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Zweites Buch

I

Es war wieder Sommer geworden, und schon zum drittenmal; man schrieb 1874; der unstete Erhart, der schon so manchesmal zwischen Nord und Süd seinen Wohnsitz gewechselt hatte, war seit Jahr und Tag aus »Bieranien«, wie er die Isarstadt nannte, fortgezogen und nach dem schöner gelegenen Salzburg geflohn. Daß er hier weniger Menschen fand, mit denen er reden konnte, störte ihn nicht; er ertrug schon damals die Einsamkeit leicht, in die man bei solchem Nomadenleben ohne Mühe geraten kann, ja er begann sie zu lieben, und an der alten Bischofsstadt zog ihn offenbar nicht nur die Schönheit an. Zum Überfluß hatte er sich auf dem Mönchsberg angesiedelt, nicht in der Stadt. Es gefiel ihm sehr, diesen langen, schön bewachsenen, reizvoll gegliederten Bergrücken zu bewohnen, der sich so gesellig neben den Kirchen und Häusern der Menschen hinzieht, so zutraulich niedrig auf sie hinuntersieht, und doch so wunderbar ins Land hinausherrscht, grüne und graue Gebirge, jähe Felsen, Gletscher, grenzenlose Ebenen überblickend. Motive für seine Landschaften gab ihm diese Fernsicht nicht, höchstens einmal einen Hintergrund für ein romantisches Figurenbild; aber sie stimmte ihn, sie erhielt ihn in einer gewissen erhabenen Verachtung der Alltäglichkeit, des »Wurmlebens«, die seinen schaffenden Kräften Lebensluft war. Von den wenigen Häusern, die der Mönchsberg trägt, hatte er das kleinste gemietet, das einzige, das sich dazu hergab, und auch von dem nur den Oberstock, mit dem flachen Dach, das in die Nähe und Ferne sah und »ungefähr im Mittelpunkt der Welt« lag, wie Erhart behauptete. Viel Raum hatte er nicht, noch weniger Bedienung; aber das beste Licht und die feierlichste Stille. Die heraufläutenden unzähligen Glocken waren ihm in dieser Höhe nur wie Stimmen der Natur, die die Sammlung rufen, statt sie zu verscheuchen.

Nach mehreren Regentagen war ein trockener, goldener gekommen – doppelt schön in diesem allzu regenreichen Ausfallstor des Gebirges –, und am Morgen und Mittag hatte Erhart gefaulenzt, einen Ausflug gemacht. Am Nachmittag ließ ihm schon wieder die ersehnte Arbeit keine Ruhe mehr; er stieg seinen Berg hinan, auf der Treppe, die neben der in den Fels gehauenen Sommerreitschule hinaufgeht, und sah unterwegs im Kopf ein neues Bild, das er malen wollte. Zu Hause, in seiner taghellen Werkstatt, empfing ihn eine ganze Herde unfertiger Gemälde, die auf ihn warteten; denn da seine Phantasie so fruchtbar geschäftig war, warf er oft seine ersten Gedanken nur so roh auf die Leinwand, um daran weiterzuträumen, wenn die Stunde käme. Er mußte lachen, als er alle diese »Säuglinge« übersah, die an die Brust genommen sein wollten; sie beunruhigten ihn weiter nicht, warten konnten sie. Ihn erfüllte jetzt nur der neue Traum, der aus ihm herauswollte. Nach einigen Augenblicken stand eine schon hergerichtete Tafel auf der Staffelei; er wollte diesmal auf Holz malen. Niemand konnte schneller als er seine Farben wählen, auf die Palette ausdrücken, mischen; er begann mit dem Mischen schon, während er sie auftrug, da »sein Hirnkasten ihm die Farben vorsang«. Der viereckige Raum der Tafel füllte, belebte sich ihm in Gedanken, während er ihn ansah; er schnalzte mit der Junge, er wandte den Kopf hin und her, wie ein Vogel auf dem Zweig, der seinen Wald betrachtet. Auch begann er wie so ein Vögelchen zu pfeifen; denn er wußte von diesen kleinen Sängern Dutzende nachzuahmen. Endlich griff er zu den Pinseln und fuhr über das Holz, mit noch immer jugendlichem Übermut und Eifer. Seine Augen blitzten.

