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X

Als Ifinger nach Hause kam, empfing ihn schon auf dem Vorplatz lautes, herzhaftes Lachen, aus dem »Salone« oder Gesellschaftszimmer; seine Tischgäste waren also schon gekommen. Er erkannte Leo Falks und Millis Stimme; es war ihm ein gar eigenes Gefühl, zum erstenmal das Lachen des jungen Meisters in seinem Hause zu hören; auch tat ihm wohl, daß es sich so versöhnt mit der hellen Stimme der Porzelläne mischte ... Auch zwischen mir und ihr wird noch alles gut werden, dachte er, und scheuchte den Druck einer neuen Beklemmung hinweg, legte Hut und Stock ab und trat in den Salon ein. Die kleine Gesellschaft war um den runden Tisch am Sofa versammelt: die Maler aus dem ehemaligen Haus der Freunde in der Augustenstraße; es fehlte nur noch der Salzburger, Erhart, er war noch bei Pillnitz. Auf Anton Kirchers Verlangen hatte die Hausfrau gekühlten Moselwein auf den Tisch gestellt, um die Männer noch vor Tisch, der »kannibalischen Hitze« wegen, mit einem Trunk zu erfrischen. Leo Falk saß auf dem Sofa, Milli neben ihm; sie hatte aber die Kinder bei sich, Grete kroch ihr auf dem Schoß herum, Hänschen stand zwischen ihr und Leo und putzte ein paar kleine rote Schuhe, seine eigenen. Diese Beschäftigung hatte ihm Nämlich gegeben, der über den Tisch herüber heimlich lachend zusah: der strebsame Kleine hatte eine Hand im Schuh, in der andern die Wichsbürste, die er von Zeit zu Zeit in eine gedachte Wichsschachtel eintunkte; er putzte aber zunächst die Sohlen, als das wichtigste. Milli blickte auf ihn herab, mit scheinbar gespanntem Eifer und unruhiger Heiterkeit; ihre Wangen glühten, zuweilen hob sie ein zuckendes Lächeln. Leos gelbliches, schwarzumrahmtes Gesicht war ruhig, er schien sich auch in diese neue Wendung des Weltlaufs mit gewohnter Fassung zu finden. Er hatte lebhaft gelacht, die kleine Gestalt lehnte nun in der Ecke und ließ geduldig eines seiner Knie den Tisch sein, auf dem die angebliche Wichsschachtel stand, aus welcher sich der kleine Stiefelputzer bediente.

Ifinger begrüßte die Freunde; er trat zunächst auf Leo zu, der ihn mit einem gemütlichen Nicken empfing, wie wenn sie alle Tage so zusammenkämen; dann drückten sie sich stumm die Hand. »Wir werden bald essen, Hausvater«, sagte Kircher, sich die Schläfen trocknend. »Diese grünen ›Römer‹ bedeuten nur, daß es gewitterig schwül ist, und daß höhere Naturen –«

Er kam mit seinem Satz nicht zu Ende: es klopfte, und unmittelbar danach riß Franz Erhart die Tür auf; die kraftvoll schlanke Gestalt mit dem verbrannten Gesicht blieb dann auf der Schwelle stehn. Seine Brauen waren zusammengezogen, die mächtigen blauen Augen blitzten; er sah so zornig bedrohend aus, wie etwa ein Offizier, der die Mannschaft bei einem frechen Verstoß gegen die Mannszucht ertappt. »Lausbuben!« rief er aus. »Viechsvolk! Hundekerle! – Ist das eine Schandwelt!«

»Weiter wissen Sie nichts? Was noch?« fragte Leo ruhig.

»Von wem sprichst du, wenn man fragen darf?« fragte Ifinger.

»Zum Teufel – doch nicht von euch!« antwortete Erhart grimmig. »Von diesen Öl- und Tintenschmierern ... Ich komme ja vom Baron; seinen Prahms und Brenzels, da schlag' Gott doch den Teufel tot!«

»Bitte, machen Sie erst die Tür zu, es zieht«, sagte Leo Falk.

