagte die Kleine altklug; es reizte sie nun aber offenbar, dummes Zeug zu sprechen. »Und die kleine Grete«, fuhr sie mit halb singender Stimme fort, »wünscht sich noch eine Eisenbahn mit vielen, vielen Walkons; in denen sitzen noch vielere Menschen, die sind alle lebendig, und jeder bringt der Grete ein Geschenk zu Weihnachten. Und die kleine Grete wünscht sich noch ein Brüderchen und ein Schwesterchen; die haben goldene Mützen auf und ganz rote Schuh'. Und die kleine Grete –«

»Jetzt ist's genug!« sagte Christel und schien ihr die Hand auf den Mund zu legen, denn das Kind war auf einmal still. »Sonst werden wir noch alle verrückt!«

»Du wirst nie verrückt!« sagte jetzt Hans mit seiner treuherzigen, festen, erledigenden Stimme. – »Aber du mußt auch niemals tot sein!« setzte er dann weicher hinzu. »Mußt mich nie verlassen, immer bei mir bleiben. Christel, mußt niemals tot sein!«

»Ich will recht, recht lange leben, Hänschen«, gab sie ihm zur Antwort.

»Ach nein«, sagte er nun bedenklich, als verstünd' er es auf einmal besser. »Ach nein, das glaub' ich doch nicht!« – –

»Hör' ich da nicht den Vater?« fragte der Kleine plötzlich. Ifinger hatte sich geregt, einen Ton, ein Wort ausgestoßen, er wußte selber nicht, wie. Die drei sprangen auf, erschienen in der offenen Tür. »Vaterle!« riefen die Kinder zugleich, als sie ihn erblickten, und liefen ihm an die Knie; er bückte sich und küßte sie.

»Ich war in Wien«, sagte er dann. Christel nickte, als wisse sie's; die großen Augen sahen ihn so mitfühlend und so zufrieden an, daß es ihn beglückte. »Da ist auch ein Brief angekommen, Herr Doktor«, sagte sie halblaut. »Eigentlich für Sie; aber er kam an mich.« Sie zog ihn aus der Tasche. Er nahm ihn, während sie sich wieder zu den Kindern wandte, ging an den Tisch zur Lampe und entfaltete die kleinen Blätter.

Die Schrift erschreckte ihn fast; er hatte sie lange nicht gesehn. Sie erinnerte ihn an das erste Mal, da sein Auge auf ihr geruht hatte; an die Rechnung, die ihm damals die Porzelläne in ihrem Laden schrieb ... Ihm war, als stünde er wieder dort vor dem langen Tisch. Als läse er dort, was ebendieselbe Hand – noch so ganz dieselbe – jetzt einer Dritten schrieb:

 

»Boppard am Rhein, 17. Dezember 1876.

Liebe Christel!

Durch meinen Bruder, den Schriftsteller, hör' ich, daß Sie noch bei Doktor Ifinger und den Kindern sind; darum schick' ich an Sie dieses Lebenszeichen; es wird wohl das letzte sein, denn ich ziehe mich nun ganz aus der Welt zurück. Ich habe zu unsrer alten Mutterkirche mich zurückgefunden: nun ist mir ganz wohl. Dieser Tage werd' ich als barmherzige Schwester in ein Kloster treten; ich komm' zu einer Oberin, die ich anbete, so eine herrliche Frau ist sie. Wo? Das braucht's ja nicht, danach fragt nur nicht. Ich sage Euch Lebewohl!

Die Kinder sollen denken, daß ich tot bin, sollen für mich beten. Ich segne sie noch; ich segne sie wie aus einer andern Welt ... Die Leiden der Mutter Gottes trösten uns über alle Leiden! Als junges, unfrommes Ding sah ich einmal an einem Kreuzweg einen Steinpfeiler, da waren oben zwei Bilder in den Stein gehauen; vorne die Mutter Gottes, das süße Jesuskind auf dem Schoß, so recht mutterglücklich; rückwärts dieselbe Maria und wieder den Sohn im Schoß, aber den toten Sohn. Damals fühlt' ich das nicht so wie jetzt ... Was ist mein Leid gegen das? Ich beuge mich in Gottes Hand und bin ganz zufrieden.