Die Aufwärterin kam zögernd und leisetretend herein; mit ihren schon stark ergrauten Haaren eine rüstige, wohlgenährte, höchst reinliche Frau. Sie zuckte mit den Achseln, als sie ihm eine Visitenkarte hinhielt. »Er war nämlich schon einmal da, Herr Erhart«, sagte sie, um ihren unerwünschten Eintritt zu entschuldigen. »Ein großer, dicker Herr. Er will nicht stören, sagt er, aber es ist ein Geschäft.«

Erhart warf ihr einen so wilden Blick zu, als wäre ihre letzte Stunde gekommen und keine Gnade mehr möglich. »Sie sind ein unausstehliches Frauenzimmer«, sagte er dann ruhig.

»Ja, ja«, erwiderte sie, seufzte und lächelte.

»Er will ›nicht stören‹; nur daß er so gründlich wie möglich stört!«

»Ja freilich«, bemerkte sie; lächelte und seufzte.

»Nun, wenn's ein Geschäft ist, dann muß er ja doch herein. Also bringen Sie ihn her, Sie Unhold!«

Die Frau ging, wieder mit den Achseln zuckend, hinaus, öffnete dem Fremden die Tür und verschwand. Es war in der Tat ein »großer und dicker Herr«; aber noch jugendlich, schwerlich älter als der Maler, und in die feinsten Sommerstoffe mit Geschmack gekleidet. An den weißen, gepflegten Händen glänzte es von allzu auffallenden Ringen mit edlen Steinen. Auf dem nicht unschönen, eher angenehmen Gesicht blühte das Behagen; »Genuß mit Verstand« schien das Losungswort dieser ganzen heiteren und wohlwollenden Erscheinung zu sein. Nicht ohne eine gewisse Anmut, trotz ihres Umfangs, ging die breite Gestalt auf den Maler zu. Mit zutraulichem Lächeln verneigte er sich ein wenig und sagte: »Ich bedaure sehr, wenn ich störe. Aber wenn man von einem Maler ein Bild möchte, muß man ja zu ihm gehn!«

»›Baron Ansbach‹ les' ich da«, erwiderte Erhart, auf die Visitenkarte deutend, die er in der Hand hielt. »Gehören Sie zu den bekannten Wiener Ansbachs, wenn ich fragen darf?«

»Nun ja, allerdings«, antwortete der Baron, offenherzig zufrieden lächelnd. »Mein Bruder ist der große Geldmacher; ich beschäftige mich mehr mit dem Ausgeben. Auf der Rückreise von Paris kam ich auch nach München und hab' in der Galerie des Barons Pillnitz – denn man muß ja fast schon sagen: eine Galerie – auch Bilder von Ihnen gesehn. Nicht daß ich Ihnen schmeicheln will, Herr Erhart, das gehört nicht zu meinen Bedürfnissen – aber da ist zum Beispiel ein Knabe, der in der Abenddämmerung vor einer Laube auf einer Flöte bläst. In der Laube sitzt eine Nymphe, in einem sonderbaren Rosakleid, die heimlich zuhört; die ist nicht mein Genre, offen gestanden; aber der nackte Knabe – den Teufel auch! Wie haben Sie den gemalt. Der ist ja nicht gemalt, sondern modelliert. Man traut seinen Augen nicht. Ein Leben, eine Schönheit ... Und dazu sein schwärmerisches, verzücktes Gesicht – mir etwas zu verzückt, wenn Sie erlauben – aber das Ganze, so griechisch, und doch so modern ... Wie gesagt, ein Kunstwerk!«

»Man tut, was man kann, Herr Baron –«

»Erlauben Sie: das glaub' ich nicht«, fiel ihm Baron Ansbach ins Wort, mit seinem behaglichen Schmunzeln. »Sie können ganz gewiß noch mehr und noch Besseres – und deswegen komm' ich. Wer so einen Jungen malt, der kann gewiß auch die schönste Frau malen; – ohne Rosakleid, mein' ich. Als sogenannte Venus. Warum haben Sie das nicht getan?«

Erhart lächelte. »Das kann ich ja noch«, entgegnete er, ohne auf dieses »Warum« weiter einzugehn.