»Gut, ich mache sie zu!« Erhart schloß sie hinter sich und trat in das Zimmer. – »Guten Tag, Frau Milli; entschuldigen Sie die wilden Tiere, mit denen ich hereinfiel; ich hatte Sie nicht gesehn. – Also man hat uns konfrontiert, meine alte Meerlandschaft und mich; und was hat man gefunden? Sie ist so gesund wie ich! Sie hat einige Sprünge, nu, die hab' ich auch; die hat ein jeder; daran stirbt man nicht. Ich hab's ihnen bewiesen: in ein paar Stunden mach' ich das Bild so heil, daß man nichts mehr sieht; und dann bleibt es heil. In diesen vier Wochen, seit Ifinger nach Salzburg kam, um mir den Sterbefall zu melden, hat sich auch nicht so viel mehr an dem Bild verändert; sie mußten es gestehn, sie konnten es nicht leugnen ... Da standen sie herum, diese Esel – Prahm und Brenzel mein' ich – und der kunsttriefende Herr Baron, der nicht mehr wußte, was er sagen sollte; der verblüffte Don Quichotte sah aus wie der Sancho Pansa. Er ergrünte förmlich ... Die alte Meerlandschaft, sagte ich den drei Ölgötzen, ist besser als die neue; wenn Sie jeder zwei Augen im Kopfe haben – zusammen sechs – dann müssen Sie es ja sehn!«

»Ja, das sind diese ›Kenner‹«, brummte Leo Falk. »Die kriechen in den Galerien herum, lernen jeden Quadratzoll Farbe auswendig – wenigstens tun sie so – und bestimmen dann wie die Tuchmacher, was für'n Stoff es ist – und wer's fabriziert hat! Alle zwanzig Jahr aber bestimmen sie's wieder anders: zuletzt war's ein Giorgione, jetzt ist's ein überschmierter Tizian, das nächste Mal wird's ein Pordenone ›aus der besten Zeit‹ –«

»Das tut den alten Herren nicht weh, die sind tot!« rief Erhart dazwischen. »Aber ich lebe noch und hab' dieser Viechskerle wegen das Bild doppelt gemalt!«

»Nun, so nimmst du das eine zurück«, sagte Ifinger, »das ist ja sehr einfach. Du stellst es aus, schickst es im Reich herum; von den vierzig Millionen Deutschen wird's doch einer kaufen.«

»Mensch, er hat es ja!« fiel ihm Erhart ins Wort.

»Wer hat's?«

»Dein Don Quichotte: der Baron! Der ist nicht bloß so bilderdumm wie der Sancho Pansa, sondern auch so bauernschlau. Er kommt endlich und gibt mir die Hand, lächelt sehr verbindlich; bedauert das ›Mißverständnis‹, bewundert meine ›technischen Kenntnisse‹, rühmt auch den ›guten Willen‹ der andern, seiner Prahms und Brenzels, nennt mich ›seinen Maler‹ – und sagt endlich, wieder lächelnd: für die ausgestandene Angst um das ›kranke‹ Bild, und zur Erinnerung an diese tragikomische Episode behalte ich beide Bilder, wenn es Ihnen recht ist; alle Besucher meiner Galerie können dann vergleichen, und es gibt eine berühmte Anekdote mehr in der Kunstgeschichte!«

»Nu – er zahlt doch für beide!« sagte Falk.

»Durchaus nicht; das zweite behält er so mit, unentgeltlich.«

»Nein!« rief Nämlich ungläubig aus.

»Doch!« rief Erhart zurück.

Ifinger trat kopfschüttelnd näher. »Und du hast's ihm gelassen, Franz?«

»Das ist ja das Tragikomischeste an dieser ›Episode‹: ich hab's ihm gelassen! – Zuerst war ich ›baff‹; dann bekam ich Lust, diesem Hidalgo etwas an den Kopf zu werfen; und dann sagt' ich mir: zum Teufel mit dieser schwarzen Dame – er mag sie behalten! Was liegt mir daran! Ich will für die nächsten Jahre ohne Sorgen sein, will drauflos malen können, was mir einfällt, ohne zu fragen: wer kauft's? Na, das kann ich nur, wenn ich ›sein Maler‹ bleibe; wenn der Maler mit dem Baron geht, wie der Dichter mit dem König ... Kurz, nachdem ich das und noch allerlei mit der Geschwindigkeit der Antilope gedacht hatte, schlug ich eine inwendige Lache auf, deutete nur so mit der Hand auf die beiden Bilder und sagte: Eins davon gehört mir, Herr Baron; aber um Ihrer ›schönen Augen‹ willen, wie man zu sagen pflegt – da, schenk' ich es Ihnen!«

»Und er nahm es an?« fragte Milli.