Ich freue mich, gute Christel, daß Sie bei den Kindern sind; verlassen Sie sie nicht. Ich muß und will für andere leben; leben Sie für die Kinder. Lebt wohl!

Heute noch Milli, bald Schwester X.« – –

Hermann Ifinger starrte noch lange auf die engen Zeilen, die zierliche Mädchenhandschrift. Er dachte wieder zur Karlskirche hin. Jetzt lag der im Grab ...

»Christel!« sagte er endlich durch die tiefe Stille. Christel kam zu seinem Erstaunen aus dem andern Zimmer. Er sah sie, noch wie abwesend, an. »Bitte, schicken Sie die Kinder zur Sali«, murmelte er dann; »ich möchte mit Ihnen allein – muß mit Ihnen sprechen.«

»Die Kinder sind schon bei ihr«, antwortete sie.

»Desto besser!« sagte er; plötzlich begann aber der Brief in seiner Hand zu zittern. Er blickte über die Schulter auf Christel; ein verworrenes Durcheinander war in diesem Blick: Schmerz, Mitleid, Trauer, Innigkeit, Bangigkeit – und ein Strahl von Freude. Der verging aber zuerst. Er deutete mit dem Kopf auf den Brief. Er wollte etwas sagen. Sein Gesicht sprach aber so lebendig, daß er lieber stumm blieb; Christel nickte ihm auch zu, als hätte sie alles gehört.

Er legte den Brief auf den Tisch, die Hände auf den Rücken; ging durchs Zimmer zur Glastür, sah in die sternenlose, grauschwarze, stille Nacht hinaus – und kam langsam zurück. »Christel!« fing er an. »Die Kinder vermissen nichts; die haben an Ihnen eine zweite Mutter. – – Warum gingen Sie eigentlich damals zu uns? Ich frag' nicht aus Eitelkeit, das wär' gar zu komisch – aber gingen Sie in den Dienst aus einer Art von Interesse für mich?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich wär' zu jedem gegangen, Herr Doktor. Ich wollte eben dienen.«

»Hm! – Ja, ja. – Also keine besondere – – Jetzt wird's lächerlich; aber das schadet nichts. – Also keine besondere Sympathie für mich?«

»O doch!« antwortete sie, herzlich, einfach, ohne die Ruhe zu verlieren; nur ihre Schultern hatten sich leicht gerührt. »Das wissen Sie ja. Gleich vom ersten Tag!«

»Hm!« murmelte er wieder, aber in andrem Ton. Er schien im Begriff, auf sie zuzugehn; statt dessen trat er aber langsam zurück, bis an den Tisch, auf dem die Lampe stand, und lehnte sich an ihn, beide Hände hinter sich auf den Rand gelegt. – »Ich muß Ihnen was mitteilen, Christel. Dies ist kein lustiger Tag; das wissen Sie. Ich rieche noch die Kerzen, die wir getragen haben; – ich hab' dem Leo Falk das Geleit gegeben –«

»Ich hab's gewußt«, sagte sie leise. – »Dann sagte es uns auch Herr Erhart, der schon lange hier ist –«

»Also kurz, ich bin mitgegangen; in sehr ernsten Gedanken – wie Sie denken können. In guten Gedanken, Christel. Die ernstesten und besten aber kamen mir in der Kirche ...«

Er schüttelte den Tisch mit den Händen, daß die Lampenglocke zu klirren anfing. Dann stieß er heraus, als bringe es ihn sonst um, kurz und fast grob: »Nämlich, daß Sie meine Frau werden müssen.«

Christel wurde totenblaß. Sie fuhr nicht zusammen, sie war wie vom Schlag gerührt. Auch versuchte sie gar nicht zu antworten; nur mußte sie endlich doch nach dem Herzen greifen.