»Das sollten Sie auch tun! – Kurz, ich möchte so eine Venus von Ihnen, wenn es Ihnen recht ist. Ganz nach Ihrer Erfindung und Ihrem Geschmack; Sie werden es schon treffen. Über den Preis würden wir wohl einig. Würden Sie das tun?«

Erhart betrachtete den sonderbaren Herrn etwas aufmerksamer. Um die klugen Augen und den fast kleinen Mund mit den vollen Lippen sah er allerlei gemütlich sinnliche Züge; einen Niederschlag von edlerem Schönheitssinn konnte er nicht entdecken. »Was wollen Sie mit dem Bild?« fragte er dann trocken.

»Erlauben Sie, Sie sind komisch«, antwortete der andre, mit ebenso trockenem Humor. »Aufhängen will ich es. Mich an dem schönen Weib so platonisch erfreuen, wie das bei Bildern üblich und nicht zu ändern ist. Das Bild wird an einem Ehrenplatz hängen, dafür steh' ich Ihnen. Wollen Sie mir's malen?«

»Warum nicht«, sagte Erhart nachlässig, mit dem Malstock spielend. »Ich bin zwar nicht gewohnt, auf Bestellungen zu malen, ich mache, was mir einfällt; aber ein Pedant bin ich nicht. Wenn Ihre Anregung mich etwa auf einen guten Gedanken bringt, so bin ich Ihnen dankbar. Aber die Sache hat einen Haken, Herr Baron. Ich hab' mich gegen Baron Pillnitz verpflichtet, ihm jedes Bild, das ich male, zuerst anzubieten; erst wenn wir uns nicht einigen, kann ich es an einen andern verkaufen. Das sag' ich Ihnen aber gleich, da Sie so bedeutungsvoll lächeln: bietet er einen irgend anständigen Preis, so ›handle‹ ich nicht weiter, sondern geb' ihm das Bild.«

»Ah!« stieß der Baron hervor und zog seine kurzen, dünnen Brauen in die Stirn hinauf. Er ließ seine aufrichtige Verwunderung eine Weile stehn. Endlich sagte er, den Schnurrbart streichend: »Natürlich, ich begreife; auf so einen Kunstmäzen wie den Baron Pillnitz nimmt man gern Rücksicht. Den stößt man nicht vor den Kopf. Nun ja, wie soll unsereiner mit dem konkurrieren; der hat ja nicht bloß das Geld – das hätte man wohl auch –, sondern obendrein noch den Namen, die Autorität. Ein großer Kenner, hör' ich. Man sieht's auch: wenn er so mit dem scharfen Blick durch das Glas, an einem Bild entlang forscht, wie ein Polizist, dann sagt man sich geknickt: der versteht's! – Er war dabei, als ich seine Bilder ansah; er war sehr scharmant; aber er sprach so kunstgelehrt von ›malerisch‹ und ›Luftperspektive‹ und ›Ideen, Ideen‹, daß ich mich kaum mehr getraute, noch ein Wort zu sagen. Der darf Ihnen natürlich weniger bieten als ein sogenannter ›Finanzbaron‹, der nur seine Moneten hat. Das ist der Vorteil der Firma!«

Erhart lächelte, unterdrückte aber, was ihm auf der Zunge schwebte. »Kenner oder nicht,« sagte er nach kurzer Stille, »ich ›handle‹ nicht mit dem Baron. Seit drei Jahren kauft er fast alles, was ich – –«

Er sprach nicht aus, denn die Tür zum Vorplatz wurde aufgerissen, und an der Aufwärterin vorbei, die ihr Cerberusgesicht machte, trat mit unaufhaltsamen, ungeduldig raschen Schritten Hermann Ifinger ein. »Guten Abend, Meister Erhart«, sagte er, eh' dieser auch nur einen Laut der Überraschung hervorbringen konnte. »Entschuldigen Sie, daß ich so formlos – – die Freude. Ich wollte mich nicht erst anmelden lassen; das entsprach meinen Gefühlen nicht. Seit einem Jahr nicht gesehn ... Ich komme mit einem diplomatischen Auftrag – aber auch um einmal auszukneifen; mit Gepäck; das steht auf dem Bahnhof. Also guten Abend!«

»Ifinger! Alter Freund!« rief Erhart in der fröhlichsten Laune aus. »Wenn Sie mit Gepäck kommen, also mit Vernunft, dann wohnen Sie bei mir. Ich hab' Platz. Wir lieben uns bekanntlich. Kommen Sie her und schwelgen Sie in meinen Armen!«

»Ich schwelge also«, sagte Ifinger und umarmte ihn.