»Er nahm es mit einer Grazie an, die seinen Herren Ahnen alle Ehre machte. Darauf ging ich fort. Aber auf der Straße brach die Wut wieder aus über dies Gelichter, und über den ganzen sogenannten Weltlauf; und so kam ich mit der Menagerie in die Tür – bitte die anwesenden Damen (er sah Mutter und Tochter an) nochmals um Vergebung!«

»Lassen Sie die ›Bagaschi‹ da drüben,« sagte Leo mit seiner philosophischen Ruhe, »kommen Sie her, trinken Sie ein Glas. Nämlich, schenken Sie ein!«

»Ja, ich schenke ein!« schmetterte dieser voll Eifer, in zurückgedrängter innerer Entrüstung über die »Bagage«. »Nehmen Sie, Meister Erhart. Ich denke, die große Misere sollten wir jetzt alle vergessen und – (er nahm einen poetischen Anlauf und ward darüber rot) und nur an das schöne Bild auf dem Sofa denken, das Augenblicksbild, das uns diese große Stunde gemalt hat: an die Neuversöhnten! Da sitzt Leo Falk –«

»Lassen Sie den ruhig sitzen«, fiel Leo selber ein. Er zuckte mit einer Schulter, und seine gelben Wangen färbten sich tiefer.

»Nein, das tu' ich nicht! Nämlich, meine Herrschaften, eine große Freude ist uns widerfahren: da sitzt unser großer Meister –«

»Bei Ihnen ist alles groß«, unterbrach Leo ihn wieder, »nur Ihre Bilder nicht: die werden immer kleiner!«

Dem armen Nämlich gab's einen Stoß, es hatte ihn getroffen, aber als guter Kerl schluckte er's hinunter. »Man unterbreche den Redner nicht!« rief er mit tapferer Heiterkeit aus. »Da sitzt unser großer Meister, gefeiert in allen zweiunddreißig Richtungen der Windrose, bei seiner Jugend schon berühmt und geachtet wie ein alter Herr, und neben ihm sitzt die reizende Porzelläne – so darf man ja wohl noch sagen – die verehelichte Frau Doktor Milli Ifinger – und es ist wieder Friede und Freundschaft, wie in alten Zeiten. Wenn wir darauf nicht anstoßen, so sind wir, glaube ich, keine Biedermänner. Ich schlage vor, beide leben hoch!«

»Ja, darauf trinken wir, bravo!« sagte Ifinger.

»Leo und Milli hoch!« rief Erhart und hob sein Glas, das er erst zur Hälfte geleert hatte.

Die kleine Grete drehte verwundert den Kopf, da sie sich von ihrer Mutter so plötzlich und beinahe heftig an die Brust gedrückt fühlte. Milli rang nach Fassung; das Kind so festhaltend, nahm sie aber auch ihr Glas, um erwidern zu können, wenn man mit ihr anstieße, und versuchte dem guten Nämlich dankbar zuzulächeln. »Wär's nur erst vorbei!« dachte sie.

Es ging aber nicht so vorbei; nachdem alle »Hoch« gerufen und alle Gläser geklungen hatten, schlug Anton Kircher mit beiden Händen herzhaft auf den Tisch. Sein Gesicht war vom »kühlenden« Wein erhitzt, sein Gehirn befeuert; er hatte Erharts Ausfälle gegen Prahm mit Widerwillen angehört, er sah auf den Maler Falk herab, aber diese feierliche Versöhnung zwischen »Leo und Milli« ging ihm aufs Gemüt. Mit einem wild sentimentalen Aufschlag seiner brennenden Augen sagte er: »Einen Friedenskuß. Sie müssen sich umarmen. Nach einer so langen Trennung müssen Sie sich umarmen. Leo, gib ihr 'nen Kuß.«