»Ja«, fuhr er fort. »In der Karlskirche ... Ich kämpfe aber mit diesem Gedanken schon lange; hab' mich gewunden, gesträubt. Da hab' ich aber Ihren Brief an Erhart gelesen; hab' Ihr ›Tagebuch‹ mit unsren Gesprächen gelesen; – es lag auf dem Tisch. Kurz, da konnte auch ein Blinder sehn, wie Sie in Ihrer stillen Genialität gewachsen und gewachsen waren, diese Jahre lang; und mit mir zusammengewachsen, Christel ... Was schütteln Sie den Kopf. Was heißt das? Wer so ein Tagebuch geschrieben hat, der schüttelt doch nicht mehr den Kopf. Sie gehören zu mir ... Ich wußt' es auch schon lange; das heißt, was man so wissen nennt. Ich fühlte, wir können ja gar nicht mehr ohne einander leben; und ich hatte Sie rasend lieb; ich sagte mir: so kann es nicht bleiben ... Aber wie man dann ist, ich hab' lange gekämpft; – doch das hab' ich ja schon gesagt. In der Karlskirche, in all dem heiligen, feierlichen Ernst, bin ich zum Entschluß gekommen. Denken Sie aber nur nicht, das ist so ein weiser Entschluß – so was Vernünftiges, Philosophisches. Ich lehn' mich ja nur an den Tisch, weil die Hände sonst – – Ich bin ja so verliebt. Christel! Tag und Nacht verliebt. Verstehn Sie doch, was das heißt: trotz der Brille da, und mit allem, was ich schon erlebt habe, und mit meinen Jahren, und mit diesem ganzen sehnsuchtsvollen Herzen – grenzenlos verliebt!«

»Oh, das tut nicht gut!« seufzte Christel und rang jetzt die Hände. »Oh, das tut nicht gut!«

»Was Sie alles reden,« fiel er ihr ins Wort, obwohl es das erste war, was sie in Worten sprach. »Oh, das tut nicht gut. Wenn Sie nicht meine zukünftige Frau wären, würd' ich Ihnen darauf sagen: Sie sind kindisch, Christel! Warum tut das nicht –«

»O die Kinder! die Kinder!« rief sie aus, und es überlief sie. »Die sollten statt ›Christel‹ ›Mutter‹ zu mir sagen –!«

»Das ist freilich sehr komisch« ... Er lächelte sie an. »Wenn aber die Welt weiter nichts Komisches hat als das, dann ist sie verteufelt ernsthaft und langweilig! – Die kleinen Ifingers werden es überwinden, Christel –«

»O Herr Doktor, scherzen Sie nicht. So eine Mißheirat. Das Wort ist schon so schrecklich. Aber die Sache, die Sache – das Schrecklichste auf der Welt!«

»Dagegen streit' ich nicht, Christel«, erwiderte er, den Kopf gegen sie vorbeugend, schon viel heiterer – was sie nicht begriff – und in einer Art von stiller Seligkeit, so mit ihr zu streiten. »Eine Mißheirat – für die bin ich gar nicht. So ein stupider, fanatischer Demokrat, der alles gleichmachen will, der soll nur lieber gleich aus der Welt lauter Gallert machen! Wären Sie die Christel vom Halleiner Kirchhof geblieben – und wären Sie auch zehnmal stattlicher und hübscher als Sie sind – und wären Sie selbst noch braver als sie sind – wenn das möglich ist, ich weiß es nicht – so paßten Sie nicht zu meiner Frau; ich heiratete Sie auch nicht. Jetzt passen Sie aber dazu; und das wissen Sie selbst sehr gut; – schütteln sie doch nicht immer den Kopf. Sie hatten schon damals ein großes Herz, einen hohen Sinn, Christel; darin waren sie schon lange weiter als die meisten Menschen! Nun sind Sie ihnen in allem über den Kopf gewachsen: im Denken, im Streben, im Wissen – – ich beschwöre Sie, halten Sie den Kopf endlich einmal still. In dem, was man ›Bildung‹ nennt – und in dem, was man ›Form‹ nennt – ja, ja, ja. Es ist so. Was Sie im Herzen haben, das haben Sie nun auch in den Armen, in den Schultern ... Ich seh' Sie ja an wie ein Wunder, Christel – und ich bin so glücklich! So was gelingt Gott nicht oft! Diesmal ist's gelungen!«