Baron Ansbach lächelte. »Bei so einem Wiedersehen will ich nicht länger stören«, sagte er und nahm seinen Hut. »Wenn Sie erlauben, Herr Erhart, so komme ich auf die Venus zurück; denn so ganz verloren geb' ich mich noch nicht. Ich denke mir, dieser Baron Pillnitz mit dem langen, mageren Hals und den Seheraugen liebt die Venusse nicht ... Hab' die Ehre! Adieu!«

Er ging. Ifinger sah ihm nach.

»Was hat der gewollt?« fragte er, als der Baron draußen war. »Was sagte er von Venussen?«

»Er will irgend was Unbekleidetes, das ich ihm malen soll. Das ›ewig Weibliche‹ scheint ihm sehr – – Aber lassen wir den. Kommen Sie ans Licht; wie schauen Sie denn aus? – Richtig; das hab' ich gedacht: Ihr Marmorkolorit hat sich noch weiterentwickelt, seit ich von München fort bin. Sie waren schon damals auf dem besten Wege; die Ehe und die Hausvaterschaft treibt Sie so nach und nach ins Karrarische – mit ein bissel Tabakssaft gebeizt. Was machen Sie denn, Mensch, daß Sie so ganz aus dem Roten und Braunen herauskommen?«

»Ich lebe«, antwortete Ifinger, ein wenig zögernd. »Ich arbeite.«

»Hm, hm! Wahrscheinlich zuviel. Wenn Sie so fortfahren, Doktor, wenn Ihre Marmorfarbe sich noch etwas klärt, dann wird den Bildhauern dereinst die Mühe erspart werden, Sie auszuhauen. Zerarbeiten Sie Ihre Kräfte nur so recht rücksichtslos weiter, dann läßt sich hoffen, daß ein einfacher weißer Anstrich oder etwas Schellack genügen wird!«

»Etwas Rücksichtsvolleres könnt' ich ja nicht tun«, entgegnete Ifinger. »Sie dagegen – Sie werden immer farbenreicher, immer blühender. Wie fangen Sie das an?«

»Da antworte ich wie Sie: ich lebe, und ich arbeite –«

»So einsam!«

»Allerdings nicht zu vieren wie Sie; ohne Weib und Kinder; daher ohne Sorgen. Wird mir's einmal gar zu still, so fahr' ich ab; im Mai war ich in Venedig, Padua, Mantua und so weiter; – hab' mir damals ein paar Striche Tizian gekauft, einen alten Kardinal vorstellend – ich zeig's Ihnen nachher. Wird Ihnen auch Spaß machen; könnte auch von Phidias selig sein!«

»Sind Sie denn Millionär geworden?« fragte Ifinger.

»Das Bildchen war überschmiert, und sein Besitzer ein Esel; so kam ich billig dazu. Und dann – wenn Ihr Baron Pillnitz auch ein sehr genauer Herr ist – einige nennen das ›Schmutzian‹ – so mal' ich doch eben viel, und die Menge macht es! – Aber zur Sache, Doktor: zu Ihrem ›diplomatischen Auftrag‹. Wer hat Sie damit betraut? Und wie heißt er denn?«

Ifinger lächelte etwas gezwungen und gab zögernd Antwort. »Wer mich damit betraut hat? Eben dieser Pillnitz, von dem Sie eben sprechen –«

»Hab' ich's nicht gedacht!« fiel ihm der Maler ins Wort. »Nun also – heraus damit. Was will er von mir? – Sie zungenrascher Pelide, warum stocken Sie?«

Hermann Ifinger stockte wirklich; und die Veränderung, die mit ihm vorgegangen war, trat nun um so stärker hervor. Sein Gesicht war nicht nur »marmorner«, auch magerer und spitzer geworden; unjugendliche, scharfe Züge hatten sich zwischen Mund und Wangen eingegraben, sein Lächeln erschien daher nicht mehr so harmlos wie früher, und kritischer als es war. Auch eine gewisse unfrohe Müdigkeit schien in der ganzen Augenhöhle zu nisten ... Er ging in seiner schlenkernden Weise durchs Zimmer und stellte seinen Strohhut auf den entferntesten Stuhl; dann kam er langsam zurück. »Erlauben Sie, daß ich mich setze«, fing er an; legte zuerst beide Hände auf den Sessel und dann die Schenkel darauf. »Es ist nötig, daß ich eine möglichst gemütliche Stellung einnehme; so bringe ich Ihnen am harmlosesten bei, was ich sagen soll; denn, wie gesagt, ich muß diplomatisch verfahren. Das tue ich hiermit!«

»Stoßen Sie endlich ab!« rief Erhart, der sich wieder vor eine Holztafel gesetzt hatte.