Leo, offenbar verblüfft, sah zur Seite auf Milli; diese schüttelte nur stumm den Kopf. Es schien, sie wollte etwas sagen und konnte nicht; sie war blaß geworden. »Da hat einmal Kircher recht!« sagte Erhart. »Das Ereignis ist so bedeutend – da gehört auch ein Siegel drauf. Wenn der Hausherr nichts dagegen hat!«

»Im Gegenteil«, erwiderte Ifinger. »Für so ein paar Jugendfreunde gehört sich's –«

»Jugendfreunde!« rief Nämlichs Trompete dazwischen. »Hört, hört!«

»Nu, dann muß es sein«, murmelte Leo so leise, daß nur Milli ihn verstand, für die er auch nur sprach; und wandte sich ihr zu. Erhart hatte ihr scherzend die Grete vom Schoß genommen und auf seinen Arm; sie stand hastig auf, als hoffe sie noch zu entfliehn. Aber Leo, der sie mißverstand, erhob sich nun auch, berührte ihre Schulter, neigte sich vor und küßte sie flüchtig auf den Mund.

»Bravo!« rief Kircher aus.

»Aber was ist mit der Porzelläne?« fragte Erhart verwundert, betroffen. Milli, mit starren, blassen Augen und farblosen Lippen, von einem zuckenden, andauernden Beben überlaufen, bemühte sich zu lächeln, was ihr einen maskenhaft gespenstischen Ausdruck gab; dann schien ihr die Besinnung schwinden zu wollen, sie klammerte sich an den Tisch. Erst als Erhart näher trat, wie um ihr zu helfen, gewann sie wieder Kraft; sie hob eine Hand und wehrte ihn heftig ab. »Lassen Sie doch«, sagte sie. »Unsinn. Es war nur – – die Schwüle, glaub' ich; der Wein. Ja, und der ungewohnte Wein, vor Tisch ...«

Sie ließ sich in ihre Sofaecke zurücksinken und lächelte von neuem.

Es entstand eine tiefe Stille. Alle schienen betroffen. Dem Leo war das Blut ins Gesicht geschossen, er wühlte langsam in seinem Haarwald und sah auf den Tisch. Ifinger, fast so bleich wie Milli, bewegte den Kopf kaum merklich hin und her, indem er bald auf Milli, bald auf Leo starrte; die Bewegung erschien so mechanisch wie bei einer Wachsfigur. Er bemühte sich, irgendeine Sache zu verstehn, die er nicht verstand; in seinem Kopf regte sich's wie ein Nebel, den er nicht fassen konnte ...

»Das war jedenfalls ein einseitiger Kuß!« sagte Erhart endlich, um diese »verdammte Stille« zu unterbrechen. »Was meinst du?« fragte er zu Ifinger hinüber, den er jetzt erst anzuschauen wagte.

Ifinger lachte kurz auf, um etwas zu erwidern; dann verstummte er wieder und bewegte nur eine Hand in der Luft. Zum Glück öffnete sich jetzt eine Tür, und Erhart sah Christels große, schwarze Gestalt erscheinen. »Meine Herrschaften,« rief er sehr erleichtert aus, »ich glaube, die Suppe ist da. Die Versöhnungssuppe!«

»Ja, es ist angerichtet«, sagte Christel lächelnd.

»Wie stilvoll sie das sagt«, fiel Erhart mit aufgeregtem Humor wieder ein. »Mit einer gewissen schlichten Größe; – diese Halleinerin. Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Christel – Schellenberg. Denn ich sehe, Sie sind es. – Bitte, nehmen Sie meinen Arm, Frau Milli, gehen wir zum Essen!«

Milli war schon aufgestanden, trat hastig zwischen Tisch und Sofa hervor und hängte sich in Erharts Arm, dem Christel die Kleine abgenommen hatte. Sie schien wieder die harmlos heitere Porzelläne, die Rosen auf ihren Wangen kamen, wenn auch zögernd, wieder. Indem sie ihren Gästen winkte, sich anzuschließen, schwebte sie anmutig mit Erhart voran, und die andern folgten.


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