Sie war wieder bleich wie der Tod. Er sah es, und nun erschrak er doch; und ihm ward beklommen zumut. »Freilich,« sagte er, die Hände vom Tisch nehmend, – »wenn Sie nur so sind, aber nicht für mich – dann red' ich hier wie ein altes Kind. Wenn Ihr Herz mich nicht – – Nein, nein, Christel. Das Tagebuch! Und alles. Und jetzt dieser Blick. Aber, heiliger Gott, Sie sagen mir nichts. Warum reden Sie nicht! Sind sie stumm geworden! Machen Sie mich nicht toll! Sagen Sie doch ein Wort!«

Das Mädchen starrte ihn an. »Bitte, sagen Sie nichts mehr,« lallte sie; »ich halt's nicht mehr aus« ... Seine Frau! – Es war ihr wohl einmal wie ein verrückter Traum durch den Sinn gegangen; ernsthaft, mit klarem Kopf, hatte sie's nie gedacht ... Der Atem blieb ihr aus; die Sinne vergingen ihr. Sie schloß die Augen und sank ohnmächtig nieder, mit dem Rücken am Sofa hinabgleitend, vor dem sie schon eine Weile stand; der Kopf blieb aber, seltsam und schauerlich genug, auf dem Polster liegen. »Christel!« schrie er und sprang hinzu. Er beugte sich nieder, umfaßte sie und hob sie empor. Sie war noch wie leblos; und wie schwer war sie ... Seine Arme zitterten aber wohl auch, von so viel Erregung, und waren schwächer als sonst. Endlich hatte er sie in die Ecke des Sofas sanft zurückgelehnt. Er sah, wie ihre Brust sich hob, er hörte ihren Atem. »Christel!« stammelte er. »Wie können Sie so – – Sie, die starke Christel! Immer die Stärkste von allen. Ich will ja nur Ihr Glück! Unser Glück!«

Hinter sich hörte er ein Kleid rauschen und ein leises Flüstern. Sein verstörter, verwilderter Blick sah die Baronin, die mit dem Grafen eingetreten war; vielleicht hatte sie seinen Schrei gehört. Die Augen der Baronin schienen ihn zu fragen, was geschehen sei. Er deutete stumm auf das Mädchen, ganz verwirrt mit den Achseln zuckend. Die kleine Gestalt der Donna Clara flog nun herbei, setzte sich zu Christel aufs Sofa, die die Augen aufschlug. Waldsee trat langsamer und zögernd herzu. Ein unsicheres, unmutiges Gefühl kam über Ifinger. Er sah, daß das Mädchen völlig erwachte, aber ihr Blick noch umherirrte; in einer Bewegung, die er selber nicht verstand, wandte er sich ab und ging an die Glastür, wo er stehenblieb.

Christel sah ihm nach. Noch in tiefer, angstvoller Bangigkeit schüttelte sie den Kopf.

»Doch! Doch!« flüsterte jetzt Clara, nah' an ihrem Ohr.

Erstaunt heftete das Mädchen ihre aufgerissenen Augen auf die kleine Frau. »Ach, Sie wissen ja nicht, was er will!« sagte sie leise.

»Doch, ich weiß es, Christel!« ...

Wie um ihr zu sagen, daß sie alles wisse, und was sie dabei denke, beugte sie sich vor und küßte das Mädchen auf die schöne, zurückgewölbte Stirn. Dann schien sie aber zu fühlen, es sei noch nicht das Rechte; sie beugte sich tiefer und küßte sie auf den noch schwach gefärbten Mund, » Amica mia!« flüsterte sie dann lächelnd. Ihre Augen gingen zur Glastür hinüber, wo der andre stand; weiter sagte sie nichts.

Der Kuß schien aber Christel wunderbar zu ermutigen, zu stärken. Nach einem dankbaren, gerührten Blick auf die Baronin sah sie mit einem ernsten, verwundert verklärten Lächeln vor sich hin. Sie stand langsam auf. Ihre Knie waren noch unsicher. Einige Augenblicke blieb sie so stehn; bis sie neue Kraft fühlte. Dann ging sie zur Glastür und trat hinter Ifinger; sie kam ihm so nahe, daß er ihren Atem fühlte.