»Also kurz, Ihr Bild; Ihre Meerlandschaft. Die mit der schwarzen Dame und den schwermütigen Zypressen; die ich damals für den Pillnitz mit einer Idee versah und die er Ihnen als ›trauernde Menschheit‹ abgekauft hat; das erste, was er kaufte. Die – will jetzt nicht mehr; sie geht auseinander –«

»Auseinander? Sind Sie verrückt?«

»Bis jetzt merk' ich nichts«, erwiderte Ifinger. »Aber das Bild, das wird rissig. Diese melancholische Landschaft wird so lustig, daß sie das Springen kriegt. Verzeihen Sie, Meister Erhart – ich kann nichts dafür. Der Prahm und der Brenzel, die haben es zuerst entdeckt. Der Prahm hat's dann wissenschaftlich untersucht – denn er ist nun beim Baron geheimer Kunstoberbonze – und hat festgestellt: die moderne Technik ist schuld; unsolide Grundierung der Leinwand, zu frühzeitiges Firnissen, übermäßiges Firnissen –«

»Kurz, also ich bin schuld!« fiel Erhart ein, noch mit äußerer Ruhe; doch war er sehr blaß geworden und schlug sich mit der rechten Faust wie im Takt auf den Schenkel. »Und der wissenschaftliche Prahm weiß das ganz genau!«

»Er ist dekoriert«, entgegnete Ifinger.

»Und – haben Sie das Bild gesehn?«

»Lieber Freund – ich bin Laie. Natürlich hab' ich's gesehn. Es springt sehr fidel, das ist nicht zu leugnen. Prahm und Brenzel schwören, das ist ein Selbstmord, der mit dem sicheren Untergang endigen wird. Das versteh' ich nicht.«

»Na, und was wollen Sie? Was will der Baron von mir? Denn Ihr ›diplomatischer Auftrag‹ kann doch mit dieser Mitteilung nicht zu Ende sein!«

Ifinger schaukelte auf seinen Händen langsam hin und her, ohne Erhart anzusehn. »Nein, das Diplomatische kommt noch«, sagte er nach kurzem Schweigen. »Darum mache ich auch diese gemütliche schaukelnde Bewegung. Der Baron hat das Bild bezahlt, sagt er; und ein Bild will er doch haben, sagt er. Wenn die ›trauernde Menschheit‹ durch irgendeinen Fehler ihres Schöpfers zugrunde geht, so braucht der geehrte Schöpfer sie nur noch einmal zu schaffen – dann hat der Baron wieder ein Bild. Mit dieser ›Idee‹ bewaffnet –«

Erhart sprang auf, seine Palette und seine Pinsel fielen auf die Erde. »Ihm das Hundebild noch einmal malen?« schrie er. »Das ist seine ›Idee‹?«

»Brenzel und Prahm haben ihn darauf gebracht«, gab Ifinger zur Antwort. – »Nehmen Sie's mit Humor, Meister, wenn es möglich ist!«

»Unentgeltlich?«

»Natürlich. Der Baron hat das Bild bezahlt, sagt er –«

»Das hab' ich schon gehört, ich danke!« rief der Maler aus. »Ihr seid da eine schöne Bande beieinander! Dieser Neidhammel, dieser Prahm – in den Knochen statt Mark lauter Eitelkeit – und das Seehundsgesicht, der Brenzel, der von unsrer Technik soviel versteht wie ein Affenschädel – und dieser auseinandergegangene Auflauf, Ihr Baron! der nicht mehr weiß, was er ist! – ›Die moderne Technik‹ ... Als wären wir eine Schwindelkompanie, wir Jüngeren, einer wie der andre; als hätt' ich was mit den Schmierern gemein, die ihre Leinwände vollsudeln! ›Unsolide Grundierung‹ ... Du Hundejunge! Der Leo Falk nennt mich den ›klassischen Pedanten‹, weil ich soviel grüble und nachspüre, wie die Alten gemalt haben; mir ist alles nicht solid genug; zwanzig Arten zu grundieren hab' ich mir erfunden; und da kommt dieser Prahm und judiziert mit seinem feisten Baß: ›unsolid grundiert!‹ – Ei, ei, sagt dann der pfiffige Herr Baron, da ist leicht zu helfen; den Erhart hab' ich in der Hand, der lebt aus meiner Tasche. Dem schick' ich irgendeinen einfältigen guten Kerl, der es übernimmt, und durch diesen braven Hansnarren lasse ich ihm sagen: Mal mir das noch einmal!«