»Lieber, einziger Herr Doktor!« sagte sie leise, schwach; die Stimme gewann erst nach und nach ihren Wohlklang wieder. »Ich hab' Sie für einen außerordentlichen und herrlichen Menschen gehalten vom ersten Tage an. Schon in München dacht' ich, in meinem dummen Kopf: wie anders der doch ist als die andern alle, die ich kenne! Auf dem Kirchhof in Hallein hab' ich mir gedacht: was für ein himmlisches Herz muß der Mann doch haben; wie er gleich alles versteht! – Und dann war es mir diese Jahre eine Seligkeit, ganz für Sie zu leben. Ich wünschte und hoffte nichts, als immer, bis an mein Ende, so für Sie zu leben ... Ist Ihnen das nicht genug?«

Ifinger rührte sich nicht; er sah in die Winternacht hinaus, in der jetzt die stillen Schneeflocken fielen. »Das ist viel, Christel,« antwortete er leise. »Sehr viel. Eigentlich unbegreiflich viel. – Aber doch nicht genug. Ich kann nicht ohne Sie leben, hab' ich Ihnen ja schon gesagt. Eine Magd aber will ich nicht mehr haben ...«

»Nun,« sagte ihre zitternde Stimme, »dann machen Sie's, wie Sie's wollen. Ich hab' keinen andern Willen, als den Ihrigen. Ich tue, was Sie wollen!«

»Dann wirst du meine Frau!« sagte er und wendete sich herum.

Er streckte die Arme aus und fühlte die kraftvolle, blühende, lebenswarme Gestalt an seiner Brust; die schwellende Stärke in ihren Armen, als sie noch einen Augenblick fassungslos, sinnlos widerstrebte; dann das Dahinschmelzen all ihrer Kraft, ihres ganzen Ichs; – ein nie gekanntes, erstaunlich seliges Gefühl. Auch er verging wie in einem Traum. Nur schien ihm nichts so gewiß auf der weiten Welt, als daß er wirklich die Liebe, die Treue, daß er das Unverlierbarste von allem Irdischen in den Armen halte.

Im Zimmer war's lange still. Endlich traten der Graf und die Baronin näher; Waldsee mit liebenswürdigem Lächeln, Clara in weiblich inniger Bewegung. »Wir sind glücklich, Frau Christel!« sagte sie, die Hände ineinandergelegt.

Christel sah ihnen entgegen; ihre Augen lachten, ihre Lippen bewegten sich aber, als müßten sie nun weinen. Mit einem tiefen Atemzug löste sie sich von Hermanns Brust. »Verzeiht!« rief sie aus. »Ich kann noch nicht! Ich kann's noch nicht fassen!« – Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen und lief hinaus, durch die offene Tür.

Erhart hatte sie aber noch gesehn; er war vom Vorplatz her eben eingetreten. Sein Malerblick begriff sogleich, was geschehen war. Ifinger fühlte Erharts Hand auf seiner Schulter und dann den Druck einer kräftigen, herzlichen Umarmung. »Ich hatte also recht!« sagte Erhart, sehr zufrieden lächelnd.

»Du hattest recht? Wieso?« fragte Ifinger.

»Mann, wir sind ja doch auch auf der Welt! denkende Geschöpfe! – Vorhin, eh' du von Wien zurückkamst, haben wir gestritten, wir drei, ob du sie heiraten würdest ... Ja, jetzt wundert er sich! – Ich hab' behauptet, du hättest trotz alledem noch so viel Vernunft. Die andern haben das nicht behauptet –«

»O doch!« rief die Baronin. »Ich doch!«

»Nu, jedenfalls hab' ich recht! – Wenn schon einmal geheiratet werden soll und muß, so ist das ein guter Fall zum Heiraten: das war meine Meinung. – Ifinger! Alter Hermann Ifinger! Zur Hochzeit mal' ich sie dir!«

Hermann lächelte; es schien sich aber etwas Sonderbares, spöttisch Bedenkliches in dieses Lächeln zu mischen. »Du meinst wohl,« sagte Erhart leiser, »die Ehre ist nicht groß: damals in Salzburg hat er ihre Kusine gemalt? – Das war damals, Bruder. Ich male jetzt für anständige Leute und erfreuliche Begebenheiten.«

»Das ist sehr schön,« erwiderte Ifinger, »und ich danke dir. Ich will nun aber doch zu ihr gehn!«

Er ging Christel nach, durch die offene Tür.


 << zurück