»Ich weiß nicht,« sagte Ifinger trocken, »ob Sie zufällig bemerken, daß Sie auffallend grob sind –«

»Nein,« unterbrach ihn Erhart, noch immer wild, »ich hab's nicht bemerkt!«

»Dann mache ich Sie hochachtungsvoll ergebenst darauf aufmerksam: Sie sind ausfallend grob. Ich hab' diese Mission aus sieben Gründen übernommen: erstens, weil ich Ihnen ersparen wollte, die Sache durch einen nichtswürdigen Brief zu erfahren; zweitens, weil ich Sehnsucht nach Ihnen hatte; – die andern hab' ich vergessen. Übrigens, wenn Sie sicher sind, daß Prahm ein Esel und Ihr Bild nicht lebenssatt ist, so fahren Sie einfach nach München und stellen Sie beides fest; dann ist die Sache in Ordnung!«

»Mich mit diesem Prahm herumstreiten, mich verantworten, als stünde ich vor Gericht? Und wenn diese verdammten Sprünge nun da sind, dann nicht beweisen können: das sind die einzigen, die letzten, die bedeuten nichts, es kommen nun keine mehr? Wie kann man dem was beweisen, der nicht glauben will? Was nützt es, mehr davon zu verstehn, wenn der andre überzeugt ist, er versteht ebensoviel? – Ihr blinder Baron hat sich schnell entpuppt; er läuft nun als Kenner herum, er hat Augen gekriegt. Er versteht die Sache. Und was er noch nicht weiß, das weiß sein dicker Prahm – und sein dünner Brenzel. Unsolid grundiert, zu früh gefirnißt, für den Effekt – damit basta! – Mit diesen Gorillas über meine Kunst, meine Technik streiten? Lieber morgen früh um fünf hier vor der Staffelei stehn und die schwarze Dame am Meer noch einmal hinstreichen, solang' ich noch jappen kann – und den drei Nußknackern dann sagen: da habt ihr sie, gebt mir meine verpfuschte Leinwand wieder, hole euch der Teufel!«

Ifinger nickte und brummte, ohne das Gesicht zu verziehn. »Unvornehm wär' das nicht«, sagte er beifällig; »aber vielleicht dumm. Ich sage absichtlich ›dumm‹, aus Gerechtigkeitstrieb: um zwei Grobheiten wenigstens mit einer zu vergelten. Denn eine haben Sie frei wegen Ihrer Aufregung –«

»Ja, ja, Ihr Isar-Athen!« unterbrach ihn Erhart, der noch einmal wild ward und des andern Worte nicht hörte. »Was tut der in Salzburg, sagt ihr Augenverdreher, man kann nur in München leben; – und so lebt ihr in München. Eine Eselswirtschaft! die der Teufel am Schwanz zieht! Da ist dieser Kircher, Ihr Schwager, der ist ja nun auch rein des Teufels worden: schreibt Kritiken, hör' ich, in Papa Brenzels Manier, läßt sich jetzt zu uns herab, weil er sich nicht zu uns hinaufmalen konnte, wird mir wohl auch bald beweisen, daß ich nicht malen gelernt habe ... Ein Tollhaus, euer Bier-Athen. Die Impotenz im Delirium! Das ist eure Firma!«

»Meine Hochachtung,« erwiderte Ifinger ruhig, »ich finde, Ihre Zunge malt so kräftig, wie Ihr Pinsel spricht. Anton Kircher ... Na ja, den hat sein Schicksal erreicht: der sprach und schrieb immer besser, als er malte; nun geht er endlich zu seiner eigenen Mehrheit über – wozu sich der verblendete Mensch oft so schwer entschließt – und wird angestellter und besoldeter Räsonneur über die Kunst. Ich gestehe Ihnen ehrlich, mir bekommt das besser: ich hab' in diesen drei Jahren meiner Frau und mir so viel Kirchersche Leinwände zu Weihnachten und zum Geburtstag ins Haus gestiftet, daß die Wände seufzen. An Ihnen wird er sich doch wohl nie vergreifen, hoff' ich ... Will's ihm auch nicht raten: denn Sie wehren sich mörderisch. Sie hauen drauf los – ob Feind, ob Freund, einerlei. Mir geht's hier gut! Ich komme her, um Sie endlich einmal wiederzusehn; ich freue mich darauf wie ein Junge, der in die Ferien geht; und nun fliegen mir die ›einfältigen Kerle‹, die ›braven Hansnarren‹, die ›Impotenzen‹ nur so ums Gesicht herum ... Lassen Sie sich nicht stören; das tut nichts. Tut mir gar nichts. Als ich diesen diplomatischen Auftrag übernahm, war ich auf alles gefaßt. Erst bei der Grobheit bewährt sich die Freundschaft. Schimpfen Sie nur weiter!«

Erhart, der im Atelier umhergegangen war und eine widerspenstige Locke auf seiner Stirn von Zeit zu Zeit grimmig zurückgeworfen hatte, blieb neben seinem Malsessel stehn. Er sah stumm auf den Doktor, der noch immer auf den Händen saß, als wär' er so gewachsen; dann zu den Pinseln und der Palette hinunter, die noch am Boden lagen. In seinem erhitzten, geröteten Gesicht kehrte die natürliche, sonnenverbrannte Bronzefarbe wieder. Er hob langsam die Pinsel auf, dann auch die Palette. »Pfui Teufel!« brummte er leise, die schnöden Farbenflecke am Boden betrachtend. Als er sich wieder aufgerichtet hatte, sagte er etwas lauter, mit einem eigentümlich weichen, fast schamhaften Lächeln: »Doktor!«

»Ich höre«, antwortete dieser.

»Ifinger!«

»So ist mein Name.«

»Hermann Ifinger!«

»Ganz richtig. – Euer Gnaden wünschen?«

»Ihnen noch eine Grobheit zu sagen. O Sie alter Schafskopf – Sie haben ja ganz recht. Was ereifr' ich mich hier über die drei Kerle in Steifleinen; diese ganze Kinderei ist nicht drei Worte wert. Die Hauptsache ist, daß Sie hier sind – Sie, Hermann Ifinger. Mensch, das ist ja rührend. Sie als Diplomat – die Brille auf der Nase – und die Freundschaft im Herzen. Mit Ihrem verrückten Humor, der eigentlich nichts als panierte Liebe und Güte ist ... Machen Sie doch nicht so ein dummes Gesicht. Sie haben Sehnsucht nach mir gehabt, sagten Sie ja wohl vorhin; so geht mir's ja auch, Doktor. Ich hab' mir so oft gesagt: hätt' ich nur den Ifinger hier ... Lassen Sie doch endlich Ihr verdammtes Schaukeln, ziehn Sie doch die Hände unter den Beinen weg und geben Sie sie mir!«

»Warum nicht«, sagte Ifinger kurz – denn die Bewegung, die über ihn selber kam, wollte er nicht zeigen – und stand langsam auf. Er hielt dem Maler beide Hände hin; aber mit so komisch steifer Gebärde, daß dieser mit seinen Händen nur danach schlug, statt sie zu ergreifen. »Ein Hansnarr sind Sie doch!« sagte Erhart lächelnd. »Macht nichts. Ist mir lieber, als wären Sie sentimental. Ich wollte Ihnen nur noch sagen – und das tu' ich auch –: Sie sind das einzige gelehrte Haus, von dem ich was gelernt habe; etwas Großes, mein' ich; wenn Sie mir in diesen Münchener Jahren beim nächtlichen Bierseidel einpaukten, in Ihrer Sturzbachmanier: ›erst Mensch und dann Künstler sein!‹ Das ahnen ja die meisten nicht, das verstehn sie nicht; sind alle erst Maler, Schmierer und dann noch lange nicht Mensch. Sie haben überhaupt in meinen kellerigen Schädel allerlei Licht gebracht. Ich freue mich auffallend stark, daß Sie mich besuchen ... Also von dem andern reden wir morgen weiter; jetzt nach oben, Doktor! Ich will Ihnen von ›des Daches Zinnen‹ das ›beherrschte Samos‹ zeigen; – der Kerl kann nicht sehn. Doktor, hier ist die Treppe!«


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